requiem (eBook)

Roman
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2024 | 1. Auflage
173 Seiten
Matthes & Seitz Berlin Verlag
978-3-7518-0998-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

requiem -  Alexander Schnickmann
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Das Requiem ist die letzte Messe, die man auf Erden erwarten darf: Sie ist eine Liturgie fürs Ende. Doch nirgends steht geschrieben, dass es bei dieser ernsten Angelegenheit nicht auch heiter zugehen kann. requiem ist eine mitreißende, poetische Erzählung, die zur lustvollen Traumreise wird: Von einer Wohnung mit Blick auf den Teufelsberg fallen wir durch die Zeiten, schweben über Berge und Täler, fahren quer durch die Mark und die Meere. So kommen wir zu den Delfinen im Landwehrkanal und bis an den Santa Catalina Beach in Kalifornien - bevor sich an einem ganz unerwarteten Ort die Pforten der Unterwelt öffnen. Und hin und wieder blinzeln wir hinüber ins Paradies. In einer atemlosen Geschichte zeigt Alexander Schnickmann, wozu Literatur imstande ist. requiem ist ein Buch für eine Nacht und die Ewigkeit.

Alexander Schnickmann, geboren 1994 in Lünen, aufgewachsen in Bergkamen im Ruhrgebiet, schreibt über Pflanzen und Tiere, Maschinen und Gespenster und wurde 2023 mit dem Leonce-und-Lena-Preis ausgezeichnet. Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelbänden. requiem ist Alexander Schnickmanns Debüt.

Alexander Schnickmann, geboren 1994 in Lünen, aufgewachsen in Bergkamen im Ruhrgebiet, schreibt über Pflanzen und Tiere, Maschinen und Gespenster und wurde 2023 mit dem Leonce-und-Lena-Preis ausgezeichnet. Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelbänden. requiem ist Alexander Schnickmanns Debüt.

Und über dem wüsten Feld sah ich sie stehen und sie blickten mir entgegen und ihre Augen waren leer. In sieben Reihen sah ich ihre bleichen Gesichter und zahllose weitere standen zu allen Seiten. Ich aber sah, an ihrem Ort schien ein Licht, das durch alle Generationen geht, vom Beginn der Zeit bis zu ihrem Ende. Von Adam an gingen sie alle unter derselben Sonne, die bis zum Hochzeitstag nicht mehr untergeht. Und ich hörte eine Stimme und ich folgte ihr durch drei hohe Hallen; und ich sah den Ort, an dem der Herr alle Seelen und Gebeine verwahrt. Denn er weiß um die rechte Zeit. So habe ich alles gesehen und euch gesagt. Und was ich gesagt habe, ist wahr.

Aus der Quarta Visio der Hl. Petrissa von Garlitz

requiem gib ihnen Herr
und uns deinen Frieden
und vergiss nicht uns zu befreien
einmal lese ich vielleicht
zum ersten Mal requiem aeternam
und denk noch gar nicht an den Text
nicht an die ewige Ruhe sondern
ein ewiges ein langes ein sehr langes
ganz wörtlich ein ewiges requiem
eine einzige lange Totenmesse
die irgendwann einmal begann
und nicht mehr endet
requiem aeternam dona eis domine
ewiges requiem für alles was leidet
und stirbt und vergeht
und nicht mehr ist
dona eis Frieden und Gesang
ewig über ihren Gräbern
und ich lese requiem aeternam
und stelle mich vor das Fenster
und blicke über den Hof und
den näheren Waldesrand
den Himmel hinter dem Teufelsberg
die Sonne hinter dem Teufelsberg
die nähere Sonne
und den näheren Sommer

hinter dem Teufelsberg
und zeichne Linien Spiralen
in die Luft und ziehe nach
der Luft und forme einen Ton
requiem ewig für alles was leidet
und stirbt und nicht mehr ist
und ist mir klar was das heißt
und beginne zu singen
requiem ewig und singe schon
und immer noch ist mir klar was
das heißt und die Blumen werden rot
auf dem Balkon und die Mückenschwärme
schwirrn mir um den Kopf und
die Blätter atmen heben senken
und die Luft beginnt zu flimmern
und singe und erinnere
versuche mich zu erinnern
wann habe ich die Namen vergessen
wann habe ich aufgehört
jeden einzelnen Punkt auf der Linie
vom Paradies bis zu mir
benennen zu können jedes Glied
seiner himmlischen Kette wann
habe ich eigentlich die ersten Namen vergessen
oder wie viele Messen muss ich stiften
wie viele kleine Zettel
durch die Gitter des Klosters stecken
in die Bayernallee gehen
vor die Pforte treten
und Zettel um Zettel

durch das Gitter stopfen
viele Dutzend Säcke voll Papier
dass eine Nacht du ihre Namen hörst
dass ich mich an diesen oder jenen erinnere
wie viele Kerzen anzünden
mir gehen bald die Feuerzeuge aus
meine Stimme wird heiser
meine Finger werden taub
requiem ihnen Herr oder anders gefragt
wann habe ich die Namen vergessen
als Kind konnte ich alle Namen aufsagen
konnte jedem einzelnen Gesicht
und dem Klang ihrer Stimmen Wörter geben
atme ein Ruhe in Frieden
atme aus erbarme dich
kannte die Namen und Augen
und den Klang der Litanei
mit jedem folgenden Ton
dieser oder jener Name
mit jedem folgenden Atemzug
dieses oder jenes Gesicht
sechs oder sieben Namen
zwölf oder vierzehn Augenpaare
atme ein requiem aeternam
dona eis vor den Augen eines Kindes
dona eis noch am Tage der Geburt
dona eis dichter Rauch und
wie ich singe steigt dichter Rauch
in den Städten auf seh ich die Fotos
auf meinem Handy keiner kriegt

mehr Luft von Kanada im Norden
ziehn fette gelbe Smogschwaden
über das Land die Leute
tragen Masken aber es funktioniert nicht
der Rauch zieht unter den Stoff
es ist schlimm alle husten
die Stadt New York sieht aus
als stünde sie selbst in der Hölle
der ganze Himmel verhangen
nicht einmal den Fluss Hudson
den großen Fluss Hudson
sieht man unter dem Rauch
nach ein paar Tagen ist es weg
man hat es vergessen etwa
sechshundertvierzig Waldbrände in Kanada
im großen Land Kanada allein
in diesem Jahr lese ich später
das ist sehr viel objektiv ist es viel
das ist mehr als sonst
es gibt dafür Statistiken
jeden Morgen im Radio höre ich
der Rauch hat sich ausgebreitet
schalte ein das Radio
und kann den Rauch schon sehen
riechen jetzt in diesem Augenblick
steigt er aus dem Lautsprecher hoch
bis zur Zimmerdecke
jetzt stehe ich am Fenster
und jetzt gerade jetzt kann man ihn messen
mit komplizierten Maschinen nachweisen

dass genau dieser Rauch aus Kanada
unendlich hoch über meinem Kopf schwebt
und wirklich wache ich auf
betrachte den helleren Himmel
den heller werdenden Himmel
waren da nicht feine Schlieren
eine Trübung ist der nicht
gelbstichig sag ich zu mir und
der Kaffeetasse auf dem Tisch
ist der nicht gelbstichig heute der Himmel
und weiß gar nicht was das heißt
oder die Luft ich seh
morgens Fotos auf dem Handy
und denke ist das mein Aschenbecher
oder sind das die letzten Reste
eines Baums am anderen Ende der Welt
wenn ich den Rauch spür ist’s fast
als kennt ich seinen Namen
man sagt jeder Atemzug
ist wie sieben Zigaretten
rauch noch sieben Zigaretten
einsam vor dem Fenster
siebenmal Asche auf die Blumen
und dann trocknet endlich das Mittelmeer aus
mir kann das alles
gar nicht schnell genug gehen
dona nobis wenn
das Mittelmeer zur Salzwüste
geworden ist und Reihe um Reihe
die Felsengräber seinen Grund bedecken

die Stille erhaben und groß steht
zwischen den Kontinenten dann
erbarme dich Herr über uns alle
und vergiss nicht uns zu befreien
und gib Ruhe und Frieden und
dona eis nach langer und schwerer Krankheit
dona nobis nach kurzer Krankheit
unerwartet siehst du
den Mehltau auf den Blättern
der Minze auf dem Balkon
siehst du die Blattläuse auf den Stängeln
die Zikaden unter den Blättern
am Ende ging es sehr schnell
sie haben nichts gespürt dona nobis
weiße Spinnbeinraupen saugen bis
mir die Sonne durch die Blattnarben scheint
ganz so wie nach einem heißen Tag
an einem heißen Julitag fuhr ich
einmal fuhr ich nach Breslau für ein paar Tage
die Luft flimmerte
und die Sonne blendete
ich war in Breslau
für ein paar Tage und grad
hatten sie die Oder vergiftet
morgens sehen wir einsam Angler
am Ufer laufen das Ufer entlang
zum Haus und in den Büschen
unter Bäumen am Ufer sitzen die Angler
und schweigen und schauen
auf das trübe Wasser

ich überlege noch haben sie nicht gehört
dass hier alles vergiftet ist
dass die Fische alle tot sind
denk ob sie sich die Hände waschen
nachdem sie ihre Schnüre
aus dem Wasser gezogen haben
das ist ja alles kontaminiert
wer weiß was da alles in der Oder schwimmt
denke ich das ist ja alles giftig
am Ende packt’s euch auch denk ich
sag ich will ich sagen aber
mir fehlen die Worte
wir lassen sie angeln
in der Straßenbahn die Nachricht
bitte essen Sie keine Fische
bitte trinken Sie vom Wasser nichts
bitte gehen Sie nicht schwimmen
auf Polnisch Englisch Ukrainisch
bitte essen Sie die Fische nicht
mit den Fischen stimmt etwas nicht
bitte gehen Sie nicht schwimmen
mit dem Wasser stimmt etwas nicht
mit der Oder stimmt etwas nicht
jeden Tag halt ich Ausschau
sind da tote Fische am Ufer
sterben die Pflanzen
liegen die Angler tot an der Böschung
schau genau von der Brücke
über den Fluss aus ob
dieser oder jener Strauch heute

die Blätter etwas schlaffer hängen lässt
na schau da siehst du’s schon
jetzt ist hier alles vergiftet
bald stirbt hier alles
und wir auch wasch mir die Hände
zwanzig Minuten lang
wenn ich ins Hotel komme prüf ich
die Farbe meiner Augäpfel
zieh die Lider auseinander prüf
die Regelmäßigkeit meiner Atemzüge
die Kraft meiner Knochen und Zähne
die allgemeine Verfasstheit meines Körpers
sie hatten gerade die Oder vergiftet
als ich für ein paar Tage in Breslau war
und ein Berg toter Fische schwamm langsam
nach Ostdeutschland den Fluss herab
ich flussaufwärts stell mir vor
ein Eisberg toter Fische
ein riesengroßer Luftballon
schwimmt langsam die Oder hinab
na wo kommen die denn her
und wie es wohl gerochen haben muss
morgens da am Oderstrande sicher lieblich
als ich wieder heimkomme reiß ich die Tür auf
aber alles war tot
die Flaschen mit Wasser
kopfüber in die Erde gestellt
sind in der Sonne zerflossen
geschmolzen auf der staubigen Erde
von den braunen Zweigen

hängen kleine Plastiktropfen
wie Harz herab ein Himbeerstrauch
und sechsmal Lavendel ein Rosmarin
ein Farn und Beete voll mit Rucola
erst im nächsten Frühjahr stopf
ich alles in die Säcke und reiß
mir an den Dornen alle Finger auf
verbrenne mir die Finger an
den schwarzen Kunststoffsäcken
verbrenn mir mein Gesicht an
den heißeren Tagen und
singe fortan und singe immer
noch und die Luft flimmert und
der Himmel verschwimmt und
schlafen und schlafen und schlafen
und träumen von heißem Sand
der Wanderwüste zwischen...

Erscheint lt. Verlag 29.8.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bewusstseinsstrom • Dante • Hölle • Jenseits • Joni Mitchell • Leben nach dem Tod • Unterwelt
ISBN-10 3-7518-0998-8 / 3751809988
ISBN-13 978-3-7518-0998-6 / 9783751809986
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