Der Barkeeper hat immer recht oder: Eine Geschichte von Nachtschwärmern und Schnapsdrosseln -  Thomas Majhen

Der Barkeeper hat immer recht oder: Eine Geschichte von Nachtschwärmern und Schnapsdrosseln (eBook)

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2024 | 2. Auflage
519 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-3231-3 (ISBN)
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Der Barkeeper hat immer recht, wusste schon Konfuzius. Das ist zwar gelogen, ändert aber nichts an der unumstößlichen Tatsache. Denn innerhalb seines Mikrokosmos ist ein Barkeeper ein allwissender und allmächtiger Meister, der stets weiß, wo es langgeht. Er ist ein Dschinn, der durch Reiben an der Flasche beschworen wird und Wünsche erfüllt - auf Nachfrage und gegen ein gutes Trinkgeld auch mehr als drei. Das Geheimnis dieses mit allen Wassern gewaschenen Menschendompteurs und Flaschenjongleurs liegt in dem natürlichen Habitat, in dem er sich bewegt. Umgeben von leise flatternden Nachtschwärmern und schrill tönenden Schnapsdrosseln, kann er sich nur behaupten, wenn er als Herr der Flaschen auftritt und nicht als deren Knecht, kann er nur bestehen als Dirigent und nicht als zweite Geige. Durchdringen Sie den wabernden Alkoholdunst und tauchen Sie ein in einen Mikrokosmos, der von allerlei mythischen Gestalten bevölkert wird. Erfahren Sie aus erster Hand, welche Abenteuer ein Barkeeper zu bestehen hat - und wie Sie diesem besser nicht gegenübertreten.

Jahrgang 1981, bayrisches Landei mit Wahlheimat Berlin, in seinen jungen Jahren aufgrund mangelnder Selbstkenntnis auf Abwege geratener Eigenbrötler, denkbar ungeeigneter Zeitsoldat und Hotelfachmann, als mittlerweile abgenutzter wie auch unwilliger Barmann endgültig dem Schreiben verfallen - so ließe sich Thomas Majhen in charmanten Worten grob umschreiben. Außerdem ist er hochgradig unmusikalisch, ausgeglichen faul und fleißig, maulfaul und stur, er verwendet grundsätzlich viel zu lange Sätze mit viel zu vielen Kommas, weiß nicht, warum das alles überhaupt jemanden interessiert und hat zum Schluss nur noch eine wichtige Sache zu sagen: Den unhandlichen Nachnamen, der schon die kreativsten wie auch abwegigsten Misshandlungen über sich ergehen lassen musste, spricht man 'Maichen' aus.

II. Zapfen und Quatschen


Wer nix wird, wird Wirt

Volksweisheit

 

 

Beginnen wir zunächst einmal mit den grundlegenden Dingen und der einfachen Frage, was so ein Barkeeper den ganzen Tag über macht. Die ernüchternde Antwort darauf lautet: Er schläft vermutlich, denn sein „Tag“ beginnt meist erst dann, wenn andere sich in den Feierabend begeben, sich durch den Berufsverkehr nach Hause quälen oder mit den Kumpels auf ein Bier in ihrer Stammkneipe einkehren, wo ebenjener Barkeeper soeben seine Schicht angetreten hat. Ein Barmann ist also schon von Berufswegen kein Frühaufsteher, sein Tag ist buchstäblich die Nacht. Meist schläft er bis in die Mittagsstunden, rollt sich sodann gerädert und zerknittert – nicht selten auch übel verkatert – aus dem Bett und plant mit einem eingekniffenen Blick auf die Uhr seine weitere taktische Vorgehensweise bis zum unweigerlich nächsten Schichtbeginn im Laufe des Abends oder späten Nachmittags …

 

* * *

 

An der Arbeits- und Wirkstätte angekommen, die in nicht wenigen Fällen zugleich Theaterbühne, soziale Auffangstation und die speisende Plutoniumquelle des verstrahlten und grotesk mutierten Egos ist, wird die Schicht erst einmal mit einer großen und kräftigen Tasse Kaffee eingeläutet – wahlweise auch mit einem Glas Schnaps oder einer Nase Kokain. Ich bevorzuge Kaffee, denn jener ist bei gleicher Wirkdauer kostengünstiger, bei weitem unschädlicher und außerdem jederzeit in rauen Mengen verfügbar. Gut, fast dasselbe könnte man auch über den von Barkeepern kaum weniger geschätzten Schnaps sagen, jedenfalls im Verhältnis zum Kokain. Davon abgesehen war ich aber im Zuge einer Handvoll Selbstversuche immer vom überaus mangelhaften Wirkungsgrad des weißen Pulvers enttäuscht. Daneben bin ich keineswegs bereit geschweige denn verfüge ich über die nötige Zeit, während meiner Schicht im Viertelstundentakt auf die Toilette oder ins Lager zu hasten, um mir die betäubte und rotzlaufende Nase „nachzupudern“. Kaffee ist, und in dieser Hinsicht bin ich typisch deutsch, die tägliche Droge meiner Wahl.

Viele Barkeeper sind, und mich selbst nehme ich hiervon keineswegs aus, ohne den ersten Schuss Koffein kaum ansprechbar, sondern bewegen sich wie im Delirium mechanisch an den Barstationen vorbei hin zur Kaffeemaschine, dieser Spenderin des Erwachens, der Zapfstation des sehnlichst benötigten schwarzen Treibstoffes. Was wären wir nur ohne diese wunderbare technische Errungenschaft, dieser vielleicht wichtigsten menschlichen Erfindung seit der Entdeckung des Rads, des Schießpulvers und der Tiefkühlpizza? Bestenfalls willenlose Zombies.

Kaum, dass man nun also die erste Tasse des Drehzahlbeschleunigers intus hat, prasseln mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schon die ersten Bestellungen des Abends auf einen ein. Ein Bier hier, eine Piña Colada da, ein entkoffeinierter Soja-Latte-Macchiato mit Fair-Trade-Karamell-Topping dort … Alles wunderbar. Die nächste entscheidende Hürde des Tages muss genommen werden, wenn schließlich eines dieser lästigen aber zwangsläufigen Individuen, die die Tresen dieser Welt bevölkern, die Dreistigkeit besitzt, einen schon jetzt, noch weit vor Erreichen eines wenigstens halbwegs „wach“ zu nennenden Zustandes anzusprechen.

„Haben Sie auch eine Toilette?“, „Gibt’s hier was zu essen?“, „Ist der Tisch dort wirklich reserviert?“, hört man da einige besonders unerschrockene Exemplare fragen, zeitraubende und überflüssige Höflichkeitsfloskeln geflissentlich übergehend.

Es sind immer wieder dieselben Fragen, die man mit routiniert emotionslosem Ton mit den ebenfalls immer gleichen Antworten abschmettert: „Die Treppe hinunter.“, „Nein, nur Getränke.“, „Ja, der ist reserviert.“. Hat man während dieses halbwachen, ferngesteuerten Zustandes nun wahlweise besonders gute oder aber ausgesprochen schlechte Laune, so lässt man sich gelegentlich auch einmal zu Variationen hinreißen wie „Nein, eine Toilette haben wir nicht. Gehen Sie einfach gegenüber in den kleinen Park.“, „Wir verkaufen ausschließlich Flüssignahrung.“ oder „Wo denken Sie hin, der Tischaufsteller mit der Aufschrift Reserviert steht da selbstverständlich nur, weil er so unglaublich schön und dekorativ aussieht.“.

So oder so ähnlich setzt es sich in der frühen Phase des Barbetriebs fort. Limetten schneiden, Caipis stampfen, Bier zapfen, Fässer wechseln, dumme Fragen beantworten, dabei stets gute Miene machen. Wenigstens zeigt sich mit Erreichen der zweiten Tasse Kaffee allmählich die wohltuende Wirkung der ersten und die Laune wird ein wenig besser, erreicht schließlich ein Niveau, das als Betriebstemperatur beziehungsweise unteres Ende menschlicher Sozialfähigkeit bezeichnet werden könnte. Die Schaumkrone des Biers gelingt nun schon deutlich schöner, fast wie aus einem der zahlreichen Werbespots, die Cocktails schmecken ausgewogener, die Kommunikation wird freundlicher. Nach rund einer Stunde Arbeit ist man an selbiger endlich nicht mehr nur körperlich angekommen, sondern auch mental dazu in der Lage, den Widrigkeiten des Berufslebens zu begegnen.

Gegen 21 Uhr hat einen die gewohnte Routine schließlich völlig vereinnahmt. Die Handgriffe sind schnell und präzise, die Rezepturen nehmen den direkten Weg vom Hippocampus zu Händen und Fingern, ohne den zeitraubenden Umweg über das in solch einem „Flow“ ohnehin nur unnötig störende Bewusstsein. Mit fortschreitender Stunde nimmt nun auch die Frequenz der Getränkebestellungen zu. Die Hände greifen in rascher Folge zu Shaker, Eisschaufel und Gläsern, von Flasche zu Flasche, gleich den Tentakeln eines irrsinnig gewordenen Oktopusses, der sich in einem Anflug von tierischer Hybris dazu entschlossen hat, den Tiefen des Meeres zu entsteigen, um Barkeeper zu werden. Das Koffein im Blut erhält nun Verstärkung durch das wesentlich effektivere Adrenalin, das einen regelrechten Rauschzustand auslöst und als einzige unwesentliche Nebenwirkung die Tentakel ein klein wenig zittern lässt. Man will mehr davon! Wie ein Derwisch fliegt man nun hinter dem Tresen hin und her und riskiert nur kurz einen hastigen Blick auf das schwarze Ziffernblatt seiner Mido: Es ist 22 Uhr.

Die Vorstellungen der umliegenden Theater sind seit einigen Minuten beendet und die Hütte ist mittlerweile zum Bersten gefüllt. Der Takt aus zahlenden und neu eintreffenden Gästen erreicht einen schon fast schwindelerregenden Level. Doch das aus zahllosen Individuen bestehende menschliche Metronom ist unbarmherzig. Stress. Noch ist es guter Stress, der den ersehnten Adrenalinpegel aufrechterhält und den Kessel unter Dampf hält, doch ist die Grenze des Angenehmen schnell überschritten. Die Bestellungen rattern jetzt wie im Stakkato aus dem Bondrucker, der stupide seine Pflicht erfüllt und rollenweise Thermopapier mit abstrakten Getränkenamen bedruckt, die das nunmehr im eigenen Saft schwimmende Bartenderhirn in Arbeitsaufträge uminterpretiert. Schweißperlen sammeln sich auf der Stirn, an denken ist nicht mehr zu denken, es gilt nur noch zu funktionieren.

Sechs Cocktails müssen noch gemixt, neun Bier noch gezapft, weiterhin zwei Cappuccini, eine Tasse Kaffee, ein Espresso (wieder so ein Stümper, der nach einem „Expresso“ verlangte!), ein Ginger Ale und zwei Weißwein zubereitet werden. Die sechs Gäste an Tisch zwölf wollen bezahlen. Natürlich getrennt. Das Eis ist alle, ebenso Wodka und Zitronensaft.

Das Wichtigste zuerst. Mit einer Präzision, die sonst nur Schweizer Uhrwerken zu eigen ist, entscheidet das Barkeeperhirn, welche der anstehenden Aufgaben die höchste Priorität genießt. Ankommende Gäste? Sicher nicht. Gäste, die uns verlassen wollen? Schon eher, denn wie schon eine alte Weisheit besagt: „Auf Wiedersehen!“ ist schöner als „Hallo!“. Aber, wie Henry Ford sagen würde, das Fließband darf niemals stillstehen. Also zunächst einmal runter ins Lager.

Auf dem Weg nach unten tritt einem ein Mann in den Weg. Ob man ihm Zigaretten mitbringen könne. Nein, Kleingeld habe er keines, man solle es einfach auf die Rechnung schreiben.

Natürlich, ganz einfach, nicht wahr? Man hat schließlich sonst nichts Besseres zu tun! Also mit einem Sprung zurück hinter den Tresen und mit einem Griff in die Kasse das benötigte kostbare Münzgeld entnommen, um es diesem vollkommen überflüssigen Apparat des Teufels in den Rachen zu werfen. Jetzt aber ab!

Bei dem Versuch, an Tisch sieben vorbei zu huschen, schlagen einem mürrische und ungeduldige Blicke entgegen. Jemand am Tisch sagt etwas in unsere Richtung, versucht uns aufzuhalten. Die Blockade aus Worten und fuchtelnden Händen wie ein Schlachtkreuzer aus dem Zweiten Weltkrieg durchbrechend und den Sprecher mutwillig ignorierend, rast man die Treppe hinab ins Lager, besorgt Eis, Wodka und Zitronensaft, drei der wichtigsten Zutaten einer jeden Bar. Und natürlich vergisst man diese verflixte Packung Zigaretten.

Als man auf dem Weg nach oben wieder an Tisch sieben vorbeikommt, hat man keine Chance mehr der geifernden und nun in ernsthaftem Aufruhr befindlichen Meute zu entkommen.

„Wir haben schon vor zwanzig Minuten bestellt! Können Sie mal nachfragen, wo denn unsere Getränke bleiben?!“, schlägt es einem mit deutlich gereiztem Unterton und misstrauisch zusammengekniffenen Augen entgegen.

Man verspricht, sich darum zu kümmern und eilt weiter. Beim Slalomlauf durch die dicht um die Theke gedrängte Menge stellt sich einem der nach Nikotin gierende Raucher in den Weg. Während er einen mustert und verzweifelt nach dem begehrten Schächtelchen fahndet, bemerkt man an einem verräterischen Klimpern in der Hosentasche, dass man etwas ohnehin Überflüssiges vergessen hat. Man erntet...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7598-3231-8 / 3759832318
ISBN-13 978-3-7598-3231-3 / 9783759832313
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