Scham und Schuld - Behandlungsmodule für den Therapiealltag (eBook)
224 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11588-8 (ISBN)
Maren Lammers ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis sowie freie Mitarbeiterin des Milton-Erickson-Instituts in Hamburg, Dozentin, Supervisorin und Selbsterfahrungsleiterin für Verhaltenstherapie, Hypnotherapie sowie emotionsbezogene Psychotherapie. Ihre Schwerpunkte sind neben der Verhaltenstherapie emotionsbezogene Psychotherapie, Hypnotherapie nach Milton Erickson sowie Schematherapie. Mitarbeit am Buch 'Emotionsbezogene Psychotherapie' (C.H. Lammers, 2007).
Maren Lammers ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis sowie freie Mitarbeiterin des Milton-Erickson-Instituts in Hamburg, Dozentin, Supervisorin und Selbsterfahrungsleiterin für Verhaltenstherapie, Hypnotherapie sowie emotionsbezogene Psychotherapie. Ihre Schwerpunkte sind neben der Verhaltenstherapie emotionsbezogene Psychotherapie, Hypnotherapie nach Milton Erickson sowie Schematherapie. Mitarbeit am Buch "Emotionsbezogene Psychotherapie" (C.H. Lammers, 2007).
3 Einordnung von Scham- und Schulderleben im therapeutischen Alltag
Scham und Schuld werden als übergeordnete Begrifflichkeiten meist unspezifisch genutzt und sollen alle Aspekte und Bereiche abbilden. Zusätzlich werden Schuld und Scham oft synonym verwendet. Dies kann auf vielen Ebenen zu Irritationen führen und verhindern, sich angemessen um Schuld und/oder Scham zu kümmern. Genaues Hinhören und das sprachliche Herausarbeiten der genauen Aspekte und dessen, was wirklich gemeint ist, stellen dabei einen sehr bedeutsamen Bestandteil einer Therapie dar, mit wichtigem, klärendem Charakter.
So ist es beispielsweise möglich, reale Schuld auf sich geladen zu haben und diese gar nicht zu spüren. Umgekehrt ist es möglich, sich schuldig zu fühlen und frei von jeglicher Schuld zu sein. Der Begriff Schuld wird im Alltag und in der Therapie auch angewandt für Schuldgefühle, Schulderleben, tatsächlich Schuld zu haben oder rund um wahrgenommene oder nicht wahrgenommene Verantwortung. Schuld und Verantwortung sind dabei eng verknüpft. Schuld haben bedeutet Verantwortung für etwas zu haben oder die Verantwortung nicht wahrgenommen zu haben, z. B. unterlassene Hilfeleistung.
Ein Schuldbewusstsein fehlt manchen Menschen ganz oder in spezifischen Situationen, etwa beim Fahren ohne Fahrschein oder bei der Arbeit mit Halbwahrheiten im Zuge der Steuererklärung. Die Fähigkeit, grundsätzlich ein Schuldempfinden und auch -bewusstsein zu haben, ist eine wichtige Voraussetzung für prosoziales Verhalten und soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Ähnlich verhält es sich mit der Scham. Hier werden oft Beschreibungen von Minderwertigkeit, Andersartigkeit, sich nicht dazu gehörig fühlen, falsch sein oder ein Selbstwertthema zu haben genutzt. Schamgefühl und Schamerleben stellen dabei die emotionalen Anteile der vorwiegend kognitiven Beschreibungen dar. Schamerleben hemmt angenehme Emotionen und wird oft als »Blockade« oder als Grund für den fehlenden Zugang zu diesen beschrieben. »Nicht richtig glücklich sein dürfen« oder die fehlende innere Erlaubnis, auch für sich sorgen zu dürfen, begegnen uns im Alltag und in den Behandlungen – dahinter verbirgt sich sehr oft quälendes Schamerleben.
Fremdscham
Eine Besonderheit stellt der Aspekt des Fremdschämens dar. Nicht selten begegnet uns in den Therapien die Tatsache, dass wir uns als Therapeuten stellvertretend für den Patienten oder dessen Bezugspersonen schämen. Menschen können sich für andere Personen schämen, wenn sie über ausreichend Empathie verfügen, eine antizipierte Bindung zu diesen spüren und ihr eigenes Werte- und Normensystem zugrunde legen. Ähnlich verhält es sich bei der Schuld und bei dem Empfinden, sich schuldig fühlen für das Verhalten von anderen Menschen oder transgenerationale Schuld in sich wahrzunehmen.
Die Fähigkeit, Scham empfinden zu können, ist dabei wieder ein wichtiger Bestandteil, um als soziales Mitglied einer Gemeinschaft akzeptiert und wahrgenommen zu werden.
Praxistipp
Scham und Schuld im therapeutischen Alltag gilt es, sprachlich zu unterscheiden in:
-
emotionale Reaktion von Scham oder Schuld oder beiden zusammen, wobei beide Emotionen einander bedingen können
-
die grundsätzliche Fähigkeit, Scham und/oder Schuld empfinden zu können
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das Empfinden für Scham und/oder Schuld zu haben – das beispielsweise prosoziales Verhalten fördert
-
Bewusstsein für Scham und/oder Schuld bei sich und anderen Personen
-
stellvertretende Wahrnehmung von Scham und/oder Schuld
Die folgenden Unterkapitel enthalten Einordnungsmöglichkeiten, die sich in der Behandlung als Teile des praktischen Konzepts für Therapeuten bewährt haben. Scham- und Schuldgefühle und das Erleben von Scham und Schuld lassen sich häufig im Zentrum emotionaler Konflikte und als Bedürfniskonflikte finden.
3.1 Scham und Schuld als Emotion
Es gibt weiterhin wenig Einigkeit darüber, was Emotionen nun genau sind. In neueren Publikationen wird diesem Aspekt oft durch die übergeordnete Formulierung »emotionale Netzwerke« Rechnung getragen. Die Betrachtungsvielfalt von Emotionen ist oft abhängig vom jeweiligen Forschungsgegenstand. Der Komplexität in den wissenschaftlichen Ausführungen folgt im praktischen Kontext die Reduktion dieser. Es geht dabei um praktikable Anregungen und Ideen, die sich im Behandlungsalltag auch in den Therapien bewährt haben. Dementsprechend gilt es, die folgenden Ausführungen auch in diesen Kontext zu setzen.
Zeitlich begrenztes Auftreten
Adaptive Emotionen sind immer an konkrete Auslöser gebunden und klingen nach einer gewissen Zeit (etwa 15 Minuten) wieder ab. Konkrete Auslöser können sowohl äußere Faktoren als auch innere Prozesse darstellen. Emotionales Erleben von Scham und Schuld begünstigt dabei immer wieder Rückkopplungsprozesse auf der Selbstwertebene als die Instanz, die Werte, Normen und Regeln verinnerlicht hat. Diese zeigen sich in gedanklichen Überlegungen, die wiederum neue Scham- und Schulderleben aktivieren können. Das bedeutet, dass Scham- und Schulderleben auch als emotionale Reaktionen länger anhalten als andere Emotionen. Typischerweise werden die emotionalen Reaktionen von Scham und Schuld als zwischen 30 Minuten bis zu einer Stunde andauernd beschrieben (s. Schaubilder in Kap. 3.2).
Das Erleben der Emotionen Scham und Schuld wird von den meisten Menschen als unangenehm und belastend wahrgenommen. Schuldgefühlen und Schulderleben wird jedoch zumeist ein adaptiver Charakter zugeschrieben. Vor dem Hintergrund eines aktuellen emotionalen Erlebens ist dies sicherlich verstehbar, denn es führt dazu, dass aktive Handlungen und Verhaltensweisen begünstigt werden. Schamgefühle und -erleben gehen stattdessen mit einer »gefühlten Blockade« einher, die einen inneren Rückzug begünstigen, wenn es nicht möglich ist, die Situation umgehend zu verlassen.
Schamgefühle sind Ausdruck bereits frühkindlicher Emotionen mit stark reduziertem kognitivem Anteil. Sie haben einen deutlichen emotionalen Charakter und lassen sich zumeist auf körperlicher Ebene verorten. Viele Menschen empfinden diese kindlichen Scham- und Schuldgefühle eher kurzzeitiger und undifferenzierter als erwachsenes Scham- und Schulderleben. Manchmal sind diese als kurze Impulse spürbar, wenn früh gelernte Regeln und Normen verletzt werden, z. B. durch das eigene Verhalten. Früh erlernte Emotionsregulationsstrategien helfen, mit den kindlichen Gefühlen umzugehen, diese in die soziale Situation und den Alltag einzubetten.
Scham- und Schulderleben in seiner »erwachseneren Form« hat einen deutlich höheren und vor allem komplexen kognitiven Anteil. Für viele Menschen steht die Auseinandersetzung mit diesem im Vordergrund, obwohl die Auseinandersetzung immer wieder neu Scham- und Schulderleben triggern kann und so das Scham- und Schulderleben scheinbar länger anhält. Die Regulierung von Scham- und Schulderleben über die kognitive Auseinandersetzung und Ableitung von sinnvollen und notwendigen Handlungen ist zumeist hilfreich. Diese Aussage gilt jedoch nur, wenn die Emotion tatsächlich danach abklingt. Findet die Emotion automatisiert statt und lässt die emotional-affektiven und subjektiv empfundenen Anteile nicht abklingen, sondern begünstigt weiterhin kognitive Prozesse und Grübeln, gilt es, sich der Emotion zuzuwenden.
Praxistipp
Die Fokussierung auf die kognitiven Anteile kann dabei als eine Emotionsregulationsstrategie verstanden werden, aber auch Ausdruck von Vermeidung der emotional-affektiv eingefärbten ...
Erscheint lt. Verlag | 21.1.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Act • Emotionsbezogene Psychotherapie von Scham und Schuld • Emotionsregulationsstrategien • Gestalttherapie • Gesundheits- und Selbstfürsorge • Gewaltfreie Kommunikation • integrative Methoden • Integrative Psychotherapie • Interventionen Scham • Kommunikationsübungen • Körpertherapie • Marshall Rosenberg • Psychotherapie Scham • Schamgefühl • Schamhaftigkeit • Schande • Schematherapie • Schuldgefühl • Selbst- und Identitätsentwicklung • Soziale Phobie • Übungen Psychotherapie Scham |
ISBN-10 | 3-608-11588-9 / 3608115889 |
ISBN-13 | 978-3-608-11588-8 / 9783608115888 |
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