In den Augen der anderen (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Aufl. 2024
685 Seiten
beHEARTBEAT (Verlag)
978-3-7517-6812-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In den Augen der anderen - Jodi Picoult
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»Mein Sohn ist anders. Aber er ist kein Mörder.«

Jacob hasst die Farbe Orange. Und er hasst es, wenn sein gewohnter Tagesablauf gestört wird. Routinen sind für ihn lebenswichtig, denn er leidet unter dem Asperger-Syndrom. Doch dann wird seine Erzieherin erschlagen, und Jacob wird des Mordes verdächtigt. Die von seiner Mutter Emma mühsam erkämpfte 'Normalität' bricht zusammen. Alle Beweise sprechen gegen Jacob. Doch Emma nimmt den Kampf auf. Denn es geht darum, ihren Sohn vor dem Gefängnis zu bewahren - und um die Rechte von Menschen, die anders sind.

Ein hochspannender, bewegender Familienroman von der US-Bestsellerautorin Jodi Picoult. Der Roman erschien im Original unter dem Titel House Rules.

»Sie wollen ein Buch, dessen Bann Sie nicht mehr loslässt? Dann ist In den Augen der anderen ein Muss!« Pittsburgh Tribune

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.




<p>Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton<em>Creative Writing</em>und in Harvard Erziehungswissenschaften. Seit 1992 schreibt sie mit sensationellem Erfolg Romane. Sie wurde für ihre Werke vielfach ausgezeichnet, beispielsweise mit dem<em>New England Bookseller Award</em>. Ihre Romane erscheinen in 35 Ländern. Jodi Picoult gehört zu den erfolgreichsten und beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Hanover, New Hampshire.</p>

1


Emma


Wo ich auch hinschaue, sehe ich Kampfspuren. Die Post liegt auf dem Küchenboden verstreut, die Hocker sind umgestoßen, das Telefon ist aus seiner Halterung gerissen worden, der Akku hängt an den Kabeln heraus. Auf der Schwelle zum Wohnzimmer findet sich ein einzelner, schwacher Fußabdruck und deutet in Richtung der Leiche meines Sohnes Jacob.

Jacob liegt vor dem Kamin und hat alle viere von sich gestreckt. Seine Schläfen und Hände sind voller Blut. Einen Augenblick lang bin ich wie erstarrt, kann nicht mehr atmen.

Plötzlich setzt er sich auf. »Mom«, sagt Jacob, »du versuchst es ja noch nicht einmal.«

»Das ist nur gespielt«, erinnere ich mich selbst und schaue zu, wie er sich wieder genauso hinlegt wie zuvor – auf den Rücken, die Beine nach links verdreht.

»Äh … Es hat einen Kampf gegeben …«, sage ich.

Jacobs Mund bewegt sich kaum. »Und …?«

»Jemand hat dir auf den Kopf geschlagen.« Ich knie mich hin, wie er es mir schon hundert Mal erklärt hat, und bemerke die schwere Uhr aus Kristallglas, die normalerweise auf dem Kaminsims steht, nun aber unter der Couch liegt. Vorsichtig hebe ich sie auf und sehe das Blut an einer Ecke. Mit dem kleinen Finger berühre ich die Flüssigkeit und lecke daran. »Oh, Jacob, sag mir jetzt nicht, dass du wieder den ganzen Sirup aufgebraucht hast …«

»Mom! Konzentrier dich!«

Ich setze mich auf die Couch und halte die Uhr in den Händen. »Es hat einen Einbruch gegeben, und du hast dich den Einbrechern entgegengestellt.«

Jacob setzt sich auf und seufzt. Die Mischung aus Lebensmittelfarbe und Sirup hat sein dunkles Haar verklebt. Seine Augen leuchten, aber er schaut mir nicht in meine Augen. »Glaubst du wirklich, ich würde zweimal den gleichen Tatort aufbauen?« Er öffnet seine Faust, und ich sehe ein Büschel blonden Haars. Jacobs Vater ist blond … oder zumindest war er das, als er mich vor fünfzehn Jahren mit Jacob und Theo, Jacobs blondem kleinen Bruder, sitzenließ.

»Theo hat dich ermordet?«

»Also wirklich, Mom, ein Kindergartenkind könnte diesen Fall lösen«, tadelt mich Jacob und springt auf. Falsches Blut tropft ihm vom Gesicht, doch er bemerkt es nicht. Ich glaube, wenn er auf einen Tatort fixiert ist, könnte eine Atombombe neben ihm detonieren, und er würde noch nicht einmal mit der Wimper zucken. Er geht zu dem Fußabdruck und deutet darauf. Als ich genauer hinsehe, bemerke ich, dass es sich um den Abdruck eines der Skateboard-Sneaker handelt, für die Theo seit Monaten gespart hat. Ein Teil des in die Sohle gebrannten Firmenlogos – NS – ist deutlich zu erkennen. »In der Küche ist es zu einem Streit gekommen«, erklärt Jacob. »Er endete damit, dass ich zur Selbstverteidigung das Telefon nach Theo geworfen habe. Dann bin ich ins Wohnzimmer geflüchtet, wo Theo mir gezeigt hat, was die Stunde geschlagen hat.«

Ich muss ein wenig lächeln. »Wo hast du den Ausdruck denn her?«

»CrimeBusters, Folge 43.«

»Nun, weißt du … das bedeutet eigentlich, jemandem zu sagen, wie spät es ist, aber nicht, ihn mit einer Uhr zu schlagen.«

Jacob blinzelt mich ausdruckslos an. Er lebt in einer wörtlichen Welt. Das ist eines der Kennzeichen seiner Krankheit. Als wir vor Jahren nach Vermont gezogen sind, hat er mich gefragt, wie es da so sei. »Ziemlich grün«, habe ich geantwortet. »Und Hügel wie Wellen.« Er brach in Tränen aus. »Aber dann ertrinken wir doch, oder?«, hat er damals gesagt.

»Aber was war das Motiv?«, fragt er nun, und wie aufs Stichwort poltert Theo die Treppe herunter.

»Wo steckt der Freak?«, brüllt er.

»Theo, du sollst deinen Bruder nicht …«

»Ich werde aufhören, ihn einen Freak zu nennen, wenn er aufhört, Sachen aus meinem Zimmer zu klauen.« Instinktiv trete ich zwischen Theo und seinen Bruder, obwohl Jacob einen Kopf größer ist als wir beide.

»Ich habe nichts aus deinem Zimmer gestohlen«, wehrt Jacob sich.

»Ach ja? Und was ist mit meinen Sneakern?«

»Die waren in der Abstellkammer«, erklärt Jacob.

»Spasti«, knurrt Theo vor sich hin, und ich sehe ein Funkeln in Jacobs Augen.

»Ich bin kein Spasti«, faucht er und stürzt sich auf seinen Bruder.

Ich halte ihn fest. »Jacob«, ermahne ich ihn, »du darfst dir nichts von Theo nehmen, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu bitten. Und Theo, ich will dieses Wort nie wieder hören, sonst schnappe ich mir deine Sneakers und werfe sie in den Müll. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

»Ich bin weg«, schnaubt Theo und stapft zur Abstellkammer. Einen Augenblick später höre ich die Tür knallen.

Ich folge Jacob in die Küche und schaue zu, wie er sich in eine Ecke zurückzieht. »Was wir hier haben«, murmelt er übertrieben gedehnt, »ist … ein schwerwiegendes Kommunikationsproblem.« Er hockt sich hin und schlingt die Arme um die Knie.

Wenn er nicht weiß, wie er seine Gefühle in Worte fassen soll, leiht Jacob sich die eines anderen. In diesem Fall stammen sie aus Der Unbeugsame. Wenn Jacob einen Film einmal gesehen hat, erinnert er sich an jede Zeile daraus.

Ich habe viele Eltern von Kindern am unteren Ende der Autismusskala kennengelernt, von Kindern, die das genaue Gegenteil von Jacob mit seinem Asperger-Syndrom sind. Und diese Eltern haben mir immer gesagt, was für ein Glück ich mit meinem gesprächigen Sohn hätte, mit einem Sohn, der schier unglaublich intelligent ist und eine defekte Mikrowelle in nur einer Stunde wieder hinkriegt. Sie glauben, es gebe keine schlimmere Hölle, als einen Sohn zu haben, der ganz in seiner eigenen Welt gefangen ist und nichts, wirklich rein gar nichts von der größeren um sich herum weiß. Aber haben Sie mal einen Sohn, der in seiner eigenen Welt feststeckt und trotzdem Kontakt mit der Welt draußen aufnehmen will – mit einem Sohn, der wie alle anderen sein will, aber nicht weiß, wie das geht.

Ich strecke die Hand aus, um ihn zu trösten, halte mich dann jedoch zurück. Selbst bei der kleinsten Berührung kann Jacob explodieren. Er mag weder Händeschütteln noch Schulterklopfen oder Haareraufen.

»Jacob …«, beginne ich, aber dann erkenne ich, dass er überhaupt nicht schmollt. Er hebt den Telefonhörer hoch, über dem er kauert, damit ich den schwarzen Fleck auf der Seite sehen kann. »Du hast auch einen Fingerabdruck übersehen«, verkündet Jacob fröhlich. »Ich will dich ja nicht beleidigen, aber als Kriminaltechnikerin bist du einfach mies.« Er reißt ein Blatt von der Küchenrolle ab und macht es in der Spüle feucht. »Keine Sorge. Ich werde das Blut wegwischen.«

»Du hast mir gar nicht gesagt, was für ein Motiv Theo gehabt hat, dich zu ermorden.«

»Oh.« Jacob schaut über die Schulter, und ein böses Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. »Ich hatte seine Sneaker gestohlen.«

Für mich beschreibt der Begriff »Asperger-Syndrom« nicht die Eigenschaften, die Jacob besitzt, sondern die, die er verloren hat. Er war ungefähr zwei Jahre alt, als er zu sprechen begann, keinen Augenkontakt mehr herstellte und andere Menschen mied. Entweder konnte er uns nicht hören, oder er wollte nicht. Eines Tages habe ich ihn beobachtet, wie er neben seinem Spielzeugtruck auf dem Boden saß. Er drehte die Räder, sein Gesicht war nur wenige Zoll von meinem entfernt, und ich dachte: Wo bist du hingegangen?

Ich suchte nach Entschuldigungen für sein Verhalten. Er kauerte sich im Supermarkt natürlich nur deswegen immer im Einkaufswagen zusammen, weil es im Geschäft zu kalt war. Die Wäscheschildchen, die ich immer aus seinen Kleidern herausschneiden musste, waren natürlich nur besonders kratzig. Als er keinen Kontakt zu anderen Kindern im Kindergarten zu bekommen schien, habe ich eine kompromisslose Geburtstagsparty für ihn organisiert, mit Wasserbombenschlacht und Topfschlagen. Dann habe ich plötzlich bemerkt, dass Jacob verschwunden war. Ich war im sechsten Monat schwanger und hysterisch vor Angst. Die anderen Eltern suchten im Hof, auf der Straße und im Haus. Schließlich war ich diejenige, die ihn fand. Er saß im Keller und steckte immer wieder ein und dieselbe Kassette in den Videorekorder und holte sie heraus.

Als seine Krankheit schließlich diagnostiziert wurde, bin ich in Tränen ausgebrochen. Sie dürfen dabei nicht vergessen, dass das 1995 war. Damals beschränkten sich meine Erfahrungen mit Autismus auf Dustin Hoffman in Rain Man. Dem Psychiater zufolge, den wir als Erstes aufgesucht haben, litt Jacob an einer merklichen Beeinträchtigung seines Sozialverhaltens allerdings ohne die Sprachdefizite, die andere Formen von Autismus kennzeichnen. Erst Jahre später haben wir zum ersten Mal den Begriff »Asperger-Syndrom« gehört – vorher war das auch bei der Diagnostik noch viel zu unbekannt gewesen. Zu dem Zeitpunkt war Henry, mein Ex, schon längst ausgezogen und hatte mich mit Jacob und Theo allein zurückgelassen. Henry war Programmierer. Er arbeitete daheim und konnte es einfach nicht ertragen, wenn Jacob wieder einmal einen seiner Tobsuchtsanfälle bekam und das aus den nichtigsten Gründen. Mal war das Licht im Badezimmer zu grell, dann störte ihn das Geräusch eines UPS-Wagens in der Einfahrt oder die Zusammensetzung des Müslis zum Frühstück. Zu dieser Zeit war ich fast ausschließlich mit den Therapeuten beschäftigt, die ständig bei uns ein und aus gingen und versuchten, Jacob aus seiner eigenen kleinen Welt zu zerren. »Ich will mein Haus wieder zurück«, sagte Henry eines Tages. »Ich will dich wieder zurück.«

Doch dank der Verhaltens- und Sprachtherapie hatte Jacob wieder begonnen, mit anderen Kontakt aufzunehmen. Ich sah die Verbesserung, und so blieb...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2024
Übersetzer Rainer Schumacher
Sprache deutsch
Original-Titel House Rules
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte anders • Asperger • beheartbeat • Beziehung • Charity Norman • Drama • Emotional • Familie • Familiendrama • Familienleben • Familienroman • Freundschaft • Gefühle • Gegenwartsliteratur • Krankheit • Liebe • Liebesgeschichte • Liebesroman • Mord • Nähe • Roman für Frauen • Romantik • Schicksal • Trennung • Unterhaltung • Zwischenmenschliche Beziehung
ISBN-10 3-7517-6812-2 / 3751768122
ISBN-13 978-3-7517-6812-2 / 9783751768122
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