Ist wie Stacheldraht kauen (eBook)

Versüßt durch Vergeltung

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 5. Auflage
371 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-3224-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ist wie Stacheldraht kauen -  Yara Sylver
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Sophie blickt auf ein Leben voller Brüche und Tiefen zurück. Der Willkür einer exzentrischen Mutter ausgesetzt, büßt sie ein Stück Kindheit ein. Emotionaler Missbrauch hinterlässt Narben auf ihrer Seele und verändern ihren Charakter, ihr Innerstes rebelliert. Der Drang nach Genugtuung lässt sie zur Scharfrichterin über all jene werden, die sie ungerecht behandeln, Sophie rächt sich. Im jungen Erwachsenenalter entschädigt das Schicksal sie für jahrelange Demütigungen, die Lebensfreude ist zurück. Beruflicher Erfolg und Glück in der Liebe stärken ihr Selbstbewusstsein über ein gesundes Maß hinaus. Sie verliert den Bezug zur Realität, die Beziehung scheitert. Das Trauma ihrer Kindheit, der ungelöste Konflikt mit der Mutter, die keine Gelegenheit auslässt, ihr eins auszuwischen, überschattet ihr weiteres Leben. Dann ist er da, der Tag der Abrechnung. Die Geschichte bezieht sich auf den Zeitraum von 1937-1999. Schauplätze sind Hessen, Baden-Württemberg, Graz/Österreich und der Jemen.

Die in Franken geborene Weltenbummlerin bezeichnet sich als Hobby-Wissenschaftlerin. Philosophie und Psychologie hat sie nicht studiert, aber aus ihrer Lebenserfahrung und der akribischen Beobachtung von Menschen entstehen die Geschichten, die uns das Verhalten ihrer Romanfiguren verstehen lässt. Sie vermischt Selbsterlebtes mit gehirnakrobatisch Erfundenem zu traumatischen Geschehnissen, die die Leserschaft in ihren Bann zieht. Aber sie kann auch leichte, amüsante Literatur, gerne auch ein Genre-Mix. Dabei zeigt sich: Yara Sylver ist selbst eine Getriebene, die ihren Platz im Leben noch sucht.

Die in Franken geborene Weltenbummlerin bezeichnet sich als Hobby-Wissenschaftlerin. Philosophie und Psychologie hat sie nicht studiert, aber aus ihrer Lebenserfahrung und der akribischen Beobachtung von Menschen entstehen die Geschichten, die uns das Verhalten ihrer Romanfiguren verstehen lässt. Sie vermischt Selbsterlebtes mit gehirnakrobatisch Erfundenem zu traumatischen Geschehnissen, die die Leserschaft in ihren Bann zieht. Aber sie kann auch leichte, amüsante Literatur, gerne auch ein Genre-Mix. Dabei zeigt sich: Yara Sylver ist selbst eine Getriebene, die ihren Platz im Leben noch sucht.

Kapitel 2 – Mein Eldorado bittersüß


Zwei Beamte der Sittenpolizei statteten uns einen Besuch ab und nahmen Mutter ins Verhör. Jemand hatte sie der Prostitution bezichtigt und angezeigt.

  Die Männer machten mir Angst, ich verkroch mich flugs in die Kammer. Irgendwann hörte ich Mutter schluchzen, dann krachte die Wohnungstür. Ich lauschte den Schritten, bis sie verhallten und schaute nach dem Rechten. Mutter saß heulend im Sessel, schwarze Rinnsale liefen an ihren Wangen hinab. Sie zog ein Taschentuch aus der Sesselritze, wischte über die Unterlider und schnäuzte hinein. Ich hatte sie nie zuvor weinen sehen und stupste sie an. „Mama?“

  Ihr Mund zuckte, als ob sie lächeln wollte. Unvermittelt riss mich Mutter an sich und hielt mich fest umklammert. „Du liebst mich doch, nicht wahr!“, flennte sie, küsste mein Haar und brabbelte unaufhaltsam wirres Zeug.

  Tage später zog Großvater bei uns ein. Er hatte die Anzeige gestartet und gehofft, man würde Mutter zur Läuterung in Gewahrsam nehmen. Bloß kam sie mit der Auflage davon, sich umgehend Arbeit zu suchen und es der Behörde zu melden.

 

Wegen des Schlamassels, in das sie geraten war und weil Opa ihr auf der Pelle hockte, bombardierte Mutter ihn mit Gehässigkeiten. Erst als er ihr mit erhobener Hand drohte, gab sie Ruhe.  

  Mit einem zusätzlichen Bett wurde es eng in der Kellerwohnung. Um Stauraum zu schaffen, montierte Opa Regale und eine Kleiderstange in die Abstellkammer. Dort hingen auch drei Kleidchen, die er mir spendiert hatte und für die ich mich nicht zu schämen brauchte.

  Fehlende Privatsphäre war ein ständiges Streitthema zwischen den Erwachsenen. Die  Fetzen  flogen und auch Gegenstände. Es ging turbulent zu bei uns, doch mit Opa als Rückhalt konnte  mir  meine cholerische Mutter nichts mehr anhaben. Die Welt war trotz Krieg wieder schön.

  Die Umstellung vom Nachtmenschen zum Frühaufsteher fiel Mutter schwer.  Um sechs klingelte der Wecker sie aus den Federn, Schlag sieben saß sie an ihrer Maschine und nähte neun Stunden lang Fahnen und Bettwäsche für die Armee. Abends kam sie übellaunig durch die Tür und stimmte Klagelieder an über das miese Betriebsklima, den Kantinenfraß und über die roten Pusteln an Händen und Unterarmen – eine allergische Reaktion auf die appretierten Gewebe. „Selbst in der eigenen Bude hab ich nichts zu lachen und stehe unter Dauerbeobachtung. Das hält doch keine Sau aus.“ Mit solch lahmen Protesten hatte sie sich noch einigermaßen im Griff.

 

Großmutter, von der ich kein Bild mehr im Kopf hatte, war auf Anraten der Ärzte in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Ihr Geisteszustand hatte sich dramatisch verschlechtert, sie war zur Gefahr für sich und andere geworden. Opa war von einer Riesenlast befreit. Neben der Betreuung seiner Frau die volle Arbeitsleistung zu erbringen, hatte ihn ausgelaugt, mehr mental als physisch. In seinem Heimatort hatte er sich quasi selbst beurlaubt, um für mich da zu sein, während Mutter auf anständige Weise Geld verdiente.

  Opa arbeitete in Nachtschicht in einer Automobilfabrik, wo ausschließlich Militärfahrzeuge gebaut wurden. Wenn er morgens zurück war, weckte er mich und machte Frühstück. Zu Kakao gab es Honigkekse und frische Brötchen, die ich mir beliebig belegen durfte. Wurst und Käse standen zur Auswahl, Kräuterquark und Nusscreme. Auch richtig waschen durfte ich mich, mit Seife und warmem Wasser. Ich hatte eine Zahnbürste mit weichen Borsten und eine Zahncreme, die nach Minze schmeckte.

  Mittags legte sich Opa für ein, zwei Stunden aufs Ohr. Ab und an legte ich mich dazu und schlief in seiner Umarmung ein. Hinterher spielten wir irgendwas oder er erzählte Geschichten, die vom Leben erzählten. Geschimpft hat mich Opa in der ganzen Zeit nur zweimal. Einmal, als er sah, wie ich auf Knien den Boden wischte, das andere Mal überraschte er mich beim Wäschewaschen. Warum er sich, anders als Mutter, darüber aufregte, war mit ein Rätsel. Ich hätte fragen können.

 

Samstag war Einkaufstag – für mich das Highlight der Woche. Während Opa geduldig in der Schlange stand, spielte ich mit anderen Kindern Fangen oder Himmel und Hölle. Was es in Läden nicht gab, ergatterte Opa auf dem Schwarzmarkt. Er war geschickt im Verhandeln und wir kamen stets mit vollen Taschen heim.

  Die Monate gingen ins Land, die Fronten verhärteten sich zunehmend und irgendwann schoss Mutter über das Ziel hinaus. „Ewig die gleiche Scheiße“, krakeelte sie, als Opa ihr Benehmen anprangerte. „Du bist eine Zumutung. Machst dich hier breit und verpestet mit deinen faulen Eiern die Luft. Und den Moralapostel lass bloß stecken. Die, die am lautesten schreien sind die mit den abartigsten Neigungen. Ich kann den Spieß auch umdrehen und dich anzeigen. Ja, das ist überhaupt die Lösung! Warum bin ich nicht längst drauf gekommen. Was weiß denn ich, was du mit Sophie in meiner Abwesenheit anstellst. Süße Früchtchen stehen bei alten Knaben hoch im Kurs.“

  Opa wurde augenblicklich kreidebleich, die Adern an Hals und Schläfen traten blau hervor. Seine Augen weiteten sich gespenstisch. Eine Schrecksekunde lang dachte ich, er schlägt zu. Stattdessen holte er seinen Koffer unterm Bett hervor, warf ihn auf die Federdecke seines Bettes und klappte ihn auf.

  Mutter bekreuzigte sich, sackte  auf  die  Bettkante, warf lässig ein Bein übers andere und wippte mit dem Fuß. „Ich danke dir Herrgott im Himmel für die Worte, die du mir in den Mund gelegt hast, um dieses Wunder zu bewirken.“

  Nachdem Opa gepackt hatte, setzte er sich breitbeinig aufs Sofa und winkte mich heran. „Ich kann nicht bleiben, sonst geschieht noch ein Unglück. Möchtest du mit mir kommen?“

  „Sophie geht nirgendwo hin“, sagte Mutter streng. „Du fahr zur Hölle, sie bleibt.“

  Mein Kopf flog herum, mir wurde mulmig unter ihrem drohenden Blick. Warum wollte sie, dass ich blieb, wo sie mich doch nicht lieb hatte. Ohne Opa würde alles  sein, wie vor seiner Ankunft. Hunger wäre mein ständiger Begleiter durch den Tag, dazu die Angst vor Dresche bei jedem noch so kleinen Vergehen. Ich wandte mich Opa zu und nickte eifrig. Er hatte mir von seinem Haus erzählt, auf das die Sonne schien. Mit einem blühenden Garten drumrum und angrenzendem Weideland für Pferde und Rindviecher. Und einen Räuberwald hatte er erwähnt, wo Wildschweine, Rehe, Füchse und Dachse lebten, wie ich sie aus Bilderbüchern kannte. Innerlich vor Freude zappelnd nahm ich seine Hand und signalisierte Mutter mit leuchtenden Augen das Ende unserer Beziehung. Stumm und regungslos sah sie zu, wie Opa meine Sachen zu seinen in den Koffer legte. Ich traute dem Frieden nicht und behielt Mutter in atemloser Spannung im Blick. Mit dem Zuschnappen der Schlösser entkrampfte ich.

  „Zuletzt wirst du dich vor Gott verantworten müssen“, sagte Opa und meinte Mutter.

  „Bevor der Allmächtige bei dir Bilanz zieht, rechne ich mit dir ab“, erwiderte sie bissig. „Und du kleines Luder wirst dir wünschen, nie geboren zu sein.“

  „Drohungen sind Waffen, die man gegen sich selbst richtet“, zitierte Opa.

  „Da hilft auch kein schlaues Daherreden.“ Mutter richtete die Fingerpistole auf ihn. „Peng! Peng!“

  Wer Gott sei, fragte ich Opa, als wir auf die Straße traten. Während der Fahrt zur Automobilfabrik, wo Opa den noch ausstehenden Lohn abholte, erklärte er mir kindgerecht den christlichen Glauben.

  Ob Gott mit Vornamen Gunnar hieß, wollte ich wissen.

 

Mein altes, neues Zuhause war mein Eldorado und ich die Goldmarie. Alles war tausendmal schöner als ich es mir erträumt hatte. Im Obergeschoss von Opas Haus hatte ich ein Zimmer mit Dachschräge ganz für mich allein; zur Westseite hin, wo bei wolkenlosem Himmel den ganzen Nachmittag die Sonne hereinschien. Ich ließ die Gardine abnehmen, damit ich auch vom Bett aus Nachtfalter und Fledermäuse beobachten konnte. Das Gezeter der Gartenschläfer und die Schreie rivalisierender Katzen waren Musik in meinen Ohren. Wenn der Mond hereinlachte, lächelte ich zurück, bis mir die Augen zufielen. Opa hatte mir erzählt, dass der Mond der kleine Bruder der Sonne sei und Sterne Elfen, die mit einem Netz aus Engelhaaren Kinderwünsche auffingen und sie wahr werden ließen. Sie hatten gut zu tun mit mir.

  Lebensmittel waren hier keine Mangelware, niemand musste vor Geschäften anstehen. Man buk Brot selbst, Gemüse holte man aus dem Boden, Obst von den Bäumen und Fleisch..., darüber wollte ich nicht nachdenken.

  Gesunde Ernährung, Landluft und Sonne wirkten Wunder. Ich nahm zu, die Schatten unter meinen  Augen verblassten, die kleinen roten Punkte überall am Körper, die wie Wassertropfen aussehen, verschwanden. Der Grauschleier war Geschichte, mein Gesicht hatte diesen rosig-frischen Pfirsich-Teint.

  Für die Dorfkinder war ich anfangs was Besonderes. Ich genoss die Aufmerksamkeit, wenn ich vom kriegerischen Treiben in der großen Stadt erzählte, von Bomben, ausgebrannten Fahrzeugen und schweren Panzern. Hier auf dem Land erinnerten nur ausgemergelte Menschen an den Krieg, die auf der Flucht oder auf der Suche nach einer neuen Bleibe bei den Bewohnern um Nahrung und Kleidung...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Emotionaler Missbrauch • Sozialdrama • Tiefenpsychologie
ISBN-10 3-7598-3224-5 / 3759832245
ISBN-13 978-3-7598-3224-5 / 9783759832245
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