Bildgebende Diagnostik beim Polytrauma (eBook)
384 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-200811-3 (ISBN)
2 Computertomografie – Untersuchungsprotokolle in der Polytraumaversorgung
Carsten Hackenbroch
Die MDCT (Multidetektor-CT) hat sich als das bildgebende Verfahren der Wahl in der Diagnostik des polytraumatisierten Patienten etabliert. Die rasante technische Entwicklung in den letzten 2 Jahrzehnten (Einführung der Mehrzeilentechnik im Jahr 1998) hat es heutzutage möglich gemacht, eine Ganzkörperspirale in wenigen Sekunden Scan-Zeit zu akquirieren. Durch dieses schnelle und sichere Bildgebungsverfahren ist es erst möglich geworden, den schwerverletzten Patienten frühzeitig umfassend zu diagnostizieren und einer prioritätenorientierten Versorgung zuzuführen. Somit ist die moderne Bildgebung und insbesondere die CT einer der relevanten Schlüsselbereiche in der Versorgung schwerverletzter Patienten.
Mittlerweile gibt es unzählige Studien, die den Vorteil der GKCT (Ganzkörper-CT) bei stabilen, aber auch bei instabilen polytraumatisierten Patienten belegen. Der hohe Stellenwert der GKCT wurde in der im Sommer 2016 neu überarbeiteten S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ nochmals hervorgehoben.
Der Untersuchungsablauf bei einem polytraumatisierten Patienten und die genaue Protokollzusammenstellung unterscheiden sich von Klinik zu Klinik. Dies liegt insbesondere an der variablen Scanner-Ausstattung der jeweiligen Klinik mit den daraus resultierenden unterschiedlichen Scan-Parametern und -Geschwindigkeiten (4- bis 640-Zeiler) und dadurch bedingt auch unterschiedlichen Kontrastmittelprotokollen. Des Weiteren spielen die baulichen Voraussetzungen eine Rolle in der Patientenversorgung und der Art der Bildgebung. Ist z. B. ein CT-Scanner direkt im Schockraum integriert oder unmittelbar benachbart, kann mittlerweile auf eine initiale konventionelle Röntgendiagnostik (Röntgenaufnahme von Becken und Thorax) gemäß der 2016 überarbeiteten S3-Leitlinien verzichtet werden.
So kommt es zu einer Vielzahl etablierter und empfohlener CT-Protokolle, die aber individuell an die eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten vor Ort (scanner- und nutzerspezifisch) angepasst werden müssen. In der vorliegenden Publikation kann daher kein dediziertes Polytraumaprotokoll angegeben, sondern es können lediglich Vorgaben und Anhaltspunkte vermittelt werden. Die AG BVB der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) hat darüber hinaus im Jahr 2017 Protokollempfehlungen und Indikationshilfen zur Ganzkörper-CT bei polytraumatisierten Patienten herausgegeben ▶ [1].
Als gemeinsame Schnittmenge, die als Mindestanforderung allen Protokollen eigen sein sollte, haben sich ein natives cCT (Schädel-CT), ein CT der knöchernen HWS und eine kontrastmittelverstärkte Darstellung von Thorax, Abdomen und Becken herauskristallisiert. Aufgrund eigener langjähriger Erfahrung und zwischenzeitlich publizierter Daten sollte der HWS-Scan, wenn möglich, in Kombination mit einer getriggerten Kontrastmittelgabe erfolgen. Das ermöglicht gleichzeitig, die supraaortalen Gefäße darzustellen und ihre Verletzungen (z. B. Dissektionen) frühzeitig zu diagnostizieren (supraaortale Angiografie). Als technische Mindestanforderung wird zur Minimierung von Artefakten (z. B. Pulsationsartefakten der Aortenwurzel) und für eine adäquate Scan-Zeit heutzutage ein 16-Zeilen-CT angesehen.
Merke
Anforderung an ein GKCT:
-
mindestens 16-Zeilen-CT
-
cCT nativ
-
GKCT mit Kontrastmitteldarstellung der supraaortalen Gefäße
2.1 Indikation
Aufgrund der doch recht hohen Strahlenbelastung durch eine GKCT sollte die Durchführung einer solchen Untersuchung nicht leichtfertig erfolgen und der Routineeinsatz sollte bei Patienten mit geringeren Traumata unterbleiben. Während bei schwerstverletzten Patienten die erhöhte Strahlendosis natürlich zweitrangig ist, sollte sie bei leichter verletzten Patienten (nicht intubiert, stabil, wach und kontaktfähig, GCS [Wert auf der Glasgow Coma Scale] 15), bei denen das Risiko akut-traumatischer Veränderungen deutlich geringer ist, mitberücksichtigt werden. Viele neuere Studien zeigen bei diesem Patientenkollektiv keinen Überlebensvorteil der GKCT gegenüber der selektiven Einzelorganuntersuchung, während sich durch die GKCT eine unnötige Überdiagnostik und vermeidbare Strahlenexposition ergibt.
Merke
Ein Problem der schnellen Ganzkörperbildgebung liegt in der vermehrten Diagnose von nicht Outcome-relevanten Befunden sowie von nicht traumatisch bedingten Nebendiagnosen ( ▶ Abb. 2.1), die unbedingt ebenfalls zu dokumentieren und dem klinischen Zuweiser zu übermitteln sind.
Nebendiagnose bei Polytraumaspirale.
Abb. 2.1 Im Rahmen der immer häufigeren Durchführung von Polytraumauntersuchungen werden vermehrt nicht traumaassoziierte Befunde erhoben, die oft eine weitere Diagnosespirale triggern (Überdiagnostik). Fall einer kolbenförmigen Auftreibung der 7. Rippe links im Rahmen eines monoostotischen Rippenbefalls bei Morbus Paget. Die Diagnose erfolgte im Rahmen einer Polytraumaspirale. Relevante traumatische Läsionen lagen nicht vor.
Erste Algorithmen, die die Indikationsstellung erleichtern sollen, wurden in klinischen Studien erfolgreich getestet (z. B. Manchester Trauma Imaging Protocol; ▶ Abb. 2.2 ▶ [4]), sind bisher aber nicht in Leitlinien berücksichtigt. Eine definitive Indikation zur GKCT existiert auch in der S3-Leitlinie nur teilweise. Zwar sind die Kriterien für eine Alarmierung des Schockraumteams fest geregelt, dies impliziert jedoch nicht automatisch die Durchführung einer GKCT.
Beispiel eines Algorithmus zur Schockraumbildgebung.
Abb. 2.2 Manchester Trauma Imaging Protocol nach Davies et al.
1) Trauma-Scoring:
Klinischer Befund:
-
> 2 Regionen verletzt (Kopf, HWS, Thorax, Abdomen, Becken, Logroll-Manöver): +2 Punkte
-
systolischer arterieller Blutdruck < 100 mmHg oder Herzfrequenz > 100/min: +2 Punkte
-
Atemfrequenz > 24/min, Sauerstoffsättigung < 93%: +3 Punkte
-
GCS < 14: +3 Punkte
Unfallmechanismus:
-
Fall aus ≤ 5 m Höhe: -1 Punkt
-
Verkehrsunfall (im Pkw): +1 Punkt
-
Verkehrsunfall (als Fahrradfahrer oder Fußgänger): +3 Punkte
-
Fall aus > 5 m Höhe: +3 Punkte
CT = Computertomografie
GKCT = Ganzkörper-Computertomografie
Ein Abweichen vom standardisierten Ablauf einer GKCT kann bei entsprechender klinischer Konstellation im Rahmen eines fokussierten CT erfolgen. Dabei kann dann unter Umständen auf eine i.v. (intravenöse) Kontrastmittelgabe verzichtet werden oder es können auch Low-Dose-CT-Untersuchungen durchgeführt werden, z. B. zur Abklärung von Wirbelkörperfrakturen. Dies betrifft insbesondere Kinder und junge Erwachsene, da diese besonders strahlensensibel sind. Die AG Bildgebende Verfahren des Bewegungsapparats der Deutschen Röntgengesellschaft hat 2017 die Unterteilung in 3 Indikationsgruppen empfohlen:
-
instabile „mehrfach- und schwerstverletzte“ Patienten, die umgehend ein zeitoptimiertes GKCT erhalten sollten,
-
stabile, klinisch untersuchbare, wache und kooperative Patienten, bei denen abhängig vom Ergebnis der klinischen Untersuchung die Entscheidung zur angemessenen Diagnostik getroffen wird: Ultraschall, konventionelle Röntgendiagnostik, fokussiertes CT oder dosisoptimiertes GKCT
-
stabile, aber klinisch nicht untersuchbare Patienten, bei denen ein dosisoptimiertes GKCT erfolgen sollte.
2.2 Strahlenexposition
Abhängig von der Literatur variiert die angegebene Strahlenexposition pro GKCT zwischen 10 und 30 mSv, wobei Spitzenwerte teilweise...
Erscheint lt. Verlag | 20.11.2019 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete |
Schlagworte | Abdominelles Trauma • Extremitätenverletzungen • Gefäßverletzungen • Knochenbrüche • Polytrauma • Schädel-Hirn-Trauma • Thoraxtrauma • Weichteilverletzungen • Wirbelsäulenverletzungen |
ISBN-10 | 3-13-200811-7 / 3132008117 |
ISBN-13 | 978-3-13-200811-3 / 9783132008113 |
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Größe: 81,3 MB
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