Die Frau, die Weihnachten nicht mochte (eBook)
366 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-6455-1 (ISBN)
Ben arbeitet in einem renommierten Pariser Buchverlag und entdeckt eines Tages ein wahres Juwel im Stapel unverlangt eingesandter Manuskripte. Doch der Absender hat nur eine postalische Adresse angegeben, und so reist Ben in das 900-Seelen-Dorf Arnac-la-Poste - weltberühmt für seine märchenhafte Kulisse einer nostalgischen Weihnachtswelt. Dort erwarten ihn eine Schar liebenswert skurriler Bewohner und ein ungewöhnlicher Deal: Er soll Laly, der eigenwilligen Tochter des Autors, ein Lächeln ins Gesicht zaubern, erst dann klappt's mit dem Verlagsvertrag. Doch Ben ist notorisch schüchtern, und Laly eine Frau, die alles, nur nicht gerettet werden will ...
<p><strong>Zoe Brisby</strong>ist Kunsthistorikerin und literaturbegeistert. Ihre eigene schriftstellerische Karriere begann 2016 mit ihrem erfolgreichen Roman<strong>REISE MIT ZWEI UNBEKANNTEN</strong>. Zoe Brisby schätzt Humor und Herzensweisheit und ist der Meinung, dass ungewöhnliche Lebenssituationen einen manchmal im besten Sinn über sich hinauswachsen lassen.</p>
Zoe Brisby ist Kunsthistorikerin und literaturbegeistert. Ihre eigene schriftstellerische Karriere begann 2016 mit ihrem erfolgreichen Roman REISE MIT ZWEI UNBEKANNTEN. Zoe Brisby schätzt Humor und Herzensweisheit und ist der Meinung, dass ungewöhnliche Lebenssituationen einen manchmal im besten Sinn über sich hinauswachsen lassen.
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Ich weiß nicht, warum mir ausgerechnet dieses Manuskript so ins Auge stach. Vielleicht war es die Tatsache, dass der Autor nicht seinen Namen, sondern nur eine postalische Adresse angegeben hatte. Oder aber es lag am Titel: Die Versöhnung. Diese Worte übten auf mich eine geradezu magnetische Anziehungskraft aus. Es lag ein Versprechen darin, das mich zwang, auf der Stelle in diesen Roman einzutauchen.
Er zog mich so in seinen Bann, dass ich ihn die ganze Nacht über nicht aus der Hand legte. Es war eine schöne, eine bewegende Lektüre. Die Geschichte eines dichten, prallen Lebens auf dreihundertzweiundneunzig Seiten.
Ich bin Lektor. Das würde ich gern sagen können, aber im Augenblick ist es nur ein Traum, denn auch wenn ich für das angesehene Verlagshaus Delamare arbeite, bin ich weit davon entfernt, Lektor zu sein. Meine Aufgaben beschränken sich darauf, Kaffee zu kochen, am Kopierer zu stehen oder Ablehnungsbriefe zu verfassen. Den lieben langen Tag verschicke ich Schreiben, die ihre Empfänger auf Selbstmordgedanken bringen könnten.
Der typische Brief sieht mehr oder weniger immer gleich aus: Er ist nüchtern und versucht dennoch, auch etwas Menschliches, also eine gewisse Einfühlsamkeit vorzuschützen. Er beginnt stets mit »Trotz der ausgezeichneten Qualität Ihrer Arbeit …« und schließt mit »Ihr Roman passt leider nicht in die Verlagspolitik unseres Hauses«.
Aber ich hüte ein Geheimnis. Hin und wieder suche ich mir ein Manuskript aus dem Berg der abgelehnten Werke aus und lese es von vorn bis hinten. Ausschlaggebend kann der Titel, der Name eines Autors, das Begleitschreiben oder auch etwas ganz anderes sein. In jedem Fall aber liegt immer irgendwie etwas Magisches in dem Augenblick, in dem ich entscheide, welches Buch ausgewählt wird.
Bei meinen Rettungsaktionen bin ich bereits auf so manche Merkwürdigkeit gestoßen. Eine Abhandlung über Botanik, eine interstellare Liebesgeschichte, einen Steinzeitroman … Jedes Manuskript, mochte es noch so skurril sein, bescherte mir eine Menge neue Erkenntnisse.
Auch diesmal machte ich mich also wie so oft nach einer langen Lesenacht mit dunklen Augenringen auf den Weg ins Büro.
Es gibt Tage, die ein Leben verändern. Augenblicke, die einen Wendepunkt in unserem Dasein darstellen. Kleinigkeiten, die, zu einem Ganzen zusammengefügt, das Zeug dazu haben, dass etwas Großes aus ihnen erwächst.
An diesem Morgen wusste ich noch nicht, dass der 18. Dezember ein solcher Tag sein würde. In der Luft lag der muffige Geruch von warmen Radiatoren, draußen blendete der winterweiße Himmel und die Schneedecke dämpfte den üblichen Geräuschpegel der Großstadt.
Manche Tage beginnen schlecht. Ein Fuß, der sich in der Bettdecke verfängt und uns straucheln lässt, geschwollene Augen, eine widerspenstige Haarsträhne, ein Kopfkissenabdruck auf der Wange, eine leere Kaffeedose …
Mit einer großen Tasse Nesquik in der Hand schaltete ich das Radio ein. Weihnachtslieder! Sollte noch ein weiteres ertönen, würde ich ernsthaft in Erwägung ziehen, mich mit meinem Duschschlauch zu strangulieren.
Unter dem eiskalten Wasser in der Dusche begann ich zu japsen. Das Problem mit dem Boiler war immer noch nicht behoben. Ich musste mich endlich darum kümmern, aber da ich nicht gerade ein begnadeter Heimwerker bin, schwante mir, dass ich noch so manche eiskalte Dusche würde hinnehmen müssen. Bei der Wahl, ob ich meine Zeit lieber mit Lesen oder mit Heimwerken verbringen wollte, war die Entscheidung schnell getroffen. Ich ließ also das Shampoo links liegen und verließ frierend und mit feuchtem Haar mein Iglu.
Es war Hauptverkehrszeit, und in den Straßen herrschte dichtes Gedränge. Die Menschen bewegten sich ungeschickter als sonst fort, um nicht auf Eis und Schnee auszurutschen, und sahen dabei ein wenig aus wie eine Armee von Pinguinen im Packeis.
Ich klappte den Kragen meines Mantels hoch, um meinen Nacken warm zu halten und den scheußlichen Pullover vollständig zu verbergen, den ich mir wohl oder übel hatte kaufen müssen. Der 18. Dezember war im Büro zum »Tag des hässlichen Weihnachtspullovers« ausgerufen worden. Dieser frisch eingeführte Brauch sollte die Mitarbeiter »in festlicher Atmosphäre zwanglos zusammenkommen lassen«. Ein Einfall der Geschäftsleitung nach einer Fortbildung in Sachen Unternehmensführung.
Im Vorübergehen warf ich einen flüchtigen Blick auf mein Spiegelbild in einem Schaufenster. Ich sah einfach grauenhaft aus mit meinen zottligen Haaren, die einem verlassenen Vogelnest glichen. Immerhin harmonierten sie großartig mit meinem roten Pullover mit dem lächelnden Weihnachtsmann auf der Brust, der eher an den Killer-Clown aus der Verfilmung von Stephen Kings Es erinnerte.
Damit auch wirklich alle sich daran freuen können, enthält das Kleidungsstück eine kleine Fernsteuerung, die auf den Wangen des psychopathischen Väterchens ein paar bunte Lämpchen zum Leuchten bringt und ihm außerdem ein »Ho! Ho! Ho!« entlockt – in einer Lautstärke, die selbst einem Gehörlosen einen Schreck einjagen würde. Mit diesem Prunkstück hatte man den Horror ganz klar hinter sich gelassen und war im Reich des Grotesken angekommen.
Trösten konnte mich da nur die Vorstellung, auch Shanti, die Cheflektorin von Delamare, mit einem dieser absurden Oberteile ausstaffiert zu sehen. Die großartige und tyrannische Shanti im Rentier-Pullover und mit Rentier-Haarreif auf dem Kopf! Lächerlichkeit bringt zwar nicht um, stößt aber doch eine Führungskraft zumindest vorübergehend von ihrem Sockel. Dieser Gedanke zauberte mir für den weiteren Weg ein Lächeln ins Gesicht.
Erst als ich auf einer unvermutet vereisten Stelle ins Straucheln geriet und gerade noch einmal davonkam, ohne mir die Hüfte auszurenken, war es vorbei mit meiner spöttischen Miene. Abgesehen von diesem kleinen Zwischenfall verlief der Weg jedoch ohne weitere Störung.
Bei meiner Arbeitsstätte angekommen, schwappte mir die Wärme aus den Räumlichkeiten wuchtig entgegen. Man geizte bei Delamare nicht mit dem Heizen. Die Belegschaft hätte sich glatt auf den Karibischen Inseln wähnen können. Alle schwitzten in ihren bunten Pullovern.
Ich legte den Mantel auf meinem winzigen Schreibtisch ab, um das Fenster zu öffnen. Ein eisiger Windstoß fegte herein. Man hatte die Wahl zwischen Nordpol und Kleinen Antillen. Eine dicke Schweißperle rann in mein Auge. Schweiß war mir zuwider, also entschied ich mich für den Nordpol.
Ich atmete die eiskalte Luft tief ein, was zur Folge hatte, dass meine Lunge brannte und mir Tränen in die Augen stiegen. Trotzdem gelang es mir, die Wanduhr zu entziffern: Das morgendliche Meeting im Konferenzraum stand an. Zeit für einen Kaffee blieb mir nicht. Immerhin hatte ich bereits meinen Nesquik im Magen.
Im Konferenzraum herrschte eine ausgelassene Stimmung. Man nahm gegenseitig die Pullover in Augenschein und verstieg sich bereits zu Einschätzungen, welcher der hässlichste sei. Eine breite Palette von Weihnachtsmützen, Rentieren und Elfenohren stand zur Auswahl.
Das fröhliche Stimmengewirr kam zum Erliegen, als Shanti den Raum betrat. Die selbst ernannten Buchmacher des Hauses hatten bereits Wetten angenommen. Die Hälfte ging davon aus, dass sie den Brauch nicht achten und wie üblich streng und elegant gekleidet auftauchen würde. Die andere Hälfte setzte darauf, dass sie einen wirklich scheußlichen Pullover tragen würde, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich selbst hatte mich noch nicht festgelegt.
Bei meiner ersten Begegnung mit der Cheflektorin von Delamare, nämlich während meines Bewerbungsgesprächs, hatte ich zunächst gedacht, ich hätte mich im Gebäude geirrt und würde für eine Assistentenstelle bei der Vogue vorsprechen.
Shanti war groß, sehr groß. Mindestens einen Meter achtzig. Was sie aber keineswegs daran hinderte, schwindelerregend hohe Absätze zu tragen. Geschickt wie eine Seiltänzerin bewegte sie sich durch die Flure und maß die kleinen Leute aus den niederen Rängen mit verächtlichen Blicken.
Sie war schmal, sehr schmal. Manchmal verschwand sie hinter dem Ficus in ihrem Büro. Sie war kaum breiter als einer seiner Äste. Seiner Zweige. Ein dünnes Zweiglein von einem Meter achtzig Länge.
Sie rauchte wie ein Schlot. Da herkömmliche Zigaretten gesundheitsschädlich sind, verschaffte sie sich ein reines Gewissen, indem sie zu E-Zigaretten griff, an denen sie so frenetisch saugte wie ein Baby an seinem Schnuller. Sprach man am Telefon mit ihr, wurde das Gespräch immer wieder unterbrochen von Atemgeräuschen, die nahelegten, man unterhielte sich gerade angeregt mit Darth Vader.
Sie war immerwährend von einer Duftwolke mit Popcorn-Note umgeben. Roch man eine Mischung aus Shalimar und Popcorn, dann wusste man, dass Shanti nicht weit sein konnte. Kultiviertheit schließt Abhängigkeit nicht aus.
Was mich betrifft, so bin ich winzig. Nicht im wörtlichen Sinn, denn ich bin einen Meter neunzig groß. Aber vom Kopf her fühle ich mich ganz klein. Ein Psychologe würde mit Sicherheit von einem Minderwertigkeitskomplex sprechen. Trotz meiner Körpergröße, die mich zwingt, beim Gespräch mit anderen den Kopf zu senken, fühle ich mich winzig, unbedeutend, farblos.
So lange ich mich erinnern kann, habe ich mich minderwertig gefühlt. Eine krankhafte Schüchternheit, die mir das Leben verflixt schwer macht. In meiner Jugend geriet ich ins Stottern, sobald die Lehrerin mich etwas fragte, was mir oft genug den Ruf des Klassentrottels einbrachte.
Leider wurde es später auch nicht besser. Sobald jemand das...
Erscheint lt. Verlag | 27.9.2024 |
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Übersetzer | Monika Buchgeister |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bücher • feelgood • Feel-Good-Romane • Frankreich • Französisches Flair • Freundschaft • Glück • Humor • Lebenstraum • Lesen • Liebe • Optimismus • Romantik • Selbstfindung • Verlag • Weihnachten • Wohlfühlroman • Zugehörigkeit |
ISBN-10 | 3-7517-6455-0 / 3751764550 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6455-1 / 9783751764551 |
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Größe: 1,2 MB
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