Ubuntu (eBook)
341 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-4906-9 (ISBN)
Hannah Hülsmann (1995) studierte International Sports Management, bevor sie ihre Leidenschaft im Schreiben und Fotografieren fand. Seit einigen Jahren ist sie als freie Autorin, Reisebloggerin, Fotografin und Speakerin tätig. Ihre zwei veröffentlichten Bücher heißen 'Pachamama - Reise ins Unbekannte' und 'Ubuntu - Durch Afrika zurück zum Wir'. Auf ihrem Reiseblog Generation World und dem gleichnamigen Podcast berichtet Hannah Hülsmann gemeinsam mit ihrem Partner Henrik Röttgers über ihre weltweiten Abenteuer. Ohne Enddatum reisen sie derzeit mit ihren Rucksäcken um die Welt - stets auf der Suche nach Geschichten aus fremden Ländern und Kulturen.
Hannah Hülsmann studierte International Sports Management, bevor sie ihre Leidenschaft im Schreiben und Fotografieren fand. Seit einigen Jahren ist sie als freie Autorin, Reisebloggerin, Fotografin und Speakerin tätig. In ihrem ersten Buch Pachamama – Reise ins Unbekannte (2021) erzählt sie ihre persönliche Geschichte als Freiwilligenhelferin in Peru. Auf ihrem Reiseblog Generation World und dem gleichnamigen Podcast berichtet Hannah Hülsmann gemeinsam mit ihrem Partner Henrik Röttgers über ihre weltweiten Abenteuer. Ohne Enddatum reisen sie derzeit mit ihren Rucksäcken um die Welt – stets auf der Suche nach Geschichten aus fremden Ländern und Kulturen.Henrik Röttgers (1992) arbeitete nach seinem Master an der Deutschen Sporthochschule Köln zunächst als Sportwissenschaftler, ehe sein Drang nach Reisen und Abenteuer ihm ein gänzlich anderes Leben bescherte. Heute ist er freier Autor, Reiseblogger, Content Creator, Speaker. Auf dem Reiseblog Generation World und dem gleichnamigen Podcast berichtet Henrik Röttgers gemeinsam mit seiner Partnerin Hannah Hülsmann über seine weltweiten Abenteuer. Ohne Enddatum reisen sie derzeit mit ihren Rucksäcken um die Welt – stets auf der Suche nach Geschichten aus fremden Ländern und Kulturen.
5 | Kontrollverlust
Hannah | Sie nannten mich mutig und ich wollte es nicht glauben. Die Arzthelferin, die mir die letzten Impfungen in die Muskeln gejagt hatte. Die Sachbearbeiterin auf dem Amt, die erst gedacht hatte, meine Ummeldung auf meine Heimatadresse hätte mit einer Scheidung zu tun gehabt. Meine Freundinnen, die allesamt bereits Kinder hatten. Für mich hatte sich die Entscheidung, unsere Wohnung an dem Ort, den ich nie Heimat nennen konnte, zu kündigen, alle Möbel zu verkaufen, meinen Teilzeitjob an den Nagel zu hängen, nie mutig angefühlt. Sondern logisch.
»Ist das nicht gefährlich?«, hatten sie gefragt.
»Ist das nicht gefährlich, seine Wünsche immer weiter bis zum Ende des Lebens aufzuschieben, ohne zu wissen, wann dieses Ende ist?«, hatte ich geantwortet, obwohl ich natürlich immer wusste, auf was mein Gegenüber hinauswollte.
Ich war mit neunzehn Jahren allein in Peru und Rio de Janeiro gewesen, hatte in Guatemala einen aktiven Vulkan bestiegen und war mit dem Auto durch palästinensische Gebiete in Israel gefahren.
Das Schlimmste was mir passiert war: Ein Diebstahl meines Portemonnaies und Handys. Und zwar in Köln. Meinem damaligen Wohnort.
All diese Gedanken schossen mir in diesen Millisekunden durch meinen Kopf, als ich dem faltigen alten Mann tief in die Augen blickte und seine Handgelenke fest in meinen Händen hielt.
Wenige Sekunden vorher hatte ich ein Ziehen an meinem Rucksack gespürt, als wäre mein Gepäck plötzlich schwerer geworden. Henrik war ein paar Schritte vor mir gegangen, als wir diese große Kreuzung in einem geschäftigen Viertel in Kapstadt überquert hatten. Mein Gehirn war umgehend in Alarmbereitschaft gesprungen. Shit – meine Kamera ist in dem Rucksack!
Instinktiv hatte ich mich ruckartig umgedreht und war nun in einer misslichen Situation gefangen. Mit aufgerissenen Augen starrte mir der Mann in die Augen. Schuldig, aber gefühllos. Ich blickte erst in die eine, dann in die andere Hand. Er schien nichts gegriffen zu haben. Um uns herum hektisches, alltägliches Treiben. Auch Henrik war mittlerweile darauf aufmerksam geworden. Langsam meldete sich mein Verstand zurück und fragte sich, wie wir uns am besten aus dieser Situation befreien könnten. Ich hatte die Kontrolle. Aber was, wenn ich die Kontrolle losließ? Wie würde er reagieren? Was wäre, wenn er ein Messer in der Tasche hätte? Oder eine Pistole? Ich sah Willen und Enttäuschung zugleich in seinem Blick. Zuversichtlich genug, aber unwissend, ob er handgreiflich werden würde, ließ ich meinen Griff los. Schneller als ich gucken konnte, verschwand der Dieb in der Menschenmasse auf der Straße. Ich versuchte, ihn mit meinen Augen zu verfolgen, verlor aber schnell seine Spur. Eine südafrikanische Frau kam plötzlich mit besorgtem Blick auf uns zugeeilt.
»Alles okay? Hat er was erwischt?«
Ich öffnete den halbgeöffneten Reißverschluss meines Rucksacks, tastete mit meiner Hand und ging eine imaginäre Checkliste durch.
»Alles gut. Alles da«, antwortete ich stakkatoartig, aber erleichtert.
»Seid vorsichtig! Alles Gute euch!«, flüsterte mir die Frau zu, streichelte mir die Schulter und verschwand mindestens genauso schnell im Treiben Kapstadts wie der Dieb.
Die Situation kam wie ein Schlag, der meine selbstüberzeugte, heldenhafte Unversehrbarkeit auf Reisen in ihren Grundzügen zu erschüttern drohte. Mit ein paar Minuten Abstand und der immer noch anhaltenden Gewissheit, dass nichts passiert war, verschaffte sich meine abenteuerlustige innere Stimme aber wieder Gehör: Ha, schließlich sind wir in Afrika! Afrika, Baby! So, als ob sich mein Gehirn zwischen all den topmodernen, hübschen Ecken Kapstadts genau nach diesen dreckigen, klischeehaften Momenten gesehnt hätte. Und es sollte nicht der letzte bleiben …
Es war der lebhafte Kontrast zwischen Schmutzig und Elegant, zwischen Arm und Reich, zwischen den Bergen, die die Stadt umarmen und dem Meer, das die Stadt erfrischt. Vom peitschenden Wind, der uns auf der wolkenumschlungenen Spitze des Tafelbergs beinahe umwehte, an die Küste nach Camps Bay, an der wir Surfer beim Wellenreiten beobachteten. Vom magischen Sonnenuntergang am Signal Hill zu watschelnden Brillenpinguinen am Boulders Beach. Als wir am puderweißen Sandstrand von Blouberg auf die unverkennbare Bergkulisse, vor der das südafrikanische Leben pulsierte, blickten, wusste ich, dass ich in keiner anderen Großstadt dieses Abenteuer hätte starten wollen.
Raaaaatsch! Henriks lautes »Achtung!« kam zu spät. Und schon begann ein nervtötendes Hupkonzert. Ich bekam kein Wort heraus, als ich sah, dass ich soeben den linken Seitenspiegel unseres ersten Mietwagens in Südafrika – einem klapprigen Toyota, dessen Gaspedal sich so lose anfühlte wie so mancher Deckenventilator – an einem am Straßenrand parkenden Bus zerstört hatte. Kaum fünf Minuten nach der Abholung.
»Ja, komm. Ich fahr erstmal«, hatte ich zu Henrik gesagt, als wir auf dem Weg zur Autovermietung gewesen waren, um unseren Roadtrip entlang der Garden Route zu starten, »ich bin wenigstens schon einmal im Linksverkehr gefahren.«
Wie konnte ich mich, die sich und ihre Fähigkeiten sonst chronisch unterschätzt, so täuschen? Ich fühlte mich gelähmt. Scheiße.
Dass zwischenzeitlich zwei Locals von ihrem anliegenden Werkzeuggeschäft angelaufen kamen, um die zerborstenen Teile des Spiegels aufzusammeln, und Henrik bereits ausgestiegen war, hatte ich nicht mitbekommen. Ich starrte nur teilnahmslos auf die Windschutzscheibe und beobachtete den vorbeiziehenden Verkehr gleichgültig. Dieses kleine, dumme Blondchen denkt, dass sie Autofahren kann? Ich hörte Stimmen, die zwar nicht laut waren, aber leise in mir selbst schlummerten, weil ich die Blicke um mich herum so deutete. Ich schämte mich. Abgrundtief. Noch nie in meinem Leben hatte ich auch nur eine Schramme in ein Auto gefahren. Gottverdammt, nie!
Im Rückspiegel sah ich, wie der Fahrer des stehenden Busses ausstieg und auf meine Fahrerseite zulief. Nein, nein, nein! Am liebsten hätte ich mir eine riesengroße Decke übergeworfen und wie ein Kind so getan, als könne man mich nicht sehen. Schneller als ich mir einen Fluchtweg oder wenigstens eine Kommunikationsstrategie überlegen konnte, klopfte es auch schon an die Scheibe.
»Geht’s euch gut?«, erkundigte sich der füllige Busfahrer.
»Uns ja, dem Spiegel weniger«, warf ich unüberlegt schlagfertig zurück. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, warum er auf einer derart belebten Hauptstraße seinen breiten Bus so bescheuert geparkt hatte.
»Dem Bus ist nichts passiert«, informierte er mich, ohne dass ich an diese relevante Frage gedacht hätte, »der ist sowieso alt und keine Schönheit mehr. Von meiner Seite aus müssen wir also nicht die Polizei rufen.«
Polizei?!
»Oh, ähm … das ist gut zu wissen! Danke vielmals!«, stammelte ich.
»Und…sorry…«, murmelte ich, als der Mann bereits auf dem Absatz kehrtgemacht hatte.
Henrik kaufte den zwei Männern im Werkzeuggeschäft Tape ab, die damit den Spiegel behelfsmäßig fixten. Daraufhin öffnete er wieder die Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz fallen. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Er würde sich wieder einmal bestätigt fühlen, dass er klüger, fähiger, besser ist als ich. Er würde mir die Verantwortung zuschreiben. Meinen Fehler aussprechen und mich noch tiefer in den Matsch drücken. Ich hatte die Verantwortung – immer. Ich hörte schon den Satz: »So, du setzt dich jetzt hier hin und lässt mich ans Steuer«, bevor er überhaupt ausgesprochen war. Aus Selbstschutz kam ich Henrik zuvor.
»Tut mir leid … fahr du.«
»Nein.«
Verwirrt fand ich nach einigen Minuten der aktiven Vermeidung wieder Augenkontakt, brachte aber immer noch kein Wort heraus.
»Das passiert! Und jetzt war es das erste Mal. Hätte mir genauso passieren können. War auch ein Warnsignal für mich als Beifahrer, die linke Seite besser im Blick zu haben.«
Okay, das kam überraschend.
Ob wir es wollten, oder nicht – wir mussten wohl oder übel zurück zur Autovermietung und den Schaden melden. Dass wir eine Versicherung abgeschlossen hatten, schenkte mir einen kleinen Funken Hoffnung. Obwohl ich nun in Schneckentempo hochkonzentriert durch die Vorstadt Kapstadts gurkte und jedes parkende wie fahrende Auto genau analysierte, sortierte mein Kopf meine falsche Erwartung an Henrik.
Hat er mir gerade wirklich keine Vorwürfe gemacht? Mir nicht die Schuld für diesen Kackmist gegeben? Und stattdessen ohne Bitte die Initiative ergriffen, die Situation zu lösen?
Wie untypisch. Alles davon. Noch bevor ich die ungewöhnliche Situation zu Ende denken konnte, stand ich auf dem Parkplatz. Und hatte gar keine Lust darauf, jetzt meiner Pflicht nachzugehen. Hannah, du musst jetzt den Arsch in der Hose haben und selbstbewusst sein. Es war unmissverständlich dein Verschulden!
Mit gesenktem Kopf trat ich vor den Mitarbeiter: »Ich habe den Spiegel beschädigt.«
Für fünf Sekunden sagte er nichts, musterte mich und nickte dann ernüchternd. Als hätte er es bereits geahnt, als er mich und nicht Henrik ins Auto einsteigen sah. Komm schon, sei kein Arsch.
»Ich seh’s. Ihr habt das Auto erst vor zehn Minuten bekommen.« Danke.
»Aber ihr habt Glück. Ich habe noch einen anderen Kleinwagen da. Einen Renault Kwid.«
»Okay. Und, ehm … müssen wir was zahlen?«
»Nope, trägt eure Versicherung.«
Ich blickte mit breitem Grinsen und aufeinandergepressten Zähnen zu Henrik, der mir mit seiner Hüfte einen Stups in die Seite gab und mein Grinsen erwiderte. In diesem Moment war mir wieder...
Erscheint lt. Verlag | 30.7.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abenteuer • Afrika • Backpacking • Beziehung • Reiseliteratur • Reisen • Weltreise |
ISBN-10 | 3-7598-4906-7 / 3759849067 |
ISBN-13 | 978-3-7598-4906-9 / 9783759849069 |
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