Die Kammer (eBook)
400 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01925-4 (ISBN)
Will Dean arbeitete nach seinem Studium an der London School of Economics einige Zeit in der englischen Hauptstadt, bevor es ihn der Liebe wegen nach Schweden zog, wo er seither mit seiner Familie in einem Holzhaus in den Wäldern nördlich Göteborgs wohnt. Mit DIE KAMMER erscheint erstmals einer seiner im englischsprachigen Raum viel gelesenen Standalone-Thriller auf Deutsch.
Will Dean arbeitete nach seinem Studium an der London School of Economics einige Zeit in der englischen Hauptstadt, bevor es ihn der Liebe wegen nach Schweden zog, wo er seither mit seiner Familie in einem Holzhaus in den Wäldern nördlich Göteborgs wohnt. Mit DIE KAMMER erscheint erstmals einer seiner im englischsprachigen Raum viel gelesenen Standalone-Thriller auf Deutsch.
Cover
Titelseite
Widmung
Motto
Das Taucherbasisschiff
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Vier Wochen später
DEEP TOPAZ
Danksagung
Glossar
Über Will Dean
Impressum
1
Dein Herzschmerz oder deine verlorenen Lieben interessieren das Meer nicht. Deine Ängste, deine Träume, deine sterblichen Begierden sind ihm egal. Das Meer kennt nur sich selbst; die ganze Welt umrundend, bedeckt es die Tiefen und verbirgt Wahrheiten ebenso wie Schrecknisse. Das Meer kann Liebe nicht von Hass unterscheiden.
Das Meer ist einfach.
Ich lasse Aberdeen hinter mir und steige auf die Gangway der DSV Deep Topaz, unseres Taucherbasisschiffs. Die Abschiede habe ich schon hinter mir. Die Augen von der salzigen Brise, die Haut vom beißenden Wind gereizt, gehe ich mit meinem Seesack an Bord. Dort erwartet mich bereits Mike Elliot, dessen wettergegerbtes Gesicht und grüne Augen von der Sonne zum Leuchten gebracht werden, was das Silber in seinen Augenbrauen noch stärker hervorhebt.
»So hässlich und so schön hab keinen Tag ich noch geseh’n«, begrüßt er mich, sein San-Diego-Akzent von einem Jahrzehnt Nordseeleben abgeschliffen.
»Dickens?«
»Nein, der andere Kerl. Und? Wie geht’s?«
»Dasselbe Schiff, ein anderer Tag.«
Er grinst, und ich erhasche einen Blick auf die Militärtattoos auf seinen Unterarmen, manche davon mit frischer Tinte stochen. Neuerfindung. Ich hole meinen Camcorder heraus, und er entschuldigt sich und lässt mich allein.
Ich richte die Kamera unbeholfen auf mich, und auf dem ausklappbaren Display erscheint mein blasses, spitzes Gesicht. Kein Make-up, keine Frisur. Die selbst gefärbten Haare fast zu kurz für einen Pferdeschwanz. Meine Mutter hat mich mal als hübsch, wenn ich mich richtig ins Zeug lege bezeichnet, und das war eindeutig wohlwollend gemeint.
»Das ist für den nächsten Monat unser Zuhause«, sage ich unsicher. »Achtundzwanzig dieser Tage werden wir unter Druck oder, wie wir es nennen, in der Tiefe sein – zumindest Mike, ich und die vier anderen Sättigungstaucher. Wir werden an Bord des Schiffes leben, in einer kleinen Druckkammer, und aus dieser dann paarweise in einer Taucherglocke auf den Meeresboden absteigen, um dort in Schichten zu arbeiten. Die Bezahlung beträgt das Fünf- bis Zehnfache von dem, was ein Bauarbeiter an Land verdient. Wir werden für die Risiken angemessen entschädigt.«
Ich beende die Aufnahme. Das Bildmaterial, das von einer der größten Tauchfirmen Schottlands zu einem kurzen Film zusammengeschnitten wird, könnte dabei helfen, mehr Frauen für diese Tätigkeit zu gewinnen. Ich betrachte es als meine Pflicht, es zumindest zu versuchen.
Tief im Bauch des Schiffs entdecke ich Jumbo, einen alten Hasen aus Liverpool. Möglicherweise nennen ihn manche meinen »Sättigungsdaddy« – er ist ein erfahrener Taucher, der mich einmal unter seine Fittiche genommen hat. Wir selbst haben dieses Wort aber nie verwendet. Jumbo ist ein dunkler Typ, klein und muskulös, mit den Augen eines wesentlich älteren Mannes. Seine Mutter ist Irin, sein Vater stammt aus St. Lucia, und er gilt als einer der besten Taucher, die in britischen Gewässern arbeiten.
»Die Ohren«, sagt er, sein Scouse-Akzent immer noch hörbar, obwohl er schon seit Jahrzehnten in Cawdor, östlich von Inverness, lebt. »Lass mal sehen, Brooke.«
Ich begrüße Gonzales, die Sanitäterin.
»Ellen Brooke?«
Ich nicke, und sie fordert mich auf, mich auf den Stuhl zu setzen. Wahrscheinlich sind wir beide die einzigen Frauen auf dem Schiff. Langes, gelocktes schwarzes Haar und ein ernster, besorgter Gesichtsausdruck. Mit einem Ohrenspiegel untersucht sie meine Ohren; sie sind das menschliche Organ, das besonders empfindlich auf Druckunterschiede reagiert. Wie Jumbo vor Jahren mal zur mir gesagt hat: Sättigungstaucher brauchen Mumm und gute Ohren.
Als Gonzales meinen Blutdruck misst und meine Atmung checkt, vertiefen sich die Falten auf ihrer Stirn.
»Alles in Ordnung?«, frage ich.
Sie nickt, und wir tauschen einen Blick. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Irgendetwas scheint sie zu beunruhigen. Als Jumbo an der Reihe ist, zieht er sein Hemd aus. Spuren eines harten Arbeitslebens: Narben, innere und äußere. Dass er sein Hemd auszieht, ist kein Flirtversuch und keine Angeberei; Jum stellt nur unter Beweis, dass er noch nicht zu alt ist für den Job. Was das angeht, habe ich nie an ihm gezweifelt, aber ich fürchte, er könnte anfangen, an sich selbst zu zweifeln.
Die Sanitäter haben erstaunlich viel Macht über uns Sättigungstaucher. Sie entscheiden darüber, ob wir arbeiten oder nach Hause fahren. Sie haben Zugang zu extrem starken Medikamenten. Ihre Macht unterliegt so gut wie keiner Kontrolle, zumindest nicht an Bord des Schiffs.
Ich kenne den einen oder anderen, der diese Macht genießt.
Eine Möwe kreischt.
Die Deep Topaz dampft am östlich von Aberdeen gelegenen Offshore-Windpark Buchan Deep vorbei auf die Nordsee hinaus. Ein trostloser Horizont bar jeder Orientierungspunkte. Die Welt hier draußen erscheint kahl und unberührt, aber der Meeresgrund unter uns ist überzogen von einem ausgedehnten Gewirr aus Bohrlochköpfen und Pipelines, Hosenrohren und Verbindungsstücken. Eine unsichtbare Welt, eine Welt, zu der nur Sättigungstaucher Zugang haben.
Die Einsatzbesprechung mit Lennox, dem Kapitän, darf ich nicht filmen. In ernstem, schroffem Ton weist er uns an, keine Risiken einzugehen. Er sagt, jeder kann jederzeit einen Komplettstopp ausrufen. Das ist theoretisch zwar richtig, aber man sollte besser einen verdammt guten Grund dafür haben; schließlich kostet der Betrieb des Schiffs täglich über hunderttausend Pfund, und der einzige Grund für seinen Einsatz – und der einzige Grund, weshalb die etwa neunzigköpfige Crew bezahlt wird – besteht darin, uns sechs Taucher am Leben zu halten. Der Kapitän wiederholt immer wieder, dass Sicherheit Vorrang hat. Er weist uns an, uns Zeit zu lassen, um Verletzungen zu vermeiden.
Die anderen Taucher sind links und rechts von mir. Mike und Jumbo – kerniger, langgliedriger Amerikaner und gedrungener Brite – sind die ältesten und erfahrensten und waren beide ursprünglich beim Militär. Dann kommen dem Alter nach ich, André und Spock. Und der Jüngste ist Tea-Bag, unser Rookie.
»Ich bin Ellen Brooke«, sage ich und reiche Tea-Bag die Hand, auch wenn ich bezweifle, dass ich mich ihm vorstellen muss. »Wie bist du zu deinem Spitznamen gekommen?«
Tea-Bag zuckt mit den Achseln.
André, dessen Spitzname auf den legendären Wrestler aus den siebziger und achtziger Jahren zurückgeht, sagt: »Der Junge lässt seinen Teebeutel immer bis zum Schluss in der Tasse, stimmt’s, Tea-Bag? Du lässt ihn einfach drinnen.«
Ich schätze mal, dass Tea-Bag etwa zehn Jahre jünger ist als ich. Irgendwas um die dreißig. Dunkle Haut, große braune Augen, kantiges Kinn. Ich habe ihn mit seiner Mutter in einer anderen Sprache telefonieren hören, bevor wir an Bord gegangen sind. Man merkt, wenn jemand mit einem Elternteil spricht und dessen Bedenken auszuräumen versucht, egal in welcher Sprache er das tut.
Er sagt: »Ich mag meinen Tee einfach stärker als du, André. Ich stehe nicht auf so eine wässrige Brühe.«
André grinst breit – er hat eine beachtliche Lücke zwischen seinen vorderen Schneidezähnen –, als er auf den Rookie hinabblickt und mit breitem Nottinghamshire-Akzent fragt: »Zum dritten Mal dabei, oder?«
Tea-Bag schluckt, zieht die Schultern zurück. »Zum zweiten.«
Andrés Lächeln verfliegt ein wenig. Er wirkt jetzt verständnisvoller. »Das kriegst du schon hin, Junge.«
Wir ziehen unsere Overalls und Schutzhelme an und gehen auf Deck. Heftige Windböen, das Geräusch brechender Wellen. Die Deckarbeiter kontrollieren Ventile und Trossen, der Kranführer geht seine Checkliste durch. Ein groß gewachsener, aufrechter Mann mit einem sauber gestutzten weißen Bart und stechenden blauen Augen gesellt sich zu uns. Ich lächle, als ich ihn erkenne: Halvor Magnussen.
»Ich will euch nichts vormachen.« Trotz seiner Statur hat seine Stimme etwas Sanftes. Small Talk liegt ihm fern, und er war einmal ein gefragter Sättigungstaucher, in Zeiten, in denen die Lebenserwartung in diesem Beruf wesentlich geringer war als jetzt.
Als Halvor die einzelnen Arbeitsschritte mit uns durchgeht, kommt sein norwegischer Akzent bei manchen Wörtern stärker zur Geltung als bei anderen, und wir hören aufmerksam zu. Die See ist nicht ruhig, aber auch nicht stürmisch, und die letzten Möwen verlassen uns, als wir weiter aufs Meer hinaus fahren. Das heißt alle bis auf eine. Hinter meinen Kollegen erhasche ich einen Blick auf eine große schwarze Möwe, die mit gespreizten Flügeln auf den Holzplanken liegt. Der Hals des Vogels ist gebrochen, der Kopf hängt schlaff und in einem unguten Winkel zum Rumpf. Sein Schnabel steht leicht offen. Ich sollte mich auf Halvors Anweisungen konzentrieren, aber ich beobachte, wie ein junger Deckarbeiter mit einem Schutzhelm und Handschuhen die Möwe mit ihrem vom Wind gebauschten Gefieder und den glänzenden Edelsteinaugen behutsam hochhebt und einfach über die Steuerbordseite des Schiffs wirft.
»Irgendwelche Fragen, habe ich gesagt.«
»Nein«, schnappe ich Halvors Ansage entgegen. »Alles klar.«
»Wie gesagt, es sollte ganz einfach sein. Erster Tauchgang um null fünfhundert. Das Wetter könnte ein Problem werden. Wir nehmen es einfach, wie es kommt.«
Wir sechs machen uns auf den Weg in die Gerätekammer, und Halvor kehrt in die Dive Control, die Tauchkontrollstation, zurück, die in den nächsten vier Wochen seine Basis sein wird. Auf den meisten Schiffen ist die Brücke das Nervenzentrum, und der Kapitän genießt unangefochtene Autorität. Auf einem...
Erscheint lt. Verlag | 6.3.2025 |
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Übersetzer | Sepp Leeb |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Geburtstagsgeschenk Thrillerfan • Hochspannung • locked room • Locked-Room-Thriller • Nervenkitzel • Nervenkitzeln • Nordsee • Nordseethriller • Sättigungstaucher • Spannung • Tauchen • taucher • Taucherin • Thrill • Thriller • thrillerautor • Tiefseetaucher |
ISBN-10 | 3-455-01925-0 / 3455019250 |
ISBN-13 | 978-3-455-01925-4 / 9783455019254 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
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