Forschungsbetrug in der Medizin (eBook)

Fakten, Analysen, Präventionsstrategien
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2015 | 1. Auflage
235 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-43065-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Forschungsbetrug in der Medizin -  Stella Elaine Urban
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Um das Ansehen von medizinischen Forschern ist es in der westlichen Welt nicht überall gut bestellt. In den 1990er-Jahren gelangte das Thema »Medizinischer Forschungsbetrug« erstmals in den USA in das öffentliche Bewusstsein. Eine Debatte um begünstigende Strukturen und denkbare Kontrollinstrumente zur Eindämmung von Missbrauch entbrannte - in Deutschland blieb ein solcher Diskurs bis zur Jahrhundertwende zunächst aus. Der Band nimmt wissenschaftlich arbeitende Ärzte, die ethischen Anforderungen, denen sie sich ausgesetzt sehen, und das System, in dem sie arbeiten, in den Fokus. Stella Elaine Urbans Analyse von Betrugsfällen deckt wissenschaftsimmanente und individuelle Fallstricke auf, die unredliche Forschung begünstigen. Es zeigt sich, dass die wissenschaftliche Integrität unterstützt und geschützt werden muss, um das Vertrauen in die Medizin wiederherzustellen.

Stella Elaine Urban studierte Humanmedizin an der Universität Münster und arbeitet als Ärztin auf einer Stroke Unit in Friedberg.

Stella Elaine Urban studierte Humanmedizin an der Universität Münster und arbeitet als Ärztin auf einer Stroke Unit in Friedberg.

Inhalt 8
Vorbemerkungen 11
1. Forschungsbetrug in der Medizin:Ein Spektrum an Beispielen 12
1.1 Internationale Fälle von Forschungsbetrug 14
Der Webster-Fall 15
Der Soman-Fall 16
Der Breuning-Fall 17
Der Darsee-Fall 17
Der Collins-Fall 19
Der Baltimore/Imanishi-Kari-Fall 19
Der Sudbø-Fall 22
Der Hwang-Fall 23
Der Fujii-Fall 27
1.2 Deutsche Fälle von Forschungsbetrug 29
Der Herrmann/Brach-Fall 29
Der Boldt-Fall 34
Der Kugler/Stuhler-Fall 35
Der Bulfone-Paus-Fall 39
Der Rottländer-Fall 42
1.3 Aktuelle Entwicklungen: Ghostwriting am Beispiel vonWyeth und der Merck-Group 44
2. Kategorien und Begrifflichkeitenwissenschaftlichen Fehlverhaltens 47
2.1 Einführung in die Begrifflichkeiten 47
2.2 Zur Geschichte der Kategorisierung vonwissenschaftlichem Fehlverhalten 51
2.3 Arten des unredlichen Umgangs mit Daten 54
2.4 Arten der unredlichen Publikationspraxis 59
2.5 Arten des unredlichen Umgangs mit Kollegen 62
2.6 Fehlverhalten in Zahlen 65
2.7 Fazit 68
3. Wissenschaftliche Redlichkeit:Standards und Fallstricke 71
3.1 Einführung: Das Ideal des wissenschaftlichtätigen Mediziners 71
3.2 Ethische Theorien für die Analyse und Handhabungwissenschaftlichen Fehlverhaltens 72
3.3 Fallstricke wissenschaftlicher Redlichkeit 81
4. Was bisher geschah: Schutz undFörderung wissenschaftlicher Redlichkeit 104
4.1 Die Scientific Community – An- und Herausforderungenim internal universe 104
4.2 Integrität der Forscherprofession – Sicherung desexternen und internen Vertrauens 108
4.3 Wissenschaftsimmanente Kontrollinstanzen undexterne fraudbuster 113
4.4 Die Praxis: Bestandsaufnahme aktueller Kontroll- undSanktionsinstanzen sowie weitere Empfehlungen 132
5. Resümee 159
Abkürzungen 162
Literatur 165
Dank 198
Anhang 199
Sicherung guter wissenschaftlicher PraxisSafeguarding Good Scientific Practice 200
Register 233

Vorbemerkungen
Die in dieser Arbeit verwendete Literatur stammt überwiegend aus den vergangenen 15 Jahren. Die gesichteten Veröffentlichungen zeigen die Anfänge einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema wissenschaftlichen Forschungsbetrugs, ihren verschiedenen Aspekten und Hintergründen und den auffällig häufig übereinstimmenden ethischen Bewertungen und Positionen. Die im deutschsprachigen Raum veröffentlichte Literatur stellt sich relativ übersichtlich dar und hatte 1998 mit dem Bekanntwerden des größten deutschen Forschungsskandals der Mediziner Friedhelm Herrmann und Marion Brach ihren Höhepunkt. Seit 2005 nahmen die Publikationen zum Thema Forschungsbetrug jedoch wieder ab, zeitgleich mit der Prozessbeilegung des oben genannten Falles. Immer wieder wurde zwar in der Presse über neue Fälle von Forschungsbetrug berichtet, doch eine umfassende medizin- und wissenschaftsethische Auseinandersetzung wie in den USA löste dies nicht aus. Erschienene Monografien stammten nicht von Autoren mit medizinethischem Hintergrund, sondern von Journalisten. Deutschsprachige Publikationen zum Thema bleiben Kolibris. Umso mehr reizte mich das Thema, nachdem es mir von Frau Prof. Schöne-Seifert als mögliches Promotionsprojekt vorgestellt worden war. Eine mehrjährige Literatursichtungs- und Schreibphase begann. In der letzten Korrekturphase unterstützte mich meine Doktormutter, insbesondere die ethische Diskussion in Kapitel 3 betreffend, sodass auch ihre Formulierungen teilweise dort übernommen worden sind. Mit diesen Verwendungen hat sie sich ausdrücklich einverstanden erklärt. Veröffentlichungen, die nach dem 31. Dezember 2014 erschienen sind, wurden nicht mehr berücksichtigt.

1. Forschungsbetrug in der Medizin: Ein Spektrum an Beispielen
Um das Ansehen der Wissenschaft und das Vertrauen in die Integrität von Forschern ist es gegenwärtig in der westlichen Welt nicht durchgängig gut bestellt. Wenn etwa der italienische Wissenschaftshistoriker Federico Di Trocchio den zeitgenössischen Wissenschaftler beschreibt, scheint die Zukunft nicht rosig für die Zunft von 'Wahrheitssuchern und -findern', die der Welt neue Erkenntnisse bescheren und sie in ihrem Wissensdrang voranbringen: Di Trocchio spricht von einer 'neuen Generation von gefühllosen, zynischen, amoralischen jungen Wissenschaftlern, in deren Wirkungskreis offenkundig die Rücksichtslosigkeit und die technische Raffinesse der Geschäfts- und Industriewelt Einzug gehalten hat.' (Di Trocchio 1994). Zunehmend wird über betrügerisches Verhalten von Forschern berichtet.
Seit den 1990er Jahren gelangte das Thema 'Forschungsbetrug' insbesondere im amerikanischen Raum in das öffentliche Bewusstsein, nahm seine Anfänge jedoch bereits in den 1970er Jahren, so auch in den skandinavischen Ländern (Finetti/Himmelrath 1998, 32). Eine Debatte um begünstigende Strukturen und mögliche Kontrollinstrumente entbrannte. In Deutschland blieb eine umfassende Diskussion innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft - abgesehen von Veröffentlichungen aus juristischer Sicht von Albin Eser (1993) und Stefanie Stegemann-Boehl (1994) und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) (1997) und vereinzelten Veranstaltungen an Universitäten - zunächst aus. Dies wurde von einzelnen bemängelt (Eser 1993, 77; ebd. 1996, 2), ansonsten aber scheinbar ignoriert. Entstanden unter dem Eindruck des wohl bislang größten deutschen Forschungsbetrugsfalls von Medizinern (Herrmann/Brach-Fall) veröffentlichte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Jahr 1998 ihre Denkschrift 'Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis' (überarbeitete Auflage: DFG 2013a) sowie populärwissenschaftlich Marco Finetti, aktuell Pressesprecher der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Journalist Armin Himmelrath ihr Werk 'Der Sündenfall' (Finetti/Himmelrath 1999). Die Illusion einer vollkommen redlichen Wissenschaftswelt zerplatzte. Doch was ist 15 Jahre später aus den Erkenntnissen der Vergangenheit gemacht worden?
Diese Arbeit konzentriert sich in ihrer Auseinandersetzung auf wissenschaftlich arbeitende Ärzte, die ethischen Anforderungen, denen sie sich ausgesetzt sehen und das System in dem sie arbeiten. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Parallelen zu anderen Wissenschaftsgebieten und doch zwei Unterschiede. Der Vertrauensverlust und die Einbuße an Integrität wiegen, wie gezeigt werden wird, in dieser Fachgruppe schwerer als in anderen Scientific Communities. Zudem besteht ein großes öffentliches und auch politisches Interesse hinsichtlich dieses Fachbereichs: Die Ausgaben der DFG für Projekte im Bereich Medizin beliefen sich 2008 auf 380,2 Millionen Euro und 2011 bereits auf 512,2 Millionen Euro. Damit ist die medizinische Forschung der am meisten durch die DFG geförderte Bereich (DFG 2011a, 168).
Die Fragen, die sich daher dringlich stellen und die diese Arbeit zu beantworten sucht, sind vor allem: Welche Formen von Forschungsbetrug kommen vor? Welche Entwicklungen innerhalb der Wissenschaft, welche Situationen und welches Klima begünstigen derartiges Fehlverhalten? Welche Programme sind bislang initiiert worden, um wissenschaftliche Unredlichkeit einzudämmen und was könnte darüber hinaus getan werden? Insbesondere geht es um eine Präzisierung der ethischen Forderungen, die an wissenschaftlich tätige Mediziner gestellt werden und die sich auch im Selbstanspruch der Scientific Community finden lassen.
Die im deutschsprachigen Raum vorzufindende Literatur stellt sich bislang übersichtlich dar: Marco Finetti und Armin Himmelrath können mit ihrem oben genannten Werk sicherlich als Wegbereiter in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Forschungsbetrug in Deutschland angesehen werden. Eine umfassende Arbeit lieferte auch die Philosophin Yu-Li Liang (2007). Diese beiden seien stellvertretend für einige andere Autoren genannt, die ebenfalls in dieser Arbeit vorgestellt werden.
1.1 Internationale Fälle von Forschungsbetrug
Das System Wissenschaft wächst (siehe Fußnote 79): Im Jahr 2012 wurden jährlich weltweit mehr als eine Millionen medizinischer Fachartikel in mehr als 20.000 Zeitschriften veröffentlicht (Bartens 2012, 33). Auch die Zahl der tätigen Wissenschaftler nimmt zu (BMBF 1997, 236-238). Eine Kontrolle dieses expandierenden wissenschaftlichen Betriebes erscheint immer schwieriger (Bartens 2012, 33).
Seit der Jahrtausendwende sind es drei bedeutende Fälle, die in Erinnerung bleiben werden, weil ihr Ausmaß demonstriert, welche Konsequenzen die Datenfälschung und die Skrupellosigkeit von Wissenschaftlern in der medizinischen Forschung haben kann. Der erste Fall erregte 1999 in Deutschland das öffentliche Interesse (Herrmann/Brach-Fall), die anderen beiden trugen sich im Jahre 2005 in Norwegen (Sudbø-Fall) und Südkorea (Hwang-Fall) zu. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Forschungsbetrug erreichten in den darauffolgenden Jahren einen vorläufigen Höhepunkt.
Wusste man in den 1960er Jahren nur von einzelnen Verstößen von Wissenschaftlern, bildeten schließlich immer mehr dokumentierte Fälle - insbesondere in den Biowissenschaften und der Medizin (Fischer 2004; Fanelli 2009, 1) - die Basis einer Diskussion um die Prinzipien redlichen wissenschaftlichen Arbeitens (Riis 2001, 12). An dieser Debatte waren nicht nur die Mitglieder der Forschergemeinschaft beteiligt, sondern auch Interessenvertreter aus Wirtschaft und Politik. Seit den 1990er Jahren wird verstärkt nach Wegen gesucht, um wissenschaftliches Fehlverhalten einerseits gezielter zu entdecken und andererseits durch präventive Maßnahmen zu verringern. Nicht zuletzt wurde der Frage nach dem Entstehungskontext von Forschungsbetrug nachgegangen.
Im Folgenden werden einige ausgewählte Fälle skizziert, die sich in der biomedizinischen Forschung zugetragen haben. Sie stehen exemplarisch für viele Fälle, die tatsächlich aufgedeckt wurden, und für all jene, die bisher noch nicht an die Öffentlichkeit gelangt sind. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie mit dem Vorsatz begangen wurden, die wissenschaftliche Welt zu täuschen. An ihrem Beispiel soll gezeigt werden, welche Entwicklung der Forschungsbetrug im medizinischen Wissenschaftsbetrieb genommen hat und in welchen Formen er auftritt. Zugleich soll deutlich werden, mit welcher Dringlichkeit dieses Problem, innerhalb wie außerhalb der Forschungsgemeinschaft, zu behandeln ist.

Der Webster-Fall
George Webster forschte als etablierter Wissenschaftler der American Heart Association an der Wisconsin-Universität. 1965 publizierte er einen Artikel über die Oxidative Phosphorylierung; ein Thema, das auch von anderen Teams des Landes bearbeitet wurde. Mit der Kontrolle der Ergebnisse von Webster wurde Efraim Racker betraut, der als Biochemiker an der Cornwell-Universität arbeitete. Bei der Durchsicht fielen Racker in den Versuchsreihen von Webster Ergebnisse auf, die nicht mit seinen eigenen zu diesem Thema übereinstimmten. Racker verwies auf diese Ungereimtheiten, woraufhin Webster gestand, weite Teile der Daten nicht nur manipuliert, sondern gänzlich erfunden zu haben. Der Geständige quittierte zwar nach dem Zwischenfall den Dienst an der Wisconsin-Universität, widmete sich danach aber weiterhin seiner akademischen Karriere an anderen Instituten. Obwohl er fahrlässig und bewusst Forschungsergebnisse fälschte, also nicht von Unachtsamkeit gesprochen werden konnte, unterlag er keinen gravierenden Sanktionen (Edsall 1995, 329-340; Ryan 1999) und setzte seine wissenschaftliche Laufbahn an anderen Forschungsinstituten fort.
Besonderer Aufmerksamkeit bedarf aber der Lebenslauf jenes einstigen Entdeckers der falschen Ergebnisse: Racker selbst fiel 15 Jahre später dem wissenschaftlichen Betrug seiner Hilfskraft zum Opfer (Edsall 1995; Broad und Wade 1982). Der in Rackers Labor angestellte Mark Spector, zu jenem Zeitpunkt noch Student, sollte die experimentelle Arbeit für Rackers Theorie der Tumorentstehung durch bestimmte 'Kinase-Kaskaden' erbringen. Auch in diesem Fall wurde die Konkurrenz mit der Überprüfung der Resultate beauftragt, auch hier zeigten sich Lücken und ließen sich die Ergebnisse der Versuchsreihen nicht reproduzieren. Der Druck stieg, schließlich Mark Spector die Fälschung von Daten und wurde bei eindeuti-ger Beweislage des Forschungsbetruges überführt (Edsall 1995).

Der Soman-Fall
Ein weiterer eklatanter Fall von Wissenschaftsbetrug wurde 1979 an der Yale-Universität aufgedeckt: Vijay Soman, der für den Yale-Professor Philip Felig an dem damals aktuellen Thema der Insulinfunktion arbeitete, erhielt von Felig ein wissenschaftliches Paper, das dieser als Rezensent für das New England Journal of Medicine (NEJM) begutachten sollte und letztlich als unzulänglich ablehnte (Ryan 1999, 94). Scheinbar waren einige Teile des Papers auch nach Feligs Dafürhalten jedoch so interessant, dass Soman die Arbeit trotz negativer Begutachtung lesen sollte, da sie mit seiner damaligen Forschung in Zusammenhang stand. Soman plagiierte Ergebnisse der unveröffentlichten Arbeit und reichte sie zur Publikation ein - mit Felig als Ko-Autor. Danach gelang sie ausgerechnet in die Hände der einstigen Urheberin Helena Wachslicht-Rodbard, die mit Dr. Jesse Roth, einem Forscher der National Institutes of Health (NIH) in Washington, gemeinsam forschte (Fölsing 1984, 130; Hunt 1981). Dieser meldete den Betrug sofort der Yale-Universität. Doch trotz der vermeintlich eindeutigen Beweise erwies sich die Aufklärung dieses Falles als schleppend, und viele der internen Begutachter schienen keine rechte Motivation zu haben, Gerechtigkeit für die geprellte Forscherin zu bewirken. Unter dem Druck universitätsfremder Wissenschaftler untersuchte die Yale-Universität dann aber doch den Fall. Ein externer Experte wurde konsultiert, der den Tatbestand des wissenschaftlichen Betruges durch Plagiieren und Anfertigung frei erfundener Daten von Soman bestätigte. Felig arbeitete später wieder an der Yale-Universität (Ryan 1999, 94f); für sein Verhalten musste er zwar vor veschiedenen Gremien Rechenschaft ablegen, wurde jedoch nicht rechtlich belangt (Hunt 1981).

Der Breuning-Fall
Die Liste der aufgedeckten Fälle wurde länger, erweitert um den Fall von Stephen Breuning, dessen forschungsbetrügerische Aktivitäten sich ebenfalls Ende der 1970er Jahre zutrugen, aber erst Anfang der 1980er an die Öffentlichkeit gelangten. Stephan Breuning engagierte sich in einer großangelegten Studie an der Universität von Illinois, in der es um das Verhalten von geistig-retardierten hyperaktiven Kindern ging (Ryan 1999, 95). Dr. Robert Sprague, der Direktor des Institute of Child Development der Universität, bemerkte auffällige Datenreihen in Breunings Forschungsergebnissen und informierte den Direktor des National Institute of Mental Health (NIMH). Obwohl Sprague sich im Dezember 1983 an das NIMH wandte, war der Fall auch fünfeinhalb Jahre später noch nicht vollständig aufgeklärt. Stattdessen geriet Sprague ins Visier von Ermittlungen wegen Betrugs (NAE 2006).
Kritische Stimmen hatten aber bereits zuvor auf Mängel im Experimentaufbau hingewiesen; Breuning habe das Verhalten der Kinder übermäßig beeinflusst, weswegen die Daten nicht valide seien (Kuzma 1992). Doch Breuning bestritt die Vorwürfe und wies die Kritik am Versuchsaufbau von sich. Erst durch einen ehemaligen Mitarbeiter stellte sich schließlich heraus, dass der größte Teil von Breunings Arbeit tatsächlich gefälscht war und dass Daten manipuliert oder gar nicht erhoben worden waren. Vor Gericht musste sich Breuning wegen Falschaussage verantworten. Er erhob Einspruch mit der Begründung, dass er nicht gegen geltendes Recht verstoßen habe und somit der Forschungsbetrug nicht eindeutig juristisch verfolgbar sei (ebd.). Erst 1988 wurde Breuning von dem US-Bundes-richter Frank Kaufman zu 60 Tagen Haft auf Bewährung, 11.352 Dollar Schadensersatz und 250 Stunden sozialem Arbeitsdienst verurteilt. Des Weiteren stand er unter fünfjährigem Berufsverbot (Spiegel-Redaktion 1994, 166). Dennoch führten die Daten Breunings zu einem Wandel in der Behandlung geistig retardierter Kinder, so stellten frei erfundene Daten die Grundlage eines veränderten Therapieregimes da - Daten ohne wissenschaftliches Fundament (Stegemann-Boehl 1998, 21).

Der Darsee-Fall
In den 1980er Jahren sah sich die USA mit mehreren Fällen von Forschungsbetrug konfrontiert, und vielleicht war das Gespür für mögliche Unredlichkeiten gewachsen. Jedenfalls wurde dem erfolgversprechenden und publikationsfreudigen Kardiologen John Darsee recht schnell nach Aufkommen der ersten Verdachtsmomente Einhalt geboten: Im Mai 1981 wurde Darsee der Datenmanipulation an einer Studie über den Schutz von ischämischen Myokardarealen, die von vielen renommierten Instituten in den USA gemeinsam organisiert wurde, bezichtigt und überführt (Ryan 1999, 95). Sein Mentor Braunwald konfrontierte ihn mit den Verdächtigungen, woraufhin Darsee zugab, die Daten erfunden zu haben. Braunwald und ein weiterer Kollege prüften daraufhin sämtliche Ergebnisse Darsees und entdeckten Fälschungen in weiteren acht von zehn seiner bisherigen wissenschaftlichen Publikationen (ebd.). Durch diese Artikel hatte er überhaupt erst wissenschaftliche Bekanntheit erlangt. Zu den insgesamt fünf manipulierten Publikationen im Rahmen der Studie unter Braunwald gesellten sich noch zwei Fälschungen aus Darsees studentischen Zeiten (ebd.).
Darsee wurde von Braunwald gekündigt, nahm aber seine Forschungsarbeit in Harvard wieder auf - obwohl in dieser Zeit Braunwald noch die Arbeiten Darsees aufgrund des dringenden Verdachts der Fälschung kontrollierte. Im Oktober 1981 platzte die Betrugsblase um Darsee, als sich herausstellte, dass er ebenfalls Ergebnisse in einer Modellstudie des National Heart, Lung and Blood Institutes angeglichen hatte. Darsee verlor schon wie zuvor unter Braunwald seine Anstellung in Harvard und die National Institutes of Health (NIH) sperrten ihn für zehn Jahre. Das hieß, dass er in dieser Zeit weder Gelder der NIH zu Verfü ung gestellt bekam noch in einem Komitee der NIH arbeiten durfte (NAE 2006). Darsee verließ die Forscherwelt (Ryan 1999, 95). Der finanzielle Schaden, den er zurückließ, war immens: Das Harvard angegliederte Brigham Hospital und die zugehörige Frauenklinik mussten als erste Institution Fördergelder an die NIH zurückzahlen, mit der Begründung, dass sie die finanziellen Mittel für zum Teil unwissenschaftliche Forschung ausgegeben hätten. Zudem verbrachten Braunwald und weitere Kollegen mehrere Monate mit der Durchsicht von Darsees alten Forschungsprojekten, um weitere Fehler zu entdecken, anstatt ihre eigene Forschung fortzusetzen (NAE 2006). Nicht nur die Arbeit in Braunwalds Labor wurde vorerst eingestellt, sondern auch seine Integrität hatte Schaden genommen (ebd.).
Die Tatsache, dass Wissenschaftler die strafrechtliche Verfolgung umgehen konnten, führte dazu, dass Albert Gore jr., Kongressabgeordneter im Repräsentantenhaus, 1981 Sitzungen initiierte, die sich mit dem Thema Wissenschaftsbetrug beschäftigten sollten. Als Gore Vizepräsident wurde, verdrängten aber andere Dringlichkeiten das noch immer ungelöste Problem der fehlenden Sanktionierung für Forschungsbetrug. Schließlich entwickelte die amerikanische Gesundheitsbehörde eine Abteilung zur Überwachung von medizinisch-wissenschaftlichen Projekten mit staatlicher Subventionierung. Das Office of Scientific Integrity (OSI) wurde 1989 ins Leben gerufen. Diese Behörde ist heute das Office of Research Integrity (ORI), auf deren Geschichte und Aufgaben noch ausführlicher eingegan-gen wird.

Der Collins-Fall
Frances Collins und ein bei ihm angestellter Doktorand reichten 1996 eine Arbeit über Leukämien zur Publikation im Journal Oncogene ein. Ein zuständiger Gutachter der Zeitschrift überprüfte die Arbeit und beanstandete falsche Ergebnisse und Schlussfolgerungen. Collins reagierte rasch und überprüfte zunächst selber die Ergebnisse, wobei er die Vorwürfe bestätigen musste. Allerdings war nicht nur diese Abhandlung, sondern sämtliche andere - mit Collins als Ko-Autor - von den Fälschungen des Doktoranden durchsetzt. Collins zog unverzüglich fünf Publikationen zurück und schrieb die 100 Ärzte und Wissenschaftler, die sich ebenfalls mit den veröffentlichten Themen beschäftigten und möglicherweise auf Collins Ergebnisse aufbauend eigene Versuche durchführten, an. In diesem Schreiben informierte Collins sie über die Fehler und bat um Entschuldigung (Ryan 1999, 94). Für dieses schnelle Handeln wurde Collins von der wissenschaftlichen Welt gelobt. Seine Reaktion sei ein Beispiel dafür, wie die Forschung autark und ohne die Einschaltung von Behörden mit Wissenschaftsbetrug in der Medizin umgehen könne (Altman 1996; Glaser 1997).

Der Baltimore/Imanishi-Kari-Fall
Ein besonders spektakulärer und von den Medien ausführlich aufbereiteter Fall spielte sich Mitte der 1980er Jahre in den USA ab: 1986 war Margot O'Toole wissenschaftliche Mitarbeiterin im Laborteam unter der Leitung von Thereza Imanishi-Kari, die auf dem Gebiet der Immunologie arbeitete. Imanishi-Kari veröffentlichte am 25. April 1986 in Cell Ergebnisse ihrer Arbeit, welche O'Toole als Datenfabrikation anprangerte (Ryan 1999, 95). In Folge dieser Anschuldigung verlor O'Toole ihren Job und musste das Forscherteam verlassen. David Baltimore, der ehemalige Präsident der Rockefeller-Universität und anerkannter Forscher auf ähnlichen Gebieten wie Imanishi-Kari, prüfte daraufhin die Anschuldigungen. Baltimore und Imanishi-Kari versuchten schließlich gemeinsam, die von O'Toole aufgestellten Behauptungen zu widerlegen, um sämtliche vom Betrug vermeintlich betroffenen Ergebnisse weiterhin als korrekt veröffentlichen zu können (ebd.). Da beide die Verdächtigungen nicht bestätigt sahen, befand Baltimore eine Rücknahme des Papers für unnötig. O'Toole verdächtigte aber weiterhin Imanishi-Kari und wandte sich an Forscher der Tufts-Universität, die zunächst ebenfalls keine Anhaltspunkte für einen Forschungsbetrug sahen. Schließlich schalteten sich Anfang des Jahres 1989 die National Institutes of Health (NIH) in den Fall ein und begann eigene Nachforschungen anzustellen, die ebenfalls negativ ausfielen.
Im Mai desselben Jahres wurden die Beteiligten O'Toole, Baltimore und Imanishi-Kari vor den Unterausschuss des US-Kongresses zu offiziellen Verhören vorgeladen. Die Anhörungen verliefen unter der Oberaufsicht des Kongressabgeordneten John Dingell (U.S. Congress 1988; Francis 1999, 262). Der Secret Service sah schließlich in einigen der konfiszierten Materialien (Laborberichten und Rohdaten) Hinweise für ein potenzielles betrügerisches Vorgehen (U.S. Congress 1988). Baltimore wies das von O'Tool vorgebrachte Belastungsmaterial als absurd zurück und verteidigte weiterhin die Authentizität von Imanishi-Karis Daten. Er veröffentlichte einen Artikel zum Thema der Selbstregulierungsmöglichkeiten der Wissenschaft, in welchem er sich für eine offene Aufklärung von Verdachtsmomenten des Wissenschaftsbetruges einsetzte: 'We must be alert to indications of fraud and misconduct, and ready to discipline the perpetrators' (Baltimore 1989, 20). Auf der anderen Seite argwöhnte er, dass es den mit Fällen von Wissenschaftsbetrug betrauten Institutionen um eine Bevormundung der Forscher ginge, nicht aber um die wirkliche Bekämpfung von Fehlverhalten oder Unredlichkeiten (ebd.).
Letztlich beendeten NIH-Ermittlungsbeamte, die dem 1989 neu gegründeten Office of Scientific Integrity (OSI) angehörten, das Verfahren mit dem Ergebnis, Imanishi-Kari habe verschiedene andere Datensätze zwischen den Jahren 1986 und 1988 gefälscht, um den schließlich veröffentlichten Artikel in Cell mit diesen Daten zu stützen. Es konnte bei Be-endigung der Ermittlungen aber nicht eindeutig geklärt werden, ob das veröffentlichte Paper mit Baltimore als Ko-Autor ebenfalls von den Manipulationen der Forscherin betroffen war (Hamner 1992). Ähnlich wie Baltimore sahen auch andere (s.u.) die Vorgehensweise der Behörden kritisch, da die Institution sämtliche Rollen innerhalb des Falles übernommen hatte: 'Das OSI vereinte in sich die Aufgaben der Untersuchungsbehörde, des Anklägers, des Richters und der Geschworenen' (Hochadel 1999). Im Abschlussbericht, der 1994 veröffentlicht wurde, fiel das ORI-Urteil härter aus als im vorläufigen Bericht vom Frühjahr 1991. In neunzehn Punkten der Anklageschrift wurde Imanishi-Kari für schuldig befunden. Die Verteidigung zog in die Berufung. Am 21. Juni 1996 wurde der Fall dann geschlossen und Imanishi-Kari in allen Anklagepunkten freigesprochen (ebd.). Kenneth J. Ryan, ehemaliges Mitglied der Commission on Research Integrity des Department of Health and Human Services (DHHS), stellt Imanishi-Kari und Baltimore, der stets unterstützend hinter der Wissenschaftlerin stand, als Opfer eines Falles von unkoordinierter Aufklärung durch beauftragte Institutionen und insbesondere durch den Kongressabgeordneten Dingell dar:
'The institutional review of the problem was deemed unsatisfactory by the whistleblower, the ORI and the Dingell committee. It took over ten years for issue to be resolved in favour of the accused scientist. None of the participants distinguished themselves, congressman Dingell because of his bullying tactics [...].' (Ryan 1999, 95)
Hinzu kommt, dass Imanishi-Kari und ihrem Anwalt ein sogenannter 'due process' verwehrt wurde (Hochadel 1999). Letztlich sei das Vorgehen der Behörden kritisch zu sehen, da Imanishi-Kari voreilig als Schuldige und O'Toole als Opfer angesehen worden seien (Ryan 1999, 95). Die Reputation der betroffenen Forscher war schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Dazu trugen sicherlich mehrere Komponenten bei, so einerseits die durch vorschnelle Schlüsse gezogenen Anschuldigungen und andererseits die undurchsichtige und aktionistisch anmutende Aufklärungsarbeit. Somit wurde der Baltimore-Fall '[...] zu einer Linse, die das Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Medien in den USA der Achtziger- und frühen Neunzigerjahre brennpunktartig in den Blick nahm.' (Hochadel 1999). Vor dem Hintergrund der sich über Jahre hinziehenden Aufklärungsarbeit verschiedener Gremien, Gerichte und Journalisten ist dieser Fall einer der am besten recherchierten der USA (Kevles 1998).

Der Sudbø-Fall
Im Jahre 2005 wurde im Lancet eine Studie zur Senkung des Mundkrebsrisikos durch die Einnahme von Schmerzmitteln des Typs NSAID (non-steroidal anti-inflammatory drug) veröffentlicht (Sudbø et al. 2005). Die Ergebnisse des Arztes Jon Sudbø vom Osloer Radiumhospitalet wurden von der Forscherwelt hoffnungsvoll aufgenommen. Neben Sudbø beteiligten sich 13 weitere Wissenschaftler als Ko-Autoren und Mitverantwortliche (ebd.). Erst nach der Veröffentlichung wurde man darauf aufmerksam, dass von den 908 aufgelisteten Patienten ungefähr ein Viertel dasselbe Geburtsdatum besaß und alle Namen angeblich aus einem bestimmten landesweiten Register entnommen worden seien. Sudbø behauptete, er habe für seine statistischen Untersuchungen Namen und Zahlen aus dem staatlichen Register der Arzneimittelverschreibungen verwendet. Dieses Register existierte aber zum Zeitpunkt der Durchführung seiner Studien noch gar nicht. Auch hatte er als Datenquelle das Cohort of Norway (CONOR) angegeben. Camilla Stoltenberg, die Direktorin des norwegischen Gesundheitsinstituts, verwies jedoch darauf, dass Sudbø überhaupt keinen Zugriff auf diese Datenbestände gehabt haben konnte (Marris 2006, 248-249). Das Radiumhospitalet ließ über den Lancet in seiner Ausgabe vom 21. Januar 2006 verlauten: '[...] they had information that strongly indicates that material published in [the journal] has not been based upon data from our national databases, but on manipulated data.' (Horton 2006a, 196)
Trotz dieser erdrückenden Indizien schwiegen Sudbø und die anderen 13 verantwortlichen Ko-Autoren zunächst zu den Anschuldigungen. Am 4. Februar 2006 entschuldigte sich die Redaktion des Lancet und bat darum, den Sudbø-Artikel als zurückgenommen aufgrund frei erfundener Daten zur Kenntnis zu nehmen (Horton 2006b, 382). Die Erklärung der Lancet-Redaktion ist knapp: Es habe in der Zusammenarbeit mit dem norwegischen Forscherteam 'Schwierigkeiten' gegeben und aus diesem Grund seien Ergebnisse ohne vorhergehende ausführliche Prüfung veröffentlicht worden (Qazi 2006, 649-650).

Der Hwang-Fall
Im gleichen Jahr ereignete sich der medial wohl noch stärker wahrgenommene Betrugsfall des südkoreanischen Stammzellenforschers Hwang Woo Suk: Am 29. Dezember 2005 teilte ein von der Seoul National University (wo Hwang arbeitete) eingesetztes Aufklärungsteam nach ihren Ermittlungen mit, dass Hwang keine patientenspezifischen Stammzellen herange-züchtet habe wie in seinem im Juni 2005 veröffentlichten Paper in Science behauptet. Der Vorwurf lautete auf Forschungsbetrug, die Veruntreuung von Forschungsgeldern und Verstoß gegen die in Korea geltenden bioethischen Richtlinien (Saunders/Savulescu 2008, 148-149). Im Folgenden wurde ihm sein Lehrstuhl der Tiermedizin an der Seoul National Universität entzogen. Hwang aber beharrte auf der Authentizität seiner Studien und beschuldigte das Mizmedi Hospital, in dem einige Versuche seiner Arbeit stattgefunden hatten, die geklonten Stammzellen gegen andere Zellen ausgetauscht zu haben (Reich/Hopper 2005). Zur Vorgeschichte: Hwang proklamierte 2004, dass es ihm gelungen sei, einen menschlichen Embryo zu klonen und dessen Stammzellen zu Forschungszwecken erfolgreich vermehrt und verwendet zu haben (Hwang et al. 2004). Diese genetisch maßgeschneiderten Stammzellen könnten in der Therapie, zum Beispiel gegen Alzheimer und Diabetes, eingesetzt werden und das Abstoßungsrisiko des Empfängers minimieren (Chong/Normile 2006, 22-23). In die Versuche waren mehrere Laboratorien in Korea und in den Vereinigten Staaten involviert. Die Ergebnisse wurden in zwei Artikeln publiziert: Das erste Paper erschien im März 2004 und berichtete von der Produktion einer ersten Stammzelllinie, die aus einem geklonten menschlichen Embryo stamme (Hwang et al. 2004). Das zweite Paper, das knapp ein Jahr später abgedruckt wurde, handelte von den ersten erfolgreichen Versuchen mit den genetisch passenden Stammzellen (Hwang et al. 2005).
Schon nach der Veröffentlichung des ersten Papers sah sich Hwang mit Vorwürfen konfrontiert, dass er Forscherinnen seines Teams genötigt habe, Eizellen für seine Studien zu spenden. Die Korean Bioethics Association (KBA) begann Nachforschungen zu den Anschuldigungen anzustellen, die Hwang jedoch als versuchte Forschungsbehinderung kritisierte. Er unterbrach seine Studien bis 2005 (Vogel 2005, 1100). Hwang suchte in dieser Zeit Kontakt zu Gerald Schatten, einem Forscher, der an der Universität Pittsburgh an Primaten verschiedene Studien durchführte. Schatten war es nach eigenen Aussagen gelungen, durch eine von Hwang entwickelte Technik der DNA-Extraktion aus Eizellen Affenembryonen zu klonen. Zu Beginn des Jahres 2005 berichtete Hwang Schatten auch, dass vier von den sechs herangezüchteten Stammzell-Linien einen Pilzbefall aufweisen würden. Angeblich hätte Schatten Hwang aber trotzdem ermutigt, eine Veröffentlichung zu wagen (Anon 2006). Mitte des Jahres veröffentlichte Hwang schließlich das Paper 'Patient-specific embryonic stem cells derived from human SCNT blastocysts' (Hwang et al. 2005). Den damit geweckten Hoffnungen auf neue Therapieansätze bei rückenmarksdegenerativen Erkrankungen und Alzheimer wurde ein jähes Ende gesetzt.
In der Nacht vom 1. Juni 2005 sendete ein Unbekannter an die Mailbox des Editor's Notebook, einem koreanischen Enthüllungs-Nachrichten-Fernsehsender der Munhwa Broadcasting Corporation (MBC), eine Email, die schwere Anschuldigungen enthielt: Hwang habe vorsätzlich falsche und erfundene Ergebnisse veröffentlicht. Der anonyme Schreiber gab an, an den Studien Hwangs beteiligt gewesen zu sein. Insbesondere sei er auch einer der Mitverantwortlichen bei der Veröffentlichung des ersten Papers 2004 gewesen. Er willigte in ein Interview ein, aber nur unter der Bedingung, dass seine Identität geheim bleibe. Nach eigenen Angaben habe er das Projekt aufgrund 'sowohl ethischer als auch technischer Be-weggründe verlassen' (Chong/Normile 2006, 24). Der Forscher konnte anhand von Emails beweisen, dass Hwang tatsächlich von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Eizell-Spenden für seine Versuche verlangt und dabei erpresserischen Druck angewandt hatte. Zudem zweifelte der Forscher daran, dass Hwang die maßgeschneiderten Stammzellen, von denen die beschriebenen Versuche im zweiten Artikel handelten, tatsächlich im Labor gezüchtet habe (ebd.).
Ein eilig zusammengestelltes Reporterteam des PD Notebook begann unter der Federführung von Han Hak Soo eigene Nachforschungen über das Forschungsprojekt Hwangs und dessen vermeintlich bahnbrechende Ergebnisse anzustellen. Unter dem Vorwand, für eine Dokumentation über koreanische Wissenschaftler zu recherchieren, interviewte das Team mehrere Ko-Autoren Hwangs. Die Ergebnisse erhärteten den Verdacht der Datenfabrikation: Die Mehrheit der befragten und an den Versuchen beteiligten Wissenschaftler hatten weder die Ergebnisse Hwangs, zum Beispiel die geklonten embryonalen Stammzellen, gesehen, noch hatten sie Rohdaten zu den Versuchen erhalten (ebd.). Am 11. November 2005, bevor das Team des PD Notebook über die ersten Verdachtsmomente berichten konnte, kündigte Gerald Schatten, der als Ko-Autor bei den Veröffentlichungen in Science gelistet war, die Zusammenarbeit mit Hwang auf, da es zu einem 'ethischen Tabubruch' aufgrund der Beschaffungsmaßnahmen der verwendeten Eizellen gekommen sei (ebd., 25). Trotzdem betonte Schatten, dass er keinerlei Zweifel an der Korrektheit von Hwangs bisher veröffentlichten Ergebnissen habe.
Als PD Notebook die ersten Anschuldigungen gegen Hwang veröffentlichte, reagierte dieser unmittelbar: Er bestätigte, dass tatsächlich mehrere jüngere Labormitarbeiterinnen unter den Eizellspenderinnen gewesen seien, dies aber dementiert hätten, um ihre Privatsphäre zu schützen (Holden 2005, 1402-1403). Vermutet man an dieser Stelle die ersten Ke me öffentlichen Zweifels an Hwangs Forschungsmethoden, so irrt man. Ganz im Gegenteil: Es folgte auf diese Veröffentlichung des PD Notebook ein Sturm der Empörung, wie man gegenüber einem Forscher von Hwangs Format solche Unterstellungen habe machen können. Die Entrüstung der Bevölkerung war sogar so enorm, dass sich PD Notebook gezwungen sah, weitere geplante Veröffentlichungen über verschiedene Ungereimtheiten in Hwangs Arbeiten zurückzuziehen. Des Weiteren kündigten mehrere Sponsoren de

Erscheint lt. Verlag 11.5.2015
Reihe/Serie Kultur der Medizin
Kultur der Medizin
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Betrugsfälle • Biologie • Biowissenschaften • Ethik • Fehlverhalten • Forschung • Medizin • Medizinethik
ISBN-10 3-593-43065-7 / 3593430657
ISBN-13 978-3-593-43065-2 / 9783593430652
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