Märchen aus einer frühen Zeit -  István Fekete

Märchen aus einer frühen Zeit (eBook)

Märchenhafte ungarische Erzählungen für Erwachsene
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
270 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-8480-2 (ISBN)
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In dieses Buch wurden Erzählungen von István Fekete (1900-1970) aufgenommen, die durch die Personifizierung von Tieren, Monaten, Jahreszeiten, Pflanzen etc. einen märchenhaften Charakter besitzen. Hier stehen nicht die Menschen im Vordergrund, sondern die Natur. Insofern unterscheiden sich diese Geschichten grundlegend von den bisher in deutscher Sprache veröffentlichten Büchern des Autors ("Mitternachtsgeläut", sowie "Ich war zu Hause"). Sein von den ungarischen Kritikern beschriebenes Stilmittel, der sogenannte "feenhafte Realismus" - nämlich die Beschreibung der Welt wie sie sein sollte - kommt dabei voll zur Geltung.

István Fekete (1900 - 1970), ungarischer Schriftsteller. In einer Lehrerfamilie geboren und aufgewachsen, studierte er nach seiner Militärzeit Agrarwissenschaften. Danach arbeitete er als Verwalter auf mehreren großen Gütern in Westungarn. Später bekam er im Landwirtschaftsministerium eine Stelle und war mit der Lehrfilmproduktion für die Landbevölkerung beauftragt. Nach dem II. Weltkrieg mit der kommunistischen Machtübernahme verlor er seine Arbeit und musste sich mit Gelegenheitsarbeiten seinen Unterhalt verdienen. Vor dem Krieg war er ein bekannter und anerkannter Schriftsteller, danach aber mit Veröffentlichungsverbot belegt. Erst nach der Revolution im Jahr 1956 durfte er wieder publizieren. Er verfasste in dieser Zeit aber bevorzugt Jugendbücher und Tierromane, damit die Machthaber keinen Anstoß an seinen Schriften nahmen.

Der Wind und der Wald


Im Tal floss ein Bach, am Bergrücken säuselte geheimnisvoll der Wald und auf den Gipfeln summten die Fichten, egal ob der Wind wehte oder nicht.

Im Wasser des Baches funkelten kleine Fische, an seinem Ufer hielten Frösche ihre Konzerte ab und in seinem Spiegel sah man tagsüber die Wolken und in der Nacht die Sterne.

Wo das Tal breiter wurde, versteckte sich ein kleines Dorf. Seine weißen Häuser lachten beinahe im Sommer und ihre Schornsteine rauchten friedlich, wenn der Winter kam. Unter dem Schnee träumten dann die Gräser, Bäume und Blumen vom Sommer.

Im Sommer und im Winter, im Herbst und im Frühling schwebte Frieden über dieser Gegend, wo unter den Bäumen so große Pilze wuchsen, dass ihre Schirme auch als Regenschirme hätten durchgehen können, und der Duft der Blumen so in die Richtung des Dorfes floss wie der Rauch der Hirtenfeuer am Abend.

Die Jahre kamen und gingen. Die Bäume wuchsen, die Blumen auf der Wiese blühten, der Wald summte, die Eichhörnchen spielten mit den Tannenzapfen und die Nachtigall sang in den Sommernächten, dass der Fuchs zu jagen vergaß, und schändlicherweise hungrig nach Hause gehen musste…

Die Jahre kamen und gingen.

Aus den Wolken regnete es, aus dem Regen entstand der Bach, aus den Bächen wurden wieder Wolken, da die Bäche die Sonne verehrten und ihr ihren Dunst opferten.

Die Wolken zogen in Richtung Osten, Westen, Norden und Süden. Sie türmten sich auf, stauten sich, in ihrem Inneren krachten Blitze und sie beeilten sich dorthin, wo die Erde ausgetrocknet war, die Blumen mit hängenden Köpfen um Regen beteten und die Wiese um den Regen weinte.

Bei diesen Gelegenheiten brauste der Wind und schlug mit seiner langen Peitsche die Wolken wie ein betrunkener Kutscher die Pferde.

„Vorwärts! Vorwärts!“ – zischte er. „Ihr blödes Volk! Hei, was seid ihr blöd! Nicht so auf den Rücken der anderen kriechen, die vorderen sollen sich schneller bewegen, hallo, was für ein langsames Pack ihr seid… Du, Wald, stell dich nicht in den Weg!“

Der Wald lachte leise.

„Ihr braucht euch nicht zu beeilen! Warum schlägst du die Wolken, du Wind, die armen ziehen doch schon weiter …“

Die Wolken, als ob sie nur darauf gewartet hätten, dass jemand sie bedauerte, fingen gleich an zu weinen.

„Ihr sollt nicht weinen, hört ihr, zum Teufel mit dieser Altweiberbande“, schrie der Wind. „Ihr sollt nicht hier weinen, anderswo sollt ihr euere Tränen vergießen. Hier braucht man sie nicht.“

„Sie weinen dort, wo sie wollen“, sauste der Wald. „Sie können weinen, wo sie wollen, die armen, verwaisten, kleinen Wolken …“

Daraufhin begannen die Wolken so richtig zu weinen, durch ihre Tränen ergoss sich ein richtiger Platzregen über dem Wald. Durch das Weinen erleichterten sie sich, stiegen in die Höhe und zerstreuten sich und der Wind tobte jetzt so richtig über dem Wald.

„Das wirst du bereuen, Wald! Du hast sie gegen mich aufgebracht, und jetzt kann ich mit leeren Händen dorthin ziehen, wo man sie benötigt hätte. Wo alles verdorrt, die Erde durstig, das Bachbett ausgetrocknet ist und wo die Dürre mit ihrer glühenden Sense herumgeht … Pass nur auf dich auf, Wald!“

„Wir werden aufpassen!“ – sagten die düsteren Eichen.

„Jetzt aber geh und mach deine Arbeit.“

Der Wind ging aber nicht weiter. Er begann den Wald zu reißen und zu schlagen. Äste brachen ab, die Laubdecke am Boden wurde durch ihn aufgewühlt, Nester schmiss er auf die Erde hinunter und wirbelte in seinem wahnsinnigen Zorn zwischen den Bäumen.

Die alten Eichen lächelten nur, selbst der Tannenwald, die Buchen und die Hainbuchen lächelten.

„Du sollst dich nicht so aufführen, Windchen! Oder bring Hilfe mit …“

„Das werde ich machen“, schnaubte der Wind. „Ich werde Hilfe organisieren, aber das werdet ihr bereuen.“

Dann flog er zum Dorf hinunter.

Es war schon Abend. Aus den Häusern blitzte hier und dort die warme Feuerglut, die bei der Zubereitung des Abendessens entstand, in den Gärten seufzten die Bäume schläfrig, in den Bienenkörben summten die Bienen Lieder aus alten Märchen und der Schlaf flog so in die Augen der Menschen wie ein müder Vogel zu seinem Nest.

Aber sie konnten nicht lange schlafen, weil das Fenster klirrte, die Tür krachte, und der Wind fing an, draußen mit einer tiefen Stimme zu sprechen.

„Wie viele Bäume, wie viel Holz, wie viel Geld … Der Wald steht nur da und bringt keinen Gewinn. Dort sind die Eichen, die Buchen, die Fichten. Man müsste sie nur fällen. Wie viel Geld …“ Die Menschen drehten sich im Bett um und wollten schlafen.

Der Wind aber schnurrte leise weiter, schmeichlerisch wie eine Katze.

„Den Frauen Seidentuch, den Kindern warme Stiefel … Wirklich, warme Stiefel. Dem Pferdchen neues Geschirr, dem Häuschen ein neues Dach … ein schönes, ein aus Ziegeln gefertigtes Dach …“

Die Menschen wollten jetzt nicht mehr schlafen.

„Wahrlich, das wäre schön“, dachten sie. „Schließlich ist der Wald hier, man müsste ihn nur fällen. Nicht den ganzen natürlich, nur ein wenig hier, ein wenig dort.“

Sie dachten an die Axt.

In dieser Nacht schlief das Dorf kaum. Die Menschen setzten sich auf im Bett und rechneten.

Später gingen sie hinaus in die Scheune und begannen die Äxte zu schleifen, während die Frauen Feuer machten, damit das Frühstück fertig wird.

Der Schleifstein sprühte Funken in der Scheune, die Axt wurde zischend schärfer, und in der Küche prasselte das Feuer. Die Schornsteine begannen zu rauchen. Ein leichter, blauer Rauch flog hinaus in den Wald, wie der letzte Gruß von sterbenden Ästen.

Den Bäumen wurde es schaurig zumute. Der Rauch war stumm, sagte trotzdem etwas, er war durchsichtig, trotzdem konnte man etwas Schreckliches in ihm sehen.

Zuerst kroch er am Boden, umarmte die Büsche, dann stieg er hinauf in die Kronen der alten Eichen und schwebte dort entlang wie ein Trauerflor.

Die Bäume standen stumm und warteten auf den Morgen.

Die Vögel hörten auf mit ihrem Gesang, das Eichhörnchen ließ den Tannenzapfen fallen, die Hasen schauten wie bedeppert vor sich hin, dass der Fuchs sie ohne Probleme hätte fangen können, aber dem Fuchs war es nicht nach einer Jagd zumute. Er lief zu der Höhle der Eule, die sich um diese Zeit zur Ruhe zu setzen pflegte, sonst aber war sie der Doktor der Waldbewohner.

„Hallo, Professor!“ – und der Fuchs wedelte mit seinem struppigen Schwanz. „Es schwebt irgendein Unheil in der Luft. Was wird geschehen?“

„Der Tod!“ – hauchte die Eule. „Der Tod!“ – und sie kroch durch die Öffnung in ihre Höhle, den ratlosen Fuchs zurücklassend, der sich eine Weile kratzte. Dann aber begann er zu horchen, weil aus der Richtung des Tales ein verworrener Lärm zum Wald hochstieg.

„Was für ein Unglück gibt es, Herr Fuchs?“ – rief ihm von einem Ast ein Eichhörnchen herunter. „Was gibt es?“

„Die Eule sagte, der Tod kommt, ich aber sage, der Mensch ist im Anmarsch, was dasselbe bedeutet. Ich werde auf jeden Fall umziehen.“

Das Eichhörnchen schaute lange mit seinen glänzenden, wie ein kleiner Knopf aussehenden Augen hinter dem Fuchs her, aber dann duckte es sich, weil der Lärm immer näher kam. In der Luft wirbelten erschrockene Vögel, zwischen den Bäumen hetzten Rehe und Hirsche weiter, die Pilze wollten sich unter ihren Schirmen verstecken und die langstieligen Glockenblumen senkten ihre Köpfe, schauten zu Boden, wie Menschen das bei einer Beerdigung tun.

Da ging die Sonne auf und ihre ersten Strahlen funkelten erschrocken an den glänzenden Äxten.

„Dieser Morgen ist auch gekommen“, säuselten die Eichen. „Nehmen wir Abschied.“

„Nehmen wir Abschied“, flötete weinerlich der Pirol, sang der Zeisig, gurrte die Taube, kreischte der Falke, tönte die Turteltaube, krächzte die Krähe. „Nehmen wir Abschied.“

Über dem in den Sonnenstrahlen badenden Wald flog noch einmal der Gesang der Vögel hinweg. Er streichelte die Bäume, segnete die Nester und weinend klang er über der Gegend wie Begräbnismusik.

Dann hörte er auch plötzlich auf, weil die erste Axt zuschlug, wie der zerstörende, stupide Befehl, und schrie:

„Ruhe!“

Da wurde es still. Die Vögel flogen weg, die Pilze schrumpften zusammen, die Blumen verblühten, nur die Axt sprach mit schlimmer Grausamkeit. Die Bäume fielen zu Boden, noch einmal laut rufend in ihrem letzten Schmerz.

Der Wald wurde weniger, immer weniger, aber im Dorf funkelten die vielen Seidentücher, knarrten die neuen Stiefel, lachten die neuen Dächer aus Ziegeln, und die Menschen sagten zueinander: es war ein kluger Entschluss.

In den Nächten ging der...

Erscheint lt. Verlag 6.1.2025
Übersetzer Gabor Bayor
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7693-8480-6 / 3769384806
ISBN-13 978-3-7693-8480-2 / 9783769384802
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