Bulldog und Bossa Nova -  Klaus Löffler

Bulldog und Bossa Nova (eBook)

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2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Gmeiner-Verlag
978-3-7349-3136-9 (ISBN)
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Bodensee-Region, 1965: Fröhliche Traktorenklänge können täuschen. Immer mehr Bauern geraten unter Druck, die Milchwirtschaft aufzugeben. Fleckviehzüchter Anton und die anderen Bauern im Dorf halten dagegen. So schnell lassen sie sich nicht unterkriegen. Sang- und klanglos zu weichen, ist jedenfalls nicht ihr Ding. Ein Truthennen-Halter spielt mit seiner Combo und flotten Melodien zum Tanz auf, während Anton mit seiner Tenorstimme dem traditionellen Gesangverein die Stange hält. Sein 12-jähriger Sohn hört indes lieber Bossa Nova bei Radio Luxemburg. Die Geschichten sind Szenen des Abschieds vom bäuerlichen Leben - und zugleich des Aufbruchs in eine neue Zeit.

Klaus Löffler ist auf einem Bauernhof (Rengetsweiler) im Hügelland zwischen Bodensee und Donau geboren und aufgewachsen. Nach seinem Jurastudium mit Promotion in Freiburg folgten berufliche Tätigkeiten in Mexico City, Quito, Straßburg, Brüssel und Berlin.

SEIN BESTES PFERD


Der bewölkte Maihimmel spannt sich heute wie ein geflecktes Kuhfell über unser Dorf. Es sieht nicht nach Regen aus. Das Frühjahr 1965 geht frei von Kapriolen auf den Sommer zu, obwohl es bei uns oben im Hügelland immer einen Kittel kälter ist als unten am Bodensee.

Am Brunnentrog vor dem Haus schwenke ich gerade eine Milchkanne aus, als mein Vater Anton auf dem Hof den alten Kramer »Allesschaffer« in Gang setzt. Der Chef, wie Anton im Ort genannt wird, füttert das robuste Rohölross, Baujahr 39, zuerst mit einem Zündhütchen, spendiert ihm einen halben Eimer Kühlwasser, spuckt in die frisch mit Melkfett eingeriebenen Hände und setzt die Kurbel an. Er dreht das Schwungrad bis zum Anschlag zurück, bevor er es ankurbelt und dem Motor den satten Tock-tock-tock-Ton entlockt, eine Art Erkennungsmelodie für den einsatzbereiten Kramer.

Heute geht’s mit dem Bulldog, unser Wort für Traktor, ausnahmsweise nicht auf den Acker, sondern zum Autokauf.

Der Chef hat Wind davon bekommen, dass das Frauenkloster im Nachbardorf einen alten, aber gepflegten VW Käfer mit frischer TÜV-Plakette abstößt. Da will er schnell zugreifen.

Auf dem Weg zum Kloster deutet der Chef an, dass die Schwester Oberin den Verkauf des Gebrauchtwagens persönlich in die Hand nimmt. »Damit du gleich weißt, wo wir dran sind: Die lässt sich nichts billig abhandeln, nix abfuggera

Unter ihrer resoluten Regie wird im Frauenkloster mit angeschlossenem Internat für höhere Töchter gelernt, gebetet und gearbeitet. Mit den zehn Geboten, den vier Grundrechenarten und etwas handwerklichem Geschick kommt man dort ziemlich weit.

»Lass dich von der schlichten Tracht einer Ordensschwester nicht täuschen«, rät der Chef. »Darunter verbirgt sich eine russische Prinzessin aus großfürstlichem Haus.«

Als junges Mädchen ist es ihr unter abenteuerlichen Umständen gelungen, den revolutionären Umtrieben der Bolschewisten zu entrinnen. Auf ihre alten Tage steht sie im Ruf einer Ordens- und Geschäftsfrau, die es faustdick hinter den Ohren hat und genau weiß, was sie will.

Minuten später umkreist der Chef mit TÜV-Prüfermiene den zwischen Kloster und Weiher abgestellten VW Käfer, ein taubenblaues Modell »Export« mit verchromten Zierstreifen.

»Damit wir uns gleich richtig verstehen«, sagt die Prinzessin mit russischem Akzent, »Rabatt können Sie hier nicht raushandeln. Das kommt bei mir nicht infrage.« Und mit spöttischem Unterton fügt sie hinzu: »Wir sind hier auf dem Klosterhof, nicht auf dem Viehmarkt.« Ohne eine Antwort abzuwarten, fährt sie fort: »Ich schätze die Bauern und Handwerker, aber ich kenne sie auch.«

Ich weiß das: Mit der Stiefelspitze klopfen sie an die Reifen und meckern über angebliche Mängel. Oha, die Lenkung ist ausgeleiert. Womöglich der Achsschenkelbolzen gebrochen. Oder sie tauchen den Zeigefinger in das kleinste Tröpfchen Öl – ein scheinbar untrügliches Zeichen für Ölverlust, undichten Zylinderkopf und Kolbenfresser.

»Das übliche Nörgeln beim Gebrauchtwagenkauf können Sie sich sparen«, verkündet die Oberin. »Nichts als Bauerntheater, um einen Preisnachlass rauszuschinden. Aber, wem sag ich das!«

Das auffälligste Merkmal der Russen-Prinzessin sind ihre runden, direkt unterhalb der Haube sitzenden Habichtaugen, denen nichts entgeht. Diesen Habichtaugen verdankt die Klosterschule ihren Wohlstand. Minister, Adlige, Fabrikanten, gehobene Kreise – bessere Leit, wie man bei uns sagt – lassen sich das scharfe Auge der Oberin etwas kosten. Denn es wacht über die strikte Trennung zwischen den höheren Töchtern drinnen und den ungehobelten Bauernburschen draußen.

Erst jetzt ruhen die Habichtaugen auf Anton, um zu sehen, wie er reagiert. Bringt der Milchbauer und Viehzüchter überhaupt das nötige Kleingeld auf, um die Karre zu bezahlen?

Gute Frage. Bei den Bauern scheißt der Teufel das Geld nicht auf einen großen Haufen. Alle müssen es mühsam zusammenkratzen.

Der Chef legt alles auf die hohe Kante, was vom Milchgeld übrig ist, verstaut nach und nach (in unserer Sprache: nanderno) große und kleine Scheine in der Schublade seines Nachttisches neben dem Bett und beschwert den langsam anwachsenden Geldstapel mit einer Tokarew, einer Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg mit Sowjetstern auf dem schwarzen Griff.

Lange hat der Chef gezögert, den unter der Russen-Knarre gehorteten Schatz gegen einen fahrbaren Untersatz einzutauschen. Aber heute macht er Nägel mit Köpfen.

Auf die Frage nach dem Bargeld nickt er wortlos und nestelt das abgezählte Geldbündel aus dem Kittelsack, aus der Tasche seiner blauen Wolljacke mit den Hirschhornknöpfen.

Jeder Schein wird einzeln beäugt und nachgezählt. Anton verzichtet auf eine Probefahrt und macht lieber gleich den Sack zu.

Beim Kauf unter Bauern wäre er vorsichtiger: zurückgedrehter Kilometerstand, verheimlichter Kolbenfresser, verkappter Getriebeschaden infolge ruppigen Fahrens, alles dabei. Dagegen sind bei einem Wagen aus zweiter Hand Ordensfrauen mit sanftem Gemüt und entsprechendem Fahrstil einfach die idealen Vorbesitzerinnen. Die Schlüssel wechseln den Besitzer. Und das von der Prinzessin befürchtete Bauerntheater fällt aus.

Auf dem Heimweg fährt der Chef voraus. Ich übernehme zum ersten Mal den Bulldog. Immerhin bin ich schon zwölf. Höchste Zeit, unter die Schlepperfahrer zu gehen. Der Chef hält mich ohnehin für einen Spätzünder. Der Kopf ist willig, aber die Beine sind kurz. Mit den Zehenspitzen komme ich gerade so an Kupplung und Bremse. Bald nehme ich Fahrt auf und streife meine Unsicherheit ab. Der beschwingte Takt des immer schnelleren Tock-tock-tock löst in meinem Kopf ein befreiendes Gefühl aus. Beim Traktorfahren streife ich die Zügel ab. Bei 16 km/h Höchstgeschwindigkeit geht mir, fast schon im Temporausch, ein Cowboy-Gassenhauer durch den Kopf:

Sein bestes Pferd braucht keine Zügel,

es läuft auch so nach Idaho.

Später an diesem Nachmittag steigt der Chef mit dem Sparbuch in der Hand aus dem Klosterkäfer aus und geht auf die Kasse in Meßkirch. Ich schneie hinter ihm drein in den Schalterraum. Er braucht etwas frisches Bargeld, um zu tanken.

Mit vollem Tank will er danach eine erste Runde drehen. Runter nach Überlingen, um zu sehen, ob die kalte Sophie heuer die Obstbauern am Bodensee wieder mal aus ihren Blütenträumen gerissen hat.

Dem frisch gebackenen Autobesitzer wird beim Betreten der Bank eine schlecht gelaunte Miene, eine Zenna, hingehängt. Mehr als ein frostiges »Grüß Gott« ist nicht drin. Ich dachte, die Eisheiligen sind schon vorbei. Aber nein, hier in der Kasse sitzen sie noch. Der D-Mark-Bonifaz hinter dem Schalter macht ein See-gfrörne-Gesicht beim Aushändigen von 50 Mark, aufgeteilt in einen blauen Zehner mit einem Segelschiff und in zwei grüne Zwanziger mit einer Geige als Motiv auf der Rückseite.

Unterdessen entdecke ich im Schalterraum ein Werbeplakat mit dem Spruch: »Landwirtschaft hat Zukunft – mit uns.« Illustriert ist dieses Versprechen mit einem Bäumchen, an dem statt Äpfel oder Birnen Fünfmarkstücke reifen.

Der Chef hat keine Augen für die schöne Geige auf dem Geldschein, er hat nur das Tanken im Sinn. Und das Plakat vom Geld, das auf Bäumen wächst, verstärkt eher sein Misstrauen gegenüber Leuten, die sich als Unterstützer der Landwirte ausgeben und doch als Buckelgräzer, im Huckepack auf dem Rücken der Bauern, ihre Geschäfte machen.

»Hä«, frage ich noch unter der Tür, »warum benehmen die sich so sperrig und tond eckig

»Wahrscheinlich ärgern sie sich, weil ich für die als Mikado-Kunde gelte. Ein Autokauf, aber keine Bewegung auf dem Konto.«

Klar. Der Chef hat ja keinen Pfennig Kredit aufgenommen. Nur wenn sich etwas bewegt oder die Finanzierung wackelt, dann zweigt die Bank Gewinn ab.

»Da wird was abgezweigt«, denke ich laut. »Aha, die Zweigstelle …«

»… macht den großen Schnitt mit Wackelkandidaten. Das sind die Bauern, die es nicht schaffen, ihre Kredite rechtzeitig abzustottern.«

Die haben sie echt am Wickel, wie mir scheint. Manchmal wird ihnen der Hof abgfuggeret und unter Wert zwangsverkauft.

Der Chef, das müssten die Eisheiligen in der Zweigstelle inzwischen wissen, traut ihnen nicht über den Weg. Deshalb nimmt er kein Geld auf. Um keinen Preis. It ums Verrecka setzt er seine Unterschrift unter einen Kreditvertrag oder irgendein Papier mit einem Rattenschwanz an Risiken und Zahlungspflichten. Selbst wenn er damit der letzte Bauer im Dorf wäre, der mit dem Bindemäher über den Acker hoppelt und von Hand Garben aufstellt, anstatt einfach den Ottel mit seinem dicken Mähdrescher zu bestellen. Der runde Anton zeigt sich von seiner eckigen Seite.

Das Eckige hat mit einem hundert Jahre alten Vorfall zu tun. Eine alte Geschichte, über die längst Gras gewachsen ist. Sie wird in unserem Dorf erzählt, als wäre sie erst gestern passiert. Vielleicht, weil sie die Leute in den Bauernhäusern, die Baueraleit, damals heftig erschüttert hat. Oder weil sie als zeitlose Warnung zu verstehen ist.

Der Lambert war ein tüchtiger Mann und der reichste Bauer im Dorf. Er wohnte in einem herrschaftlichen Haus in der Ortsmitte. Ihm gehörte auch das...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7349-3136-3 / 3734931363
ISBN-13 978-3-7349-3136-9 / 9783734931369
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