William Turner (eBook)

Biografie | Ein Leben aus der Perspektive seiner Bilder | Mit zahlreichen farbigen Abbildungen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-78167-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

William Turner -  Boris von Brauchitsch
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Von seinen Zeitgenossen entweder gefeiert oder für verrückt erklärt, gilt William Turner heute längst als der bedeutendste Künstler Großbritanniens. Kein anderer Maler des 19. Jahrhunderts hat die weitere Entwicklung der Kunst stärker geprägt als er - ob Impressionismus, Abstraktion oder Futurismus, Turner hat vieles vorweggenommen, was erst Jahrzehnte nach seinem Tod Furore machen sollte.

William Turner (1775-1851), Sohn eines Barbiers, verfolgte seinen Traum von Anerkennung und Wohlstand erfolgreich mit den Mitteln der Kunst. Wohl keiner reiste und zeichnete so viel wie er, bediente einerseits gekonnt den Kunstmarkt und schuf zugleich Werke, von denen der Autor und Sammler William Beckford sagte, Turner »malt, als ob sein Hirn und seine Fantasie auf der Palette mit Seifenlauge und Schaum vermischt wären.«

Zu seinem 250. Geburtstag folgt Boris von Brauchitsch dem exzentrischen Maler in dieser atmosphärisch dichten Biografie vor gesellschaftspolitisch geweitetem Horizont auf seinen abenteuerlichen Reisen durch Europa, beobachtet ihn bei seinem Wettstreit mit den Großen der Kunstgeschichte, begleitet ihn beim Kampf für die Ebenbürtigkeit der Landschaftsmalerei und geht so manchem Geheimnis nach, das ihn umgibt.



<p>Boris von Brauchitsch, geboren 1963 in Aachen, studierte Kunstgeschichte in Frankfurt am Main, Bonn und Berlin und promovierte über Fotografiegeschichte. In seinen prägnanten Biographien herausragender Künstlerpersönlichkeiten (<em>Caravaggio, Michelangelo, Gabriele Münter</em> u.a.) und legt in seinen Schriften besonderes Augenmerk auf die Geschichte der Fotografie und der klassischen Moderne. Er arbeitet als Kurator, Autor und Fotograf und lebt in Berlin und Las Palmas.</p>

Von der Akademie zur Romantik


Wie lange hat ein Künstler wie Turner gebraucht, um sich aus dem geistigen Korsett der Akademie zu befreien? Und inwieweit war sie tatsächlich ein Korsett für seine Kunstauffassung? Mindestens die jahrzehntelange Orientierung an Vorbildern und das Kräftemessen mit ihnen, das, wie sich zeigen wird, sein Schaffen bestimmte, ließe sich bis zu jenen Worten von Reynolds zurückverfolgen, in denen er das unbedingte Studium der Altvorderen verlangte. Zudem gibt es kaum einen anderen Künstler in seiner Zeit, der die Empfehlung der grauen Eminenz, einen »Vorrat an Ideen anzulegen«, welcher sich dann als Fundus nutzen lasse, extensiver befolgt hätte.

Doch auch in anderer, lebenspraktischerer Hinsicht gab die Akademie Impulse. So bildete sich Turner von 1895 an in Ölmalerei beim Franzosen Philipp Jakob de Loutherbourg fort, der als Künstler und Geschäftsmann keine Berührungsängste mit kreativen Niederungen hatte und den Bogen von den Salons der Aristokratie bis zur Populärkultur schlug. Als Bühnenbildner des Drury Lane Theatre etwa hatte er bereits das von David Garrick inspirierte Eidophusikon entwickelt, ein Miniaturtheater, das 1781 am Leicester Square eröffnete und durch farbiges Licht unterschiedlichste Stimmungen in transparente, gemalte Bühnenprospekte zauberte. Reale Requisiten, Musik und mechanisch erzeugte Regen- und Donnergeräusche taten ein Übriges zur faszinierenden Illusion. Kaum auszuschließen, dass der junge Turner selbst dieses bewegte Spektakel, keine fünf Minuten zu Fuß von der Maiden Lane entfernt, besuchte. Und umso verlockender, hier eine frühe Quelle für sein Streben nach der Darstellung von Transparenz, Licht und Bewegung in seiner Malerei zu sehen.

Turner kam beizeiten mit dem Theater in Berührung – sein Vater arbeitete als Perückenmacher auch hinter den Kulissen – und wirkte bald schon selbst als Bühnenbildner.30 Wäre er damals bereits berühmt gewesen, hätte sich von dieser Arbeit wohl mehr erhalten, so aber waren die Prospekte fast ebenso flüchtig wie die Vorführungen selbst. War ein Stück abgespielt, verschwanden auch die Kulissen.

Nicht nur Thornbury, auch John Ruskin war allerdings der Auffassung, Turner habe keinerlei Profit aus seiner Zeit als Kunststudent an der Akademie gewonnen. »Sie lehrte ihn nichts, nicht einmal das eine, was sie ihn hätte lehren sollen – den mechanischen Prozess routinierter Ölmalerei, sichere Handhabung der Instrumente und dauerhaften Farbauftrag.« Die Akademie sei von Beginn an ein großer Irrtum gewesen, so Ruskin. »Sie unterdrückte sorgsam seine Wahrnehmung der Wahrheit, seine Fähigkeiten der Erfindung und seine Wahlfreiheit. Für ihn war es unmöglich das Richtige zu tun, außer im Geiste der Renitenz; somit war die erste Voraussetzung für sein Weiterkommen die Kraft zu vergessen.«31 Glaubt man diesen Worten, dann musste Turner nicht nur die Lehren der Akademie ausblenden, sondern auch die fatale Wirkung verdrängen, die diese auf ihn gehabt haben.

In Wahrheit wollte Turner nicht in Opposition zum akademischen Betrieb, sondern innerhalb der Royal Academy Karriere machen. Dazu musste er zunächst seine Stellung festigen, wozu solide Seestücke und Historiengemälde besonders geeignet schienen. Der Institution an sich stand Turner keineswegs feindlich gegenüber, im Gegenteil: Lebenslang betrachtete er sie als die Mutter seiner Kunst, der er sich zu tiefstem Dank verpflichtet zeigte. Das bedeutete nicht, dass er ein Verharren in etablierten Gefügen und Genres befürwortete, sondern zunächst nur, dass er ihre Strukturen durchschaute und die Reputation zu schätzen wusste, die das Kürzel »R.A.« hinter einem Künstlernamen quasi von Amts wegen verbürgte.

Allein das Renommee der Kunstschule ebnete den Weg, und die Nachbarschaft zwischen Royal Academy und Royal Society begünstigte eine auch geistige Nähe sowie einen interessierten Austausch, der Turner einen Blick über den Tellerrand der Ästhetik hinaus ermöglichte und sich in Bekanntschaften mit Astronomen und Physikern wie Mary Somerville, Michael Faraday oder Friedrich Wilhelm Herschel manifestierte.

Was Turner außer dem Zeichnen von nackten Körpern an der Akademie gelernt hat, darüber gehen die Meinungen also auseinander. Wichtiger ist vielleicht, was er nicht gelernt hat. Es mag paradox klingen, dass sich die Landschaftsmalerei, gerade weil sie an den Akademien verschmäht wurde, zur florierenden und innovativen Gattung entwickelte. Da junge Künstler hier weitgehend ihren eigenen Weg finden mussten, eröffnete sich ihnen ein von verstaubter Konvention unverstellter Blick auf die Natur. Wichtiger als die Routine eines akademischen Reglements wurde daher für William Turner der Austausch mit anderen Künstlern.

Ein Ort für solche Begegnungen war das Haus von Thomas Monro, in dritter Generation Leiter des Bethlem Royal Hospital, einer als psychiatrische Klinik bekannten Institution in architektonisch wie medizinisch desolatem Zustand, in der auch Turners Mutter ab 1899 ihre letzten vier Lebensjahre verbrachte. Das Hospital fand keineswegs zu Unrecht seinen festen Platz in der Horrorliteratur und Filmen wie Bedlam mit Frankensteindarsteller Boris Karloff. War die Klinik als primitive Folterhölle verrufen, die Gruseltouren für zahlendes Publikum veranstaltete, und Thomas Monro als empathieloser Chefarzt, schuf er sich im privaten Leben ein kulturidyllisches Gegengewicht, indem er einen Kreis von überwiegend jüngeren Künstlern um sich scharte, Kunst sammelte und als Mäzen auftrat.

Herausragende Landschaftsmaler wie Thomas Girtin, John Varley, John Sell Cotman oder Peter de Wint verkehrten in Monros Haus, das feudal zwischen Strand und Themse an der Adelphi Terrace lag.

In diesem Ambiente begegneten die jungen Künstler auch italienischen und niederländischen Werken aus zurückliegenden Kunstepochen, etwa von Tizian, Salvador Rosa und Francesco Zuccarelli oder Frans Snyders, Paulus Potter und Rembrandt, sowie von älteren britischen Zeitgenossen wie Alexander Cozens oder Paul Sandby.

Letzterer wird verschiedentlich als Vater des englischen Aquarells bezeichnet. Auch er wurde zunächst als Architekturzeichner geschult und arbeitete nach dem Jakobitenaufstand von 1745/46 als militärischer Landvermesser in den schottischen Highlands sowie als führender Zeichenlehrer an der Royal Military Academy in Woolwich, bevor er 1768 eines der 28 Gründungsmitglieder der Royal Academy of Arts wurde. Seine braven Aquarelle von Fortifikationen, Kirchenruinen, Schlössern, Ortschaften und ländlichen Idyllen haben überwiegend dokumentarischen Charakter, ganz anders als die Werke des älteren Alexander Cozens und von dessen Sohn John Robert, deren atmosphärische Landschaften teils dramatische Lichtstimmungen einfangen und langfristig mehr Eindruck auf Turner machten. Sicher auch, weil er in der Sammlung Thomas Munros exquisite Werke von ihrer Hand entdecken konnte. John Robert Cozens hatte im Alter von 42 Jahren einen Nervenzusammenbruch erlitten, war ins Bethlem Royal Hospital eingewiesen worden und hatte die Behandlung Dr.Munros lediglich drei Jahre überlebt. Nach seinem Tod 1797 war der Arzt so frei, die Sammlung des Künstlers zu erwerben. Sein professionelles Unwesen als experimentierfreudiger Sadist trieb er jedoch noch Jahre weiter, bis sogar im hartgesottenen London das Murren so laut wurde, dass er schließlich 1816 wegen »Mangels an Menschlichkeit« in den Ruhestand versetzt wurde.

Seit Jugendjahren war Turner mit Thomas Girtin befreundet, beide lernten Grundlagen der Kunst bei Thomas Malton und arbeiteten ab 1789 gemeinsam bei John Raphael Smith, dem führenden Drucker von tonangebenden Künstlern wie Joshua Reynolds, Benjamin West oder Joseph Wright of Derby. Dort brachten die Nachwuchskünstler mit Aquarellfarbe Kolorit ins Schwarz-Weiß.32 Und gemeinsam zogen sie auch aus, um sich die Landschaft in situ anzueignen. Eine immer wieder zitierte Anekdote belegt die hohe Wertschätzung Girtins durch Turner: Bei Turner fuhr ein Kunsthändler vor, sah sich lange dessen Aquarelle und Zeichnungen an und wagte schließlich die Bemerkung, er habe draußen in seiner Mietkutsche ein Werk, das noch feiner sei als alle Werke, die Turner hier versammelt habe. Turner schwieg lange, erst verstimmt, dann nachdenklich, bevor er antwortete: Wenn dem so sei, dann müsse es sich um Tom Girtins...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte aktuelles Buch • Aquarellmalerei • Bücher Neuererscheinung • Futurismus • Impressionismus • Künstler-Jubiläum • Kunst-Museum • Landschaftsmalerei • Maler • Malerei des 19. Jahrhunderts • Neuererscheinung • neues Buch • Sonder-Ausstellung • Temeraire • Vereinigtes Königreich Großbritannien
ISBN-10 3-458-78167-6 / 3458781676
ISBN-13 978-3-458-78167-7 / 9783458781677
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