Ich möchte dir mein Hören schenken (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
132 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-8187-1494-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich möchte dir mein Hören schenken -  Helfried Stockhofe
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Der sensitive und lebensverneinende Theo ist ein kontaktarmer Außenseiter. Er gerät unversehens in eine Beziehung zu einer jungen Frau im Koma. Ihre und seine Lebensgeschichte sind, wie sich herausstellt, miteinander verwoben. Sein bisher ruhiges Beziehungsleben wird auch durch weitere Kontakte am Krankenbett lebhafter und lässt ihn seine Suizidideen überdenken.

Helfried Stockhofe lebt im Oberen Bayerischen Wald. Er schreibt Romane, in die seine beruflichen Erfahrungen als Psychotherapeut einfließen, aber auch Kurzkrimis, unterhaltsame Geschichten und Gedichte.

Helfried Stockhofe lebt im Oberen Bayerischen Wald. Er schreibt Romane, in die seine beruflichen Erfahrungen als Psychotherapeut einfließen, aber auch Kurzkrimis, unterhaltsame Geschichten und Gedichte.

Ein Fall

 

1
Der Mensch, die Krone der Schöpfung, ist das nutzloseste Wesen auf der Welt. Er dient nicht einmal als Nahrung für andere und er trägt auch nicht zur Fortpflanzung anderer Arten bei, weil an seinem Körper nirgends maßgebliche Samenmengen hängen bleiben und seine stets vergifteten Ausscheidungen fast immer ungenutzt in der Kanalisation verschwinden. Ohne den Menschen wäre alles besser, denn er zerstört die Grundlagen allen Lebens, zum Glück auch des Überlebens seiner eigenen Art.

So unnütze Gedanken! An einem Mai-Tag, so schön, dass man nicht nach Madeira, Thailand oder in die Karibik reisen muss. Der hagere Mann auf der holzgrauen Bank am Rande des Radwegs spürte keinen Neid auf die vielen Flugreisenden, die vielleicht gerade auf ihn herabschauten. Die Maschinen zeichneten weiße Kondensstreifen in den blauen Himmel, kreuz und quer, langsam sich verbreiternd und wieder geschnitten durch die nächsten scharf und schnell vorüberziehenden. Es war ein Tag zum Sterben schön! Die sinkende Nachmittagssonne legte sich sanft auf sein Gesicht, er schloss die Augen und hörte, wie mit einem leichten Luftzug der Klang der weit entfernten Kirchenglocken seines Wohnorts „Zehnkirchen“ – Nomen est Omen - zu ihm hergetragen wurde. Dann kam ihm ein Geruch in die Nase, der ihn die Augen öffnen ließ: Die braun gescheckten Kühe, die idyllisch weit unten auf einer großen Wiese vor ihm grasten, konnten es nicht sein, der Geruch kam von der Seite. Er schaute sich um: Eine Joggerin lief auf dem Radweg hinter ihm vorbei. Es war ein Waschmittel, das der Mann roch, und ein Anstrengungsschweiß, aber nicht nur dieser, sondern auch ein Angstschweiß, der sich dahinter versteckte.

Die Joggerin hatte den Mann von weitem taxiert, vielleicht auf seine Gefährlichkeit hin oder auf seine Kommunikationsbereitschaft. Solange er sich nicht zu ihr hin drehte, fixierte sie ihn. Trapp, trapp, trapp, trapp. Als er kurz zu ihr hinsah, wandte sie den Blick ab, registrierte aber im Augenwinkel, ob sich der Mann bewegte oder gar sich anschickte, sie aufzuhalten. Ihre auffällige Nervosität ließ sie etwas straucheln, sie touchierte sein am Rand des Weges stehendes Fahrrad, das daraufhin umkippte. Sie richtete es wieder auf, entschuldigte sich, schien unschlüssig, was zu tun sei. Der Hagere schaute sie kurz an, lächelte, winkte ab: Sein Rad war sturzerprobt und hatte keine zusätzliche Schramme abbekommen. Sie lief schnell weiter, ohne sich noch einmal umzusehen. Er sah ihr nach, bemerkte einen modischen pinkfarbenen Rucksack auf ihrem Rücken, hörte noch ihre Atmung und die Regelmäßigkeit ihrer Schritte, die sich im selben Tempo entfernten, wie sie sich genähert hatten. Trapp, trapp, trapp, trapp, immer leiser. Doch der Geruch blieb noch länger bei ihm und begann ärgerlicherweise, ihn immer mehr zu irritieren.

Es war nicht das Waschmittel, das er schon hundert Mal gerochen hatte und das er inzwischen auch einer bekannten Marke zuordnen konnte, sondern die Duftnote hinter dem Schweiß der Anstrengung. Der Tag zum Sterben schön war verflogen, das Hirn begann zu arbeiten. Schnelle Erklärungen waren nicht seine Sache und gar nicht darüber nachzudenken, schon zwei Mal nicht. Nein, er musste schon immer prinzipiell über alles nachgrübeln, konnte es nicht beiseite legen. Verdammt, murmelte er, warum muss ich so sein! Über alles und jeden nachdenken und täglich überschwemmt werden von Eindrücken. Es geht mich doch nichts an! Es half auch nichts, sich mit den Fingern die Nase zu verschließen: Es war zu spät. Längst hatte der Geruch sein Gehirn erreicht, wo er in Milliarden Windungen hin und her kreiste, umgewandelt in Gedanken und Gefühle, die meistens keine lustigen Wendungen vollführten und seinen Tag mit Frohsinn bereicherten. Froh-Sinn, nein, dieser Ausdruck passte nun gar nicht mehr!

 

2
Der Mann auf der Bank am Radweg oberhalb der großen Wiese hieß Theo. Er war 43 Jahre alt und seinen Namen, na ja, den hatte er von seinem Vater und Großvater, beide hießen Theo! Im Unterschied zu den beiden galt er jedoch als Zweifler, Grübler und Pedant, der sich über alles aufregte, und es war kein Wunder, dass er sich immer mehr in die Stille zurückzog, das Abseits suchte, statt die Gemeinschaft. Er selbst hatte Jahrzehnte gebraucht, bis ihn ein zufällig gelesener Zeitungsartikel auf die Sprünge half: Er hatte alle Anzeichen von Menschen, die sich als sogenannte Hochsensitive durchs Leben plagen! Die ungewöhnliche Sensibilität stimmte auch ihn keineswegs positiv, denn Verständnis oder Anerkennung dafür bekam er nicht. Allenfalls verstand er sich selbst jetzt besser und konnte so sein Selbstwertgefühl etwas stabilisieren. Die Übersensibilität seiner Sinne rückte ihn mehr in die Nähe der Tiere, was er zwiespältig registrierte. Machte ihn das wertvoller? Nützlicher? Es machte sein Leben auf jeden Fall schwerer. Schon lange schaute er nicht mehr in den Fernseher, ja, er hatte ihn sogar verkauft. Die reißerisch dargebrachten Ausstrahlungen mit Lichtershows, Gejohle, Gepfeife und Getrampel, manchmal sogar bei simpelsten Ratesendungen, aber auch die ständigen Krimis mit zunehmender Gewaltverherrlichung und die immer schlimmer werdenden Nachrichten hatten ihn überfordert. Mit Bedacht las er in der Zeitung, übersprang vieles, was ihn aufregte, und ihn regte Vieles auf! Doch beim Lesen hatte er alles selbst in der Hand, konnte auswählen und war vor größeren Überraschungen sicher. Aber:

Die Nachricht von einer schwer verletzten Joggerin konnte er nicht ignorieren!

Er stieß darauf, zwei Tage nachdem er diese Frau gesehen hatte. Eher gerochen als gesehen, auch gehört, doch alle Sinneseindrücke hatte er aus dem Gedächtnis verbannt, soweit es ihm möglich war. Das Bild von dieser Person war kaum mehr zu finden in den Gehirnwindungen, präsent war jedoch der Angstschweiß, eigentlich der geringste unter den Sinneseindrücken dieses schönen Tages und dieser kurzen Begegnung. Es geht mich nichts an, versuchte er sich gänzlich zu distanzieren, mit mir hat das nichts zu tun! Doch seine Aufmerksamkeit richtete sich wie von einem Magneten angezogen auf den Artikel. Eine junge Frau, verletzt in einem Gebüsch am Radweg, gefunden am Abend von einem Spaziergänger mit Hund, mit schwersten Kopfverletzungen, vielleicht Fremdeinwirkung.

Kurz kam er auf die Idee, sich als Zeuge zu melden, doch das verwarf er schnell wieder. Was hatte er denn schon bemerkt? Er war, als ihr Trapp-trapp nicht mehr zu hören war, in die andere Richtung den Radweg zurückgefahren, hatte wieder einmal Überlegungen angestellt, wie er sich an einem so schönen Tag suizidieren könne, aber so, dass ihn niemand fände und von seiner grauenhaften Leiche traumatisiert wäre. Dann hatte er gehofft, einfach tot umfallen zu können, mitten auf dem Weg, und bald gefunden zu werden vom Hund eines Spaziergängers, eines alten Mannes, der schon einige Tote gesehen hatte und der schwach oder gnädig genug war, ihn nicht zu reanimieren. Seine Existenz war ja so nutzlos! Daheim hatte er bemerkt, dass um das Fahrlicht seines Rads eine Kette baumelte, eine goldene Armkette mit der Gravur „Lena“. Wo kam die her? Es war nur eine Vermutung: Vielleicht war der Joggerin das Armband herabgeglitten und hatte sich im Fahrradlicht verfangen.

Die Joggerin lag im Krankenhaus, war nicht bei Bewusstsein. Sie hatte keine Papiere bei sich gehabt, niemand wusste, wer sie war. Die Polizei entschloss sich schließlich, mit Zeitungs- und Internetveröffentlichungen nach ihrer Identität zu suchen. Auch ihr Gesicht, dem eine kosmetisch versierte Krankenpflegehelferin ein angenehmes Äußeres zurückgegeben hatte, wurde gezeigt. Erfolgreich war der Fahndungsaufruf nicht. Die unbekannte weibliche Person, Mitte 20, 170 cm groß, knapp 50 Kilogramm schwer, schien niemand zu kennen. Die leichte Bekleidung der Joggerin wurde auch zur Schau gestellt, doch auch darauf keine Reaktion aus der an solchen Geschehnissen so interessierten Leserschaft. Die Verletzungsursache wurde immer noch nicht exakt genannt, man wollte das Täterwissen nicht verwässern, sofern es wirklich ein Verbrechen gewesen war.

 

3
„Theo!“

Der Radfahrer erschrak. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn aus der Gruppe der Herumstehenden einer ansprechen würde. Es war sein Nachbar, der mit anderen ebenfalls radelnd unterwegs war und einen Halt an der Stelle eingelegt hatte, wo vor einer Woche eine Joggerin verletzt im Gebüsch lag.

„Servus!“, grüßte Theo zurück, absichtlich locker, und sah sich genötigt, kurz stehen zu bleiben, obwohl er eigentlich ganz schnell dort vorbeifahren wollte.

„Auch unterwegs?“, fragte der Nachbar rhetorisch.

Theo nickte nur.

„Schau, an diesen Baum muss sie geprallt sein und dann ins Gebüsch gerollt.“

Der Nachbar ging selbstverständlich davon aus, dass selbst der zurückgezogene Theo von dem Unfall der Joggerin erfahren hatte.

„Sie ist wohl vom Weg abgekommen, mit dem Fuß umgeknickt und dann den kleinen Abhang hinuntergestürzt“, vollendete er seine Analyse des Geschehens und zeichnete Theo mit großzügigen Gesten den Sturz der Bedauernswerten nach.

Theo nickte. „Kann sein.“ Und ihm wurde übel.

Doch ein anderer, ein Jüngerer mit bekannter Trikotwerbung, widersprach: „Überfallen wurde...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Außenseiter • hochsensitiv • Lebensverneinung • Narkolepsie • Wachkoma
ISBN-10 3-8187-1494-0 / 3818714940
ISBN-13 978-3-8187-1494-9 / 9783818714949
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