Advance Care Planning (eBook)

Von der Patientenverfügung zur gesundheitlichen Vorausplanung
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2015 | 1. Auflage
364 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-028675-7 (ISBN)

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Advance Care Planning -
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'Advance Care Planning' (ACP, gesundheitliche Vorausplanung) zielt auf eine konsequent am vorausverfügten Patientenwillen orientierte Behandlung für den Fall, dass der Betroffene sich nicht mehr selbst äußern kann. Realisiert wird diese grundlegend neue Herangehensweise durch die Etablierung eines professionell begleiteten Kommunikationsprozesses, der Menschen bei der Entwicklung ihrer individuellen Patientenverfügung unterstützt. Hinzu kommt ein diesbezüglicher Wandel im Gesundheitssystem, in dessen Folge ein solches qualifiziertes Beratungsangebot insbesondere älteren und chronisch kranken Menschen aktiv angeboten wird. Darüber hinaus müssen die angemessene Dokumentation, die Aktualisierung und zuverlässige Beachtung des vorausverfügten Patientenwillens gewährleistet werden. Ausgehend von einer Analyse der Defizite des bisherigen Umgangs mit Patientenverfügungen erörtert eine internationale Autorengruppe die Grundlagen von ACP, stellt etablierte ACP-Projekte vor und erläutert die politischen und ethischen Herausforderungen.

Dr. theol. Michael Coors, Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG), Hannover. PD Dr. Ralf Jox, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, LMU München. Prof. Dr. Jürgen in der Schmitten, MPH, Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf.

Dr. theol. Michael Coors, Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG), Hannover. PD Dr. Ralf Jox, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, LMU München. Prof. Dr. Jürgen in der Schmitten, MPH, Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf.

Deckblatt 1
Titelseite 4
Impressum 5
Inhalt 6
Geleitwort 10
1 Advance Care Planning: eine Einführung 12
2 Defizite bisheriger Vorausverfügungen 24
2.1 Ethische Grenzen und Defizite der Patientenverfügung 24
2.2 Juristische Fragen und Kritik am Instrument der Patientenverfügung 40
2.3 Grenzen der Vorausverfügung in der Intensivmedizin 53
2.4 Wirkungslosigkeit von Patientenverfügungen in der stationären Altenpflege – Einflussfaktoren und Postulate 63
3 Theoretische Grundlagen von Advance Care Planning 76
3.1 Was ist Advance Care Planning? Internationale Bestandsaufnahme und Plädoyer für eine transparente, zielorientierte Definition 76
3.2 Philosophisch-ethische Gründe für Advance Care Planning 96
3.3 Gesundheitliche Vorausplanung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive 110
3.4 Vorausplanung für nicht-einwilligungsfähige Personen – »Vertreterverfügungen« 120
3.5 Gespräche über Leben und Tod: Ethische Beratung zur gesundheitlichen Vorausplanung 142
3.6 Gesellschaftliche und ethische Herausforderungen des Advance Care Plannings 153
3.7 Rechtliche Aspekte der vorausschauenden Behandlungsplanung (Advance Care Planning) 165
4 Advance Care Planning in der internationalen Praxis 182
4.1 Das »Respecting Choices« Advance-Care-Planning-Programm in den USA: ein nachgewiesener Erfolg 182
4.2 Implementierung von Advance Care Planning in Australien: das Programm »Respecting Patient Choices« 197
4.3 Das Erfolgsmodell »Our Voice – t?t?tou reo«: Advance Care Planning in Neuseeland 208
4.4 Dialog als Vorsorge – Ist die Vorbereitung auf die Krisensituation in Pflegeheimen möglich? Erfahrungen aus Österreich 226
4.5 Das Pilotmodell beizeiten begleiten 235
4.6 Implementierung von beizeiten begleiten in einer Senioreneinrichtung: Ein Erfahrungsbericht 259
4.7 Advance Care Planning im Krankenhaussektor – Erfahrungen aus dem Zürcher »MAPS« Trial 271
5 Advance Care Planning in speziellen Kontexten 289
5.1 Vorausplanung in der Notfall- und Intensivmedizin 289
5.2 Vorausschauendes Planen in der Palliativmedizin 303
5.3 Vorausschauende Behandlungsplanung in der Kinderheilkunde 312
5.4 Vorausplanung und Vorausverfügung in der Psychiatrie 329
5.5 Krankheitsspezifische Vorausplanung am Beispiel der Herzinsuffizienz 343
6 Advance Care Planning: Perspektiven für Wissenschaft, klinische Praxis und Gesundheitspolitik 355
Autorenverzeichnis 362

2         Defizite bisheriger Vorausverfügungen


 

 

2.1        Ethische Grenzen und Defizite der Patientenverfügung1


Ralf J. Jox, Jürgen in der Schmitten, Georg Marckmann


2.1.1     Zur Geschichte der Patientenverfügung und ihrer Verbreitung in Deutschland


Die Patientenverfügung erfreut sich in Deutschland inzwischen immer größerer Bekanntheit und Beliebtheit. Dies zeigt sich sowohl an ihrer Präsenz und Prominenz in der gesellschaftlichen Debatte als auch an der Häufigkeit ihrer tatsächlichen Inanspruchnahme durch die Bürger. Bereits 1978 hatte der Kölner Medizinrechtsprofessor Wilhelm Uhlenbruck die neun Jahre zuvor von dem amerikanischen Menschenrechtler Luis Kutner eingeführte Idee des »Living will« aufgegriffen und als »Patientenbrief« bzw. später »Patiententestament« in Deutschland bekannt gemacht (Kutner 1969; Uhlenbruck 1978; Benzenhöfer und Hack-Molitor 2009). Während dieses Instrument in den 1980er Jahren nur wenigen in Deutschland bekannt war, gab es in den 1990er Jahren erste fachliche Diskussionen darüber, bevor es im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts schließlich gesundheitspolitisch diskutiert und rechtlich verankert wurde, unter anderem gefördert durch die rasante Entwicklung der Hospiz- und Palliativbewegung sowie durch die zunehmende Klärung der Rechtslage im Rahmen verschiedener höchstrichterlicher Urteile (Putz und Steldinger 2012; Jox 2013). Nicht zuletzt prominente Prozesse vor dem Bundesgerichtshof führten dazu, dass in diesem Jahrzehnt öffentlich viel über die Patientenverfügung diskutiert wurde: über ihre Vorzüge und Nachteile, ihre theoretische Begründung wie auch ihre praktische Umsetzung. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts aus dem Jahr 2009, das die stellvertretende Entscheidung bei nicht einwilligungsfähigen Patienten regelt, wurde das zuvor bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte Vorsorgeinstrument der Patientenverfügung nun auch vom Gesetzgeber explizit als verbindliche Willensäußerung des Patienten kodifiziert (Deutscher Bundestag 2009; Wiesing et al. 2010).

Parallel zur gesellschaftlichen Debatte stieg auch die Zahl derjenigen Bürger, die eine Patientenverfügung verfassten. Noch im Jahr 1998 hatte eine repräsentative Befragung der deutschen Bevölkerung ergeben, dass lediglich 2,5% eine Patientenverfügung verfasst hatten (Schröder et al. 2002). In den Jahren 2006 und 2007 fanden zwei sorgfältig durchgeführte Repräsentativerhebungen heraus, dass nun bereits 11,0% bzw. 10,4% der Bürger angaben, eine Patientenverfügung zu besitzen (Lang und Wagner 2007). Das Marktforschungsinstitut GfK veröffentlichte nur wenig später, nämlich 2009, als das neue Gesetz in Kraft trat, eine Häufigkeit von 17,8% (Apotheken Umschau und GfK Marktforschung 2009). Befragungen aus dem Jahr 2012 lieferten noch einmal deutlich höhere Zahlen: Die Forschungsgruppe Wahlen veröffentlichte im Auftrag des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes eine Häufigkeit von 26%, und das Schlaganfall-Barometer der Deutschen Schlaganfall-Hilfe gab bekannt, dass mehr als die Hälfte (52%) der Bürger über 65 Jahre angaben, eine Patientenverfügung erstellt zu haben (Deutsche Schlaganfall-Hilfe 2012; Deutscher Hospiz- und PalliativVerband 2012). Einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens GfK im Auftrag der Deutschen Friedhofsgesellschaft aus dem Jahr 2013 zufolge berichtete mehr als ein Drittel der Deutschen über 30 Jahren (genau 35,6%), eine Patientenverfügung zu besitzen (Deutsche Friedhofsgesellschaft 2013).

Daraus lässt sich ein Trend ableiten: Die Zahl der Deutschen, die Patientenverfügungen nutzen, scheint sich laut demoskopischen Untersuchungen in den 14 Jahren zwischen 1998 und 2012 vervielfacht zu haben. Auch wenn die tatsächliche Häufigkeit vielleicht niedriger liegen mag, da es heute stärker als früher eine soziale Erwünschtheit darstellt, eine Patientenverfügung zu haben, und manche Befragten vielleicht nicht zwischen der Patientenverfügung und den anderen Vorsorgeinstrumenten (z. B. der Vorsorgevollmacht) differenzierten, lassen diese Befragungen doch den Schluss zu, dass die Patientenverfügung heutzutage von einem großen Teil der Bevölkerung genutzt wird. Zudem scheint die Häufigkeit nicht nur mit dem Alter anzusteigen, sondern auch bei denjenigen deutlich höher zu sein, die an einer chronischen oder gar lebensbegrenzenden Erkrankung leiden, etwa bei Patienten mit einer Amyotrophen Lateralsklerose (van Oorschot 2008; Evans et al. 2012; van Oorschot et al. 2012). Dies ist auch deshalb plausibel, weil manche Spezialambulanzen, Patientenorganisationen, Selbsthilfegruppen sowie Hospiz-und Palliativeinrichtungen besonders aktiv in der Information und Beratung zu Patientenverfügungen sind (Jox et al. 2009; Bickhardt 2012; Knittel 2011). Man darf also annehmen, dass ein relevanter Anteil der Patienten in Krankenhäusern sowie der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen Patientenverfügungen erstellt hat und dass dieser Anteil künftig weiterhin wachsen, vielleicht bald die Mehrheit darstellen wird. Nicht zuletzt war ja auch im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zur Patientenverfügung 2009 bekannt geworden, dass es Heime gab, welche bei der Aufnahme neuer Bewohner die Existenz oder Neuausfertigung einer Patientenverfügung verlangten, was schließlich zu der gesetzlichen Klarstellung führte (§ 1901a Abs. 4 BGB), dass niemand zur Erstellung einer Patientenverfügung gezwungen werden darf und diese nicht zur Bedingung eines Vertragsabschlusses gemacht werden darf.

Die hohe Prävalenz der Patientenverfügung in Bevölkerungsumfragen steht jedoch im Gegensatz zu Untersuchungen, wie häufig Patientenverfügungen in Einrichtungen des Gesundheitswesens tatsächlich vorkommen. Nach einer Studie in elf Seniorenheimen einer nordrhein-westfälischen Großstadt berichteten die Mitarbeiter dieser Heime, dass sie lediglich von 12,4% der Bewohner (135 von 1.089) Patientenverfügungen vorliegen hatten (Sommer et al. 2012), eine weitere Erhebung derselben Arbeitsgruppe aus einer anderen Seniorenheim-Stichprobe aus dem Jahr 2009 ergab ein Vorkommen von Patientenverfügungen bei 113 (19,7%) der 573 Bewohner (in der Schmitten et al. 2014). Von 224 Patienten, die zwischen August 2008 und September 2010 auf einer chirurgischen Intensivstation des Universitätsklinikums Charité in Berlin verstorben sind, hatten nur 21 (9,4%) eine Patientenverfügung (Graw et al. 2012). Eine ähnliche Untersuchung, welche 477 zwischen Dezember 2010 und Dezember 2011 auf vier Intensivstationen eines Universitätsklinikums verstorbene Patienten zu Grunde legte, fand 64 Patientenverfügungen (13%) in den Akten (Hartog et al. 2014). Eine neuere Untersuchung, bei der Notfallmediziner ihre Patienten auf existierende Patientenverfügungen ansprachen, erbrachte nur eine Häufigkeit von 12% (Brokmann et al. 2014). Etwas höhere Häufigkeiten wurden in einer präoperativen Befragung chirurgischer Patienten aus dem Jahr 2007 (16,7%) (Justinger et al. 2009) sowie insbesondere in Befragungen von Patienten mit chronischen Krankheiten gefunden: eine Studie an 200 Nierenkranken aus den Jahren 2009–2010 ermittelte, dass 26% eine Patientenverfügung hatten (Driehorst und Keller 2014), und eine Umfrage in der onkologisch-hämatologischen Ambulanz einer Universitätsklinik fand bei 29% entweder eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht (Pfirstinger et al. 2014).

2.1.2     Unkenntnis der Patientenverfügung im Anwendungsfall


Wodurch lässt sich diese Diskrepanz zwischen der in Bevölkerungsumfragen berichteten Häufigkeit von Patientenverfügungen und ihrer tatsächlichen Verbreitung in Einrichtungen des Gesundheitswesens erklären? Neben den genannten methodischen Unschärfen sind vor allem drei wahrscheinliche Gründe zu nennen.

A. Mangelnde Kommunikation gegenüber Angehörigen


Gemeinhin gilt die Patientenverfügung als eine sehr private, intime Angelegenheit. Viele Bürger informieren sich zwar im Internet, bei Vorträgen oder anhand von Broschüren und Büchern, suchen aber keine persönliche Beratung auf. Sie erstellen ihre Verfügung »im stillen Kämmerlein« und legen sie anschließend an einem sicheren, vielleicht sogar geheimen Ort ab, informieren ihre Angehörigen aber nicht darüber. Im Bedarfsfall haben diese dann keine Kenntnis von der Existenz der Verfügung oder können sie zumindest nicht auffinden. Diese Situation kann vor allem dann entstehen, wenn Menschen sich schwer tun, über Sterben, Krankheit und Leiden mit anderen zu sprechen. Hinzu kommt, dass...

Erscheint lt. Verlag 26.8.2015
Zusatzinfo 17 Abb., 13 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Ethische Werte • Gesundheitliche Vorausplanung • Gesundheitsethik • Patientenautonomie • Patientenverfügung • Patientenwillen • Vorsorge
ISBN-10 3-17-028675-7 / 3170286757
ISBN-13 978-3-17-028675-7 / 9783170286757
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