Amos Oz (eBook)
222 Seiten
Jüdischer Verlag
978-3-633-78089-1 (ISBN)
Amos Oz (1939-2018) gilt als einer der prägenden und prominentesten Autoren Israels. Sein Name und sein Werk wurden zum Inbegriff moderner hebräischer Literatur in aller Welt.
Geboren als Amos Klausner, wuchs Amos Oz in Jerusalem auf. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war einer der Gründer der Friedensbewegung Schalom Achschaw (Peace now). In Deutschland war er ein vielgefragter Gast. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014 ausgezeichnet. Sein bekanntestes Buch Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.
Einfühlsam schildert Robert Alter, Literaturwissenschaftler und ein profunder Kenner des Werks von Amos Oz, den Lebensweg seines langjährigen Freundes, dessen Verhältnis zu seiner Familie, das Leben im Kibbuz und Oz' Entwicklung als Autor und Friedensaktivist im Kampf für ein pluralistisches Israel. In dieser ersten Biografie entsteht ein empathisches Lebensbild des großen Autors.Robert Alter, geboren 1935 in New York, ist Literaturwissenschaftler und Professor emeritus der University of California in Berkeley. 2018 erschien seine große Bibelübersetzung: <em>The Hebrew Bible. A Translation with Commentary.</em>
Kapitel 2
Kibbuz, Liebe, Armee
Als er dreizehn beziehungsweise vierzehn Jahre alt war, besuchte Amos die gymnasia – im Hebräischen feminin Singular, eine »Sekundarschule« und das Äquivalent zum europäischen Gymnasium – in Rechavia, eine der renommiertesten weiterführenden Schulen in Jerusalem im wohlhabenden Stadtteil Rechavia im Westen der Stadt, in dem viele Professoren der Hebräischen Universität lebten. Doch emotional war er durch den Selbstmord seiner Mutter zutiefst erschüttert und konnte sich, untypisch für ihn, kaum auf den Unterricht konzentrieren. Diese Zeit war für den heranwachsenden Amos eine Phase des Übergangs. Das Leben in der kleinen Wohnung mit seinem Vater blieb trist und trostlos. In dieser Zeit bildete sich, in Abgrenzung zur politischen Umgebung, in der er aufgewachsen war, sein Bekenntnis zur sozialistischen Variante des Zionismus heraus, und er sollte dem sozialistischen Ideal bis zum Ende seines Lebens treu bleiben. Aus dem brennenden Wunsch heraus, seinem kerkerähnlichen Zuhause und auch dem Stadtteil Kerem Avraham zu entkommen, verkündete er seinem Vater, er beabsichtige, in einen Kibbuz zu ziehen. Das kann Arie Klausner kaum gefallen haben, schließlich standen er und viele seiner Verwandten loyal zur Cherut-Partei und zu Jabotinskys Vision des Zionismus – somit stand der Sozialismus unter einem Bannstrahl. Doch als er erkannte, wie entschlossen sein Sohn war, willigte er zähneknirschend ein. Bald nach dem Tod seiner Frau hatte er wieder geheiratet, vermutlich die Frau, die er in Jerusalemer Cafés getroffen hatte, während Fania wie paralysiert in ihrem Stuhl saß und ausdruckslos vor sich hin starrte. Der kleine Amos hatte, zu seinem großen Entsetzen, die Liaison entdeckt, als er mit einem Freund durch die Innenstadt von Jerusalem streifte. Mit seiner Stiefmutter wollte er nicht viel zu tun haben, und er hatte keinerlei Ambitionen, mit seinem verschlossenen Vater und dessen neuer Frau zusammenzuleben. Ohne Zweifel war sein Vater erleichtert, sich nicht länger mit seinem grollenden Sohn auseinandersetzen zu müssen. Vater und Sohn waren einander zur Last geworden.
Der erste Schritt des Auszugs war ein zeitlich begrenzter Aufenthalt im Sommer 1953 in einem Kibbuz im Norden des Landes, den sein Vater für Amos arrangiert hatte, weil einige Familienmitglieder in der Nähe wohnten. Für eine längerfristige Unterbringung wählte sein Vater den Kibbuz Hulda in der Küstenebene, weil es dort möglich war, das Baccalaureate zu erlangen, bagrut, die Voraussetzung für eine Hochschulausbildung. Ungeachtet der politischen und emotionalen Kluft zwischen Amos und seinem Vater: Arie Klausner wollte, dass sein Sohn studieren konnte. Das stand für ihn nicht zur Disposition.
Hulda liegt nur ungefähr 40 Kilometer entfernt von Jerusalem, aber für den vierzehneinhalbjährigen Amos war es eine Reise zu den Antipoden. Er, der als Einzelkind in einer kleinen Erdgeschosswohnung mit eigenem Schlafzimmer gewohnt hatte, musste sich nun an das Leben im Kollektiv gewöhnen, geschlafen wurde in einem großen Schlafsaal, gemeinsam mit einer Gruppe gleichaltriger Jungen, von denen viele, darunter auch seine Pritschennachbarn, nicht sonderlich freundlich zu ihm waren. Er ließ sein abgeschiedenes Dasein in Jerusalem, umgeben von Stapeln von Büchern, hinter sich und arbeitete nun draußen auf den Feldern, etwas, wonach er sich als angehender Arbeiterzionist gesehnt hatte, was er nun aber als körperlich und mental herausfordernd empfand. Amos erwähnte mehrfach, dass er davon geträumt hatte, ein sonnengebräunter, muskulöser und starker Zionist zu werden, doch, so fügte er ironisch hinzu, unter der – immerhin – erworbenen Sonnenbräune war er für alle erkennbar das bleiche, unsportliche, Bücher liebende Kind aus Kerem Avraham geblieben. Diese Selbsteinschätzung war korrekt: Auch wenn er gewissenhaft seine landwirtschaftliche Arbeit verrichtete, war er doch nicht athletisch, nicht körperlich stark, weiterhin in seine Bücher und ins Schreiben vertieft und wurde von den Gleichaltrigen im Kibbuz nicht als zugehörig akzeptiert.
In den Kibbuz einzutreten mit nicht einmal fünfzehn Jahren – anfangs noch nicht als Mitglied, sondern als »Externer« – war in gewisser Weise eine Wiederkehr der Erfahrung, die ein halbes Jahrhundert zuvor viele Jungen in diesem Alter gemacht hatten, die im Zuge der großen jüdischen Auswanderungswellen alleine von Osteuropa nach Amerika aufgebrochen waren. Amos jedoch war kein Teil einer größeren Auswanderungsbewegung: Er kam allein in eine fremde Welt, und es sollte einige Zeit dauern, bis er einen Weg aus dieser Einsamkeit herausfand. In einem späten aufgezeichneten Gespräch berichtete er, zu der großen Erschütterung, die seine Ankunft in Hulda für ihn bedeutet hatte, habe auch beigetragen, dass er aus der strengen asketischen Welt Jerusalems nun an einen Ort kam, an dem Mädchen kurze Hosen und enge T-Shirts trugen, was eine Aussicht auf Freizügigkeit und sexuelle Anziehungskraft bot, die ihm anfangs völlig unerreichbar erschien.
In dieser Übergangsphase beschloss Amos, seinen Nachnamen zu ändern. Die Implikationen dieses Schritts liegen auf der Hand, verdienen es aber trotzdem, erläutert zu werden. In den 1950er Jahren, dem ersten Jahrzehnt der Staatlichkeit, gab es eine allgemeine, von Ben-Gurion unterstützte Kampagne, Namen, die ihre Wurzeln in den Diaspora-Sprachen hatten, in hebräische Namen zu ändern. In manchen Fällen wählten die Menschen hebräische Namen, die so ähnlich klangen wie ihre Ursprungsnamen, doch die häufigste Praxis war die Übersetzung ins Hebräische. So wurde etwa aus »Stein« Even (Hebräisch für Stein), aus »Eisen« oder »Eisenberg« Barzel (Hebräisch für Eisen) oder Barzilai. Amos Klausner ging anders vor. Ein Klausner ist im Deutschen ein Einsiedler. Ich bin nicht sicher, ob sich Amos dieser Bedeutung bewusst war, aber sie wäre nicht unangemessen gewesen für sein zurückgezogenes Leben an der Seite seines Vaters in der Jerusalemer Wohnung. Nun lebte er in einem Kollektiv und blieb doch ein Einzelgänger. Oz ist das hebräische Wort für »Stärke« und wird in der Bibel auch mit militärischer Stärke assoziiert. Es ist das, was Amos anstrebte, neben der Sonnenbräune. Als kompakter Einsilber klingt das Wort darüber hinaus bereits stark und bildet auch eine Alliteration mit seinem Vornamen (im Hebräischen beginnen beide Namen mit dem Buchstaben ayin).
Natürlich war die Namensänderung ein klares Bekenntnis zur Loslösung von der gesamten Familie Klausner und ihrem Festhalten an einer rechtsorientierten Ideologie, aber vor allem stand sie für eine scharfe Trennung von seinem Vater, Arie Klausner. Und tatsächlich war sein Vater zutiefst verletzt. Mit der Ankunft in Hulda war ihre Trennung endgültig vollzogen. Bald darauf zog sein Vater mit seiner neuen Frau, mit der er zwei Kinder bekam, für acht Jahre nach England, wo er, endlich, seine Doktorarbeit über hebräische Literatur abschließen konnte, wenn auch zu spät in seinem Leben, um noch den Sprung vom einfachen Bibliothekar zur lang erträumten akademischen Laufbahn zu realisieren. Arie Klausners zweite Ehefrau war recht wohlhabend, weshalb es eigentlich keine finanziellen Probleme gegeben haben dürfte, während er seine Doktorarbeit schrieb. Seine Besuche in Israel und bei Amos waren in dieser Zeit sehr unregelmäßig, für beide Seiten unbefriedigend und sollten auch nach seiner Rückkehr nach Israel nicht häufiger werden. Der Heranwachsende hatte zudem wenig Gelegenheit, zu seinen Halbgeschwistern eine Beziehung aufzubauen, solange er im Kibbuz lebte, selbst wenn er es gewollt hätte. Später legte sich Amos' Entfremdung von seinem Vater wieder. Nach Arie Klausners Tod mit sechzig Jahren, gab Amos einen Sammelband mit seinen Aufsätzen heraus, und der Ton, den er in seiner Einleitung anschlug, ist respektvoll, fast ehrfürchtig. Das Buch ist eine Geste der Versöhnung nach all den unguten Gefühlen zwischen Vater und Sohn in den Jahren seiner Jugend.
Obwohl Amos als Teenager die Trennung von seinem Vater aktiv suchte, war die Wahrnehmung, letztlich von seinem Vater verlassen zu werden, eine ganz andere Geschichte, und tatsächlich stellte sich genau dieses Gefühl ein. Nicht nur dass Arie Klausner mit einer neuen Familie nach England ging, er stellte auch seine Zahlungen des Kleidungsgeldes für seinen Sohn ein, anscheinend war ihm nicht klar, dass dies für Nichtmitglieder des Kibbuz...
Erscheint lt. Verlag | 22.9.2024 |
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Übersetzer | Ursula Kömen |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Amos Oz. Writer, Activist, Icon |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | aktuelles Buch • Amos Klausner • Amos Oz. Writer Activist Icon deutsch • Biografie • Bücher Neuererscheinung • Eine Geschichte von Liebe und Finsternis • Friedensaktivist • Israel • Jerusalem • Judentum • Kibbuz • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Peace Now |
ISBN-10 | 3-633-78089-0 / 3633780890 |
ISBN-13 | 978-3-633-78089-1 / 9783633780891 |
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