Truboy (eBook)

Mein Sommer mit Truman Capote
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
352 Seiten
Kein&Aber (Verlag)
978-3-0369-9676-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Truboy - Anuschka Roshani
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Eine literarische Detektivgeschichte | Brachte er Erhörte Gebete je zu Ende - und liegt das Manuskript, wie die Legende sagt, in irgendeinem Schließfach? 

In Truboy begibt sich Anuschka Roshani auf detektivische Spurensuche. Sie trifft Weggefährten und Kumpane Truman Capotes - darunter die Letzten, die den Schriftsteller lebend sahen. Wie seine Fast-Adoptivtochter; den bekanntesten Lektor aller Zeiten; seinen Anwalt; seinen Intimus; seinen letzten Interviewer; seinen Freund; seinen Tanzpartner im Studio 54. Von ihnen erfährt sie nie gehörten Klatsch und jede Menge Kuriosa, prallbunte Stories, die allesamt eine Existenz bezeugen, die larger than life erscheint. Dann am Ende ihrer Reise erfüllt sich sogar ihr Stoßgebet: Anuschka Roshani spürt ein Fragment von Capotes verschollenem Roman auf. Truboy ist ein Roadmovie zum Lesen, eine Neuentdeckung des weltberühmten Schriftstellers und selbst für jene ein Vergnügen, denen der Name Capote bisher wenig sagt.

Anuschka Roshani studierte Verhaltensbiologie und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule, bevor sie viele Jahre Redakteurin und Reporterin beim Spiegel und dem Tages-Anzeiger-Magazin war. Seit 2002 lebt die gebürtige Berlinerin mit ihrer Familie in Zürich. Bei Kein & Aber hat sie Truman Capotes Gesamtwerk herausgegeben, darunter das bis dahin unbekannte Frühwerk The Early Stories, das sie 2014 entdeckt hat. 2018 erschien ihr Debüt Komplizen. 2022 folgte Gleißen. Sie schreibt ihre Dissertation über Truman Capote.

Wo seine Welt anfängt


Ein Kind brüllt sich die Seele aus dem Leib. Es ist zu klein, um die Klinke zu erreichen, doch auch wenn es ihm gelänge, die Tür ist verriegelt. Mit der Nacht dehnt sich seine Panik aus. Und wie Blitze die Schwärze in Stücke reißen, durchzuckt ein Schauer frühen Erkennens die Luft: Es ist mutterseelenallein.

Irgendwo draußen vor der Tür vergnügt sich seine Mutter, als gäbe es kein Morgen. Während der neue Tag anbricht, fällt das Kind, von seinem unerhörten Geschrei entkräftet, in einen erlösenden Schlaf. Am Ende jedoch bleibt es untröstlich.

Zum Glück. Weil die Einsamkeit das Kind bald darauf anstiftet, sich selbst Trost zuzusprechen. Und es dadurch vermag, uns alle mit zu trösten.

Zu guter Letzt nämlich wird es sich nicht damit aufhalten, seine Misslichkeit zu beweinen. Ihm dämmert allmählich, dass es – hat man erst einmal für sich ausgeklügelt, wie das Ganze einen Sinn ergibt – zur Genüge wärmen kann, daraus das Schöne zu schälen. Sein Gang der Handlung setzt bei der Unerlässlichkeit ein, sich das Dasein erträglich zu machen. Denn das Schicksal droht zuzuschlagen, noch bevor es anfängt: Seine Mutter hat es abtreiben wollen.

Auf welche Weise sie das anzustellen versuchte, lässt sich höchstens vermuten. Ob sie sich um eine Engelmacherin bemühte oder vom Schrank sprang oder sich einen Sud braute; schlimm genug die Vorstellung, wie das Kind eines Tages davon erfuhr, bereits als Leibesfrucht unerwünscht gewesen zu sein. Hat die Mutter ihm im Streit etwas Vernichtendes wie »Ich wollte dich nie!« entgegengeschmettert? Ihm in einem einzigen Satz von vornherein das Existenzrecht abgesprochen?

Ich weiß es nicht – bloß von dem Segen, dass es dem Satz nicht gelang, das Kind zu zerstören. Im Gegenteil, so allein auf weiter Flur beschließt es mit acht Jahren, sich seine Daseinsberechtigung eigenhändig zu erschaffen. Aus dem Verlassensein seinen außerordentlichen Zugang zur Welt, Wort für Wort, zu schmieden.

Das Kind wird am Dienstag, den 30. September 1924, geboren. Als es von New Orleans achtbarstem Gynäkologen Dr. King nachmittags um drei, auf einen gleißenden Planeten voll unverdorbener und verdorbener Ungeheuer verfrachtet wird, heißt es Truman Streckfus Persons. Berühmt werden aber wird es unter dem Namen, den ihm sein kubanischer Stiefvater Joseph Garcia Capote per Adoption gibt: Truman Capote.

Unterdessen hat sich seine Drangsal, für immer und ewig der Sonderling zu sein, seinem Empfinden aufgeprägt wie ein Wasserzeichen; fortan wird es unverkennbar durch jede einzelne Seite scheinen. Und Capote sich noch in dem verwaisten Kind mit der wund geschrienen Kehle wiedererkennen, lange nachdem er sich selber das Licht in der Dunkelheit angezündet hat.

»Was wir auch tun, es geschieht aus Angst.«

Das schrieb Truman Capote als 22-jähriger in seiner Erzählung Die Tür fällt zu. Und da mein Geist einer Hupfdohle gleicht, die mal hierhin, mal dorthin hüpft, sprang in meinem Hirn der Gedanke an, ja, natürlich!, das ist es, was wir gemein haben, Truman und ich und wir alle, egal, wie recht oder schlecht wir uns durchs Leben mogeln mögen: Angst.

Dann dachte ich – kurios, dass man mit jeder Faser altert, aber eins nicht reift, sondern kindlich bleibt, die Furcht, nirgends dazuzugehören. Zwar kann man lernen, ihr bei klarem Bewusstsein mit Überzeugung und Haltung entgegenzutreten, nachts aber wird man mit einem Bein in ihrem Schlick stecken bleiben.

Capote war ein hundsmiserabler Schläfer. Seine Schlaflosigkeit versagte es ihm, sich selbst für eine Weile loszuwerden.

Nach wie vor wissen wir nicht genau, weshalb wir schlafen müssen; wir fügen uns einfach. Dafür entdröselte die Wissenschaft den »Traum«. Und die sagt, der Gemütszustand, in dem man einschlafe, erzeuge ein Bild. Geht man etwa beunruhigt zu Bett, weckt die Sorge ein Monster aus der Tiefe. Das heißt, nicht der Albtraum jagt uns den Schrecken ein. Es verhält sich umgekehrt: Der Albdruck entsteigt einer Beklemmung, die schon dagewesen ist, noch ehe die Helligkeit schwand.

An sich hat Capote nix anderes gemacht – er nahm seine existenzielle Angst und modellierte aus ihr einen Wachtraum. Spitzte einen seiner Blackwing-Bleistifte, griff sich einen gelben, linierten Block oder ein schwarz-weiß gesprenkeltes Notizbuch, eines von denen, wie sie bis heute in amerikanischen Schreibwarengeschäften zu kriegen sind, und setzte sich ins weiche Bett seiner Fantasie. Begann mit offenen Augen zu träumen.

Vorsatz und Programm: weder der äußeren noch inneren Düsternis nachgeben. Lieber zu seiner eigenen Widerstandsbewegung werden. Indem man so furchtlos und einmalig wie möglich gegen sie anschreibt. Nacht für Nacht. Seltener am Tag.

Nach Jahrzehnten, in denen ich Capotes Bücher gelesen habe – da, scheinbar plötzlich geht mir auf: Was mich in Wahrheit mit Capote verbindet, ist nicht meine Schwäche für Sprache, nicht Hingabe an die »große, großartige Erzählung«, ach was, profaner, es ist die Schönheit, die auf seinen Sätzen wie eine Schaumkrone thront. Die mich derartig unmittelbar rührt, dass sie mir als Reflex des Staunens direkt ins Rückenmark fährt.

Na und wenn schon. Dann ist meine Liebe zu Capote eben schlichter gestrickt, so was wie eine Reaktion des vegetativen Nervensystems. Die exakt in jenem Augenblick erwachte, als ich seine Kurzgeschichte Kindergeburtstag in die Finger bekam. Es reichte mir, deren erste Zeile zu lesen:

»Gestern Nachmittag überfuhr der Sechs-Uhr-Bus Miss Bobbit.«

Schon war es um mich geschehen.

Mir wurde federleicht zumute, zugleich angenehm schwer ums Herz. Von der Art Schwere, die man auskosten möchte; als würde man wieder und wieder mit der Zunge gegen eine sanft brennende Stelle im Mund stupsen.

In der Geschichte um Miss Bobbit, dieses wunderliche kleine Mädchen mit seiner alterslosen Seele – in dieser einen Geschichte ist alles enthalten. Alle Zerbrechlichkeit und alle Vergeblichkeit und Traurigkeit, alles, was Truman Capote damals bereits übers Leben wusste.

Sodass mir beim Lesen beinahe die Tränen kommen. Aber nicht, weil ich von Anfang an weiß, Miss Bobbit wird am Schluss unter die Räder geraten. Sondern weil es mich eigentümlich beglückt, ungefähr wie der Moment, in dem ich vor meinem Fenster die Blutbuche im Sommerleuchten aufglühen sehe. Bloß durch das Kristallklare der Empfindung, die aus seiner haarfeinen Beobachtung spricht und die prompt auch bei mir ein Gefühl zum Fließen bringt. Allein durch seine durchscheinenden Sätze, keusch dahinrauschend wie ein Gebirgsbach.

Zu dieser Zeit ist meine horrende Angst schon so gut wie vergessen. Über die Jahre war sie unmerklich geworden, ein Steinchen im Schuh, das lediglich so lange drückt, bis man sich daran gewöhnt hat. Erst als meine Ängste buchstäblich über Nacht zerbröseln, ähnlich morschen Schmetterlingsflügeln in einem verstaubten Schaukasten, fällt mir auf, wie sehr sich ihre spitzen Kanten vorher in mein Fleisch gebohrt haben. Aber das ist eine andere Geschichte, aus einem anderen Buch. Wahrscheinlich, ziemlich sicher hat auch sie mit dem Universalen in Capotes Werken zu tun, und unser beider früheste Verängstigung gleicht sich womöglich. Aber das ist nicht wichtig, einschneidender empfinde ich die Bewunderung für ihn: dass er in ihren kalten Stollen kroch und er aus seinem Aufruhr, mit immenser Tapferkeit und ebensolchem Talent und vielleicht einem irgendwie grimmigen Vergnügen, seine einzigartigen Wörter herausschürfte. Und dabei zu seinem ganz eigenen Maßstab wurde.

Das gelang ihm, davon bin ich überzeugt, weil er schon sehr früh wusste, wer er war. Für sich und für andere. Ausgestattet mit einem Äußeren, das den Leuten als »weibisch« aufstieß, löste Truman regelrecht Abscheu aus. Man empfand ihn als Freak – er selbst sich daraufhin als »Kalb mit zwei Köpfen«1. Der Mutter war seine Mädchenhaftigkeit wahrlich zuwider: sein blondes Engelsgesichtchen mit jener »Haferflockengesundheit«, die er später Holly Golightly andichtete. Vor allem aber seine quäkend-schrille Art zu sprechen2 empfanden die Leute als anstößig: eine stimmhafte sexuelle Nötigung. Sie schien ihnen der lauthalse Offenbarungseid seiner Homosexualität zu sein.

Anstatt beelendet zu sein und sich in Kummer zu verkriechen, entschied er sich für die Flucht nach vorn: sie auf dem Papier zu einer Stimme umzuformen, die seinem größten Wundmal – das er nie loswerden würde, weil es ein Muttermal war – eine eigenwillige Eleganz abtrotzte.

Immerhin gehörte zu seinem Erstgepäck auch eine überreiche Sensibilität – die Umgebung mit sperrangelweit geöffneten Augen und empfindlichsten Antennen wahrzunehmen. Also ließ sich wohl oder übel aus seiner naturgegebenen Otherness der Auftrag ableiten, dass er zum Verwandlungskünstler werden sollte. Seine fundamentale Not in eine Tugend verkehren musste.

So stelle ich es mir auf alle Fälle vor: Wer sich einmal im Kern erkannt hat, für den ist das Kennenlernen seiner selbst keine Verpflichtung mehr. Und ja, vielleicht zählt Schreiben zum rasantesten Katalysator und besten Handwerk der Selbstwerdung.

Ich glaube, mich hat Truman Capote als lebenslange Freundin gewonnen, als es ihm glückte, seiner Angst eine künstlerische Gestalt zu verleihen. Und da Lesen heißt, sich einzufühlen, so wie Schreiben das Bemühen ist, sich einzufühlen, Literatur eigentlich nichts anderes ist als praktiziertes Einfühlungsvermögen, deshalb bedeutet Truman...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anuschka Roshani • Capote • Capote Liebhaber • Erhörte Gebete • Forschungsreise • Geburtstag • Hundert Jahre Capote • Jahrhundertgenie • Journalismus • Jubiläum • Literarische Detektivgeschichte • Literaturgenie • non-fiction novel • Roadmovie • Selbstmord • Spurensuche • Truman Capote • verlorenes manuskript
ISBN-10 3-0369-9676-1 / 3036996761
ISBN-13 978-3-0369-9676-9 / 9783036996769
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