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Einsteigen -  Titus Müller

Einsteigen (eBook)

Warum das Bahnfahren immer noch die schönste Art zu reisen ist
eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
160 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-159-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
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Eine Liebeserklärung an das Reisen mit dem Zug Für Bestsellerautor Titus Müller ist das Bahnreisen immer noch die schönste Art zu reisen. In Einsteigen erzählt er von eigenen Erlebnissen rund um das Zugfahren, nimmt uns mit in einen Nachtzug nach Venedig, begegnet Eisenbahn-Enthusiast:innen und erkundet, wie das Bahnfahren unser Lebensgefühl, unser Miteinander und übrigens auch unsere Zeitmessung beeinflusst hat. Mit feinem Humor, entwaffnender Menschenkenntnis und erzählerischer Raffinesse ermuntert er uns, sich auf die unwägbaren Begegnungen und Erfahrungen beim Bahnfahren einzulassen, denn im Zug sitzen wir selten allein. So kann jede Bahnreise zum Genuss werden - und unsere ewige Sehnsucht sowohl nach Verbundenheit als auch nach der Ferne stillen.

Titus Müller, geboren 1977, studierte Literatur, Geschichtswissenschaften und Publizistik. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift Federwelt und veröffentlichte seither über zwanzig Bücher. Seine Trilogie um »Die fremde Spionin« brachte ihn auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Er lebt mit seiner Familie bei München, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u. a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Sir Walter Scott-Preis ausgezeichnet.

Titus Müller, geboren 1977, studierte Literatur, Geschichtswissenschaften und Publizistik. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift Federwelt und veröffentlichte seither über zwanzig Bücher. Seine Trilogie um »Die fremde Spionin« brachte ihn auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Er lebt mit seiner Familie bei München, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u. a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Sir Walter Scott-Preis ausgezeichnet.

Trainspotter


Als nach der Pandemie die Leipziger Buchmesse zumersten Mal wieder ihre Tore öffnete, stand ich mit meinem Bruder, der Literaturübersetzer ist, am Leipziger Hauptbahnhof. Wir warteten auf die Straßenbahn Linie 10, die zum Messegelände fährt. Als sie endlich kam, war sie so voll, dass wir sie fahren lassen mussten, die nächste auch, die dritte erneut. Ich war zornig auf mich selbst, weil wir zwar vorn am Bahnsteig standen, aber nicht verhinderten, dass andere sich mit Vehemenz vorbeidrängten, sodass wir am Ende jedes Mal draußen übrig blieben. Es verrät einiges über meinen Bruder und mich. Wir haben von klein auf gelernt, nicht zu stören. Deshalb rufen wir ungern jemanden an, wir können ja nicht wissen, was der Angerufene gerade tut und ob wir ihn womöglich aus einer wichtigen Tätigkeit herausreißen. Werden wir angerempelt, dann entschuldigen wir uns.

Schließlich kam eine Tatra. Was für eine Kindheitserinnerung! In Berlin-Marzahn, wo wir aufgewachsen sind, fuhren damals diese neuen tschechischen Straßenbahnen, und wir liebten sie. Im Inneren gab es eine Zahlbox aus Blech, die aussah, als wäre sie von Hand zusammengelötet worden. Hier konnte man lange vor der Einführung von Fahrkartenautomaten seinen Fahrschein kaufen.

Das Fahrgeld wurde in einen Schlitz eingeworfen und landete in einer Art »Mühle«, die sich jedes Mal weiterdrehte, wenn man mit einem mechanischen Hebel rechts am Gerät die Fahrscheinrolle einen Abschnitt weiterdrehte, um am Ausgabeschlitz einen Fahrschein abzureißen. Die Fahrt kostete zwanzig Pfennige, ermäßigt zehn Pfennige.

Ein Sichtfenster ermöglichte anderen Fahrgästen dabei den Blick in die »Mühle« und die Kontrolle, ob das Fahrgeld ordnungsgemäß eingeworfen wurde. In Wirklichkeit scherte sich niemand darum. Manche warfen statt der Münzen einen Knopf hinein, auch der klimperte und klang so, als hätten sie bezahlt. Andere verwendeten Kronkorken. Wir Kinder zogen aus Tollerei nicht nur einen Fahrschein, sondern kurbelten immer weiter, bis wir eine lange Kette von Scheinen abreißen konnten.

Im Bus wurde mir damals oft schlecht, zumal die Ikarus-Busse in Ostberlin stark vibrierten, das Fahrtanzeiger-Schild klapperte dabei fürchterlich. Aber Straßenbahn fuhr ich gerne. Die Ringbahn in Naumburg bei meiner Großmutter. Die Straßenbahn zur Musikschule, als wir fünf Jahre in Magdeburg lebten. Und dann in Marzahn die neue Tatra-Bahn, die beim Anfahren so knallte. Nachdem ich das Knallen in meinem Roman Der letzte Auftrag erwähnt hatte, geriet ich darüber in einen Streit mit einer Leserin, die fürchtete, ich wolle die DDR madig machen.

Dabei war die moderne Tatra-Gelenkbahn mit ihren orangeroten Schalensitzen eine Freude! Der elektrische Motor trieb sie so kraftvoll vorwärts, dass man beim Anfahren herrlich in den Sitz gedrückt wurde. Nur wenn die Beschleunigung nachließ, knallte es jedes Mal – was aber kein Defekt war, alle neuen Bahnen taten das, ein Schütz knallte, ein elektromechanischer Schalter, der nach dem Beschleunigen die Fahrspannung unterbrach.

Jetzt also stand ich mit meinem Bruder in Leipzig an der überfüllten Haltestelle, eine Tatra fuhr vor, und ein Mann mit umgehängtem Fotoapparat fragte das Sicherheitspersonal, ob diese noch woanders führe? Er wolle nicht zur Messe, sondern nur mit einer Tatra fahren. Der Sicherheitsmann, der mit dem Megafon Ansagen machte und die Menge dirigierte, verneinte. Also zwängte sich der Tatra-Fan mit in die übervolle Messebahn. Einfach, weil er Tatra fahren wollte.

Solchen Einsatz zeige ich nicht. Ich bin kein Eisenbahnfan. Aber ich sehe die Fans. Sie stehen mit ihren Kameras ganz am Ende des Bahnsteigs und warten geduldig auf den Moment, wenn der Zug einfährt.

Ich finde es wunderbar, dass wir Menschen uns für eine Sache interessieren können, auch wenn sie uns nichts nützt. Das ist eines der Dinge auf der Welt, die bei mir Gänsehaut hervorrufen und unendliche Freude: mitreißende Begeisterung zu sehen, egal für was.

Aurelius und Thaddaeus, meine achtzehn- und vierzehnjährigen Neffen, sind Fans von Snarky Puppy, einer Jazz-Fusion-Band, die Jazz mit Rock, Weltmusik und Funk verbindet und fünf Grammys gewonnen hat. Ich höre zum ersten Mal von ihr (was mir vor meinen Neffen etwas peinlich ist), und gleich legen sie eine Schallplatte auf, um mich zu überzeugen. Das Können der Musiker ist beeindruckend, man hört sofort, dass sie zu den Größen unserer Zeit gehören, auch wenn ich mich in die Stilrichtung erst einhören muss.

Meine Neffen überreden mich dazu, »Snarky Puppy Keyboardist Hears Dua Lipa For The First Time« bei YouTube einzugeben. Dem Keyboarder der Band wird ein Lied der Popsängerin Dua Lipa vorgespielt, das er noch nicht kennt – allerdings nur die Melodie und die Beats, sonst nichts. Im Video kann man zusehen, wie er dazu eine eigene Musik erfindet, Harmonien, fetzige Riffs. Ich hätte heulen können vor Entzücken. Es war nicht meine Musikrichtung, aber die Schaffensfreude dieses Musikers zu sehen, diese Begeisterung für die Musik, war herrlich.

Es gibt viele schöne Sachen auf der Welt, von Schallplatten über Fotografie oder Mode bis hin zur Schreibmaschine. Warum gibt es da noch Menschen, die sich für nichts begeistern können?

Auch Züge haben ihre leidenschaftlichen Fans. Im Englischen nennt man die extremen Bahnliebhaber »Foamer«, also Schäumer, weil sie so enthusiastisch auf den Anblick eines Zugs reagieren, dass sie angeblich Schaum vorm Mund entwickeln. Sie verbringen ganze Wochenenden mit der Jagd nach Zügen, sie fotografieren und filmen vorbeifahrende Loks. Das tun auch die gemäßigten Bahnliebhaber, die Railfans, aber sie sind stolz darauf, nicht auszuflippen wie die Foamer, wenn der Zug vorüberfährt.

Zug-Nerds gibt es in allen möglichen Variationen: Es gibt Nerds, die sich für Brücken interessieren. Nerds, die Tunnel lieben und alles darüber wissen und auf einer Bahnfahrt besonders entzückt sind, wenn ein Tunnel durchfahren wird. Andere sind Kenner, was die Schranken angeht, oder die Signale, oder Bahnhofsuhren. Wieder andere sammeln alte Kursbücher. Und sie alle haben den LOK Report abonniert, ein monatliches Magazin für Eisenbahnfreunde, oder den Modelleisenbahner, den Eisenbahnkurier, das Lok-Magazin.

Der Tatra-Fan in Leipzig hat mich neugierig gemacht. Ich will die Begeisterung selbst erleben und verabrede mich mit zwei Trainspottern in Dresden für das Dampfloktreffen. Vereine, die sich zusammengefunden haben, um alte Dampflokomotiven zu restaurieren, unternehmen heute Sonderfahrten mit Dampfzügen. Es gibt Rundfahrten, kleinere und größere Touren, von Dresden nach Dürröhrsdorf beispielsweise oder nach Altenberg. Aber nicht alle Eisenbahnfans bevorzugen es, mitzufahren. Samu und Michael wollen die Züge von außen sehen und sie fotografieren. Ich begleite sie auf der Jagd nach guten Aussichtsplätzen entlang der Bahnstrecken. Ich will wissen, was sie fesselt an der Eisenbahn.

Als ich sie frage, wie oft sie das schon gemacht haben – loszuziehen, um Züge zu erspähen –, sagen beide »Äh« und sehen sich vielsagend an, dann lachen sie.

Die erste deutsche Ferneisenbahn fuhr von Leipzig nach Dresden. Auch Saxonia, die erste in Deutschland gebaute, funktionstüchtige Dampflokomotive stammt aus dieser Gegend. »Sie ist hier hergestellt worden«, sagt Michael, »dort drüben in der Maschinenfabrik Dresden-Übigau.«

Die Saxonia war nach heutigen Maßstäben ein Winzling. Konstruiert hat sie Johann Andreas Schubert, ein Professor für Mathematik und Maschinenbau in Dresden, den eine Englandreise inspiriert hatte. Aber so recht vertrauen wollte man seiner deutschen Konstruktion nicht, was ihn sehr enttäuscht haben muss. Bei der Eröffnung der Bahnstrecke zwischen Leipzig und Dresden am 7. April 1839 wurde der Zug von zwei aus Großbritannien importierten Lokomotiven gezogen, und Schubert durfte mit seiner Saxonia bloß hinterherfahren.

Dabei war er kein Hinterherfahrer, sondern ein Vordenker. Nach seinen Entwürfen baute man aus sechsundzwanzig Millionen Steinen die Göltzschtalbrücke im sächsischen ...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2025
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Sonstiges Geschenkbücher
Schlagworte Abenteuer • Abschalten • Bahnfahren • Begegnungen • Entschleunigung • Geschenk • Gesellschaft • Gespräche • Landschaft • Menschlichkeit • Nachdenklich • Reisen • Tech • Technik • Umwelt • warmherzig • Zug
ISBN-10 3-03790-159-4 / 3037901594
ISBN-13 978-3-03790-159-5 / 9783037901595
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