Don't kiss Tommy. Eine Liebe in der Stunde Null -  Theresia Graw

Don't kiss Tommy. Eine Liebe in der Stunde Null (eBook)

Roman | Der erste Roman über die britische Besatzungszeit - für alle Leser:innen von Susanne Abel und Felicitas Fuchs
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
512 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3224-6 (ISBN)
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Die Stadt ist umzäunt. Fraternisierung verboten. Zwei ungleiche Freundinnen kämpfen für ihre Träume und gegen die Grenzen der Liebe. Nach Kriegsende wird der mondäne Kurort Bad Oeynhausen zum Hauptquartier der britischen Rheinarmee. Durch die Innenstadt wird ein Zaun gezogen, tausende Einwohner müssen ihr Zuhause verlassen und Platz machen für die Besatzer. Auch Anne und ihre Familie sind gezwungen, ihr Kurhotel aufgeben und in eine Baracke außerhalb der Sperrzone zu ziehen. Während ihre Freundin Rosalie gewillt ist, sich die Briten zum Freund und das Leben dadurch ein bisschen einfacher zu machen, lehnt sich Anne auf und gerät immer wieder mit dem Colonel Michael Hunter aneinander. Erst ein verhängnisvolles Feuer lässt beide erkennen, dass sie auf derselben Seite stehen und sich viel näher sind, als sie jemals dachten ...

Theresia Graw wurde 1964 in Oberhausen geboren. Nach ihrem Studium der Germanistik und Kommunikationswissenschaft war sie als Reporterin und Moderatorin für verschiedene Privatsender tätig, bevor sie zum Bayerischen Rundfunk wechselte. Neben ihrer Tätigkeit als Journalistin schreibt sie Romane. »So weit die Störche ziehen« ist ihr persönlichstes Buch, in dem sie die Geschichte ihrer aus Ostpreußen stammenden Familie mit einer fiktiven Handlung verwebt. Theresia Graw hat zwei erwachsene Kinder und lebt in München.

1


»Der Krieg ist bald vorbei«, sagte Doktor Sennefeld. »Die Amis stehen schon in Herford.«

Er schob die Ärmel seines Arztkittels hoch und seifte sich die Hände bis zu den Unterarmen ein. Das Wasser floss heute wieder nur spärlich und unregelmäßig aus dem Hahn, so weit er ihn auch aufdrehte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die letzten Blutspuren gurgelnd im Ausguss verschwanden.

»Das sind ja nicht einmal mehr fünfzehn Kilometer … und wir haben hier noch so viel zu tun!«

Anne rückte das weiße Schwesternhäubchen zurecht, das ihr in die verschwitzte Stirn gerutscht war, und reichte ihm das Handtuch, damit er sich abtrocknen konnte. Seit drei Stunden war sie auf den Beinen, und es war noch nicht einmal sieben Uhr früh. Doktor Sennefeld sah aus, als hätte er heute Nacht überhaupt nicht geschlafen. Der Mittvierziger wirkte erschöpft, sein Gesicht war grau, und er hatte dunkle Schatten unter den rot geäderten Augen. Seit dem Morgengrauen hatte er bereits zwei zertrümmerte Beine geschient, einen Kopfverband erneuert und etliche andere Patienten versorgt, die stöhnend vor Schmerzen in ihren Betten gelegen hatten.

Vor ein paar Monaten hatte Anne im Lazarett am Bad Oeynhausener Kurpark angefangen, obwohl sie keine ausgebildete Krankenpflegerin war. Wie so viele andere junge Frauen in der Stadt hatte sie einen Schnellkurs beim Roten Kreuz besucht und machte sich jetzt als Schwesternhelferin nützlich. Angesichts der vielen Kriegsverletzten wurde in den Krankenhäusern jede Hand gebraucht. Anders als im Hotel ihrer Eltern, wo sie bis in die ersten Kriegsjahre hinein an der Rezeption gestanden und die Gäste begrüßt hatte. Doch Urlaub machte in Bad Oeynhausen schon lange keiner mehr, auch im Hotel Margarethenhof war der Betrieb weitgehend eingestellt worden. Und trotzdem waren die fünfunddreißig Zimmer der vornehmen dreistöckigen Villa auf der anderen Seite des Kurparks bis aufs letzte Bett belegt. Jetzt, in den ersten Apriltagen des Jahres 1945, lebten dort Menschen, die aus Angst vor den britischen und amerikanischen Bomben aus dem Ruhrgebiet geflohen waren, froh, mit dem Leben davongekommen zu sein und hier Obdach gefunden zu haben. Eine charmante Empfangsdame, die mit den Hotelgästen über das Wetter plauderte, die dafür sorgte, dass täglich frische Wäsche und duftende Seife in den Zimmern lagen, war entbehrlich. Denn diesen Luxus gab es schon lange nicht mehr.

»Stimmt es, dass alle einsatzfähigen Soldaten aus den Lazaretten geholt werden sollen, um die Stadt zu verteidigen?«, fragte Anne. »Haben wir sonst keine Männer mehr für den Volkssturm? Das – das ist doch ein Himmelfahrtskommando!« Doktor Sennefeld war jemand, mit dem sie offen und ehrlich über solche Sachen reden konnte, ohne Angst haben zu müssen, wegen Wehrkraftzersetzung angezeigt zu werden.

»Nein, das wird nicht passieren«, antwortete er ruhig und hängte das Handtuch an den Haken. »Ich schicke meine Patienten nicht in den Kampf. Das hätte sowieso wenig Sinn bei dieser feindlichen Übermacht.«

Der Gefechtslärm der nahen Frontlinie war schon seit Tagen in der Stadt zu hören. Ein fernes Donnergrollen lag beständig in der Luft, wie ein Gewitter im Anzug. Mal schien es näher zu kommen, mal schien es sich wieder zu entfernen, je nachdem, wie der Wind stand. Manchmal stiegen am Horizont schwarze Rauchwolken auf. Und dann und wann krachte es ohrenbetäubend, wenn eine der Brücken über der nahen Weser oder eine Eisenbahnlinie gesprengt wurde. Es war ein eigenartiges, beklemmendes Gefühl, zu wissen, dass die Kämpfe unerbittlich heranrückten. Noch immer hatte Anne sich nicht an den Anblick der Flugabwehrgeschütze gewöhnt, die hier und da in der Stadt aufgestellt worden waren, bewacht von Soldaten, die kaum älter waren als sie, manche noch Schuljungen. In den Wehrmachts-Meldungen der Zeitung und im Radio wurde von offizieller Stelle unverdrossen Siegesgewissheit verbreitet, obwohl die Russen doch schon längst vor den Toren der Hauptstadt Berlin standen.

Bad Oeynhausen hatte bis jetzt noch Glück gehabt im Krieg. Während sich so viele andere Orte in Deutschland in den vergangenen fünfeinhalb Jahren in Trümmerlandschaften verwandelt hatten, war die hübsche ostwestfälische Kurstadt von Luftangriffen weitgehend verschont geblieben. Nur einige Randbezirke waren bombardiert worden, und kürzlich das Eisenwerk Weserhütte. Ausgerechnet am Karfreitag hatten die feindlichen Flugzeuge ihre tödliche Fracht abgeworfen. In Kriegszeiten musste dort trotz des Feiertags gearbeitet werden, so kam es, dass in der Fabrik und in der Umgebung mehr als 200 Menschen starben. Es war ein Schock für Bad Oeynhausen gewesen, einer der bittersten Tage seiner Geschichte. Noch immer kamen Anne die Tränen, wenn sie daran dachte.

Täglich rasten Karawanen von Rote-Kreuz-Wagen durch die Stadt und brachten Kriegsverletzte von der nahen Front, die hier eine medizinische Behandlung bekamen. Aus dem feinen Badeort mit seiner berühmten Solequelle, den vornehmen Hotels und Pensionen, dem weitläufigen blumengeschmückten Park mit Kurhaus und Wandelhalle war eine Lazarettstadt geworden. Jedes Gebäude, das sich dafür eignete, diente mittlerweile als Krankenhaus.

Anne schob die dünne Spanngardine am Fenster ein wenig zur Seite, um hinauszusehen, als wolle sie sich davon überzeugen, dass da noch kein amerikanischer Panzer über die Straße rollte. Aber der Westkorso, die baumbestandene Villenstraße am Rande des Kurparks, lag ruhig und wie verlassen da. Aus Angst vor den anrückenden US-Truppen wagten sich die Leute zuletzt kaum noch aus ihren Häusern. Hastig erledigten sie am frühen Morgen ihre Einkäufe oder begaben sich zu ihrer Arbeitsstätte, sofern es da noch etwas zu tun gab. Immer wieder dröhnte Sirenenalarm, der die Menschen in die Keller scheuchte. Die Spannung, dass die entscheidenden Tage des Krieges begonnen hatten, war beinahe mit den Händen zu greifen.

»Die Stadt wird kampflos übergeben«, fuhr Doktor Sennefeld unvermittelt fort. »Wir strecken die Waffen.«

Anne fuhr herum: »Was? Woher wissen Sie das?«

»Oberstabsarzt Gehlen hat mich vorhin angerufen und mich darüber informiert, dass sich der Kampfkommandant mit seiner Truppe über die Weser abgesetzt hat. Wir haben freie Hand.«

»Unsere Soldaten sind abgehauen?«, rief Anne erschrocken. »Die Wehrmacht hat die Verteidigung von Oeynhausen aufgegeben?«

Der Arzt nickte. »Heute ist der Tag, an dem sich alles entscheidet. Ich habe den Auftrag, den Amerikanern entgegenzufahren und ihnen die Stadt zu übergeben. Und zwar noch heute Vormittag. Ich muss gleich los. Deshalb konnte ich heute früh auf der Station auch nur die dringendsten Fälle behandeln. Die Versorgung der übrigen Patienten muss ich auf später verschieben.«

»Oeynhausen kapituliert also.«

»Es ist das einzig Vernünftige. Wir hatten mehr Glück als Verstand, so glimpflich davongekommen zu sein. Und es hat keinen Sinn zu kämpfen.«

»Ja«, sagte Anne. Wie sollte man auch eine Stadt gegen anrückende amerikanische Panzer und Jagdbomber verteidigen, wenn es dafür nur noch ein paar halbwüchsige Jungen mit Gewehren und Handgranaten gab und eine Handvoll Flugabwehr-Geräte, von denen keiner der Burschen so recht wusste, wie man sie bedienen soll?

»Als Arzt habe ich Verantwortung für die Tausenden Verletzten, die in der Stadt sind«, fuhr Doktor Sennefeld fort. »Diese Leute sind wehrlos, sie können nicht fliehen. Sollte ich riskieren, dass sie im Hagel der Panzerkanonen sterben?«

Anne schüttelte stumm den Kopf.

Nun verlieren wir den Krieg also endgültig, dachte sie. Was mag nun werden? Immerhin hörte man von den Amerikanern, die neben Köln, Frankfurt und Würzburg schon etliche Städte im Westen Deutschlands eingenommen hatten, nicht so viel Schlimmes wie von den russischen Soldaten im Osten. Aber dennoch lief ihr ein Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, womöglich bald bis zu den Zähnen bewaffnete amerikanische Soldaten durch ihre Heimatstadt patrouillieren zu sehen und ihnen schutzlos ausgeliefert zu sein. Hoffentlich nahm alles ein gutes Ende.

Das ging Anne durch den Kopf, während sie beobachtete, wie Doktor Sennefeld den hohen gekachelten Raum durchschritt, der auch als Wäschelager des Lazaretts diente. Auf der anderen Seite war eine Schwester mit einem Stapel frisch gewaschener und gemangelter Betttücher zur Tür hereingekommen, um sie in den deckenhohen Wandschrank zu räumen.

»Eines können Sie mir gleich geben, Schwester Irmtraud«, sagte der Arzt und nahm ihr ein Laken ab, das er mit hoch erhobenen Armen prüfend ausbreitete. »Gut. Das dürfte reichen als weiße Fahne.« Nachlässig faltete er das Laken wieder zusammen und legte es sich über den Arm.

Nachdem die Schwester verwundert den Kopf schüttelnd das Zimmer verlassen hatte, sagte er zu Anne: »Ich muss los. Spätestens heute Mittag sollte ich zurück sein, Fräulein Gerland.« Und nach einer winzigen Pause fügte er hinzu: »Wenn alles gut geht.«

Anne vermochte im ersten Moment kein Wort herauszubringen, während er zur...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-8437-3224-8 / 3843732248
ISBN-13 978-3-8437-3224-6 / 9783843732246
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