Ex-Wife -  Ursula Parrott

Ex-Wife (eBook)

Mit einem Vorwort von Mareike Fallwickl
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-492063-4 (ISBN)
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»Sex and the City« meets »The Great Gatsby« - das vergessene Meisterwerk aus den 1920ern von Ursula Parrott Patricia ist 24, als ihr Mann beschließt, die Ehe mit ihr zu beenden. Vor den Kopf gestoßen von dieser Entscheidung versucht sie zunächst, um ihren Mann zu kämpfen, merkt dann aber schnell, dass sie auch ohne ihn ein Leben führen und viel glücklicher sein kann. Zwischen Freundschaften, Affären, schmerzhaften Schicksalsschlägen und dem ekstatischen Leben in der flirrenden Metropole New York City in den goldenen 1920ern erlebt Patricia, was es bedeutet, als Frau mit den konventionellen Rollen zu brechen, zu trinken, zu flirten und das Leben ungeniert zu feiern. Doch auch der Gegenwind bleibt nicht aus: Was ist, wenn man die Erwartungen nicht erfüllt? Warum fällt ein Neuanfang umso schwerer, wenn man ständig allein für die Vergangenheit verurteilt wird?  »Wilde Skandale, misogyne Machtstrukturen und eine vergessene Starautorin: Dieses Buch hat ein fulminantes Comeback verdient.« Mareike Fallwickl

Ursula Parrott (1899-1957) ist das Pseudonym von Katherine Ursula Towle, Autorin von über zwanzig Romanen und fünfzig Geschichten. Geboren in Boston, besuchte sie das Radcliffe College, bevor sie nach Greenwich Village zog und Zeitungsreporterin wurde. Ihr zunächst anonymes Debüt, Ex-Wife, wurde 1929 über 100.000 Mal verkauft. Parrott wurde bald zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der 1930er Jahre, doch nachdem ihre Popularität zurückgegangen war, unter anderem aufgrund diverser Gerichtsverfahren, starb Parrott schließlich arm und alkoholkrank an Krebs in New York.

III


Dieses Gespräch mit Lucia über Ex-Frauen fand über ein Jahr nach dem Abend statt, an dem Peter mich im Sessel seiner Tante Janet zurückgelassen hatte.

Ich saß viereinhalb Stunden da. Ich weiß es genau, denn als ich Peters Taxi wegfahren hörte, schaute ich auf die Banjo-Uhr, die uns mein Großvater geschenkt hatte. Es war zehn Minuten nach sechs.

Neben mir lag eine verschlossene Zigarettenschachtel. Beim Öffnen riss ich zwei, drei heraus; eine zündete ich an; und versuchte zu begreifen, dass es keinen Peter mehr gab. Doch stattdessen fielen mir Dinge ein, die wir gemeinsam unternommen hatten. Sie rauschten durch meinen Kopf wie bewegte, viel zu schnell abgespielte Bilder – nur dass diese hier grell bunt waren, nicht schwarz-weiß-grau, und mit Stimmen und Düften.

Winter in London. (Wir gaben jeden Penny unserer Hochzeitsschecks vier Monate lang in England und während eines Frühlings in Paris aus; denn anschließend würde Peter lange Zeit hart arbeiten müssen und ein Starreporter werden. Oder, wie ich vorschlug, Theaterkritiker, weil ich das Theater so sehr liebte.) Nach dem Mittagessen eilten wir zu Brown-Shipley’s an der Pall Mall, um einen Scheck einzulösen; anschließend hetzten wir den Strand entlang zu Romano’s American Bar, damit wir dort ankämen, ehe um halb drei der Service eingestellt wurde. Meistens erreichten wir um fünf Minuten vor halb drei atemlos die Tür.

Peter bestellte reichlich doppelten Scotch und Soda auf einmal, um den Nachmittag zu überstehen. Ein Hauch von Nebel drang herein. Ich konnte mich an den Geruch des Nebels erinnern; an den rauchigen Duft des Scotch; an die kleinen Schweppesflaschen, deren Lichtreflexe auf dem ganzen Tisch funkelten; an Peters dunkle Stimme, die lustige Dinge sagte, etwa wie hübsch ich sei und was für einen Spaß wir haben würden, und über die fremden Orte, die wir eines Tages, sobald wir Geld hätten, bereisen würden – Moskau, Buenos Aires, Budapest und China.

Oder beim dritten Highball: »Ich bringe dir bei, wie man anständig trinkt, Patty-Liebling. Die meisten Ehefrauen trinken so jämmerlich. Guter Scotch, Pat … er steht dir in Zeiten großer Sorgen bei … Aber ich werde nie zulassen, dass du große Sorgen hast.

Keine großen Sorgen … und kein Baby, zumindest kein Baby in den nächsten Jahren. Du bist zu jung und hübsch, und ich will nicht, dass du Verletzungen davonträgst.«

Wir bekamen ein Baby, nachdem wir nach Hause zurückgekehrt waren und Peter fünfundvierzig Dollar in der Woche verdiente. Er war sehr beunruhigt. Wenn er sich nicht gerade Sorgen machte, wie wir es durchbringen sollten, fragte er sich, ob es mich sehr verletzen und ob ich jemals wieder hübsch sein würde.

Er war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Ich war einundzwanzig.

Unsere Familien ließen uns strampeln, weil das jungen Leuten angeblich ein Gefühl für die Realitäten des Lebens vermittle. Allerdings nahmen sie an, sie ließen uns mit einem wöchentlichen Verdienst von fünfundsiebzig Dollar strampeln: denn wir hatten ihnen erzählt, so hoch sei Peters Gehalt.

Nachdem ich mich an den Gedanken, ein Baby zu bekommen, gewöhnt hatte, dachte ich, es sei doch ganz nett … ein kleiner Sohn, der Peter ähneln würde.

Er sagte: »Wo zum Teufel sollen wir in einer Zweizimmerwohnung das Kind unterbringen? Wir werden niemals wieder alleine sein. Es wird deine ganze Zeit beanspruchen. Babys müssen ständig gebadet, geschaukelt und gefüttert werden.«

»Vielleicht kann es in der Küchenecke schlafen, und dann bringe ich es für lange Besuche zu meiner Familie, damit es dir nicht auf die Nerven geht«, sagte ich.

»O, Gott«, sagte er. »Die weinen doch immer, oder?«

»Ich weiß es nicht, Peter. Sehe ich sehr schrecklich aus?«

»Natürlich nicht, und ohnehin rechne ich damit, dass du das wieder hinkriegen wirst.«

Ich fuhr nach Hause nach Boston, um das Baby zur Welt zu bringen. Ich hatte das Gefühl, was auch immer mit mir geschehen sollte, wäre leichter zu ertragen, wenn ich nicht den elend aussehenden Peter anschauen müsste, der sich verzweifelt Mühe geben würde, hilfreich zu sein.

Das Baby war ein Junge. Er hatte riesige dunkelblaue Augen und flaumiges Haar, hell wie das von Peter; er wog achteinhalb Pfund. Ich war ganz verrückt nach ihm; es sei denn, ich meinte gerade, ich könne weder Energie noch Interesse für irgendetwas aufbringen und das werde ewig so bleiben.

Peter kam natürlich, um ihn sich anzuschauen; aber er war so entzückt darüber, dass ich wieder schlank war, dass er überhaupt nicht über das Baby sprach, sondern nur sagte: »Nenn ihn Patrick, weil du Patricia heißt; und weil Patrick, wenn er groß ist, ein so seltener Name ist, dass er wieder in Mode sein wird.« So machte ich es. Ich hielt es für amüsant, ein Baby mit dem Namen Patrick zu haben.

Nachdem ich mit Patrick drei Monate bei meinen Eltern verbracht hatte, fuhr ich für eine Woche allein zu Pete, um eine Wohnung zu suchen, wo genügend Platz für das Baby wäre. Die Lösung mit der Küchenecke schien mir nun, da es geboren war, nicht mehr angemessen.

Das Baby starb an meinem zweiten Tag in New York.

 

Als ich zu Peter zurückkehrte, waren wir völlig blank. Er hatte sich Geld geliehen, um meine Krankenhausrechnung zu begleichen. Wir wollten nicht, dass unsere Familien erfuhren, dass wir sie nicht bezahlen konnten. Er hatte damit gerechnet, zehn Dollar mehr in der Woche zu bekommen, aber er bekam nur fünf.

Wir waren nicht sehr glücklich. Wenn er müde war, wurde er manchmal ärgerlich, weil ich wegen des Babys so viel weinte, und ich war immer leicht aufgebracht, weil er offenbar überhaupt nicht um das Baby trauerte.

Nach einer Weile wurde es besser. Unsere Familien, die allmählich begriffen hatten, dass wir sehr arm waren, schickten uns Schecks zu unseren Geburtstagen, und damit bezahlten wir unsere Schulden. Wir zogen in eine Wohnung am westlichen Rand von Greenwich Village. Sie hatte ein Dach, auf dem wir in den heißen Augustnächten saßen und wieder über Orte plauderten, an die wir reisen wollten, und über Dinge, die wir schon bald tun würden (aber nicht so bald, wie wir es im Jahr zuvor geglaubt hatten).

Auf der anderen Straßenseite spielte ein Mann wundervoll Chopin. Ich lehnte meinen Kopf an Petes Schulter, lauschte und fühlte mich ganz ruhig.

Eines Tages: »Patty, wir müssen unser Budget um ein Paar Schuhe für mich erweitern. Die hier sind an der Seite aufgerissen, und außerdem ist eine Sohle durchlöchert.«

»Das ist eine große Tragödie, Pete. Seit einem Monat kann ich den Eismann und die Wäscherei nicht mehr beschwichtigen. Wie viel kosten Herrenschuhe?«

»Liebling, was ich früher für Schuhe bezahlt habe und für wie viel ich heute welche bekomme, ist ein großer Unterschied.«

Am nächsten Tag: »Ich habe ein Paar für sechs Dollar gesehen, das nicht allzu scheußlich aussieht. Können wir diese Woche drei Dollar zurücklegen und drei in der nächsten, meine Kleine?« Er schnitt Pappe aus, um sie in den Schuh mit der durchlöcherten Sohle zu legen, und war dabei ganz heiter.

Ich war abgrundtief traurig. Armer Peter. Er war immer so gut und lässig gekleidet gewesen.

Die neuen Schuhe wurden das Highlight dieser zwei Wochen.

Am Abend vor dem zweiten Zahltag kam er fröhlich nach Hause. »Onkel Harrison hat mir ins Büro telegraphiert. Er ist um sieben Uhr im Brevoort und will uns zu einem üppigen Abendessen einladen, Pat. Zieh dich rasch um. Ich wünschte, es wäre schon morgen und ich hätte die schönen Schuhe.« In den zwei Wochen der Vorfreude hatten sie sich von »nicht allzu scheußlich« zu »schön« gemausert.

Ich zog mich um. Ich hatte noch ein, zwei Sachen aus meiner Aussteuer, die sich anboten. Aber, »Pete, was ziehst du vor, Strümpfe mit einer breiten Laufmasche auf der Innenseite oder einer mittelbreiten auf der Rückseite?«

»Mein Gott, Liebste, sind all deine Strümpfe kaputt?«

»Sieht so aus.«

Wir entschieden uns für das Paar mit der Laufmasche auf der Innenseite und genossen ein wunderbares Abendessen mit seinem Onkel.

Als er am nächsten Tag nach Hause kam, wirkte er recht verlegen. Ich sah nach den hübschen Schuhen, aber er hatte sie nicht an. Er hatte eine kleine Schachtel in der Hand. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht, Patty«, sagte er.

Er hatte mir drei Paar Strümpfe gekauft.

In der nächsten Woche bekam er eine Gehaltserhöhung von zehn Dollar; und im darauffolgenden Monat antwortete ich auf eine Stellenanzeige in der Times, ein Werbetexter wurde gesucht. Ich fabulierte etwas über frühere Erfahrungen und bekam den Job für vierzig Dollar die Woche. Anfangs verfasste Pete am Vorabend meine Werbetexte, die ich am nächsten Tag brauchte, bis ich es gelernt hatte und selber konnte.

Plötzlich hatten wir Geld für eine Haushaltshilfe; und für Petes Drinks auf dem Heimweg; und für unsere allabendlichen Essen im Restaurant; und Geld für Gin für Partys.

Danach hielten wir es gerade noch ein Jahr miteinander aus.

Peter und ich vertrugen beide den Alkohol gut; das heißt, er wurde nicht lautstark und ich nicht kicherig; und keinen von uns beiden fand man am Ende eines Abends bleich und schwindlig auf einem fremden Bett; das heißt aber nicht, dass er nicht jedes Mädchen, mit dem er gerade tanzte, nach dem achten Drink enger an sich drückte als nach dem dritten oder dass ich nicht in gleichem Maße charmante Reden von nahezu jedem mit zunehmendem Interesse entgegennahm.

Wir liebten uns noch und waren rasend eifersüchtig; aber wir gaben unsere Eifersucht nie...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2024
Übersetzer Tilda Engel
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-10-492063-X / 310492063X
ISBN-13 978-3-10-492063-4 / 9783104920634
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