Was für ein Theater (eBook)

Eine Geschichte der Gocher Lichtspiele - die Geschichte des Kinos und des deutschen Pioniers Otto Skoetsch von 1906 bis in die Gegenwart
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2024 | 1. Auflage
188 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-38805-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was für ein Theater -  Robert Peters
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Das Buch 'Was für ein Theater' erzählt die Geschichte des Kinos aus der Perspektive von Otto Skoetsch. Der Essener Schreiner hat genug vom Alltag in der Werkstatt und der Enge der Zechensiedlung, in der er mit seinen Eltern lebt, die aus Masuren eingewandert sind. Er geht 1903 nach Amerika. In New York arbeitet er auf dem Bau. Der Besuch in einem Nickelodeon verändert sein Leben. Er sieht seinen ersten Film, den 'Großen Eisenbahnraub', und er verfällt dem neuen Medium. Skoetsch kehrt mit der Geschäftsidee Kino nach Deutschland zurück. 'Was für ein Theater. Eine Geschichte der Gocher Lichtspiele' erzählt vom Kino in der kleinen Stadt, seinem Aufstieg und seinem Niedergang. Erzählt wird Geschichte einer Familie und die Geschichte des Films vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den 2020er Jahren. Das Buchspürt der Faszination des Mediums nach, der Magie des Films, der alltäglichen Zauberei, wenn durch Licht und Schatten lebendige Bilder entstehen und was diese Zauberei in den Köpfen der Menschen anrichtet.

Robert Peters, geboren am 15. Oktober 1957 in Goch am Niederrhein, Studium der Germanistik und Soziologie, Promotion mit einer Arbeit über Wilhelm von Humboldt. Seit 1984 Sportjournalist. Autor von Kolumnen, Analysen und Porträts. Romane: Ich war doch nur ein Schmied (2020), Sommer 1971, Soundtrack einer Kleinstadtjugend (2024).

Robert Peters, geboren am 15. Oktober 1957 in Goch am Niederrhein, Studium der Germanistik und Soziologie, Promotion mit einer Arbeit über Wilhelm von Humboldt. Seit 1984 Sportjournalist. Autor von Kolumnen, Analysen und Porträts. Romane: Ich war doch nur ein Schmied (2020), Sommer 1971, Soundtrack einer Kleinstadtjugend (2024).

1

HAMBURG

Otto Skoetsch will nach Amerika. Er hat genug von Essen und der Enge der Bergarbeitersiedlung. Zunächst landet er allerdings in Hamburg in einer Halle mit vielen Betten und vielen anderen Auswanderern. Im Zwischendeck einer großen Fähre erlebt er, dass eine Seefahrt manchmal alles andere als lustig ist. Zum seinem Glück hat er Freunde gefunden. Das erleichtert die Überfahrt, und es hält den Traum am Leben.

Das Letzte, was Otto Skoetsch an diesem trüben späten Septembertag von Deutschland sah, war die Insel Helgoland. Im Dunst über dem schiefergrauen Meer war schemenhaft der große Leuchtturm zu erkennen und blassrot schimmernde Felsen. Er erinnerte sich dunkel an weit zurückliegende Schulstunden, in denen die Insel ein Thema im Erdkunde-Unterricht gewesen war.

Die Briten hatten sie vor 13 Jahren ans Deutsche Reich übergeben, das wusste er noch, dafür hatte Deutschland großherzig auf irgendwelche Kolonien verzichtet. Das wusste er aber nicht mehr so genau. Es war ihm auch nicht wichtig.

Als Helgoland hinter den auf- und absteigenden Bergen aus Salzwasser endgültig in der Nordsee versank, klopfte ein Gefühl der Freiheit durch Ottos Adern, eine fröhliche Erregung, die er zum letzten Mal gespürt hatte, als er beschloss auszuwandern.

An den Moment dachte er jetzt wieder. Er hatte in der Werkstatt gestanden und Bretter gehobelt. Eine langweilige Arbeit, bei der man dennoch aufpassen musste, dass der Hobel nicht in einem Astloch hängenblieb. Das fuhr einem in den Arm, gab fiese Unebenheiten auf dem Holz und beschädigte manchmal die Klinge – alles nicht erstrebenswert und immer ein Anlass für eine lautstarke Ansprache des Meisters.

Es roch nach den frischen Spänen, die vom Brett flogen, durch das Fenster schien die Sonne, in ihren Strahlen tanzten Teilchen aus Holz und Staub ein flirrendes Ballett. Es sah ein bisschen so aus, wie er sich den sprühenden Sternennebel an der Spitze eines Zauberstabs vorgestellt hatte, als er ein Kind war und mit Begeisterung Bilderbücher ansah.

Er war nun aber kein Kind mehr. Er war Geselle, 22 Jahre alt und groß genug für andere Träume. In den tanzenden Teilchen sah er sein gelobtes Land flimmern, er sah Amerika wie auf den Bildern der Zeitschriften und der Reklametafeln, riesige Hochhäuser, weites Land, große Städte. Und er sah vor allem: Dollarscheine, viele Dollarscheine und ein neues Leben.

Vom alten hatte er jetzt schon genug, von der Zechensiedlung, in der er mit den Eltern unter einem Dach lebte, von der Werkstatt am Tag, von den langweiligen Abenden und den Sonntagen mit Kirchgang und den Vorträgen des Vaters. „Du weißt doch gar nicht, wie gut du es hast.“ Ja, ja.

Seinem Meister hatte er schon mal von seinen Träumen erzählt. „Du hasse nich mehr alle“, sagte der nur, „wat willste denn in Amerika? Da ham se gerade auf dich gewartet. Dat is doch Spinnerei. Bleib mal lieber inne Werkstatt, da weiße, watte has‘.“

Bei seinem Vater konnte er damit schon gar nicht landen. Er hielt nichts von Träumen, und Amerika wollte er sich nicht mal vorstellen – mit all dem Wasser dazwischen, den fremden Menschen und der anderen Sprache. Er selbst war mit 30 Jahren aus einem kleinen Ort in Masuren nach Essen gekommen.

Er arbeitete als Bergmann unter Tage – ein gefährlicher, aber einträglicher Beruf, jedenfalls viel einträglicher als die Schufterei auf dem Bauernhof in der alten Heimat, wo er als Knecht wenig mehr als sein täglich Brot hatte. Und er hatte immer gehofft, dass Otto ihm zur Zeche folgen würde. Die Schreinerlehre hatte der Sohn auch auf Zollverein im Ortsteil Schoppenberg gemacht.

Zum Glück musste er nur selten für Reparaturen einfahren und blieb meistens über Tage. Aber er fürchtete die Fahrten mit dem Förderkorb in die heiße Tiefe so sehr, dass er vor dem Einsteigen regelrechte Panikattacken bekam.

Kilometer von Stein zwischen sich und der Welt da oben ließen sein Herz klopfen, die dünne, staubige Luft ließ seine Lungen pfeifen. Die Rückreise aus der Tiefe war jedesmal seine persönliche Himmelfahrt ins Licht. Mit jeder Rückkehr aus dem schwarzen Loch wurde der Gedanke an die nächste Einfahrt unerträglicher. Otto hielt es nicht lange aus, er ging zu einem Möbelschreiner.

Das konnte sein Vater gerade noch ertragen. Auswanderungspläne nicht. „Du hast doch hier dein Auskommen, und du sprichst ja nicht mal amerikanisch“, sagte er.

„Du hast doch in Polen oder Russland, oder wo das ist, dein Auskommen gehabt und bist trotzdem ausgewandert. Außerdem sprechen die englisch.“

„Das war Ostpreußen, und es ist deutsch. Und eine neue Sprache musste ich auch nicht lernen.“

„Hättest du mal besser getan, dein Deutsch versteht ja keiner. Statt Ostpreußen sagst du Ostpreißen.“

„Unverschämter Bengel!“

So ging das viele Wochen.

Otto hielt nicht viel vom Leben seines Vaters, von der Siedlung neben der Zeche, den kleinen, schmalen Häuschen, die von der Zeche vermietet wurden, den Gärten mit den Ställen, in denen Hühner und manchmal die Bergmanns-Kuh, eine Ziege, gehalten wurden. Seine Eltern hatten nur Hühner, und sie bauten ihr eigenes Gemüse an – Kohlrabi, Spinat, Zwiebeln, Kohl. Das war ihm alles viel zu bäuerlich, zu dreckig, zu klein.

Er hielt allerdings viel von Widerworten, und er ließ sich ungern etwas sagen, vor allem von seinem Vater nicht, dessen Stirn im Streit vor Wut glühte und dessen Schläfenadern hervortraten wie dicke Wülste am Kopf. Wenn er ihn so weit hatte, war Otto zufrieden. Es verschaffte ihm eine regelrechte Genugtuung.

Die Mutter verschwand bei solchen Auseinandersetzungen hinter einem unsichtbaren Vorhang, der die Gegend um den Kohleherd vom Küchentisch trennte. Sie machte sich ganz klein, knetete im Kummer nur stumm die Hände und schaute verzweifelt auf das Bild von Jesus an der Wand mit dem großen, roten, von einem Strahlenkranz umgebenen Herz. „Jesus“, sagte sie leise, „Jesus und Maria.“ Es hörte sich an wie „Jesses und Mária.“

Das half aber auch nicht weiter. Otto reckte die dünne, spitze Nase ein bisschen höher. „Ihr könnt machen, was ihr wollt, ich habe Geld gespart, und ich fahre.“ Sein Vater knurrte leise vor sich hin, über seinem Kopf schienen kleine Wolken des Zorns zu dampfen. So recht glauben wollte er es nicht. Aber er würde schon sehen.

Vor einem halben Jahr war das gewesen.

Otto hatte ernst gemacht. Vom Meister ließ er sich den restlichen Lohn auszahlen, packte ein paar Sachen zusammen und sein Werkzeug. In die Kiste kamen der Hobel, zwei Bleistifte, der Zollstock, ein Winkelmaß, die Schmiege mit den verstellbaren Winkeln, ein Stechbeitel, der Handbohrer und eine Handsäge. In den Koffer aus dicker Pappe legte er seinen Arbeitsanzug, Wäsche, ein Paar Arbeitsschuhe, Waschzeug und zwei Hemden. Er zog seinen einzigen Anzug an, setzte den Hut auf und fuhr mit der Eisenbahn nach Hamburg.

Es schien ganz leicht.

Hinter Dortmund allerdings, wo das westfälische Land so weit wurde und die Industrieanlagen verschwanden, als hätte sie eine große Hand einfach wegradiert, wurde ihm ein wenig komisch zumute, und der trotzige Mut schwand ihm ein bisschen. Würde das alles gut gehen?

Er fühlte sich nicht mehr ganz so stark wie einige Stunden zuvor, als er die weinende Mutter umarmt und sich wortlos mit einem kräftigen Händedruck von seinem Vater verabschiedet hatte. Er kam sich ziemlich klein vor in dem rumpelnden Abteil der dritten Klasse.

Aber das ging vorbei. Irgendwann lehnte er den Kopf ans Fenster und nickte leise im Takt der Eisenbahn ein. Padamm, padamm, padamm.

Hamburg war groß, der Hafen riesig. Doch Otto ließ sich nicht einschüchtern, nicht mehr. Dieses Gefühl hatte er in der Eisenbahn niedergerungen. Es schien, als sei er irgendwo hinter Dortmund zum Mann geworden, ein zwar schmächtiges, aber sehniges und entschlossenes Kerlchen.

Er hatte die Adresse der Reederei Hapag, und er fand den Weg vorbei an Lastkarren und Hafenschuppen, an Menschen mit Schiebermützen und fremdartigen Gesichtern, an Matrosen und Marktfrauen, Scheuermännern, Arbeitern und solchen, die Auswanderer werden wollten wie er.

Otto hatte sich vorgestellt, an einen Schalter zu treten wie im Essener Hauptbahnhof, eine Fahrkarte zu kaufen und nach ein paar Stunden oder am nächsten Tag in See zu stechen.

Das war sehr optimistisch, zu optimistisch, wie sich zeigen sollte. Es gab zwar einen Schalter, und er konnte auch eine Passage wählen. Er kaufte ein Ticket zu 150 Mark für die Überfahrt III. Klasse, ein bedeutender Teil seiner Ersparnisse, soviel verdiente ein einfacher Arbeiter im Jahr. Aber sein Schiff ging erst in drei Wochen.

Skoetsch schluckte. Der Mann am Schalter, ein dicker Kerl mit rotem Gesicht, war solche Reaktionen offenbar gewohnt, und er wusste auch einen Rat: „Unsere Reederei hat die Auswandererhallen auf der Elbinsel Veddel bauen lassen. Da...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2024
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Auswanderung und Rückkehr • Deutsche Geschichte • Familiengeschichte • Filmliebhaber • Kinogeschichte • Kleinstadtgeschichte • Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts
ISBN-10 3-384-38805-4 / 3384388054
ISBN-13 978-3-384-38805-6 / 9783384388056
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