Die Schwarzgeherin (eBook)
416 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44724-6 (ISBN)
Regina Denk wurde 1981 an der bayerisch-österreichischen Grenze geboren. Die Liebe zu ihrer Heimat wurde ihr, zusammen mit der Leidenschaft für Geschichten, in die Wiege gelegt. Das Schreiben und die Berge begleiten sie schon ihr Leben lang. Vom Literaturstudium in München, bis ans andere Ende der Welt und wieder zurück in die Heimat, wo sie heute lebt - ein Bein in Bayern, das andere in Österreich. Unter dem Pseudonym Fanny König hat sie sich bisher dem bayerischen Krimi-Humor verschrieben. Nun wagt sie mit 'Die Schwarzgeherin' einen dramatischen, düsteren Ton, bei dem man bis zur letzten Seite den Atem anhält.
Regina Denk wurde 1981 an der bayerisch-österreichischen Grenze geboren. Die Liebe zu ihrer Heimat wurde ihr, zusammen mit der Leidenschaft für Geschichten, in die Wiege gelegt. Das Schreiben und die Berge begleiten sie schon ihr Leben lang. Vom Literaturstudium in München, bis ans andere Ende der Welt und wieder zurück in die Heimat, wo sie heute lebt - ein Bein in Bayern, das andere in Österreich. Unter dem Pseudonym Fanny König hat sie sich bisher dem bayerischen Krimi-Humor verschrieben. Nun wagt sie mit "Die Schwarzgeherin" einen dramatischen, düsteren Ton, bei dem man bis zur letzten Seite den Atem anhält.
2
Das Mädchen hielt den Atem an. Wie eingefroren verharrte es in der Bewegung und lauschte. Ungewöhnlich hartnäckig für sein Alter hielt es gegen die kindliche Neugierde und die Ungeduld an, die wie Blitz und Donner durch den mageren Körper schossen. Hinter sich konnte es eine ähnliche Ungeduld, viel weniger beherrscht, im hektischen Atem ihres Freundes spüren. Im Kopf sagte es dabei das Herrgottsgebet auf, bewegte nur die Lippen, ohne dass ihr dabei auch nur der leiseste Ton entwischt wäre. Eine List, die sie vom Bruder gelernt hatte, um in der Kirche still und artig zu sein. Schritt für Schritt schlichen die Kinder über den Heuboden, das Mädchen flüsterte gerade ›dein Reich komme‹, als sie es endlich hören konnte.
Ein hohes Fiepen, nur eine Armlänge von ihr entfernt, unter dem dichten Stroh. Ein ungeübtes Ohr hätte vielleicht meinen können, es wären Mäuse, die zwischen den stechenden Halmen ihr Frühstück suchten, das Mädchen aber wusste es besser. Und auch ihr Freund erkannte sofort den Schatz, den sie gesucht und gefunden hatten. Aufgeregt packte er die Freundin am Arm, aber sie drückte ihn energisch von sich und legte den Finger auf die Lippen.
Vorsichtig ließ sie sich auf die Knie nieder und schob ihre Hände tastend unter die stachelige Decke aus Halmen. Tagelang war sie nun schon hinter der sonst so flinken und fleißigen Hofkatze her. Hatte den dicker werdenden Bauch beobachtet, wie es der Vater und der Großvater bei den Kühen taten, wann immer die Zeit zum Kalben näher rückte.
»Mina«, flüsterte sie, und ihre blauen Kinderaugen huschten im dunklen Dachstuhl des Stalles auf der Suche nach ihrer pelzigen Freundin hin und her. Sie war die Einzige hier am Hof, die einen Namen für das Tier gebrauchte.
»Mina, wo bist denn? Wo hast sie denn versteckt, deine Kinder?«
Von der Katze war keine Spur zu sehen, vermutlich lag sie irgendwo auf der Lauer, auf der Hatz nach Mäusen, auf der Jagd nach etwas, das ihren eigenen Körper nähren würde, damit sie ihren Wurf ernähren konnte. Denn so viel wusste das Mädchen trotz seiner Jugend schon übers Kinderkriegen: dass es furchtbar viel Kraft kostete.
Plötzlich spürte sie unter ihren Fingern weiches, warmes Fell, und das Kinderherz klopfte ihr vor Freude. Ein seltenes Gefühl, für das auf dem Lachermeyer Hof kaum Platz war. Der Wohlstand ihrer Familie hatte seinen Preis: schwere Arbeit und kein Müßiggang. Und seit dem Tod des kleinen Bruders im November war es noch finsterer geworden in den Gesichtern und Zimmern. Ein Schatten hatte sich über die Mutter, den Vater und die Großeltern gelegt. Man konnte ihn nicht sehen, aber deutlich spüren. Der vierte Kindstod in fünf Jahren, nicht einmal der Pfarrer fand dafür noch tröstende Worte.
Die kleinen Katzen aber lebten. Das Mädchen schaufelte das Heu um die warme Mulde herum zur Seite. Drei Stück, ein jedes davon gerade so groß wie ihre Hand, die Augen noch nicht ganz geöffnet. Eines von ihnen war dreifarbig, Glück sollte das bringen, so sagte man wenigstens, und darum drückte sie es sogleich ihrem Freund in die Hände, der es vorsichtig mit den Fingern liebkoste und gegen sein Hemd kuschelte. Nur Weibchen konnten diese Färbung tragen, nur die Weibchen konnten das Glück bringen. Gefleckt war es, wie die Mutter, und doch ganz anders.
Eine gestreifte war auch dabei, der rötliche Schimmer im Fell schon jetzt unheilvoller Vorbote. Alt wirst du nicht werden, dachte das Mädchen voller Mitleid. »Du musst vorm Jäger aufpassen«, erklärte sie dem sich windenden Wurm und strich mit einem Finger über seinen Rücken.
»Der denkt, du bist ein Fuchs. Aber ich geb schon auf dich acht. Bleibst einfach bei mir im Haus und gehst nicht in den Wald. Ich geb dir eine Milch, wann dich der Hunger packt.«
Als Antwort war nur ein spitzes Quieken zu hören, der Hunger im Moment die einzige Sorge des Tieres. Das dritte Katzenkind war schneeweiß. Staunend hob das Mädchen es aus der warmen Kuhle. Sie drehte es von links nach rechts und betrachtete es von allen Seiten. Kein Fleck, nirgends. Kaum spürbar kratzten die winzigen Krallen über ihre Haut, der kleine rote Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei nach der Mutter, nach der Milch. Das Mädchen drückte dem hungrigen Wesen einen weichen Kuss auf den Kopf, sog den Geruch von Fell, Stroh und Katze tief in die Nase. »Ich pass auf euch alle auf. Ihr gehörts jetzt zu mir.«
»Zu uns«, meldete sich der Junge, der etwa in ihrem Alter war, mit besitzergreifender Stimme zu Wort, wie es kleinen Kinder eigen ist, wenn sie ein neues Spielzeug in Händen halten und die Angst vorm Teilen über allem schwebt.
Im selben Moment hörten die Kinder das tiefe Knarzen der alten Holzleiter, die zum Heuboden, zu ihrem Versteck, hinaufführte. Schwerer Atem und schwere Stiefel, die nur dem Lachermeyer Großvater gehören konnten. Schuldbewusst zuckte das Mädchen zusammen, sie war geschickt worden, Eier zu finden und der Mutter in die Küche zu bringen, hatte aber zusammen mit dem Jungen vorher noch Minas Geheimnis entdecken wollen. Dass der Großvater nach ihr Ausschau hielt, konnte nur bedeuten, dass sie viel zu lange auf sich hatten warten lassen.
»Seid’s ihr hier oben, Madl?« Seine Stimme dröhnte tief und laut und ließ überhaupt nie einen Widerspruch zu. Nicht einmal vom Vater des Mädchens, seinem Sohn, obwohl der auf dem Papier schon seit Jahren der Lachermeyer Bauer war.
»Hier bin ich, Großvater«, gab sie umgehend Antwort und hoffte, die Entdeckung der neuen Mäusefänger würde ihr die Watschn für die vergessenen Eier ersparen.
Der Großvater war alt, aber immer noch stark wie zwei Männer. Neben dem Vater war er der größte Mann in ganz Grimseck und auf dem Aufsäß oben auch. Den Schultheiß überragte er um beinahe eine Handspann. Hier oben am Heuboden musste er geduckt stehen und gehen, um nicht gegen das Stalldach oder das Gebälk zu stoßen. In der dicken Strickjacke, die er auch im Sommer trug, weil er kaum noch Kälte vertrug, den grauen Bart im Gesicht, sah er aus wie ein alter Bär, der sich bedrohlich brummend näherte. Hart blitzten ihm die Augen aus dem faltigen, sonnengegerbten Gesicht.
Eine unerklärliche Angst packte da plötzlich das Mädchen, und sie wollte ihm ihren Fund gar nicht mehr zeigen. Dieselbe Furcht stand auch dem Freund ins Gesicht geschrieben, der sie mit großen Augen ansah. Schützend schob sie sich zwischen die Katzenkinder und den alten Bauern.
»Was hast denn da?«, fragte er streng.
Nix, wollte sie am liebsten schwindeln, aber dem Großvater konnte man nichts vormachen, und wenn er einen beim Lügen erwischte, dann vergaß man das so schnell nicht wieder, dafür sorgte sein harter Ledergürtel.
Bevor das Mädchen antworten konnte, maunzten die versteckten Katzen kläglich. Ihr Hunger war mittlerweile größer als die angeborene Angst, entdeckt zu werden. Die buschigen Brauen vom Großvater schoben sich in der Stirnmitte zusammen.
»Ah, hat sie endlich ihre Jungen griagt. Zeit is eh wordn.«
Er machte einen langen Schritt über den Strohballen hinweg, zwischen den beiden Kindern hindurch und ging neben seiner Enkelin in die Knie. Dabei gab er ein Geräusch von sich, das die Kinder nur von den alten Leuten kannten, ein Schnaufen und Seufzen, wie wenn man bei jedem Hinsetzen nicht mehr sicher sagen könnte, ob man noch einmal aufstehen würde.
»Du hast des eh gewusst?«, fragte das Mädchen, überrascht, dass der alte Mann für so etwas überhaupt ein Auge hatte.
Er nickte, sein Gesicht verzog sich für einen Moment zu einem seltsamen Lächeln.
»Ich hab’s sogar erwischt dabei, hinten bei den Hühnern, mit dem Kater vom Lindner, dem Rattenteufel, dem alten. Kennst den?«
Das Mädchen nickte.
»Den haben die von uns bekommen«, warf der Junge ein. Stolz, dass er mit seinem Wissen vor dem alten Mann gelten konnte. »Oben am Aufsäß ham wir auch einen aus genau dem Wurf. Rot, allesamt, mit den weißen Socken an.«
Der Großvater antwortete darauf nicht. Stattdessen griff er nach der weißen Katze und betrachtete sie ebenso akribisch wie seine Enkelin zuvor. Er drehte und wendete sie, als gälte es irgendwo an dem kleinen Körper einen Makel zu finden, der nicht zu sehen war. In seiner riesigen Pranke sah das kleine Tier winzig und hilflos aus.
Das Mädchen fröstelte und schlang die Arme schützend um den mageren Körper. Der Frühling hatte es nicht gut mit ihnen gemeint in diesem Jahr, das sagten die Bauern in der Kirch und beim Wirt, ungewöhnlich dunkel und nebelverhangen quälten sich die Tage ins Land und wollten nicht wärmer werden. Aber der Schauer, der durch ihren Körper fuhr, hatte nichts mit dem Wetter zu tun. Es war eine andere Art von Bedrohung, die plötzlich in der Luft lag.
Am liebsten hätte sie das Kätzchen schnell wieder aus der Pranke des Großvaters befreit. Sie wollte das starke kleine Herz wieder in der eigenen Hand spüren, aber sie wagte es nicht, den alten Mann zu berühren.
Unvermittelt, als könnte er ihre Gedanken hören, begann der Großvater jetzt zu sprechen und klang dabei aber ganz fremd, wie der Pfarrer in der Kirche, wenn er von der Kanzel oben zu den Leuten in den Bänken betet und das Mädchen kaum etwas von dem verstand, was er in viele komplizierte Worte hineinpackte. »Die Sünde, Kind, die sieht man meist nicht von außen.« Der alte Bauer hob den Kopf, und sein Blick war so kalt, dass er das Mädchen schaudern ließ. Tränen stiegen ihr in die Augen, und das Atmen fiel ihr mit einem Mal schwer, ohne dass sie genau wissen konnte, warum. Sie warf dem Freund einen besorgten Blick zu, der aber schüttelte nur stumm den Kopf. Als wollte er...
Erscheint lt. Verlag | 2.9.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Adler • Alpen • Alpen Romane • authentisch erzählt • Bauernfamilie • Besonderer Schreibstil • Bruch mit den Konventionen • Bücher über starke Frauen • Das finstere Tal • Dorfgemeinschaft • Drama Bücher • Ein ganzes Leben • Einsamkeit vs Gemeinschaft • entbehrungsreiches Leben • Femme forte • fesselnde historische Romane • Freiheitsdrang • Geheimnisvoller Fremder • Gemeinschaft • Gute Romane • Härte des Lebens • hartes Leben • Heilerin in den Alpen • Hexe • Historische Bücher • Historische Romane • historische romane tipps • historischer roman tirol • Historisches Tirol • Hochgebirge • Isolation • Kampf um Freiheit • Kargheit • Kräuterkunde • lebensnah • Liebesgeschichte • literatur bücher • Mutter-Tochter-Beziehung • Mysteriöse Ereignisse • mysteriöser Fremder • Natur Romane • Natur vs Gesellschaft • Patriarchat • populäre Literatur • Reiseroute nach Italien • Robert Seethaler • romane über berge • Roman starke Frauen • Schwarzgehen • stolz und frei sein • Thomas Willmann • Tirol • Tiroler Berge • Überlebenskampf • Unabhängigkeit • verhinderte Liebe • Wiedererkennungswert • Wilderei • Wilderin • Wildern • wilde Romantik der Hochalpen |
ISBN-10 | 3-426-44724-X / 342644724X |
ISBN-13 | 978-3-426-44724-6 / 9783426447246 |
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