Clara (eBook)

Künstlerin, Karrierefrau, Working Mom: Clara Schumanns kämpferisches Leben
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2024 | 1. Auflage
432 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-30704-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Clara -  Christine Eichel
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Work-Life-Balance, Regretting Motherhood, Vereinbarkeit: Warum Clara Schumann eine Identifikationsfigur für das 21. Jahrhundert ist
Anerkennung, Freiheit, Karriere: Dafür kämpfte Clara Schumann ihr Leben lang - und stand vor den gleichen Herausforderungen wie Frauen im 21. Jahrhundert. Sie haderte mit ihrer Rolle als Mutter von sieben Kindern und mit der nahezu unmöglichen Aufgabe, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Gestützt auf bisher unbeachtete Quellen, erzählt Bestsellerautorin Christine Eichel das Leben der gefeierten Pianistin und Komponistin radikal neu und räumt dabei mit einigen Klischees auf. Clara Schumann war keine sanfte Muse im Schatten ihres genialischen Mannes Robert. Im Gegenteil - furchtlos setzte sie sich über männliche Besitzansprüche hinweg, löste sich aus der toxischen Beziehung zu ihrem psychisch labilen Ehemann und stieg durch kluge Imagepflege zum Star ihrer Zeit auf. Dieses mitreißende Buch zeigt: Claras Themen sind verblüffend aktuell.

Christine Eichel, 1959 geboren, studierte Philosophie, Literatur- und Musikwissenschaft und wurde mit einer Arbeit über die Musiktheorie von Theodor W. Adorno promoviert. Sie war Fernsehregisseurin, Moderatorin, Gastprofessorin der Universität der Künste Berlin und leitete das Kulturressort des Magazins Cicero. Ihre Sachbücher »Das deutsche Pfarrhaus. Hort des Geistes und der Macht« (2012), »Deutschland, deine Lehrer« (2014), »Deutschland. Lutherland« (2015) und »Der empfindsame Titan. Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke« (2019) erregten großes Aufsehen. Christine Eichel lebt als Autorin und Publizistin in Berlin.

Auch mit seinen stattlichen zweiundachtzig Jahren ist der Geheime Rat von Goethe immer noch eine imposante Erscheinung. Vielleicht etwas kleiner als erwartet, die Nase ein wenig spitzer, die Augen nicht mehr ganz so glutvoll wie auf dem populären Stieler-Portrait, doch kaum gebeugt und geistig unvermindert präsent. Aufmerksam lauscht er der jungen Pianistin, die ihm im Juno-Zimmer seiner Wohnung am Weimarer Frauenplan vorspielt.

Es ist eine große Ehre für die zwölfjährige Clara Wieck. Und eine Feuerprobe. Der Bedeutung ihres berühmten Gastgebers als Testimonial für Künstler aller Art ist sie sich mehr als bewusst. Ein immenser Erwartungsdruck lastet auf dem jungen Mädchen. Vor Goethe spielen zu dürfen, ist schon ein Glücksfall, ein Lob von ihm zu empfangen, käme einem Ritterschlag gleich.

Eingerahmt vom riesigen Juno-Kopf aus strahlend weißem Gips und einem runden Tisch mit bodenlanger Fransendecke, spielt sie um ihr Leben, ihre Zukunft. Fehler kann sie sich so wenig leisten wie Konzentrationsschwächen. Obwohl strapaziöse Reisen hinter ihr liegen, muss Clara liefern, und dafür bietet sie alles auf, was sie gelernt hat: Selbstdisziplin, Präzision, Virtuosität.

Das vom Vater zusammengestellte Programm ist durchaus anspruchsvoll, vor allem aber darauf angelegt, den großen Dichter und Staatsmann Goethe zu verblüffen. Mit den Kompositionen des Parisers Henri Herz, die vor rasanten Läufen und irrlichternden Klangkaskaden nur so wimmeln, wähnt sich Friedrich Wieck auf der sicheren Seite. Was tut da schon zur Sache, dass Kritiker die Stücke seicht finden. Sie sind brandneu, weitgehend unbekannt und bestens geeignet, das pianistische Können seiner Tocht er zu demonstrieren. Perlende Läufe beherrscht sie seit ihrer frühesten Kindheit. Und Goethe ist zwar mit Carl Friedrich Zelter befreundet, gilt aber nicht gerade als überragender Musikkenner.

Während Clara ihr Programm absolviert, späht sie aus dem Augenwinkel zum Sessel, in dem der Geheime Rat ihre Darbietung verfolgt. Zumindest ein gewisses Wohlwollen kann sie sich erhoffen; schließlich war es der Hausherr selbst, der ihr ein Kissen auf den zu niedrigen Klavierstuhl gelegt hat. Eine nette Geste, halb väterlich, halb galant. Vorher hat sie mit ihm auf dem Sofa gesessen und geplaudert. Kein schlechter Start nach dem Ärger über das schmutzige Hotelzimmer, in dem herumkrabbelnde Spinnen ihr schönstes Kleid ruiniert haben.[1]

Jetzt muss sie nur noch wie geplant funktionieren. Immer wieder hat Friedrich Wieck ihr eingeschärft, dies sei eine einmalige Gelegenheit. Nicht jeder werde hier vorgelassen, und wenn sie es denn schon mal so weit geschafft habe, dürfe sie es auf keinen Fall verderben.

Ja, der Dichter und Staatsmann von Goethe ist wählerisch. Allzu viele Glücksritter spekulieren auf eine karrierefördernde Begegnung mit dem Olympier, Zutritt hat nur, wer Empfehlungsschreiben vorweisen kann. Das muss auch Friedrich Wieck erfahren, als er mit seiner Tochter im Herbst 1831 nach Weimar reist. Die Residenzstadt mit dem wuchtigen Stadtschloss und den adretten Bürgerhäusern ist unwegsames Gelände für einen Quereinsteiger. In der musikalischen Welt mag sich Wieck bereits einen Namen als Klavierpädagoge und Konzertveranstalter gemacht haben, in Weimar ist er ein absoluter No-Name.

Auch ein No-Go. Hier zählen Rang und Adel, sorgsam gepflegte Verbindungen, einflussreiche Gönner. Entsprechend eisig reagiert Oberhofmarschall von Spiegel, als Friedrich Wieck ihn darum bittet, Clara im Theater auftreten zu lassen, und dabei durchblicken lässt, eine Audienz beim großen Goethe sei ebenfalls genehm. Keine Chance.

»Es herrscht hier Bildung, aber großer Egoismus«, macht Wieck seiner Frustration Luft, »Hofstolz und Etikette« widern ihn an.[2] Aber für den ehrgeizigen Vater gilt: Hochmut kommt vor dem Fall – oder man beugt sich dem Zeremoniell. Nach vielen Kratzfüßen und eifrigem Klinkenputzen ist es ihm nun doch noch gelungen, seiner Tochter zumindest das ersehnte Privatkonzert am Frauenplan zu verschaffen. Falls alles gut geht, könnte es der Auftakt jenes »europäischen Triumphzugs« sein, von dem er schon im Vorfeld der Konzertreise getönt hat.[3] Nach den vielen Jahren mühseligen Tingelns durch die Provinz soll Goethe’scher Rückenwind dafür sorgen, in die großen Konzerthäuser Europas zu gelangen.

Clara weiß das. Und sie gibt alles an diesem 1. Oktober 1831. Gleich das erste Stück, La Violetta von Herz, verlangt ihr äußerste Konzentration ab. Im Kopf spielt Vater Wieck jede einzelne Note mit, zählt die Läufe an, atmet unwillkürlich schneller, wenn ein Accelerando vonnöten ist. Clara ist sein Werk. Was ihre Hände vollbringen, verdankt sich allein ihm. So jedenfalls sieht er seine Rolle in dieser musikalischen Symbiose.

Während der Bravourvariationen op. 2 treffen weitere Gäste ein, was eine gewisse Unruhe mit sich bringt. Dennoch spielt Clara unbeeindruckt weiter, exakt wie ein Musikautomat, zuverlässig wie eine Schweizer Uhr. Sie ist solche Störungen gewohnt und darauf trainiert, selbst unter erschwerten Bedingungen zu glänzen: jede Darbietung ein Balanceakt, jeder Auftritt ein Stresstest.

Die Sache glückt. Goethe ist beeindruckt. Die Herz’schen Kompositionen nennt er »heiter und französisch pikant«, Clara attestiert er ein »richtiges Eindringen in ihren Charakter«.[4] Über ihre außerordentlichen pianistischen Fähigkeiten vergesse man fast die Komposition, fügt er an und staunt, das Mädchen habe mehr Kraft als sechs Knaben zusammen.[5] Friedrich Wieck atmet auf. Mit solchen Sätzen lässt sich trefflich Werbung machen. Von nun an läuft die Sache wie von selbst. Alle vormals geschlossenen Türen Weimars öffnen sich für Vater und Tochter.

Selbst Oberhofmarschall von Spiegel gibt klein bei. Er gewährt Clara ein Konzert bei Hofe, wo sich Großherzog Carl Friedrich neben sie setzt und ihr uneingeschränkten Beifall zollt. Auf sein Geheiß muss der Oberhofmarschall am Ende vier Louisdor an Friedrich Wieck zahlen, was sicherlich nur zähneknirschend geschieht. Nun geht es Schlag auf Schlag. Am 7. Oktober gibt Clara ein öffentliches Konzert im Weimarer Stadthaus, in das fünfhundert Zuhörer strömen, es folgen Privatkonzerte in adeligen Salons, außerdem hagelt es Empfehlungen für Auftritte in Erfurt, Gotha, Eisenach, Fulda, Frankfurt – und Paris!

Befriedigt kann Wieck bilanzieren, dass sich diese Reise mehr als gelohnt hat. Sogar eine zweite Audienz am Frauenplan wird ihnen zuteil. Danach verehrt Goethe der Virtuosin, die er an anderer Stelle eher gönnerhaft als »ein sehr geschicktes Frauenzimmerchen« bezeichnet, sein Brustportrait in Bronze. Eingeschlagen ist es in einen Bogen Papier mit der Widmung »Der kunstreichen Clara Wieck«.[6]

So könnte man die Weimarepisode als gelungen bezeichnen, von den Startschwierigkeiten einmal abgesehen. Man huldige Clara als einer »Göttin der Klavierkunst«, schreibt Friedrich Wieck volltönend seiner Frau.[7] Nur ein Misston wird ihm in unguter Erinnerung bleiben: Während eines Konzerts spricht ihn die Gattin des Geheimen Regierungsrats Schmidt an; die sichtlich echauffierte Dame wirft ihm vor, er strapaziere seine Tochter über Gebühr und lasse sie zu oft auftreten. Um dem Mädchen ein wenig Vergnügen zu gönnen, sei Clara deshalb zu einer Kinderparty eingeladen.

»Hitzig und gereizt«, wie er selber notiert, lehnt Wieck die Ein ladung ab. »Ich wünschte, dass alle Eltern ihren Kindern so viel Vergnügen machen können, als ich meiner Clara«, formuliert er eine geharnischte Replik. »Übrigens hat meine Clara nicht Zeit, mit kleinen Kindern zu spielen, und sie soll den Genuss der freien Luft dem Puppenspiel vorziehen.«[8]

Hier spricht ein Mann, der seine Tochter mit eiserner Hand erzieht. Was andere als kindgerechte Aktivitäten betrachten, ist in seinen Augen nichts als Zeitverschwendung. Die einzige Erholung, die er Clara zugesteht, sind ausgedehnte Spaziergänge an der frischen Luft, um ihre körperliche Konstitution zu stärken. Was sie will, wonach sie sich sehnt, spielt keine Rolle. Der Verzicht auf kindliche Spiele und Geselligkeiten gehört nach Wiecks Dafürhalten zu den Grundbedingungen, wenn man eine Existenz als Künstlerin anstrebt.

Früh lernt Clara, ihr gesamtes Leben in den Dienst der Musik zu stellen. Dazu gehören beschwerliche Reisen, miserable Hotels und ein wankelmütiges Publikum, das ihr auch nach Goethes Ritterschlag nicht immer gewogen ist. Sie wird darüber hinwegkommen. So wie über schlechte Kritiken, wiederkehrende Selbstzweifel, sogar den zeitweisen Verlust der Publikumsgunst.

Lässt man Clara Schumanns Leben Revue passieren, so fällt auf, dass die vielen glanzvollen Höhepunkte von ebenso zahlreichen Rückschlägen begleitet sind. Dennoch lässt sie sich nie dauerhaft entmutigen. Ganz offensichtlich verfügt sie über eine ausgeprägte Resilienz, die Fähigkeit also, problematische Lebenssituationen erfolgreich zu bewältigen. Diese Fähigkeit wird ihr buchstäblich in die Wiege gelegt. Auf schmerzhafte Weise.

Familiäre Turbulenzen


In den ersten Lebensjahren ist Clara ein weitgehend übersehenes Kind. Auch wenn man...

Erscheint lt. Verlag 28.8.2024
Zusatzinfo Mit Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 2024 • andrea wulf • Biografie • Biographien • Care-Arbeit • Der empfindsame Titan • eBooks • Emanzipation • Fabelhafte Rebellen • Feminismus • Gleichberechtigung • herrin des hügels • Hidden Figures • Homosexualität • Johannes Brahms • Julia Korbik • Komponistin • Kunst • Künstlerin • LGBTQ+ • Mental Load • Musik • Neuerscheinung • Oh, Simone! • Oliver Hilmes • Patriarchat • Pianistin • Queer • Rabenmütter • Regretting Motherhood • Robert Schumann • Selbstbestimmung • Sexismus • Sichtbarkeit • Sorgearbeit • Teilhabe • toxische Beziehung • toxische männlichkeit • Vereinbarkeit • witwe im wahn • Work-Life-Balance
ISBN-10 3-641-30704-X / 364130704X
ISBN-13 978-3-641-30704-2 / 9783641307042
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