Spinnennetze (eBook)

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2024 | 1. Auflage
227 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-8187-0345-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spinnennetze -  Reinhold Ortmann
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»Aber es ist unmöglich, Papa - du mußt es mir glauben! In meiner Schatulle liegen kaum noch fünfhundert Francs, und auch diese haben schon ihre Bestimmung. Ich fürchte ohnedies, daß Guy über die Größe meiner Ausgaben erstaunt ist.« Der stattliche, alte Herr, an den diese Worte gerichtet waren, warf mit einer Bewegung, die ebensowohl Bestürzung als Unwillen ausdrücken konnte, den Kopf zurück und zupfte nervös an den Enden seines schneeweißen Kinnbartes. »Ach, zeigt sich Herr de Versigny neuerdings auch von dieser Seite? Er hat dich also zu größerer Sparsamkeit ermahnt?«

28 juin 1859 - 17 mai 1929

28 juin 1859 - 17 mai 1929

Erstes Kapitel.


»Aber es ist unmöglich, Papa — du mußt es mir glauben! In meiner Schatulle liegen kaum noch fünfhundert Francs, und auch diese haben schon ihre Bestimmung. Ich fürchte ohnedies, daß Guy über die Größe meiner Ausgaben erstaunt ist.«

Der stattliche, alte Herr, an den diese Worte gerichtet waren, warf mit einer Bewegung, die ebensowohl Bestürzung als Unwillen ausdrücken konnte, den Kopf zurück und zupfte nervös an den Enden seines schneeweißen Kinnbartes.

»Ach, zeigt sich Herr de Versigny neuerdings auch von dieser Seite? Er hat dich also zu größerer Sparsamkeit ermahnt?«

»O nein! Es ist zwischen uns von Geldangelegenheiten überhaupt noch niemals die Rede gewesen. Aber gerade, weil ich gewiß bin, daß Guy es nicht aussprechen würde, ist mir der Gedanke unerträglich, von ihm für eine Verschwenderin gehalten zu werden.«

Graf Bourmont atmete erleichtert auf. Aber sein Lächeln schien doch noch etwas gezwungen, da er erwiderte:

»Eine sehr überflüssige Besorgnis, meine liebe Gabrielle, falls es sich dabei wirklich nur um die armseligen paartausend Francs handelt, die du mir im Laufe der letzten Monate gegeben. Was bedeutet eine solche Bagatelle für die Gattin eines Millionärs! Man sagt, daß de Versignys Vermögen sich mit jedem Jahre um Hunderttausende vergrößert. Du hättest also ein gutes Recht, von ihm zu verlangen, daß er auch dein Nadelgeld1 entsprechend erhöhe.«

Mit jenem müden, fast schwermütigen Ernst, der den unveränderlichen Grundzug ihres Wesens zu bilden schien, schüttelte die blasse, junge Frau den Kopf.

»Du weißt, Papa, wie ich darüber denke. Weshalb sollen wir immer wieder von Dingen sprechen, die für uns beide in gleichem Maße peinigend sein müssen!«

Der Graf verließ seinen Platz hinter dem kleinen, steiflehnigen Empiresofa, auf dessen Polster seine Tochter in lässiger Haltung ruhte, und machte ein paar Schritte über den Teppich des mit auserlesenem Luxus eingerichteten Salons. Er war groß und breitschultrig, und trotz seiner tadellos eleganten bürgerlichen Kleidung hatte er ganz das Aussehen eines alten Soldaten von jenem Typus, den man unter den Marschällen des zweiten Kaiserreichs2 so häufig vertreten fand.

»Weshalb wir davon sprechen sollen? Ja, mein Kind, wenn ich im Überfluß lebte wie ihr, wäre das allerdings nicht nötig. Aber es ist doch ein geradezu lächerlicher Zustand, daß ich als der Schwiegervater des Herrn Guy de Versigny in Gefahr sein soll, aus meinem Klub ausgeschlossen zu werden, weil ich nicht im stande bin, eine armselige Spielschuld von zweitausend Francs zu bezahlen.«

»Dazu also brauchst du das Geld?« fragte Gabrielle, und wie ein sanfter, aber tief schmerzlicher Vorwurf klang es aus ihrer Stimme. »Du hast wieder verloren, was du nicht besaßest!«

»Pah, es ist nicht der Rede wert. Fürst Nikofor Rasumin hatte gestern einen ausnehmend glücklichen Abend; aber ich bin sicher, daß ich die Kleinigkeit noch heute doppelt und dreifach wieder hereinbringe. Zunächst natürlich muß die alte Verpflichtung geregelt werden. Man nimmt es damit im Klub sehr genau. Und wenn du mir die kleine Gefälligkeit nicht erweisen kannst, so werde ich mich eben an meinen Herrn Schwiegersohn wenden müssen.«

Mit einer lebhaften Bewegung hatte sich die junge Frau bei seinen letzten Worten erhoben.

»Nein, Papa — nur das nicht! Du darfst ihn unter keinen Umständen darum bitten. Gedulde dich hier einen Augenblick — ich werde dir helfen.«

Sie verließ das Gemach, und als sie nach Verlauf von etwa zwei Minuten zurückkehrte, hatte sie ein Etui von rotem Maroquinleder in der Hand, das sie ihrem Vater reichte.

»Nimm — es ist meine Rubinbrosche. Wenn du sie verpfändest, wird man dir ohne weiteres die zweitausend Francs geben, die du brauchst. Später kannst du sie ja wieder einlösen. Und die Hergabe bedeutet für mich kein Opfer; denn ich werde sie ohnehin nicht mehr tragen.«

Aber mit einer fast pathetischen Gebärde wehrte Graf Bourmont ab.

»Was denkst du von mir, mein Kind! Ein Bourmont bei einem Pfandleiher! Welche Vorstellung! Und diese Brosche — war sie nicht das erste Weihnachtsgeschenk deines Gatten?«

»Ja,« sagte Gabrielle leise und mit niedergeschlagenen Augen. »Aber es ist nicht zu besorgen, daß er ihr Fehlen bemerken werde. Er weiß ja, daß ich mich nie wieder mit Juwelen schmücke.«

»Du verstehst mich falsch. Es ist nicht das, was ich fürchte. Denn wenn ich die Brosche wirklich annähme, so würde es sich natürlich nur um eine ganz kurze Zeit bis zu ihrer Rückgabe handeln. Aber daß du dich überhaupt entschließen kannst, ein so teures Kleinod nur für einen Tag aus deinen Händen zu lassen — das, meine liebe Gabrielle, ist es, was mir wehe tut. Ihr seid da, wie mir scheint, in eurer Ehe nachgerade bis zu einem Punkte gelangt, über den hinaus es unmöglich in derselben Weise weitergehen kann. Man liest dir’s ja vom Gesicht, daß du in Gefahr bist, dich dabei aufzureiben. Es ist fürwahr hohe Zeit, ein Ende zu machen — so oder so.«

Gabrielle erhob den Kopf, und ein Ausdruck hochgradiger Spannung war in ihren eben noch beinahe apathischen Zügen.

»Ein Ende zu machen? Was verstehst du darunter, Papa?«

»Ich verstehe darunter, daß du entweder diese unnatürliche Zurückhaltung aufgibst und deinem Manne bedingungslos verzeihst —«

»Niemals!« fiel sie ihm in plötzlich aufflammender, leidenschaftlicher Erregung ins Wort. »Es ist unmöglich — undenkbar! Und niemand sollte besser wissen als du, weshalb es unmöglich ist.«

»Hum — Nun ja! — Du kannst die Erinnerung an jenen unglückseligen Maitag noch immer nicht los werden. Und ich bin gewiß weit davon entfernt, deine kindlichen Gefühle zu tadeln. Aber schließlich, wenn man es unbefangen betrachtet — und nachdem doch jetzt zwei volle Jahre seitdem vergangen sind — —«

»Und wenn es fünfzig wären, ich würde das Entsetzliche noch immer mit derselben furchtbaren Deutlichkeit vor mir sehen. Nie — niemals werde ich es vergessen! Nie werde ich meines Mannes Gesicht sehen, nie seine Stimme hören können, ohne es noch einmal zu durchleben. Bei der bloßen Berührung seiner Hand durchschauert es mich wie bei einer Berührung mit dem Tode.«

Eine heiße, fliegende Röte war auf ihren eben noch beinahe farblosen Wangen erschienen, um ihre Mundwinkel zuckte es, und ihre großen dunklen Augen standen voll Tränen. Mit einer Zärtlichkeit, die nicht ganz frei war von dem Anschein theatralischen Gebarens, streichelte Graf Bourmont das schmale, erregte Gesichtchen seiner Tochter.

»Wie nervös du bist, meine arme Kleine! Sagte ich’s nicht, daß du dich dabei aufreibst? Es zerreißt mir das Herz, dich in solchem Zustande zu sehen. Wäre es da nicht wirklich besser, einen mutigen Entschluß zu fassen und dich von einem Manne zu trennen, dessen bloßer Anblick dir so unerträgliche Qualen bereitet?«

»Eine Scheidung? Nein! Du weißt, Papa, daß auch mir dies zuerst als der einzige Ausweg erschien; aber ich sagte dir schon damals, daß ich mit Guy übereingekommen bin, darauf zu verzichten.«

Die buschigen weißen Brauen des Grafen zogen sich unmutig zusammen.

»Vielleicht würde er heute anders darüber denken. Diese Art des ehelichen Verkehrs muß ihm doch auf die Dauer ebenso peinlich geworden sein wie dir!«

»Sobald er einen Wunsch äußert, sich von mir zu trennen, werde ich natürlich ohne weiteres einwilligen. Bis dahin aber halte ich mich an das einmal gegebene Versprechen gebunden.«

Ihre Sprache hatte schon wieder den früheren, traurig-müden Klang, und gerade dadurch erhielten ihre Worte eine Bestimmtheit, die dem Grafen offenbar wenig gefiel. Er wollte etwas erwidern, aber er hatte noch nicht mehr als das erste Wort über die Lippen gebracht, als ein Diener die Tür des Salons öffnete, um zu melden:

»Herr Andersson bittet um die Ehre, von der gnädigen Frau empfangen zu werden.«

»Ah, schon wieder dieser unvermeidliche Maler!« murmelte Graf Bourmont verdrießlich, indem er zugleich mit einer raschen Bewegung das Maroquin-Etui vom Tische nahm und in seiner Tasche verschwinden ließ. »Man kann ja überhaupt kaum noch hierherkommen, ohne ihn bei dir zu finden.«

Gabrielle antwortete nicht. Sie hatte dem Diener durch ein Zeichen bedeutet, den Besucher einzuführen.

Und wie der Schatten eines Lächelns huschte es über ihr längst wieder marmorbleich gewordenes Gesicht, als er wenige Sekunden später auf der Schwelle erschien, mit einem raschen Blick seiner klaren grauen Augen das Gemach überfliegend.

»Ich hoffe, nicht zu stören, gnädige Frau! Da ich versprochen hatte, Ihnen heute die ›Wahlverwandtschaften‹ zu überbringen —«

»Ja — diesen Roman mit dem unaussprechlichen Titel,« sagte sie freundlich, indem sie ihm die schmale Hand reichte. »Ich danke Ihnen, lieber Herr Andersson! Aber ich rechne bei der Lektüre auf Ihre Hilfe, denn ich bin leider nichts weniger als eine Meisterin in der deutschen Sprache.«

Der Maler, der ihre Finger leicht mit den Lippen berührt hatte, verbeugte sich wie zum Zeichen seiner Bereitwilligkeit, und wandte sich dann gegen den Grafen, um ihn mit gemessener Höflichkeit zu begrüßen. Er war an Wuchs vielleicht um ein Geringes kleiner als der hünenhaft gebaute Vater Gabriellens, aber das vollkommene Ebenmaß seiner Gestalt ließ ihn trotzdem groß und voll männlicher Kraft erscheinen. Das von einem kurzen, spitz geschnittenen Vollbart umrahmte Gesicht des etwa...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte andere Fiktion • Deutsch • Drama • Familie • Fiction • historisch • Romantik
ISBN-10 3-8187-0345-0 / 3818703450
ISBN-13 978-3-8187-0345-5 / 9783818703455
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