Schicksalsstunden einer Demokratie -  Volker Ullrich

Schicksalsstunden einer Demokratie (eBook)

Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-82166-0 (ISBN)
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Demokratien sind fragil. Freiheiten, die fest errungen scheinen, können verspielt werden. Wenige historische Ereignisse verdeutlichen dies so eindringlich wie das Scheitern der Weimarer Republik. Volker Ullrich erzählt eines der größten Dramen der Weltgeschichte - anschaulich, spannend und nahe an den handelnden Personen. Chancen blieben ungenutzt, Alternativen wurden verspielt. Nichts war zwangsläufig oder unvermeidbar. Die Schicksalsstunden einer Demokratie, es gab sie von den Anfängen in der Revolution von 1918 bis zu den verhängnisvollen Tagen im Januar 1933. Es kommt auf die konkreten Handlungen einzelner Personen an - damals wie heute. Eine Lektüre, die beklemmende Parallelen zur Gegenwart zeigt. Die Geburt der Weimarer Republik stand unter einem denkbar ungünstigen Stern. Das deutsche Kaiserreich hatte den Weltkrieg krachend verloren. Der Versailler Vertrag legte dem besiegten Land harte Bedingungen auf. Eine nicht abreißende Kette von Krisen - unterbrochen nur durch eine Phase scheinbarer Stabilisierung Mitte der 20er Jahre - erschütterte die Republik. Doch trotz aller Belastungen - das Experiment der ersten deutschen Demokratie war nicht von allem Anfang an auf ein ruhmloses Ende angelegt. In seinem packenden Buch zeigt der renommierte Historiker und Publizist Volker Ullrich, dass es immer wieder Gelegenheiten gab, die Weichen anders zu stellen, von der Gründungsphase der Republik bis zum Januar 1933. So ist Ullrichs Buch auch eine eindringliche Mahnung: Wir haben es in der Hand, ob die Demokratie siegt oder scheitert.

VOLKER ULLRICH ist promovierter Historiker und leitete von 1990 bis 2009 bei der Wochenzeitung 'Die ZEIT' das Ressort 'Politisches Buch'. Er hat eine ganze Reihe von einflussreichen historischen Werken vorgelegt, darunter 'Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871-1918' (1997) und eine hochgelobte zweibändige Hitler-Biographie (2013 und 2018), die in viele Sprachen übersetzt wurde. Volker Ullrich erhielt 1992 den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik und 2008 die Ehrendoktorwürde der Friedrich-Schiller-Universität Jena. <br>

Kapitel I

Der Zauber des Anfangs


Die Revolution von 1918/19

9. November 1918 in Berlin: Vor der Garde-Ulanen-Kaserne solidarisieren sich Soldaten mit den streikenden Arbeitern.

Es ist der 9. November 1918. In Berlin herrscht eine fieberhafte Spannung. Schon seit Tagen wird die Reichshauptstadt durch Gerüchte über einen Matrosenaufstand in Kiel und die rasche Ausbreitung der revolutionären Bewegung in Atem gehalten. «Die Nervosität und Erwartung, dass etwas Ungewöhnliches geschehen werde, ist in allen Kreisen groß», notiert der Kunstmäzen und Diplomat Harry Graf Kessler.[1] Der Oberbefehlshaber in den Marken, General Alexander von Linsingen, hat Bahnlinien unterbrechen lassen und zusätzliche Truppen angefordert, um Berlin vor den Aufständischen zu schützen. Doch alle Gegenmaßnahmen erweisen sich schnell als wirkungslos.

Am Morgen des 9. November treten die Arbeiter der Berliner Großbetriebe in den Generalstreik. Die Naumburger Jäger, eine als besonders zuverlässig geltende Truppe, solidarisiert sich mit den Streikenden. Von den Außenbezirken bewegen sich lange Demonstrationszüge zum Regierungsviertel in der Wilhelmstraße, bewaffnete Arbeiter und Soldaten an der Spitze. Theodor Wolff, der Chefredakteur des liberalen «Berliner Tageblatts», hält in seinem Tagebuch fest: «Aus dem Redaktionsfenster sehe ich, dass durch die Leipziger Straße sich große Menschenmassen mit roten Fahnen in Zügen vorwärts bewegen. Meine Mitarbeiter kommen und erzählen, überall risse man den Offizieren die Kokarden ab, Schutzleute seien nicht mehr vorhanden, die Stadt sei mit einem Schlage völlig verändert, die Straßenbahn habe den Verkehr eingestellt, das Wolffsche Telegraphenbureau sei von den Revolutionären besetzt, am Brandenburger Tor wehe die rote Fahne.»[2]

In pausenlosen Telefongesprächen versucht der Reichskanzler, Prinz Max von Baden, vergeblich, den im Hauptquartier im belgischen Spa weilenden Kaiser Wilhelm II. noch in letzter Minute zur Abdankung zu bewegen. So entschließt er sich, auf eigene Verantwortung zu handeln. Gegen 12 Uhr mittags lässt er über das «Wolffsche Telegraphenbureau» die Nachricht verbreiten, dass Wilhelm II. seinem Thron entsagt habe. Kurze Zeit später überträgt er dem Vorsitzenden des Mehrheitsflügels der Sozialdemokratie, Friedrich Ebert, die Reichskanzlerschaft. Auf die Frage, ob er bereit sei, das Amt «auch innerhalb der monarchischen Verfassung» zu führen, antwortet Ebert ausweichend: «Gestern hätte ich diese Frage unbedingt bejaht, heute muss ich mich erst mit meinen Freunden beraten.» Als Prinz Max daraufhin die Frage einer möglichen Regentschaft für die Hohenzollern anschneidet, erklärt Ebert: «Es ist zu spät», und hinter ihm wiederholt der Chor seiner Parteigenossen: «Zu spät, zu spät!»[3]

Um zwei Uhr nachmittags ruft der zweite Vorsitzende der Mehrheitssozialdemokratie, Philipp Scheidemann, von einem Balkon des Reichstags die «deutsche Republik» aus: «Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt. Das Alte, Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt! Die Hohenzollern haben abgedankt!»[4] Nur zwei Stunden später proklamiert Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Schlosses aus die «freie sozialistische Republik Deutschlands». Der führende Kopf der Spartakusgruppe, für den sich erst am 23. Oktober die Tore des Zuchthauses Luckau geöffnet hatten, macht in seiner Rede deutlich, dass das eigentliche Werk der revolutionären Umwälzung erst noch bevorstehe: «Wir müssen alle Kräfte anspannen, um die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufzubauen und eine neue staatliche Ordnung des Proletariats zu schaffen, eine Ordnung des Friedens, des Glücks und der Freiheit unserer deutschen Brüder und unserer Brüder in der ganzen Welt.»[5]

An eben diesem Nachmittag begibt sich der Historiker Gustav Mayer in die Berliner Innenstadt. «Welch verändertes Bild springt mir entgegen!», notiert er. «Überall Soldaten ohne Kokarden. Herumstehende, schlendernde, diskutierende (aber keine singenden) Menschen am Potsdamer Platz. Fortwährend kommen Lastautos und graue Militärautos, voll besetzt (auch die Dächer) mit Soldaten mit aufgeknöpften Jacken und zwischen ihnen, die Flinte um die Schulter, zahlreiche Arbeiter und Halbwüchsige. Auf jedem Auto einer, der die rote Fahne schwenkt.»[6] Die rote Fahne – sie wird zum Symbol der Revolution. «Roter Stoff scheint von irgendwelchen Ausgabestellen aus unter die Vertrauensleute der Bewegung verteilt zu werden, und so tragen sie alle das noch vor kurzem so verpönte Abzeichen des Umsturzes», wundert sich der Reporter der «Deutschen Zeitung», eines Sprachrohrs des radikalnationalistischen Alldeutschen Verbandes.[7]

Am Abend schreibt Theodor Wolff seinen Leitartikel, der am nächsten Morgen erscheinen wird. In bewegten Worten feiert er den vollzogenen Umsturz: «Die größte aller Revolutionen hat wie ein plötzlich losbrechender Sturmwind das kaiserliche Regime mit allem, was oben und unten dazu gehörte, gestürzt. Man kann sie die größte aller Revolutionen nennen, weil niemals eine so fest gebaute, mit soliden Mauern umgebene Bastille so in einem Anlauf genommen worden ist.»[8] Zu demselben Urteil gelangt Harry Graf Kessler, als er am 10. November auf die Ereignisse des Vortages zurückblickt: «Die Revolution hat vor wenig mehr als 24 Stunden in Berlin begonnen; und schon ist von der alten Ordnung und Armee nichts mehr übrig. Nie ist das ganze innere Gerüst einer Großmacht in so kurzer Zeit so vollkommen zerstäubt.»[9]

Doch so plötzlich, wie viele meinten, war die Revolution nicht ausgebrochen, und es hatte auch mehr als eines Anlaufs bedurft, um die scheinbar so festgefügte Ordnung der Hohenzollernmonarchie zum Einsturz zu bringen. Die Umwälzung vom November 1918 war nicht nur eine Folge der militärischen Niederlage und der dadurch ausgelösten Schockreaktion in der deutschen Bevölkerung. Sie war lange im Schoße der wilhelminischen Gesellschaft herangereift. Unter der Hülle des «Burgfriedens», der im August 1914 proklamiert worden war, hatten sich die gesellschaftlichen Spannungen im Laufe des Ersten Weltkrieges außerordentlich verschärft. Nicht nur für Arbeiter, sondern auch für Angestellte und Beamte verschlechterte sich die materielle Situation drastisch, während Rüstungsindustrielle Riesenprofite machten.

Besonders die völlig unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln schürte Unzufriedenheit. «Alles wird für die Reichen, für die Besitzenden reserviert. Sobald es heißt, Entbehrungen mitmachen zu müssen, dann wollen die Herrschaften keine Brüder und Schwestern mehr von der arbeitenden Klasse sein. Die schönen Reden vom ‹Durchhalten› gelten nur für die arbeitende Klasse, die herrschende Klasse hat sich mit ihrem Geldsack schon genügend versorgt», klagte eine Hamburger Arbeiterin im Winter 1916/17, der als «Steckrübenwinter» in die Geschichtsbücher eingegangen ist.[10]

Mehr noch als der Mangel selbst wirkte die ungerechte Verteilung provozierend und verbitternd. In zahllosen Hungerunruhen und Streiks machte sich der angestaute Unmut seit 1916 Luft. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr verband sich die Empörung über die wirtschaftliche Not mit dem Verlangen nach Frieden. Mobilisierend wirkte hier das Beispiel der russischen Februarrevolution 1917. «Wir müssen es nur machen wie in Russland, dann wird es auch bald anders werden» – solche Äußerungen verzweifelter Frauen fingen die Spitzel der Politischen Polizei auf, die sich unter die Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften mischten.[11] Zum Sammelbecken des Antikriegsprotests wurde die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), die sich im April 1917 als oppositionelle Kraft formierte, während die Mehrheitsrichtung der Sozialdemokratie (MSPD) nach wie vor die Kriegsanstrengungen des kaiserlichen Deutschlands unterstützte.

Ende Januar 1918 traten in Berlin und anderen Städten Hunderttausende Rüstungsarbeiter in den Ausstand, um für «Frieden, Freiheit und Brot» zu demonstrieren. Zwar gelang es den Zivil- und Militärbehörden noch einmal, die Bewegung niederzuschlagen, doch war deutlich geworden,...

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