Veronika und ich -  Karl Plepelits

Veronika und ich (eBook)

Liebesroman
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2024 | 1. Auflage
109 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-8387-4 (ISBN)
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Marokkanerle nannte man Kinder marokkanischer Soldaten der französischen Armee, die von 1945 bis 1955 Tirol und Vorarlberg besetzt hielt, mit einheimischen Frauen. Infolge ihrer dunkleren Hautfarbe litten sie unter noch stärkerer Diskriminierung als andere Besatzungskinder. Ein solches Marokkanerle verliebt sich später unsterblich in einen notorischen Frauenhelden. Und was geschieht? Er wird ihr untreu. Unter bitteren Tränen verstößt sie ihn und macht sich auf die Suche nach ihrem Vater, während er gleich einem Schmetterling von einer Blüte zur anderen flattert. Nach Jahrzehnten findet er in Marokko sein noch immer geliebtes Marokkanerle wieder - und erkennt sie nicht.

Geboren 1940 in Wien, studierte Karl Plepelits Klassische Philologie, Alte Geschichte und Anglistik, plagte Schüler mit Latein, Griechisch und Englisch, vertrat die Österreichische Akademie der Wissenschaften als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thesaurus linguae Latinae in München, veröffentlichte wissenschaftliche Artikel auf dem Gebiet der Latinistik, Gräzistik und Byzantinistik und übersetzte griechische Romane der Antike und des Mittelalters (erschienen im Hiersemann Verlag, Stuttgart).

16


Veronika und ich

Liebesroman


1


Man stelle sich folgende Szenerie vor:

Im Innenhof einer einfachen Herberge sitzen zwölf Wanderer – nein, nicht die zwölf Apostel, sondern zwölf Menschen ohne Heiligenschein – und geben sich marokkanischen Gaumenfreuden hin.

Obwohl, man könnte wirklich fast auf die Idee kommen, es handle sich hier um die zwölf Apostel. Den Vorsitz führt nämlich ein Typ, den man, rein vom Aussehen her, in der Tat für Jesus höchstpersönlich halten könnte, wenn auch für einen alt gewordenen Jesus mit würdevollem, faltenreichem Antlitz. Schließlich hat er seine Wiederkunft selbst vorhergesagt. Und da ist es klar, dass er inzwischen um einiges gealtert ist.

Übrigens nennt sich der Typ sogar wirklich Jesus, aber natürlich, wie hier in Marokko nicht anders zu erwarten, in der arabischen Form des Namens: Isa. Und das ist ein überaus beliebter männlicher Vorname unter den Muslimen. Nein, der Typ ist natürlich nicht Jesus Christus. Er ist ganz einfach der einheimische Fremdenführer. Alt, aber unheimlich rüstig.

Besagte einfache Herberge befindet sich in einem namenlosen Dorf inmitten des Hohen Atlas, des höchsten Gebirges von ganz Nordafrika. Und die zwölf Wanderer sind ganz bestimmt nicht die zwölf Apostel, mit oder ohne Heiligenschein.

Warum ich das so genau weiß? Erstens, weil einer der zwölf ich selber bin, und zwar in meiner Funktion als Reiseleiter. Zweitens, weil mir völlig klar ist, dass mich mein eklatanter Mangel an Frömmigkeit und christlicher Moral für eine Berufung als Apostel ziemlich ungeeignet macht. Und drittens: Unter den zwölf Wanderern befinden sich drei sportliche Damen reiferen Alters.

(Zwar ist das nicht unbedingt ein Gegenargument. Denn die Religionsgelehrten sprechen neuerdings auch von weiblichen Aposteln oder Apostolinnen. Eine von ihnen ist zum Beispiel die heilige Maria Magdalena. Eine andere die heilige Thekla.)

Hier sitzen wir also gemütlich und widmen uns hingebungsvoll dem Letzten Abendmahl. Das klingt jetzt zwar schon wieder verdächtig nach Evangelium. Aber es ist tatsächlich das letzte und, nebenbei bemerkt, höchst wohlverdiente Abendessen unseres Trekking-Abenteuers. Wir sind alle nicht nur halb verhungert, sondern auch vom Wandern total erschöpft. Aber hier können wir wenigstens zusätzlich den betäubenden Duft blühender Sträucher, eines Lavendelbusches, eines Orangenbaums genießen. Und die Zeit – ja, die Zeit haben wir nach den vielen Tagen in der Wüste und im Hohen Atlas fast vergessen. Na ja, nicht ganz. Es ist der 8. Mai im Jahre 2008. Behauptet jedenfalls Jesus, pardon, Isa. Und der muss es wissen.

Es wird dunkel. Da bekommen auch die Ohren unverhofft Ergötzliches geboten: das Dröhnen von Trommeln, das Pfeifen von Flöten, die Klänge von Berbergeigen, den Gesang von Männern, das Getriller von Frauen.

„Ah, ein Dorffest mit Musik und Tanz“, doziert Isa.

„Jö“, ruft eine der drei Damen in unserer Runde wie elektrisiert aus, und ihr Gesicht wirkt wie von einem inneren Feuer erhitzt. „Dürfen wir da zuschauen?“

„Selbstverständlich, Frau Längle.“

Sobald alle dazu bereit sind, brechen wir gemeinsam auf und gehen den Klängen nach. Wenige Minuten später öffnet sich vor uns ein Platz, hell erleuchtet durch ein offenes Feuer, vor dem weiß gekleidete und weiß beturbante Männer tanzen. Singend und mit den Füßen stampfend, bewegen sie sich rhythmisch vor und zurück. Dahinter stehen die Musikanten, hocken die trillernden Frauen, und im Hintergrund stehen Zuschauer, Männlein und Weiblein säuberlich getrennt. Die Männer begrüßen uns mit einladenden Gesten und lachenden Gesichtern. Die Frauen begrüßen uns nicht. Sie halten den Kopf gesenkt, vermeiden jeden Blickkontakt, wie es sich wohl gehört.

Nein, zwei unter ihnen, eine ältere und eine jüngere, können ihre Neugier offensichtlich nicht bezähmen. Ohne jede Scheu blicken sie uns entgegen. Im Gegensatz zum Rest der Frauen tragen sie auch nicht die malerische Tracht der Berberinnen vom Hohen Atlas, sondern nur ein Kopftuch, und sind im Übrigen ganz europäisch gekleidet wie viele Frauen in Marokkos Städten.

Die Jüngere wendet ihren Blick rasch von uns ab und wieder dem Spektakel zu. Nicht so die Ältere. Wie von einem Zauberspruch gebannt, starrt sie zu uns her. Sind wir denn so viel interessanter als die Tänzer? Und dann durchzuckt mich plötzlich der absurde Gedanke, wir könnten uns schon einmal begegnet sein. Ihre Gesichtszüge rufen irgendeine ferne Erinnerung in mir wach. Nur, welche?

Während ich mir darüber noch den Kopf zerbreche, wendet sie sich zur Jüngeren, scheint ihr etwas ins Ohr zu flüstern, blickt wieder zu uns her, löst sich aus der Menge, nähert sich zögernd, bleibt vor uns, genauer gesagt, vor mir stehen, schlägt sich auf die Stirn. Und spricht mich in akzentfreiem Deutsch, genauer, in unverfälschter Vorarlberger Mundart an.

„Peter? Ich glaub, ich spinn. Du bischt doch der Peter aus Innschbruck, oder?“

Mein Atem stockt. Mir bleibt das Herz stehen. Ich glaube das Gleichgewicht zu verlieren. Denn nun erst, an der Stimme, erkenne ich sie.

„Veronika?“, stammle ich. Und noch einmal: „Veronika?“ Und dann: „Kannst du mir verzeihen?“

Und ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen, muss mich zurückhalten, um ihr nicht vor den Augen so vieler Marokkaner um den Hals zu fallen. Wir sind hier ja schließlich im Orient. Ich kann es kaum fassen: Vor mir steht, gleich einem vom Himmel herabgestiegenen Engel, die Veronika, meine Veronika. Und mich umstrahlt die Herrlichkeit Gottes.

Wie lange stehen wir uns so, an Zunge und Gliedern gelähmt, gegenüber? Mir scheint es wie eine kleine Ewigkeit. Wie von einer höheren Macht gelenkt, ergreife ich schließlich wortlos ihre Hand und führe sie aus dem Kreis der Zuschauer an eine Stelle, wo wir allein sind und wo es dunkel ist. Und siehe da, schon hängt sie schluchzend an meinem Hals. Da brechen auch mir die Tränen hervor, und ich schließe die nach so langer Zeit wiedergefundene Veronika in meine Arme, lasse meine Tränen auf ihre Schulter tropfen.

Aber dann fällt mir ein: Wehe, wenn uns ein Einheimischer so sieht!

„Hier können wir nicht bleiben“, stammle ich. „Wir müssen ...“

Und damit endet meine wohlgesetzte Rede. Was wir tun oder lassen müssen, weiß ich selber nicht. Wieder ergreife ich Veronikas Hand. Und so wandern wir in tiefem Schweigen davon und stehen bald unversehens vor meiner Herberge.

„Hier übernachten wir“, murmle ich. „Kommst ein bissl mit hinein? Dann können wir ...“

Und ohne ihre Antwort abzuwarten oder auch nur meinen Satz zu vollenden, entführe ich sie in die Abgeschiedenheit meines Zimmers, und sie lässt sich willig entführen. Hier erneuern wir die Tränen, erneuern die Umarmung, erneuern unsere alte, längst verloren geglaubte Liebe. Veronika ist eine neue Penelope, ich bin ein neuer Odysseus. Nach unendlich langer Trennung haben wir uns wiedergefunden und vollziehen (um Homers eigene Worte zu gebrauchen) gar freudig den Ritus der alten Liebe. Und in der Tat, unsere Umarmung ist ein geradezu sakraler Akt. Er verwandelt uns in ein mystisches Wesen, und dieses ist nicht von dieser Welt. Mit feierlicher Andacht betritt mein Phallus Veronikas feuchtes, mir noch immer so vertrautes Heiligtum. Mit feierlicher Andacht dringt er bis zu dessen verborgenem Allerheiligsten vor. Unter ekstatischen Halleluja-Rufen lasse ich ihn dort sein heißes Trankopfer darbringen, unter ekstatischen Halleluja-Rufen beschwört Veronika unsere unvergängliche Liebe.

Doch sobald wir uns an süßer Liebe und danach an gegenseitiger Betrachtung und Berührung gesättigt haben, gewinnt die Neugier die Oberhand über unsere Erschütterung. Und wie Odysseus und Penelope nach ihrem Ritus der alten Liebe erfreuen wir uns nun an süßen Plaudereien.

Als Erste bricht Veronika das Schweigen und stellt mir die längst erwartete Frage: „Du? Liebster? Was führt dich in dieses gottverlassene Nest?“

Und erst, nachdem sie sich an meinem Bericht gesättigt hat, gelingt es mir, ihr dieselbe Frage zu stellen.

Veronikas Antwort hätte ich mir eigentlich denken können. Aber ich kann es eben nicht. Mein Geist befindet sich in einem derartigen Aufruhr, dass mein Denkvermögen gefährlich reduziert ist.

Nun, ihre Antwort lautet: „Ich bin auf Besuch bei meinen Verwandten.“

Jetzt erst kommt mir die volle Erinnerung zurück an die Zeit, als wir ein Liebespaar waren, und danach an eine noch frühere Zeit, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind.

 


2


Es ist ein Sonntag im Juli oder August des Jahres 1959. Der zwölfjährige Peter aus Innsbruck verbringt gerade seine Sommerferien bei Onkel und Tante in einem namenlosen Vorarlberger Dorf.

Er sitzt neben seinem Cousin am Rande einer Kirchenbank und wartet auf den Beginn des Gottesdienstes. Und schon ertönen die Ministrantenglöckchen, um den Eintritt des hochwürdigen Herrn Pfarrers aus der Sakristei anzukündigen, da steht, wie aus dem Boden gewachsen, ein kleines Mädchen neben dem Peter und blickt ihn, gerötet und völlig außer Atem, bittend an. Er macht sich dünn, rückt ein Stückchen näher an seinen Cousin. Mit bezauberndem Lächeln schlüpft die Kleine herein und flüstert ihm zu: „Du, danke. Aber weißt du, meine Mama ...“

Sie bricht ab, ihr Lächeln erstirbt, denn mehrere Köpfe vor uns drehen sich nach ihr um. Und deren Blicke sind alles andere als freundlich.

Dies war unsere erste...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7565-8387-2 / 3756583872
ISBN-13 978-3-7565-8387-4 / 9783756583874
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