Die 100 Tage der Republik Mayonnaise -  Horst-Uwe Lachswedel

Die 100 Tage der Republik Mayonnaise (eBook)

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2024 | 1. Auflage
262 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-9742-1 (ISBN)
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Franz-Pepi Neumayer hat es satt, ein passives Rädchen im System zu sein. Kurzerhand sagt er sich los von einer undurchschaubaren Politik der Mächtigen, von Österreich und der gesamten EU, und erklärt seinen Hühnerhof zum unabhängigen Staatsgebiet, dem er selbst als Kaiser vorsteht. Die gute alte Zeit, in der die Österreicher noch etwas galten in der Welt, steht im Begriff wiederbelebt zu werden. Die zur Zollbeamtin ernannte Oma muss fortan die Hofeinfahrt bewachen, der Euro wird abgeschafft und der Schilling wiedereingeführt. Doch bald wird deutlich, dass im Sog der Veränderung nicht nur das eine oder andere Huhn als Kollateralschaden abgeschrieben werden muss. »Als Staatsmann kann man nicht immer nur nett sein. Politik bedeutet, dass man hin und wieder hart durchgreifen muss. Dass man sagt: Du, du, du und du, ihr schaut jetzt in die Röhre.« »In einer Ära, wo Xenophobie zur Tugend erhoben, Populisten als Retter gefeiert, Verschwörungstheorien zur neuen Wissenschaft erklärt und alternative Fakten als Evangelium gepriesen werden - leuchtet Die 100 Tage der Republik Mayonnaise wie ein unerwarteter Strahl der Hoffnung auf; ein fröhliches Gegengift gegen den Marsch in die Arme der neuen Rechten, das dem drohenden Schatten des Autoritarismus ein Schnippchen schlägt.« Knut Loch

100


Am 19. Juli des Jahres 20-- beschließt Franz-Pepi Neumayer, dass es reicht. Mit dem Staat, mit der Politik, mit allem. Anschließend fährt er zum Baumarkt nach Radigstätten und kauft zwei Rollen Absperrband in rot-weiß-rot. An der Kassa wartend entschließt er sich außerdem für ein neues Paar Arbeitshandschuhe. Spontan und entgegen sein knappes Budget. Doch, so die Überlegung, wer ein großes Werk in die Tat umzusetzen plant, der sollte gut ausgerüstet sein.

Zurück auf unserem Hof in Dunskirchen rammt er den Geländewagen in eine wild auseinander stiebende Horde Hühner hinein, springt aus dem ohne einen Hauch von Ordnung schräg zum Haus geparkten Fahrzeug und lässt dieses mitten auf dem staubigen Vorplatz in der Sonne stehen. Dabei ist er selbst es, der bereits ungezählte Male darauf hingewiesen hat, dass die Hitze der Elektronik schade und dass der Nissan gefälligst unters Garagendach gehöre.

An diesem Tag macht Franz-Pepi sich weder die Mühe, den Wagen in den Schatten zu parken, noch hat er Interesse daran, das unschuldige Opfer seiner Manie aus dem Kühlergrill zu klauben. Der Tatendrang hat ihn gepackt wie ein schweres bengalisches Fieber und das Ergebnis droht nicht weniger verheerend zu werden.

Der hölzerne Verschlag neben dem Kuhstall, welchen wir übertrieben «Scheune» nennen, weil dies bei den Höfen der Gegend so üblich, ist die nächste Station seines großen Planes. Diese mit dem Krempel von Generationen angeräumte Rumpelkammer kann mit Fug und Recht als neumayerisches Atommüll-Endlager bezeichnet werden. Verbraucht und Nutzlos ruhen hier Seite an Seite mit Alt und Kaputt, eine handgetriebene Ölpresse, ein schartiger Pflug, genügend abgefahrene Autoreifen, um ein militärisches Trainingscamp auszustatten, sechseinhalb Fahrräder und die alten Holzzuber, in denen früher die Mayo zubereitet wurde. Ein staubbedecktes Durcheinander, welches insgeheim darauf spekuliert, eines Tages in den Antiquitätenstand erhoben und für einen Batzen Geld verkauft zu werden. Und genau deswegen war es undenkbar, den Kram einfach wegzuschmeißen, oder – der Einfachheit halber – den Schuppen in Brand zu stecken; nicht etwa, weil sich niemand diese Plackerei antun wollte. In Franz-Pepis oft gehörten Worten: Hier werden Zeugen der «guten alten Zeit» bewahrt.

Dies erklärt allerdings nicht, warum er die Zaunpfosten ausgerechnet an diesem Ort verstaut hat. Vielleicht hatte er gehofft, nie wieder einen Zaun bauen zu müssen, vielleicht existiert jener «verfluchte Volltrottel» aber auch wirklich, dem er, während er Pfosten um Pfosten aus der hintersten Ecke des Gerümpelhaufens hervorzerrt, die Schuld an diesem «organisatorischen Verbrechen» anlastet.

Bis zu diesem Zeitpunkt, der in das sechste Jahr meines Erdendaseins fällt, hielt sich die geschichtliche Bedeutung des Örtchens Dunskirchen, gelinde gesagt, in Grenzen. Abgesehen von den gelegentlichen Streitereien unter Nachbarn, wenn ein Kalb sich an fremder Weide gütlich getan oder ein Hahn nervtötend früh zu krähen beliebte, hatten hier keine nennenswerten historischen Schlachten oder Ereignisse stattgefunden. Und wenn man den Wirten, den Pfarrer und die Greißler-Marie nicht mitzählte, so gab es auch keine berühmten Söhne oder Töchter, auf die wir mit Stolz als auf einen oder eine aus unserer Mitte hätten blicken können. Weder war hier je etwas Bedeutendes geschehen noch machte die Ansammlung verblasster Einfamilienhäuser und Bauernhöfe den Eindruck als würde sie es je auf die Seiten eines Geschichtsbuches schaffen.

Mit ihren 45 Einwohnern beeindruckte die Ortschaft, deren Namen ich schon damals stets nur mit den Verdauungsproblemen eines Geistlichen assoziierte, einzig dadurch, dass sie sich durch die Wirren der Zeit geschaukelt hatte und bis zu diesem Tag bestehen geblieben war. Doch selbst diese kleine Glanztat konnte im Lichte der jüngsten Verwaltungsreform in Frage gestellt werden, als wir unseres eigenen Bürgermeisters beraubt und dem größeren Radigstätten angegliedert worden waren.

Die einzigen halbwegs geschichtsträchtigen Symbole im Dorfzentrum von Dunskirchen sind eine große Linde «gepflanzt zum 50. Thronjubiläum seiner EW Majestät», sowie ein Brunnen aus dem Jahre 1908 «errichtet im 60. Regierungsjahr unseres Kaisers Franz-Joseph I». Eine kleine Plakette neben dem spinnwebenverzierten Wasserspeier, darauf Kein Trinkwasser steht, macht für den ortsfremden Besucher – aber nur wenn er die Betonung richtig auf Kein legt – deutlich, dass der Brunnen seit dem Ende der Monarchie ausgetrocknet ist und seither nur noch als Auffangbecken für die welken Blätter des Lindenbaumes dient. Sollte an diesem Punkt die Neugier dessen, der, aus welchen Gründen auch immer, sich in unser Kaff verirrt hat, noch nicht gestillt sein, so informiert eine verwitterte, halb vom Efeu verdeckte Inschrift über den eigentlichen Sinn, der den beiden Denkmälern ursprünglich zugedacht war: «Wurzeln der ruhmvollen Heimat» heißt es über den Lindenbaum, bezüglich des wasserlosen Brunnens ist vom «Quell des zukunftsfrohen Österreich» die Rede. Spätestens jetzt wird unser namenloser Besucher einen kopfschüttelnden Blick über den stillen, trostlosen Platz schweifen lassen und wenn er eine Ahnung von Geschichte hat dabei vielleicht ein bisschen lächeln. Denn rückblickend und insbesondere in Anbetracht zweier verlorener Weltkriege, sind diese allzu optimistischen Einschätzungen von Österreichs Zukunft natürlich vollkommen verlogen. Im gesamten 20. Jahrhundert war Österreich nicht nur kilometerweit am Ruhm vorbei geschlittert, seit dem Ende der Kaiserzeit hatte es zudem keine Veränderung gesehen, die den einstigen Zukunftsoptimismus in irgend einer Weise gerechtfertigt hätte. Wenn sich etwas geändert hatte, so war dies (jedenfalls im Originalton meines Vaters) «zum Schlechten gewesen».

Doch damit sollte es nun ein Ende haben.

An diesem heißen Nachmittag des 19. Juli 20--, während die drei am Beckenrand des Brunnens herumlungernden Dorfjugendlichen durch das sporadische Aufheulen-Lassen ihrer Mopedmotoren von ihrer baldigen Flucht kündigen und damit ein akkurates Bild der ländlichen Tristesse Dunskirchens geben, schallen vom Rande des Dorfes die Hammerschläge Franz-Pepi Neumayers. Es ist das sich klopfend ankündigende Geräusch des Neubeginns, welches zugleich den radikalen Bruch mit allem je Dagewesenen und Bekannten darstellt. Denn noch nie, nicht ein einziges Mal in der Geschichte des Dorfes, war jemand auf die Idee gekommen, in der flimmernden Hitze eines Julinachmittages Zaunpfosten einzuschlagen.

Schwitzend schleppt Franz-Pepi eine Leiter heran und klettert auf das Dach des Hühnerstalles. Ein Fluch entfährt ihm, als er sich beim Abstützen auf dem heißen Wellblech die Hand verbrennt. Doch wissend, um die historische Bedeutung des Moments, beißt er sich auf die Lippen. Er hat eine Rolle zu wahren, richtet sich entsprechend würdevoll auf und stemmt die Arme in die Hüften.

Was für ein herrlicher Ausblick!

Nach vorne hin das weite Land unter einem Baldachin aus blauer Seide, Sonnenblumen bis an den künstlichen Horizont der Hochspannungsleitung, Streifen Weidegrases dazwischen, Weizen- und Kartoffeläcker. Rechterhand, halb verdeckt von den Hügeln, drehen sich gemächlich die Rotoren zweier Windkraftanlagen. Zur Linken kann Franz-Pepi das Dach des nächstgelegenen Hofes sehen. Allerdings nur, weil er auf dem Hühnerstall steht – und ein bisschen auch deswegen, weil das Haus der Grösters auf der Hügelkuppe und nicht, wie das unsere, in der Senke gebaut wurde.

Franz-Pepi zieht tief die Luft ein.

Seine Füße stecken in Gummistiefeln, unter ihm gackern die Hühner. Dreihundertsechsundsiebzig Hühner minus des einen, das noch immer zwischen Stoßstange und Kühlergrill des Nissan klebt. Dieses traurige Bild kann Franz-Pepi von seinem Standplatz aus freilich nicht sehen, denn zwischen Hühnerstall und Vorplatz, wo das Auto – trotz empfindlicher Elektronik – in der Sonne steht, liegt das Wohnhaus. Ebenso wenig nimmt er wahr, dass dort soeben die Mama aufgetaucht ist, kopfschüttelnd und etwas von schmelzenden Kabeln murmelnd. Aber es wäre Franz-Pepi auch egal gewesen. In diesem Moment hat nur Augen für sein großes Werk. Den neuen Zaun!

Es ist ja nicht so, als wäre unser Hof bis zu diesem Zeitpunkt ohne Zaun gewesen. Wegen der Hühner ist das gesamte Grundstück inklusive Wohnhaus, Scheune, Kuh-, Schweineund Hühnerstall, Obstgarten, Plumpsklo und Vorplatz von Maschendraht umschlossen. So gesehen scheint nicht besonders einleuchtend, warum Franz-Pepi an diesem Tag eine zusätzliche Reihe von Zaunpfählen außerhalb der ersten einschlug. Vielleicht, so könnte man meinen, war der Zweck des Unterfangens der, dass er den Zaun für Wildtiere oder torkelnde Dorfwirtgäste – also sich selbst – sichtbarer machen wollte. Und damit in einer mondlosen Nacht niemand unversehens gegen das...

Erscheint lt. Verlag 19.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
ISBN-10 3-7597-9742-3 / 3759797423
ISBN-13 978-3-7597-9742-1 / 9783759797421
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