Wer die Nachtigall stört ... (eBook)

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2024 | 1. Auflage
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02238-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wer die Nachtigall stört ... -  Harper Lee
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Amerika in den 30er-Jahren.  Die Geschwister Scout und Jem Finch wachsen in einer äußerlich idyllischen Welt heran: im Örtchen Maycomb, Alabama, inmitten weißer Villen und tropischer Bäume. Erzogen von ihrem Vater Atticus, einem menschenfreundlichen Anwalt. Doch die Idylle trügt, durch die alte Gesellschaft des Südens ziehen sich tiefe Risse: zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Arm und Reich. Als Scouts Vater die Verteidigung eines schwarzen Landarbeiters übernimmt, der angeblich ein weißes Mädchen vergewaltigt hat, erfährt die Achtjährige staunend, dass die Welt viel komplizierter ist, als sie angenommen hat. Tapfer versucht sie, die demokratischen Gerechtigkeitsideale ihres Vaters gegen alle Anfechtungen hochzuhalten, und gerät selbst in Gefahr ... Unvermindert aktuell: ein Plädoyer für die Gleichheit aller Menschen. Der zeitlose Klassiker über Rassismus und Heldenmut.

Harper Lee, geboren 1926 in Monroeville, studierte Jura an der University of Alabama, zog nach New York und begann zu schreiben. Sie war befreundet mit Truman Capote, der ihr Kindheitsfreund war und dem sie bei den Recherchen für «Kaltblütig» half. Nach dem Welterfolg ihres in 40 Sprachen übersetzten Romans «Wer die Nachtigall stört...», für den sie 1961 den Pulitzerpreis erhielt, zog sie sich aus dem literarischen Leben und weitgehend auch aus der Öffentlichkeit zurück. 2015 wurde eine frühe Manuskriptfassung von «Wer die Nachtigall stört ...» gefunden und publiziert, die 50 Jahre lang als verschollen galt. Harper Lee starb 2016 in ihrer Heimatstadt Monroeville in Alabama.

Harper Lee, geboren 1926 in Monroeville, studierte Jura an der University of Alabama, zog nach New York und begann zu schreiben. Sie war befreundet mit Truman Capote, der ihr Kindheitsfreund war und dem sie bei den Recherchen für «Kaltblütig» half. Nach dem Welterfolg ihres in 40 Sprachen übersetzten Romans «Wer die Nachtigall stört…», für den sie 1961 den Pulitzerpreis erhielt, zog sie sich aus dem literarischen Leben und weitgehend auch aus der Öffentlichkeit zurück. 2015 wurde eine frühe Manuskriptfassung von «Wer die Nachtigall stört …» gefunden und publiziert, die 50 Jahre lang als verschollen galt. Harper Lee starb 2016 in ihrer Heimatstadt Monroeville in Alabama. Nikolaus Stingl, geb. 1952 in Baden-Baden, übersetzte unter anderem William Gaddis, William Gass, Graham Greene, Cormac McCarthy und Thomas Pynchon. Er wurde mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis, dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Paul- Celan-Preis und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.

Erster Teil


Kapitel 1


Das Unglück mit dem Arm passierte kurz vor Jems dreizehntem Geburtstag. Als der komplizierte Ellbogenbruch verheilt war und die Sorge, nie mehr Football spielen zu können, hinfällig wurde, kümmerte sich mein Bruder kaum noch um seine Behinderung. Der linke Arm war etwas kürzer als der rechte; im Stehen und beim Gehen knickte der Handrücken rechtwinklig zum Körper ab, während der Daumen nach unten wies. Das störte Jem jedoch nicht im Geringsten, solange er nur den Ball annehmen und zuspielen konnte.

Als so viel Zeit vergangen war, dass wir gelassen auf die Ereignisse zurückblicken konnten, sprachen wir bisweilen über die Umstände, die zu dem Unfall geführt hatten. Ich behauptete, die Ewells seien an allem schuld gewesen; aber Jem, vier Jahre älter als ich, meinte, es habe schon früher begonnen, nämlich in jenem Sommer, als Dill zu uns kam und uns auf den Gedanken brachte, Boo Radley herauszulocken.

Wenn er der Sache auf den Grund gehen wolle, sagte ich, müsse er eigentlich bei Andrew Jackson anfangen. Denn hätte General Jackson nicht die Creek-Indianer stromaufwärts getrieben, so wäre Simon Finch nie den Alabama-Fluss hinaufgepaddelt, und wo wären wir dann? Wir waren schon zu alt, einen solchen Streit mit Fäusten auszutragen, und zogen daher Atticus zurate. Vater entschied, wir hätten beide recht.

Als Südstaatler fanden es einige in unserer Familie beschämend, dass keiner unserer Vorfahren auf der einen oder auf der anderen Seite an der Schlacht von Hastings teilgenommen hatte. Alles, was wir bieten konnten, war der Trapper Simon Finch, ein Apotheker aus Cornwall, dessen Frömmigkeit nur noch durch seinen Geiz übertroffen wurde. In England wurden damals die Methodisten von ihren liberaler gesinnten Brüdern verfolgt, und da Simon zu den Methodisten gehörte, machte er sich auf den Weg über den Atlantik nach Philadelphia, von da aus nach Jamaika, dann weiter nach Mobile und den Saint-Stephens-Fluss hinauf. Eingedenk der Weisungen John Wesleys, bei Kauf und Verkauf nicht viele Worte zu machen, scheffelte Simon als Heilkundiger ansehnliche Summen. Bei dieser Tätigkeit quälte ihn jedoch unaufhörlich die Furcht, er könne sich zu Dingen verleiten lassen, von denen er wusste, dass sie Gott nicht zum Ruhm gereichten, wie etwa das Prunken mit Gold und kostbaren Gewändern. Da er seines Meisters Worte über den Besitz von Gütern in Menschengestalt vergessen hatte, kaufte er sich drei Sklaven und errichtete mit ihrer Hilfe eine Behausung am Ufer des Alabama, etwa vierzig Meilen flussabwärts von Saint Stephens. Er kehrte nur noch einmal nach Saint Stephens zurück, um sich eine Frau zu suchen; mit ihr zeugte er ein Geschlecht, in dem die Töchter überwogen. Simon erreichte ein hohes Alter und starb als wohlhabender Mann.

Es wurde Brauch, dass die Männer der Familie auf Simons Besitz, Finch’s Landing, blieben und von der Baumwolle lebten. Das Anwesen trug sich selbst. Wenn auch die Landing im Vergleich zu den benachbarten Gütern nur klein war, so brachte sie doch alles hervor, was man zum Lebensunterhalt benötigte, Eis, Weizenmehl und Kleidung ausgenommen. Diese Dinge kamen auf Flussbooten aus Mobile.

Die Wirren zwischen den Staaten des Nordens und denen des Südens hätten Simon in ohnmächtige Wut versetzt, denn seine Nachkommen verloren in ihnen alles, außer den Ländereien. Trotzdem hielten die Finchs bis ins 20. Jahrhundert hinein an der Tradition fest und nährten sich von den Erzeugnissen des Landes. Erst mein Vater, Atticus Finch, entschloss sich, in Montgomery Jura zu studieren, und sein jüngerer Bruder ging zum Studium der Medizin nach Boston. Auf Finch’s Landing blieb nur Alexandra zurück, die Schwester der beiden. Sie heiratete einen wortkargen Mann, der den größten Teil des Tages in einer Hängematte am Flussufer lag und darüber nachsann, wie viele Fische wohl schon an seinen Legangeln zappelten.

Als mein Vater bei Gericht zugelassen wurde, zog er nach Maycomb, das etwa zwanzig Meilen von Finch’s Landing entfernt war, und eröffnete dort seine Kanzlei. Atticus Finchs Büro im Rathaus enthielt kaum mehr als einen Kleiderständer, einen Spucknapf, ein Schachbrett und ein jungfräuliches Gesetzbuch von Alabama. Seine ersten Mandanten waren die beiden letzten Leute, die im Gefängnis von Maycomb County gehängt wurden. Atticus hatte dringend geraten, sie sollten von der Großmut des Staates Gebrauch machen und auf Totschlag im Affekt plädieren, um mit dem Leben davonzukommen. Aber sie waren Haverfords, ein Name, der in Maycomb County als Synonym für Maulesel galt. Bei einem Streit um eine Stute – angeblich wurde ihnen das Tier widerrechtlich vorenthalten – hatten die Haverfords den ersten Schmied von Maycomb ins Jenseits befördert. Sie waren unvorsichtig genug gewesen, das in Gegenwart von drei Zeugen zu tun, und bestanden darauf, dass dieser Hundesohn nichts Besseres verdient habe, eine Rechtfertigung, die sie für völlig ausreichend hielten. Da sie sich beharrlich weigerten, mildernde Umstände geltend zu machen, konnte Atticus nicht viel mehr für seine Mandanten tun, als ihrem Hinscheiden beizuwohnen – ein Anlass, dem vermutlich der heftige Abscheu meines Vaters vor Strafrechtsverfahren entsprang.

Während der ersten fünf Jahre in Maycomb lebte Atticus so sparsam wie möglich. Alles, was er erübrigen konnte, kam der Ausbildung seines Bruders zugute. John Hale Finch war zehn Jahre jünger als mein Vater und hatte sein Medizinstudium in einer Zeit begonnen, als der Anbau von Baumwolle nicht mehr lohnte. Sobald Onkel Jack aber auf eigenen Füßen stand, hatte Atticus durch seine Anwaltstätigkeit ein ganz ordentliches Einkommen. Ihm gefiel es in Maycomb. Er war in Maycomb County geboren und aufgewachsen, er kannte die Menschen hier, sie kannten ihn, und dank Simon Finchs Regsamkeit war Atticus entweder in gerader Linie oder durch Heirat mit nahezu jeder Familie der Stadt verwandt.

Maycomb war eine alte Stadt, und in meiner Kindheit war es eine müde alte Stadt. Bei Regenwetter verwandelten sich die Straßen in rötliche Schmutzlachen; auf den Gehsteigen wuchs Gras, und das Rathaus sackte in den Boden des Marktplatzes ein. Irgendwie war es damals heißer als heutzutage, und ein schwarzer Hund hatte an einem Sommertag viel auszustehen. Im schwülen Schatten der Eichen auf dem Marktplatz verscheuchten abgemagerte, vor Karren gespannte Maulesel die Fliegen. Die steifen Kragen der Männer waren schon um neun Uhr morgens durchgeweicht. Die Damen badeten am Vormittag und noch einmal nach ihrem Drei-Uhr-Schläfchen, aber gegen Abend sahen sie aus wie weiche Teekuchen mit einem Zuckerguss aus Schweiß und Puder.

Die Menschen bewegten sich damals langsam. Sie schritten gemächlich über den Platz, schlenderten durch die umliegenden Läden und ließen sich bei allem Zeit. Ihr Tag hatte zwar auch nur vierundzwanzig Stunden, schien aber länger zu sein. Niemand beeilte sich, denn man konnte nirgends hingehen, es gab nichts zu kaufen, zumal man kein Geld hatte, und außerhalb von Maycomb war ebenso wenig los. Einige Leute huldigten jedoch einem vagen Optimismus: Kürzlich war den Bewohnern von Maycomb County mitgeteilt worden, dass sie nichts zu fürchten brauchten als die Furcht selbst.

Atticus, Jem und ich sowie Calpurnia, unsere Köchin, lebten in der Hauptstraße des Wohnviertels. Jem und ich waren mit unserem Vater zufrieden: Er spielte mit uns, las uns vor und behandelte uns im Übrigen mit höflicher Zurückhaltung.

Bei Calpurnia lagen die Dinge anders. Sie war eckig und knorrig, sie war kurzsichtig, und sie schielte. Ihre Hand war so breit wie eine Bettlatte und doppelt so hart. Sie scheuchte mich immer aus der Küche und fragte, warum ich mich nicht so gut benehmen könnte wie Jem, obwohl sie doch genau wusste, dass er älter war. Und sie rief mich unweigerlich gerade dann ins Haus, wenn ich keine Lust hatte, hereinzukommen. Die Schlachten, die wir uns lieferten, waren gewaltig und einseitig. Calpurnia triumphierte jedes Mal – hauptsächlich deshalb, weil Atticus ihre Partei ergriff. Sie war seit Jems Geburt bei uns, und so weit ich zurückdenken konnte, hatte ich ihre tyrannische Gegenwart erdulden müssen.

Unsere Mutter war bald nach meinem zweiten Geburtstag gestorben, sodass ich mir ihrer Abwesenheit nie bewusst wurde. Atticus hatte sie, eine geborene Graham aus Montgomery, kennengelernt, als man ihn zum ersten Mal in die Volksvertretung wählte. Sie war fünfzehn Jahre jünger als er, der sich damals den Vierzigern näherte. Jem war das Produkt ihres ersten Ehejahres. Vier Jahre später kam ich auf die Welt, und zwei Jahre danach starb unsere Mutter plötzlich an einem Herzanfall. Es handelte sich um ein Leiden, das in ihrer Familie erblich gewesen sein soll. Mir fehlte sie nicht, aber ich glaube, dass Jem sie vermisste. Er erinnerte sich deutlich an sie, und manchmal stieß er mitten im Spiel einen tiefen Seufzer aus, ging weg und verkroch sich hinter dem Schuppen. Wenn er in dieser Stimmung war, hütete ich mich, ihn zu stören.

Als ich fast sechs Jahre und Jem fast zehn Jahre alt war, lag unser Sommerrevier – in Rufweite von Calpurnia – zwischen dem Haus von Mrs. Henry Lafayette Dubose, zwei Türen nördlich von uns, und dem Radley-Grundstück, drei Türen südlich. Wir kamen nie in Versuchung, diese Grenzen zu überschreiten. Das...

Erscheint lt. Verlag 16.7.2024
Nachwort Felicitas von Lovenberg
Überarbeitung Nikolaus Stingl
Übersetzer Claire Malignon
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1930er Jahre • Alabama • Amerikanische Literatur • Atticus Finch • banned books • Berühmte Romane • Bestseller • Coming-of-age • Dreißiger Jahre • Fremdenfeindlichkeit • Gehe hin • Gehe hin stelle einen Wächter • Gerichtsdrama • Jugendroman • Klassiker • Klassiker der Weltliteratur • klassische romane • Literatur über Bürgerrechte • Must-read Bücher • Pulitzer Preis • Rassenkonflikt • Rassismus • Scout Finch • stelle einen Wächter • Südstaaten • USA • Weltliteratur • ZEIT-Bibliothek der Weltliteratur
ISBN-10 3-644-02238-0 / 3644022380
ISBN-13 978-3-644-02238-6 / 9783644022386
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