Berührung (eBook)
336 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-8101-8 (ISBN)
Olaf Olafsson, (eigentlich: Ólafur Jóhann Ólafsson), 1962 in Reykjavik geboren, studierte Physik an der Brandeis Universität, arbeitete eine Zeitlang im Silicon Valley und ist heute CFO von Time Warner Media. Er lebt mit Frau und drei Kindern in New York. Olafsson hat mehrere Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht. Auf Deutsch erschienen bislang »Vergebung der Sünden« (Steidl Verlag 1995) und »Der Weg nach Hause« (Knaus Verlag 2002). Olafssons Werk wurde in über 20 Sprachen übersetzt.
Olaf Olafsson, (eigentlich: Ólafur Jóhann Ólafsson), 1962 in Reykjavik geboren, studierte Physik an der Brandeis Universität, arbeitete eine Zeitlang im Silicon Valley und ist heute CFO von Time Warner Media. Er lebt mit Frau und drei Kindern in New York. Olafsson hat mehrere Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht. Auf Deutsch erschienen bislang »Vergebung der Sünden« (Steidl Verlag 1995) und »Der Weg nach Hause« (Knaus Verlag 2002). Olafssons Werk wurde in über 20 Sprachen übersetzt.
Gerður ist Ástas Tochter aus erster Ehe. Gerður und ihr Ehemann Axel wohnen in Hafnarfjörður, sie haben einen Sohn, Villi beziehungsweise mit vollem Namen Vilhjálmur Friðrik. Gerður war sechs, als Ásta und ich zusammenzogen, und sie gewöhnte sich recht schnell an mich. Wir kamen meistens gut miteinander aus, schließlich war es Ástas Aufgabe, mit ihr zu schimpfen, wenn es nötig war. Oder zumindest behauptete Ásta das, und ich glaube es auch langsam, obwohl ich auch nicht wüsste, mich direkt davor gedrückt zu haben.
Gerður sagte recht bald Papa zu mir. Ich hatte sie nicht darum gebeten, gestehe jedoch, dass es mich gefreut hat. Ich erinnere mich sogar noch daran, wann sie es zum ersten Mal tat, also bin ich vielleicht doch noch gar nicht so weich in der Birne. Es war im Frühling, an einem Sonnabend, ich war draußen in der Garage, um Harken, Schaufeln und andere Geräte zu holen, denn Ásta und ich wollten im Garten arbeiten. Ich dachte, Friðrik, Gerðurs Vater, sei gekommen, als ich sie durch die Haustür »Papa!« rufen hörte. Nicht ein Mal, nein, zwei Mal hintereinander. Ich erinnere mich daran, wie überrascht ich war, denn ich hatte nichts davon gewusst, dass Friðrik kommen wollte, daher begab ich mich zur Einfahrt, um nach ihm Ausschau zu halten. Er war nicht zu sehen, und als ich zur Haustür blickte und bemerkte, dass sie mich ansah, verstand ich, was die Uhr geschlagen hatte. Mein Herz tat einen Satz.
»Papa, könntest du das Fahrrad für mich aufpumpen?«
Manchmal habe ich überlegt, ob sie den Entschluss, mich Papa zu nennen, schon gefasst hatte, bevor sie zur Tür kam, oder ob es einfach unwillkürlich geschehen war. Selbstverständlich spielt es keine Rolle, doch so manches Mal habe ich in meinen Erinnerungen geforscht und versucht, mir vorzustellen, wie sie dort in der Türöffnung stand und mich ansah. Ich werde es nie genau wissen, tendiere aber dazu, dass es unwillkürlich geschehen war, denn sie sah ungeduldig aus, so als ob sie sich darüber wunderte, wie lange ich brauchte, um ihr zu antworten.
Sie nannte Friðrik ebenfalls Papa. Es störte mich kein bisschen, und ihn ebenso wenig, soviel ich weiß. Friðrik hätte sich mehr um sie kümmern sollen, doch es fiel ihm schwer, nachdem er wieder geheiratet hatte und er und Guðlaug Kinder bekamen. Ásta mochte seine neue Frau nicht, Guðlaug war definitiv ziemlich rechthaberisch und vielleicht auch etwas egoistisch, wie es eben in solchen Konstellationen manchmal vorkommt. Ásta unternahm einige Versuche, mit Friðrik zu reden, jedoch ohne Erfolg, sie hatten ja auch nicht mehr die beste Beziehung zueinander. Friðrik und ich hingegen kamen gut miteinander aus, und daher bat Ásta schließlich mich darum, mit ihm zu reden.
Er antwortete aufrichtig, erklärte, zwischen zwei Stühlen zu sitzen, und fragte mich, ob ich ihn unterstützen könnte. »Es wird besser werden«, meinte er, »aber bis dahin wäre ich dir dankbar, wenn du dich vielleicht an meiner Stelle um Gerður kümmern würdest, noch mehr als bisher, und Ásta beruhigen, wenn sie einen Aufstand machen will.«
Ich nahm mich seines Anliegens gern an, warum auch nicht. Um ehrlich zu sein, womöglich kam es mir gerade recht, weniger Konkurrenz zu haben. Ich will damit nicht sagen, dass ich das Gefühl gehabt hätte, wir wetteiferten beide um Gerðurs Aufmerksamkeit, im Nachhinein allerdings kam ich nicht umhin, mich zu fragen, ob meine Reaktion auf seine Bitte ausschließlich von Hilfsbereitschaft und Fürsorge getrieben war. Das war jedoch viel später, nach Ástas Tod, und es bringt ja nichts, darüber jetzt noch einmal lang und breit zu spekulieren.
Meine Erfahrung erwies sich vorletztes Jahr als nützlich, als Gunnar und sein Partner in ein Dilemma gerieten. Zu Gunnar sollte ich außerdem erzählen, dass er fast ein Jahrzehnt bei mir gearbeitet hat, seit 2016 Chefkellner war und in seinem Metier überaus gut ist, ja einer der besten in seinem Fach. Er ist schwul, und korrekterweise müsste ich sagen sein Mann, und nicht sein Partner, denn im vergangenen Jahr haben sie geheiratet. Jedenfalls, mir war aufgefallen, dass Gunnar anders war, wortkarg und nachdenklich, also fragte ich ihn, was ihn bedrücke. Zuerst spielte er es herunter, dann jedoch vertraute er mir an, dass er und sein Mann (ich glaube, er heißt Svanur, auch wenn ich es nicht beschwören kann) Kinder haben wollten und eine Leihmutter gefunden hatten, von der sie beide begeistert waren. Zwei Kinder wollten sie, um genau zu sein, und sie hatten beschlossen, dass Gunnar der biologische Vater des ersten Babys und sein Mann der des zweiten Babys sein sollte. Mir erschien das ziemlich durchorganisiert, ich verkniff es mir aber, auch nur einen gutmütigen Scherz darüber zu machen. Sie hätten sich eigentlich freuen sollen, dass sie die Leihmutter gefunden hatten, doch stattdessen war zwischen ihnen ein Zwist aufgekommen, für den Gunnar keine Lösung fand. Sein Mann – ich verstehe nicht, warum mir sein Name nicht mehr einfällt – hatte vorgeschlagen, dass die Kinder ihn Papa nennen sollten, Gunnar hingegen bloß Gunnar. Sein Mann hatte das einfach so rundheraus gesagt, als wäre nichts selbstverständlicher, als spräche er nur davon, was sie kochen wollten oder wohin sie in den Sommerurlaub fahren sollten, und als rechnete er mit keinerlei Einwänden. Wie die meisten guten Servicekräfte ist Gunnar patent und anpassungsfähig und lässt sich durch nichts so leicht aus dem Gleichgewicht bringen. Aber das hatte ihn sehr verletzt. Er sagte es seinem Mann und fragte, ob sie es nicht andersherum handhaben wollten, die Kinder sollten ihn, Gunnar, Papa nennen, seinen Mann jedoch beim Vornamen, von dem ich mir fast sicher bin, dass er Svanur lautet.
Sie gerieten in Streit, und beide ließen sie Bemerkungen fallen, die ihnen hinterher leidtaten. Es folgten schwierige Tage. Doch nach und nach verflog ihre Wut, sie baten einander um Verzeihung und meinten, sie müssten diesen Disput mit Verstand klären. Trotz der guten Vorsätze war es ihnen nicht gelungen. Sie hätten verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, erzählte Gunnar, zum Beispiel dass das erste Kind zu ihm Papa sagen sollte und zu seinem Mann Svanur, während das zweite Kind zu Svanur Papa sagen, Gunnar jedoch mit Vornamen anreden sollte. Dann aber sahen sie ein, dass sie die Kinder nicht so verwirren durften. Also hatten sie beschlossen, das Kinderkriegen erst einmal zu verschieben, sie wollten der Leihmutter Bescheid sagen, obwohl sie wussten, dass sie damit Gefahr liefen, sie an andere zu verlieren.
Ich war froh, dass ich ihnen helfen konnte. »Das lässt sich leicht lösen«, erklärte ich, die Kinder könnten zu ihnen beiden Papa sagen, und ich berichtete ihm von meiner Erfahrung, die ich als positiv erlebt hatte. Gunnar überhäufte mich sogleich mit Fragen, und ich konnte ihm jede einzelne beantworten, ich konnte ihm Beispiele aus meinem Leben aufzählen, unterbreitete die Idee, dass die Kinder sie etwa Papa Gunnar und Papa Svanur nennen könnten, falls nötig, und es sei vorgekommen, dass Gerður es manchmal so gehandhabt habe, um Missverständnisse zu vermeiden.
Sie beherzigten meinen Rat, und Svanur rief sogar an, um sich bei mir zu bedanken. Er nutzte die Gelegenheit, um sich alles noch einmal von mir erklären zu lassen, obwohl er zugleich betonte, dass Gunnar ihm genau erzählt habe, was wir besprochen hätten.
Jetzt haben sie ein Mädchen, es heißt Birta, und soweit ich weiß, waren sie zuletzt dabei, über weitere Kinder nachzudenken. Das war aber vor der Pandemie, daher würde es mich nicht wundern, wenn sie ihre Pläne noch einmal geändert hätten. Sie waren eine gute Woche lang in Quarantäne, denn eine Kollegin von Svanur war positiv auf das Virus getestet worden, aber niemand von ihnen war erkrankt. Ich werde Gunnar heute anrufen, um zu erfahren, wie es ihnen geht, denn seit vorgestern habe ich nichts von ihm gehört, außerdem will ich ihm sagen, dass ich ihm den Lohn überwiesen habe.
Birta ist gerade ein Jahr alt geworden, daher gibt es noch keine Erfahrungen mit meinen Empfehlungen. Später habe ich mich gefragt, ob ich möglicherweise den Mund zu voll genommen und sie nicht ausreichend vorbereitet hatte, denn es kann auch immer etwas schiefgehen. Doch letzten Endes denke ich, dass es unnötig ist, sich Sorgen zu machen. Sie sind sich einig, und außerdem haben sie den Vorteil, dass sich Birta von Anfang an an die Dinge gewöhnen...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Übersetzer | Gisa Marehn |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-8270-8101-7 / 3827081017 |
ISBN-13 | 978-3-8270-8101-8 / 9783827081018 |
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