Schlussakkord -  Ingo Scheel

Schlussakkord (eBook)

Wie Musiklegenden für immer verstummten

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Ventil Verlag
978-3-95575-631-4 (ISBN)
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Was haben so unterschiedliche Künstler wie Alexandra, GG Allin und Michael Hutchence gemeinsam? Sie sind alle tot. Und niemand von ihnen starb an Altersschwäche. Was die Menschheit bei einem selbst - in hoffentlich erst vielen Jahren - achselzuckend zur Kenntnis nehmen wird, erschüttert im Falle der Popstars Millionen: Der Tod. Ehrliche Trauer mischt sich mit Sensationslust, der Kontrast zwischen der (mehr oder weniger) fröhlichen, lebensbejahenden, glamourösen Welt der Popmusik und dem unwiderruflichen Ende könnte größer nicht sein. Erschüttert und fasziniert lesen wir die Nachrufe und hören die Musik des oder der Verblichenen ab sofort mit anderen Ohren. Unsterblich sein und trotzdem tot: Diesen Spagat bekommen nur ganz wenige hin. Vor ein paar Jahren veröffentlichte eine medizinische Fachzeitschrift eine Studie, dernach Popstars früher sterben als Krethi und Plethi. Wir haben es geahnt. Aber warum? Weshalb traten Menschen, die unseren Traum lebten, vor ihrer Zeit ab? Wie verzweifelt waren sie in ihren Villen, zwischen den goldenen Schallplatten und den Champagnerflaschen? Haben sie einmal zu oft am Tisch gerochen oder war ein Neider mit Schusswaffe todesursächlich? Welche Dämonen, Manager und/oder Ex-Partner:innen trieben unsere Idole ins ewige Nichts? Und starb Keith Moon tatsächlich an einem Schnitzel und 35 Schlaftabletten? Mit Amy Winehouse, Jim Morrison, Kurt Cobain, Janis Joplin, John Lennon, Nico, Whitney Houston und vielen weiteren.

Den ersten Gig mit seiner Punkband spielte Ingo Scheel einst dort, wo Regisseur Lars Jessen auch Rocko Schamonis »Dorfpunks« auftreten ließ: auf der Aula-Bühne des Hans-Geiger-Gymnasiums in Kiel. Bei der Musik ist es für Ingo Scheel, 1964 in der Fördestadt geboren, geblieben - als Sänger, als Drummer und als freischaffender Journalist und Autor. Für das MINT-Magazin ist er in ­Sachen Vinyl unterwegs, für Visions, Galore, Musikexpress ist er ebenso am Start wie für den Stern, ntv.de und die Hamburger Morgenpost, unter seinen Interviewpartner*innen Größen wie Dave Grohl, Chrissie Hynde, Paul Weller, Ozzy Osbourne, Shirley Manson u.?v.?m. Ingo Scheels Plattensammlung, das Drumkit, das er sich mit Tochter Anni teilt, und sein Lieblingssessel stehen in Hamburg. Lieblingsfilme: Nordsee ist Mordsee und The Long Goodbye. Bestes Album aller Zeiten: Never Mind The Bollocks - Here's The Sex Pistols. Schlussakkord ist sein erstes Buch.

Er ahnte wohl, dass es zu Ende geht. Frank Thorogood hat Krebs, Aussicht auf Heilung besteht nicht. Als ihn sein Kumpel Tom Keylock im November 1993 noch einmal im Krankenhaus besucht, macht Thorogood seinem Herzen Luft. Es ist ein unheilvolles, zugleich rätselhaftes Geständnis, das der Mann dort auf seinem Sterbebett unbedingt noch loswerden will. Die Besuchszeit ist kurz, Thorogood erschöpft, er möchte gleich wieder schlafen. Keylock ist verwirrt von dem, was er da gerade gehört hat. Er fährt nach Hause, in seinem Kopf rast es. Er muss mehr darüber wissen, will erfahren, was wirklich hinter Thorogoods Worten steckt. Schon am nächsten Tag fährt Keylock erneut ins Krankenhaus, doch er kommt zu spät: Frank Thorogood ist tot.

Im Sommer 1969 hat sich Brian Jones nach Hartfield zurückgezogen. Der kleine Ort in Sussex, zwei Zugstunden südlich von London, scheint die perfekte Umgebung für ihn zu sein. Es geht hier etwas bedächtiger zu, die Leute sind freundlich, alles ist um so vieles überschaubarer. Kein Vergleich mit dem nervösen Vibe Londons. Jones hat einige aufregende Jahre hinter sich, er läuft auf Reserve, er muss das alles endlich verarbeiten, um dann womöglich weitreichende Entscheidungen zu treffen. Zurückgelassen hat er eine Band, oder besser gesagt: seine Band.

Geboren am 28. Februar 1942 in Cheltenham, Gloucestershire, als Sohn eines Flugzeugbauers und einer Klavierlehrerin, muss er früh einiges an Schicksalsschlägen wegstecken. Zwei Schwestern kommen kurz nach ihm auf die Welt, Pamela und Barbara. Pamela stirbt elf Tage nach ihrem zweiten Geburtstag an Leukämie, Jones ist da gerade mal drei Jahre alt. Er erkrankt an Asthma, Zeit seines Lebens wird er darunter leiden. Doch Jones hält dagegen, in ihm vibriert eine ganz eigene Energie. Der drahtige Junge verfügt über einen urwüchsigen Charme, die Mädchen mögen ihn und sein blondes Haar. Schon mit 17 wird er Vater, verlässt die Mutter seines ersten Kindes jedoch kurze Zeit später. Es dauert nicht lang, da sind bereits zwei weitere Kinder unterwegs, von verschiedenen Frauen. 1961 macht Jones die Biege und taucht in London ab. Als Jugendlicher interessierte er sich für Klassik und Jazz, ging auf Cannonball Adderley steil, noch intensiver packt ihn der Blues, die urwüchsige Kraft von Elmore James und Robert Johnson. Seine Eltern kaufen ihm erst ein Saxofon, dann eine Gitarre. In London schließlich bricht sich seine Leidenschaft vollends Bahn. Er lernt Szene-Größe Alexis Korner kennen, gibt sich selbst einen neuen Namen, einen bluesigeren, wie er meint: Elmo Lewis. The Roosters sind seine erste eigene Band, lange bleibt er nicht, sein Nachfolger wird ein hochtalentierter Gitarrist: Eric Clapton, Gott in spe. Per Anzeige sucht Jones neue Mitmusiker, es melden sich Ian Stewart, Mick Jagger und Keith Richards. Als kurzfristig eine Ersatzband für einen Gig im Marquee gesucht wird, springen sie ein. Was fehlt, ist ein Name. Brian Jones überlegt nicht lang, lässt sich von Muddy Waters inspirieren und benennt seine neue Combo nach einem seiner Songs: The Rolling Stones. Am 12. Juli 1962 spielen sie ihren ersten Gig.

Es ist der Auftakt zu einer furiosen Karriere, schnell gerät die Band in den Fokus einer kreischbereiten Generation. Doch schon im Jahr darauf verschieben sich die Kräfte erstmals. Anfangs hatte Jones die Band selbst gemanagt und dafür einiges mehr an Geld eingestrichen. Von 1963 an kümmerte sich Andrew Loog Oldham um die Geschicke der Gruppe. Er modelliert sie nach seinen Vorstellungen. Oldham schwebt eine Art Antithese zu jener anderen Überband der noch jungen Dekade vor: Waren die Beatles Schwiegersöhne nach Maß, so sollten die Stones die dunkle Seite repräsentieren. Wollten Teenager die Beatles womöglich heiraten, so sollten Jones & Co. jene Typen sein, mit denen man über Nacht durchbrennt. Waren die Beatles nice ’n’ clean, sollten die Stones spicy’n’mean rüberkommen. Über die Jahre entgleitet Jones die Band. Er, der flamboyante Dandy, der Engel mit dem Prinz-Eisenherz-Schnitt, mit Pelzkragen und Perlenkette, ist am liebsten da, wo die Action ist, gleichzeitig ächzt er unter der Last der öffentlichen Aufmerksamkeit, entwickelt Angstneurosen und leidet unter Depressionen.

Mitte der 1960er verliebt er sich in das deutsche Model Anita Pallenberg, einen Wimpernschlag lang sieht es nach etwas mehr Stabilität in Jones’ Leben aus. Doch die Zeiten sind wild, die Drogen stark, alles ist volatil, nichts ist sicher. Als Pallenberg ihn verlässt und sich bei Keith Richards unterhakt, führt dies innerhalb der Band zu einem Bruch, der nicht mehr zu kitten sein wird. Obendrein gerät Jones in den Fokus der Londoner Polizei. Freidenker wie Jones und John Lennon, mit ihren hedonistischen Lebensentwürfen und den in Patchouli-Öl getunkten Visionen von freier Liebe und Friede, Freude, Haschischkuchen, sind den Obrigkeiten ein ganzer Dornenstrauch im Auge. Die Typen müssen unschädlich gemacht werden, so lautet die Devise auf den Polizeirevieren. 1967 stößt Norman Pilcher zur Metropolitan Police. Nobby, wie sie ihn nennen, ist ein harter Hund, tougher als alle anderen, im Fadenkreuz seiner Motivation: die Beletage der Generation Rock. Pilcher wittert Dopekrümel Meilen gegen den Wind, erst recht, wenn sie in den Jackentaschen von Leuten wie John und Yoko darauf warten, geraucht zu werden. Er statuiert ein Exempel an Brian Jones. Bei Hausdurchsuchungen findet die Polizei größere Mengen Marihuana, Jones’ Behauptung, der Stoff sei in der Wohnung platziert worden, nützt nichts. Als folgenschwerer Fehler entpuppt sich seine Entscheidung, ein Schuldgeständnis gegen eine vermeintlich niedrige Strafe zu tauschen. Er ist ohnehin auf Bewährung, ein längerer Gefängnisaufenthalt droht, doch der Richter – womöglich ein Fan der Stones? – hegt Sympathien für Jones und belässt es bei einer Geldstrafe und der dringlichen Warnung, beim nächsten Mal würde es so richtig Ärger geben.

Davon hat Jones ohnehin reichlich, die Band – seine Band – ist längst zu neuen Ufern aufgebrochen, die Aufnahmen zu Let It Bleed finden, mit Ausnahme von zwei Songs, ohne seine Beteiligung statt. Das hat in den Jahren zuvor bei Their Satanic Majesties Request und Beggars Banquet noch anders ausgesehen, auch wenn Gerüchte die Runde machen, Jones’ Amp wäre zuweilen heimlich leiser gedreht worden, um Schlimmeres zu verhindern. Im Frühsommer 1969 laufen die Planungen für eine US-Tour der Rolling Stones auf Hochtouren, doch für Jones sieht es nicht gut aus. Die amerikanischen Behörden verweigern ihm aufgrund der Vorstrafe ein Arbeitsvisum. Für Jones heißt es nun Stadt, Land, Flucht, er geht nach Hartfield in eine Art Exil. Die Cotchford Farm wirkt wie der perfekte Ort, um die Dinge neu zu sortieren. Das pittoreske Gebäude aus dem 16. Jahrhundert hat so einiges erlebt. 1925 hatte der britische Autor A.A. Milne die Farm erworben und sich dort die berühmten Geschichten um Puh den Bären ausgedacht und zu Papier gebracht. Nun also will Brian Jones hier abschalten und wieder zu Kräften kommen, tauschte die teuren Chelsea Boots gegen lehmverklebte Gummistiefel. Während hier die Uhren langsamer zu gehen scheinen, drehen sie sich in London mittlerweile schneller als ohnehin schon. Die Auswirkungen bekommt auch Jones zu spüren, gravierender als er sich das wohl jemals vorgestellt hätte. Am 8. Juni 1969 kommen Mick Jagger und Keith Richards zu Besuch, ein Lokaltermin mit Folgen: Die beiden werfen Brian Jones aus der Band – aus seiner Band. »Er war nicht überrascht«, wird Keith Richards später erzählen. »Ich glaube nicht mal, dass er es so richtig geschnallt hat.« Jagger und Richards brechen auf in eine neue Karriere, für Brian Jones werden es die letzten vier Wochen auf diesem Planeten.

Als Alexis Korner vorbeischaut, macht Jones auf ihn einen aufgeräumten Eindruck. Jones schreibt Songs, spricht von seinen Plänen, eine neue Band zu gründen. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Am 2. Juli erhält Jones Besuch von Frank Thorogood, seinem Bauleiter. In den Monaten zuvor hat er umfangreiche Instandsetzungsarbeiten durchführen lassen, wofür bereits etliche tausend Pfund fällig wurden. Geld, das Jones nicht mehr hat. Entsprechend sauer ist Thorogood auf ihn. Der Mann mit der hohen Stirn und dem grimmigen Blick ist zusammen mit Janet Lawson gekommen, der Freundin eines Kumpels, des Stones-Tourmanagers Tom Keylock. Thorogood will seine Kohle – und zwar sofort. Jones und der Mann vom Bau geraten heftig aneinander und entschließen sich wohl irgendwann, bei einer Runde im Pool ihre Gemüter abzukühlen. Die Männer springen ins Wasser, auch Jones’ schwedische Freundin Anna Wohlin ist dabei, dreht aber nur ein paar Runden, bevor sie sich wieder ins Haus zurückzieht. Jones bittet Janet, nach seinem Asthma-Spray zu suchen. Spürt er den nahenden Anfall? Sie sucht am Pool und im Musikzimmer des Hauses. Kurz darauf kommt Thorogood ins Haus, seine Hände zittern, er macht einen verwirrten Eindruck – das jedenfalls erzählt Janet Lawson drei Jahrzehnte später dem englischen Journalisten Scott Jones. Sie eilt ans Fenster und sieht Brian Jones auf dem Grund des Swimmingpools. Sie stürmt hinaus. Zu...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-95575-631-9 / 3955756319
ISBN-13 978-3-95575-631-4 / 9783955756314
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