Das Wunder vom Christkindlesmarkt (eBook)

Weihnachtsmarkt-Saga. Fesselndes Familiengeheimnis vor der atmosphärischen Kulisse Nürnbergs in den 1920er-Jahren
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Aufl. 2024
477 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7517-6136-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Wunder vom Christkindlesmarkt - Dominique Steinberg
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1924. Auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt verkauft die junge Witwe Evelyn filigrane Rauschgoldengel, die die Herzen der Besucher im Sturm erobern. Sie kann den beliebten Christbaumschmuck gar nicht schnell genug fertigen, als inmitten des vorweihnachtlichen Trubels ein rätselhafter Fund alte Wunden aufreißt. In einem Wintermantel stößt Evelyn auf ein leeres Kuvert, auf dem sie die Handschrift ihres verstorbenen Mannes Gerson erkennt. Doch was sollte ihr Gerson von der Adressatin des Briefes gewollt haben? Die Suche nach einer Antwort stellt Evelyn schon bald vor ungeahnte Probleme ...



<p><strong>Dominique Steinberg</strong> wurde 1969 in Heidelberg geboren, studierte Geschichte und Anglistik und veröffentlichte unter anderem Namen bereits mehr als zwanzig historische Romane, von denen einige zu Bestsellern avancierten. Steinberg lebt und arbeitet in der Nähe von Neustadt an der Weinstraße.</p>

1.


Die Stimme des Mannes erstarb ganz plötzlich. Im Raum wurde es still.

Evelyn drückte sich die Hand auf den Mund. Sie hatte es kommen sehen. Wenn ihr Onkel sich einmischte, ging immer alles schief. »Jetzt hast du ihn endgültig erledigt! Was soll ich denn nun meiner Freundin sagen, wenn sie nach ihm fragt?«

Joachim plagte sich mit verzerrtem Gesicht auf die Füße, indem er sich mit der einen Hand an der Kante des Beistelltisches festhielt. Die andere umklammerte den Schraubenzieher. Evelyns Vorhaltung überging er mit einem Schulterzucken. »Ich habe es nur gut gemeint, und das ist der Dank? Oder hättest du dir das Gesäusel den ganzen Tag lang anhören wollen? Was hat der verdammte Apparat überhaupt hier verloren?«

Der verdammte Apparat? Evelyn schäumte vor Wut. Jetzt sollte sie also daran schuld sein, dass ihr Onkel einen Fehler gemacht hatte? Aber darauf lief es ja ständig hinaus. Sie konnte sich noch so sehr bemühen, Joachim fand stets das Haar in der Suppe. Dabei war es nicht einmal seine eigene Suppe. Er lebte nur deshalb in Evelyns Haus, weil ihre Mutter, Joachims ältere Schwester, darauf bestanden hatte, ihn aufzunehmen. Er gehöre doch zur Familie, sagte sie stets, wenn Evelyn sich beschwerte. Und dass Evelyn Joachim auf Knien dankbar sein sollte, weil er sich so hingebungsvoll um sie kümmerte. In Wahrheit rührte Evelyns Onkel keinen Finger, um ihr zu helfen. Im Gegenteil, er lebte auf ihre Kosten in dem Haus ihres verstorbenen Mannes. Seine Arbeit als Friseur hatte Joachim gleich nach Kriegsende 1918 an den Nagel gehängt. Hin und wieder half er in Evelyns Drogerie aus, die sich im Erdgeschoss befand. Doch diese Tätigkeit beschränkte sich vornehmlich darauf, mit den Kunden zu schwatzen und sich wegen seiner Kriegsverletzungen bedauern zu lassen. Hinzu kam, dass er sich an Evelyns Brandweinvorräten vergriff, wann immer ihm danach war. Evelyn hätte ihn liebend gern vor die Tür gesetzt, doch das ließ ihre Mutter nicht zu. Gertraud Weigandt war eine energische Frau Mitte fünfzig, gegen die Evelyn nur schwer ankam. Ihren jüngeren Bruder verhätschelte Gertraud nach Strich und Faden. Für sie war er nach der Niederlage des Kaisers, für den er in den Krieg gezogen war, als Held zu ihr zurückgekehrt.

Evelyns Mann Gerson hingegen war nicht zurückgekommen. Er war in Frankreich gestorben, in den letzten Tagen des Krieges, und auch wenn Evelyn sich dafür schämte, so wünschte sie sich doch manchmal, es hätte den Faulpelz Joachim und nicht ihren geliebten Mann erwischt.

»Nun fang bloß nicht an zu heulen«, brummte Joachim. »Es ist ja nicht deine Schuld, dass der Kasten keinen Mucks mehr von sich gibt. Deine Freundin, diese hochnäsige Ziege, hätte ihn uns ja nicht aufdrängen müssen.«

Natürlich, nun war es also Sibylles Schuld, dass Joachim ihr teures Radiogerät kaputtgekriegt hatte. Und dies nur, weil es seiner Meinung nach zu sehr rauschte. Also hatte er sich einen Schraubenzieher geschnappt und war dem Apparat trotz Evelyns scharfen Protests zu Leibe gerückt. Und nun gab das Radio keinen Ton mehr von sich.

Joachim fing wieder an zu schrauben und legte das Werkzeug erst weg, als ihm der Schweiß über die Schläfen rann. »So ein Mist wird sich niemals durchsetzen«, grummelte er verdrossen. »Nicht mehr als eine unnütze Spielerei, von der die Leute bald genug haben werden. Da ist ein Grammophon doch ganz was anderes. Du kannst dir die Platte selber aussuchen, die du dir anhören willst, und musst nicht mit dem vorliebnehmen, was dir die Herren im Funkhaus vorsetzen.«

Besorgt betrachtete Evelyn das Innenleben des Gerätes und sah nur ein Geflecht aus Drähten, mit denen sie nichts anfangen konnte. Erst seit ungefähr einem Jahr gab es die neuen Rundfunkempfänger im Handel zu kaufen. Sie kosteten eine Menge Geld und waren daher für Menschen wie Evelyn, die jeden Pfennig umdrehen mussten, nahezu unerschwinglich. Umso gerührter war sie gewesen, als Sibylle ihr den Apparat von ihrem Hausmädchen hatte schicken lassen. Damals hatte Evelyn mit einer scheußlichen Grippe das Bett gehütet und sich nur zu gern von der Radiomusik und der Stimme des Funksprechers ablenken lassen. Das Rauschen im Hintergrund hatte sie nicht gestört, im Gegenteil, es hatte sie sanft in den Schlaf begleitet. Inzwischen war sie längst wieder auf den Beinen, daher gab es keinen Grund, das geliehene Gerät länger zu behalten. Aber in diesem Zustand konnte sie es Sibylle unmöglich zurückgeben.

»Bring das in Ordnung!«, mahnte sie Joachim, der schon wieder mit seinem Schraubenzieher im Gehäuse herumstocherte und so tat, als wüsste er ganz genau, wo das Problem lag. »Es ist schon dunkel, und ich muss Ware ausliefern. Die Bestellungen, um die du dich gestern kümmern wolltest!«

»Also wirklich, ich kann nur eines tun. Entweder das Radio oder die Auslieferung!«

Evelyn verzichtete auf jedes weitere Wort. Sie nahm Mantel und Hut von der Garderobe und warf einen kritischen Blick in den Spiegel. Obwohl sie sich wieder gesund fühlte, war sie doch noch recht blass. In ihrem kleinen Schlafzimmer bewahrte sie noch ein wenig Rouge auf, doch seit der Nachricht, dass Gerson gefallen war, hatte sie den Tiegel nicht angerührt.

»Willst du etwa bei diesem fürchterlichen Wetter noch ausgehen?«

Evelyn erschrak, als unvermittelt die Stimme ihrer Mutter an ihr Ohr drang. Gertraud bewegte sich in ihren ausgetretenen Filzpantoffeln stets wie auf Katzenpfoten durch das Haus und tauchte mit Vorliebe dort auf, wo man sie nicht vermutete. Als Evelyn nicht sofort antwortete, maß die ältere Frau sie mit einem prüfenden Blick von Kopf bis Fuß.

»Also wirklich, mein Schatz, findest du nicht, dass du ein wenig mehr aus dir machen solltest? Du bist erst sechsundzwanzig Jahre alt …«

»Siebenundzwanzig«, widersprach Evelyn, die schon ahnte, worauf ihre Mutter hinauswollte. »Wenn du meinen Geburtstag im September nicht vergessen hättest, wüsstest du das.«

»Nun hab dich nicht so, Kind.« Gertrauds Miene zeigte keine Reue. »Du hast keinen Grund, beleidigt zu sein. Greifen Joachim und ich dir nicht unter die Arme, wo wir nur können? Ich rackere mich ab, koche und wasche, damit du unten in der Drogerie deines verstorbenen Mannes Seife, Zahnpulver und Rasierklingen verkaufen kannst.«

Was deiner Meinung nach unter meiner Würde sein sollte, dachte Evelyn sarkastisch. Warum konnte ihre Mutter nur nicht begreifen, dass die Drogerie alles war, was Evelyn von Gerson geblieben war? Mochte der Laden auch nicht mehr so gut laufen wie früher, so sorgte das Geschäft doch dafür, dass im Hause Sandmeyer stets etwas Warmes auf den Tisch kam. Evelyn hatte nach Gersons Tod geschworen, das Haus in der Tuchgasse zu halten, solange dies nur möglich war, und daran würde sie festhalten. Geschehe, was wolle.

»Du siehst doch gar nicht schlecht aus«, konstatierte Gertraud, die nicht gewillt zu sein schien, das Thema ruhen zu lassen. »Was könnte ein geschickter Friseur nicht alles aus deinem hübschen dunklen Haar machen? Eine Wasserwelle würde dir stehen oder ein flotter Bubikopf. Schau dir doch die jungen Damen an, wie sie mit ihren Pagenköpfen durch die Stadt spazieren. Nach denen drehen sich die feinen Herren um. Und dann deine Kleidung, meine Liebe …« Die ältere Frau blickte durch die Gläser ihrer Nickelbrille, als betrachtete sie ein seltenes Insekt unter dem Mikroskop. »In der Reichshauptstadt trägt die Dame den Rock in diesem Winter kürzer und mit Fransen oder Schleifen besetzt. Deine Witwenkleider sehen dagegen aus, als hätte sie schon die alte Kaiserin – Gott hab sie selig – abgelegt. Du solltest anfangen, ein wenig mehr auf deine Garderobe zu achten.«

»Wozu?«

»Wozu, fragt sie mich! Ist es denn zu fassen!« Gertraud schüttelte den Kopf. Sie war eine kräftig gebaute Frau mit einem breiten, stets geröteten Gesicht, das von lebhaft funkelnden Augen beherrscht und von dichtem weißgrauem Haar umrahmt wurde. Anders als Evelyn, die um ihr Erscheinungsbild wenig Aufhebens machte, frisierte und kleidete sich ihre Mutter so elegant, wie ihre Mittel es zuließen. Sie duftete stets nach Maiglöckchen-Parfüm, das sie dem Sortiment der Drogerie entnahm, und verstand es, so aufzutreten, als spielte Geld keine Rolle. Tatsächlich war dies eine Gabe, um die Evelyn sie insgeheim beneidete, denn als Witwe eines Pfarrers genoss Gertraud Weigandt in der Stadt zwar Ansehen, musste aber mit einer mageren Rente auskommen. Dieser Umstand und die Tatsache, dass sie nach dem Tod ihres Mannes die Räume am Sebalder Pfarrhof hatte räumen müssen, hatten sie letztendlich dazu bewogen, zu ihrer Tochter in die Tuchgasse zu ziehen. Die befand sich zwar nur wenige Schritte vom Pfarrhaus entfernt, doch ganze Welten schienen die beiden Adressen zu trennen. Evelyns Haus mit seinem spitz zulaufenden Giebel und dem Schaufenster zur Straße hin gehörte zu einem Gebäudeensemble, das die Jahrhunderte überdauert hatte, ohne sich äußerlich großartig zu verändern. Vermutlich war schon Albrecht Dürer auf dem Weg zum Hauptmarkt daran vorbeigegangen. Doch an der mitunter schadhaften Fassade und dem morschen Gebälk ließ sich ablesen, dass der Zahn der Zeit schon länger an dem Haus nagte, als es diesem guttat. Leider fehlten Evelyn die nötigen Mittel, um Renovierungsarbeiten und Schönheitskorrekturen durchführen zu lassen.

»Au, verflucht«, schimpfte Joachim in der Wohnstube vor sich hin. »Jetzt brauche ich einen Schnaps!« Evelyn holte tief Luft, widerstand aber dem Drang, in die Wohnstube zurückzukehren und nachzusehen, was ihr Onkel mit dem armen Radioapparat anstellte. Wie teuer mochte so ein Gerät wohl sein? Wie Evelyn Sibylles Familie...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1. Weltkrieg • Advent • Emanzipation • Engel • Erster Weltkrieg • Familiengeheimnis • Familiensaga • Frauenporträt • Liebesgeschichte • Nostalgie • Nürnberg • Saga • Striezelmarkt • Weihnachten • Weimarer Republik • Zwanzigerjahre
ISBN-10 3-7517-6136-5 / 3751761365
ISBN-13 978-3-7517-6136-9 / 9783751761369
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