Die Spur der Schwefelhölzer -  Volker Streiter

Die Spur der Schwefelhölzer (eBook)

Hans Christian Andersen mörderisch verwickelt
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
695 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-8059-0 (ISBN)
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Dänemark 1847. Hans Christian Andersen, Dänemarks berühmtester Dichter, ist auf Schloss Augustenborg Gast des Herzogs von Schleswig-Holstein. Als im Schlosspark ein Mädchen erstochen daliegt wie die Prinzessin auf der Erbse, fürchtet Andersen um seinen Ruf und flieht. Ihm zur Seite der Diener Johann. Überall da, wo sie Station machen, erleben sie ein neues Märchen, mörderisch inszeniert. Warum nur? Andersen beginnt, den Verstand zu verlieren, während sein Diener versucht, den Mörder zu finden. Doch wer jagt hier wen? Als Prinzessin Luise, Tochter des Herzogs, ihrem Lieblingsdichter zu Hilfe eilt, droht ihr, als Kleine Meerjungfrau zu enden.

Geboren in Soest/ Westf. Ab 1980 Polizist in Köln. Seit 2023 im Ruhestand. Autor von Küstenkrimis, darunter drei historischen. Er hat großes Interesse an Geschichte und den Lebensbedingungen in vergangenen Zeiten, das lässt ihn sorgfältig recherchieren. Für ihn ein Heidenspaß. Die Auswahl erforderlicher Informationen dagegen ist eine Qual, es gibt soviel zu entdecken in der Welt.

Augustenborg September 1847



Klagendes Wiehern drang hinauf zu den Fenstern der Beletage, ein Leiterwagen rumpelte und Pferdehufe setzten disharmonisch aufs Pflaster. Graf Holck, eben noch im Gespräch mit der Baronin von Petersdorff, blickte hinaus, sah das aufgerissene, weiß leuchtende Auge des Pferdes, den Schaum um die Trense und den erhobenen Stock eines Knechtes. Lächelnd trat er so nahe an die Scheibe, dass sie beschlug. Seine Hand fuhr durchs Haar.

Da sauste der Knüppel nieder und zeitgleich, als wären sie ein Wesen, durchzuckte es Holck, während die Kreatur sich aufbäumte. Seine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Als weitere Schläge folgten, stockte ihm der Atem, seine Augen glänzten, eine Röte überzog das von Natur aus wachsfarbene Antlitz. Er schien sich vom Anblick des Pferdes, eingespannt und leidend, nicht trennen zu können.

»Graf, wie ist Ihnen?« Die Baronin schaute auf sein erhitztes Gesicht, nur langsam lösten sich seine Finger, das Atmen verflachte.

»Es ist nichts, liebste Freundin, vielleicht der Kreislauf.«

»Dass sie die Tiere immer so schinden müssen.« Beiläufig sah sie auf die Straße hinunter.

»Tiere, Menschen, Leben heißt Leiden. Da zeigt sich die wahre Macht.« Ruckartig fuhr er herum, sah suchend im Saal umher und räusperte sich. »Lässt der Herzog seine Gäste stets warten? Mir ist der Hals ganz trocken.«

»Seine Gnaden werden sich gewiss noch mit Geschäften befassen oder sind in die Landespolitik verstrickt.« Fröstelnd rieb sich die Baronin die freien, etwas zu speckigen Unterarme, die eine scharfe Hautfalte derart von ihren kleinen Händen trennte, dass man sie für Puppenglieder halten konnte. Anlassgemäß hatte sie auf ein wärmeres Kleid aus feiner Wolle zugunsten eines weit ausgeschnittenen aus Seide verzichtet. Doch die späte Sonne gelangte kaum durch die dicken Mauern von Schloss Augustenborg. »Es ist nun mal eine anstrengende Welt, in der wir leben. Selbst hier auf Alsen, so abgelegen die Insel auch sein mag, wird sich der Herzog den Bedrängnissen der Zeit nicht entziehen können. Aber Geschäft und Politik, das sind nun wirklich ermüdende Themen. Mein Freund, immerhin sind wir geladene Gäste und keine Bittsteller. Geduld, der Zuneigung unseres Gastgebers dürfen wir gewiss sein.«

Graf Holck verzog das Gesicht. »Morgen ein Dîner und ein Vorleseabend. Mir ist nach einer schneidigen Jagd. Hirsch, Wildsau und Fasan, das wäre was Rechtes. Oder ein Faustkampf. Es dürften sich doch Knechte und Diener genug finden, die bereit wären, sich für etwas Geld blutig zu schlagen. Aber Seine Gnaden schont lieber, wer ihm untertan ist. Vorleseabend! Mir schwant Übles.«

»Es soll ja dieser Andersen sein. Er tingelt nun schon seit Jahren durch die bessere Gesellschaft, von Sommerhaus zu Sommerhaus. Ich finde, er hat etwas von einem trällernden Waisenkind, das man herumreicht. Hoffentlich bleiben wir noch heute Abend von der Jahrmarktsgestalt verschont. Ich wüsste nicht, wie ich mich geben sollte.«

Holcks Blick ging gegen die Stuckdecke, eine schöne Arbeit, doch seine Langeweile blieb. »Freundlich zugeneigt, will ich meinen, immerhin liest er auch Königin Caroline vor und König Christian hat ihm eine geringe Leibrente ausgesetzt. Sehr großzügig. Er darf sogar mit den Majestäten in die Sommerfrische.«

»Nach Föhr, ich weiß. So mancher von Adel ist neidisch. Baden in der See, auch so eine modische Torheit. Sind wir Robben oder Fische? Ins Meer geht nur, wer damit sein Brot verdient oder todessüchtig ist.«

»Ganz Europa hängt dem Dichter an den Lippen, liest seine Märchen. Bei den Romanen gibt es schon mehr Kritik, von den Theaterstücken ganz zu schweigen. Zweimal gespielt, und die Kopenhagener setzen sie wieder ab, die kennen sich halt aus. Was will man machen, liebe Freundin, auch wenn der Zeitgeschmack Ihnen grässlich zusetzt, der Mann ist berühmt.«

Baronin von Petersdorff machte eine wegwerfende Bewegung. »Zeitgeschmack, Sie sagen es. Für mich ist der Kerl zersetzendes Gift.«

»Ich verstehe gar nicht, wie man sich wegen dieses Emporkömmlings derart echauffieren kann, Leute wie er kommen und gehen. Wenn der Nation mehr der Sinn nach wahren Gefühlen steht, nach nationaler Größe, Heldentum und Opfermut, wird sein Ruhm verblassen.«

»Ja haben Sie nie seine Märchen gelesen? Im Feuerzeug wirft ein Hund das Königspaar durch die Luft und tötet es, nur damit die Tochter willfährig die Hand des Thronräubers nimmt. In Die wilden Schwäne will ein König eine Stumme zur Königin machen, die auf Friedhöfen Brennnesseln sammelt, um daraus Hemden zu weben. Und sowas soll erbaulich sein? Und der Pastor in der Geschichte ist ein Widerling. Ich bitte Sie! Andersen vergreift sich am Königtum von Gottes Gnaden und der Kirche, schlägt sich auf die Seite des Straßenpöbels und zeichnet gierige Herrscher ohne jede Majestät.«

»Das sind Märchen. Sie sollen den Kindern gefallen.«

»Genau das ist die nächste Festung, die er unterminiert. Statt den Kleinen wahre Werte beizubringen, Moral und Ehrfurcht, feiert er das Ursprüngliche, die ungezügelte Fantasie, den unverstellten Blick. Denken Sie nur an Des Kaisers neue Kleider: ‚Er hat ja gar nichts an!‘ Sein Geschreibe tut unserem Staat nicht gut. Mir scheint, es sind mehr die Erwachsenen, die seinen Schund lesen und den Parvenü verehren. Überhaupt, da Sie eben noch von Heldentum und Nation sprachen, ist er nun Däne oder doch ein Deutscher?«

»Wie?« Abrupt fuhr Holck herum. »Ist er nicht aus Odense auf Fünen?«

»Na ja, er wird jenseits der Grenze früher verlegt als im Königreich Dänemark und soll im vergangenen Jahr wahre Triumphe dort gefeiert haben. Warum erscheint dieses Jahr seine zweite Biografie zuerst auf Deutsch? Uns Dänen zeigt er die kalte Schulter.«

»Oder wir ihm?«

»Auch da unten gibt es Könige, die ihren Kopf nicht verlieren wollen, lieber Graf. Auch dort gefährdet er die Ordnung. Oder zielt seine sogenannte Kunst allein gegen uns? Schreibt er gezielt seine Tücke ins dänische Herz, dieses Land zu schwächen? Herrgott, warum müssen wir hier so lange warten, das gehört sich nicht!«

»Ich kann meinen Leibdiener bitten, Johann wartet draußen auf dem Gang.«


»Damit, liebe Tante, tauche ich in dieser Geschichte auf, ich, der Diener Johann Stokkebro. Hätte ich damals gewusst, was ich mit Herrn Andersen erleben musste, lieber hätte ich mir ein Bein gebrochen.

Ja, und warum erzählst du mir dann von diesem Grafen und der Baronin? Ich dachte, die ganze Sache dreht sich um den Dichter.« Die Frau schob ihre Hand mit den dreckigen Fingernägeln in den Ausschnitt und kratzte sich. Verbitterung lag in ihrem Gesicht, das dauernde Ringen um Brot oder Feuerholz nagten an ihr. Das Mondlicht glitt silbern in die niedrige Kammer und legte den Schatten des Fensterkreuzes über ein Kinderbett, in dem der jüngste Sohn der Familie fieberte, es waren die Masern. Immer wieder betupfte sie die Stirn des Kleinen. Der Erzähler, Johann Stokkebro, hielt ein Buch einem Talisman gleich, in den Händen. »Dein Onkel sagt ja, dieser Hans Christian Andersen sei ein Mörder. Wollen wir mal hoffen, dass du dem nicht geholfen hast. Ganz Dänemark weiß über die Mordserie Bescheid.«

»Ich will dir berichten, wie es wirklich war. Immerhin bin ich dem wahren Mörder selbst auf die Spur gekommen. Bei euch kann ich nicht bleiben, ich sollte, obwohl unschuldig, hier von Aarhus nach Göteborg übersetzen, ins Schwedische. Was für ein Zufall, dass Andersen auch hier gelandet ist, allerdings im Irrenturm. Ihn hat das alles sehr mitgenommen. Aber er kommt als Mörder nicht infrage, ich dagegen sehr wohl, immerhin habe ich ihn überallhin begleitet, war da, wo die Morde geschahen.«

»Zeig mal!« Die Hand seiner Tante schnappte nach dem Buch, abschätzig las sie laut: «Märchen meines Lebens, von Hans Christian Andersen«, und warf es angewidert zurück in seine Hände, als hätte es etwas Ansteckendes. »Also doch. Immer noch hält er dich in seinem Bann. Du bleibst sein Mordgehilfe.«

»Aber nein! Ich will ihn durch das Buch nur besser kennenlernen. Der arme Mann. Er hofft so sehr darauf, bald wieder in der guten Gesellschaft zu sein.«

»Weißt du, die Zeitungen haben recht. Doch das Gericht klagt ihn nur nicht an, weil er so berühmt ist.«

»Willst du nun über Andersen die Wahrheit hören? So nah wie durch mich wirst du ihr nie wieder kommen. Und die wenigen Lücken meiner Kenntnis werde ich ganz nach dem Charakter des großen Dichters füllen und so, wie ich ihn kennengelernt habe.«

Seine Tante erhob sich müde und ließ sich ächzend in den Lehnstuhl in der Kammerecke fallen. »Dann leg mal los, wo waren wir?«

»Im Schloss Augustenborg, bei dem Gespräch zwischen der Baronin und dem Grafen, er sprach über mich, seinen Diener.«


»Er wird Ihnen etwas Erfrischendes besorgen«, bot Holck der Baronin an, »sollte uns der Herzog vergessen haben. Dabei ...«, er kicherte leise, »Johann ist Schleswiger. Also auf irgendeine Art deutsch. Nicht, dass er Ihnen Gift in den Trank träufelt.«

Baronin von Petersdorff nickte Holck zu. »Wenn er welches hat, wäre das wunderbar. Ein gutes doch wohl, eins ohne Geruch und Bitterkeit? Nicht für mich natürlich, aber einen Adressaten hätte ich.«

»So weit müssen wir nicht gehen. Um den Märchenkünstler zu Fall zu bringen, wird uns schon etwas einfallen. Das könnte kurzweilig...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7565-8059-8 / 3756580598
ISBN-13 978-3-7565-8059-0 / 9783756580590
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