Die rote Tulpe -  Yakup Aybaci

Die rote Tulpe (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
268 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-3993-3 (ISBN)
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Auch wenn es verschiedene Farben von Tulpen gibt, sind es alles Tulpen. Auch wenn wir alle gleich sind, sind wir doch so verschieden. Statt nach Frieden zu streben, hat die Menschheit immer nach Macht gestrebt. Meine Familie war die Definition von Glückseligkeit. Wie das Kerzenlicht im Dunkeln, wie der Regenbogen nach dem Gewitter, brachte sie all das Glück in meine dunkle Welt. Doch auch das Glück hat ein Ende, sowie alles im Leben. Vergänglichkeit ist ein Teil des Lebens, das manchmal wie eine Tulpe nach ihrer Jahreszeit verwelkt. Es war für mich nicht immer einfach, als Kosovo-Albaner im Leben Fuß zu fassen, doch meine Frau Elena zeigte mir, dass Herkunft und Religion nichts über den Menschen aussagen. Unser Land dagegen sah das anders. Trotz all der Grausamkeiten um uns herum erschufen wir unsere eigene Welt, die sich "Familie" nannte. Dieser Roman ist nur ein Bruchteil von all dem Leid, das Familien tagtäglich erfahren müssen...

Die Sonne, die den dunkelblauen Himmel erleuchtete, schien so, als wolle sie uns Trost spenden. Der Gesang der Vögel ließ Elena und mich in eine stille Traurigkeit voller Erinnerungen tauchen.

Dr. Seedorf, gemeinsam mit dem Stabsoffizier Belfield, vier NATO-Soldaten, Martin, Anna, Tante Meryem, Yorgo, Anita, Selime, Vera, Zara und mein engster Freund Muhat, Muhats Mutter, Tante Selime und seine beiden Schwestern Vera und Zara waren alle bei uns. Onkel Muhammed, Tante Zeynep und Muhats Vater Kemal waren nicht dabei.

*

Ich war erst zwölf, als meine Eltern im Jahr 1980 bei einem Autounfall ums Leben kamen. Schon in diesem frühen Kindesalter habe ich den unerträglichsten Schmerz meines Lebens gespürt. Mein Leben begann in Belgrad, nachdem mich meine Tante Meryem in ihre Obhut nahm. Aufgewachsen als Einzelkind, erbte ich ein Haus und etwas Geld von meinen Eltern. Tante Meryem kümmerte sich um dieses Vermächtnis, das mich damals sowieso wenig beschäftigte. Sie verkaufte das Haus meiner Eltern und legte das ganze Geld auf ein auf meinen Namen lautendes Bankkonto. Tante Meryem war Witwe, ihr Ehemann starb vor ein paar Jahren. Sie hatte keine Kinder. Ihre Wohnung war ein zweistöckiges Haus, welches sie von ihrem Ehemann geerbt hatte, mit einem vermieteten Geschäft im Erdgeschoss. Die ersten paar Jahre war es sehr schwierig für mich, dort Fuß zu fassen. Die Abwesenheit meiner Eltern hatte mein ganzes Leben geprägt. Es dauerte Jahre, um mich an die Situation zu gewöhnen. Trotz schmerzerfüllter Tage und Nächte hatte die Zeit mir geholfen, vieles zu verarbeiten.

Im Jahr 1982 kam es im Kosovo in der Stadt Prishtina zu massiven Protesten der Studenten, von denen mehr als 100.000 in den Hungerstreik traten und als Folge davon zahlreiche Verhaftungen durchgeführt wurden, die wiederum zur Verhängung des Kriegsrechts in Prishtina führten. Natürlich haben uns diese Ereignisse in Prishtina als Kosovo-Albaner, wohnhaft in Belgrad, sehr getroffen. Von da an sah und erfuhr ich, dass es eine Grenze zwischen uns und den Serben gab. Sie diskriminierten uns, als ob wir Kriminelle wären. Diese Ereignisse führten dazu, dass wir in Belgrad ein zurückgezogenes und primitives Leben führten.

Ich konnte keine engen Freundschaften aufbauen. Serbische Kinder waren mir und meinen Freunden aus dem Kosovo gegenüber nicht wirklich nett. Sie ließen uns in der Schule nicht mitspielen, grenzten uns aus und diskriminierten uns. Kurz gesagt, wurden wir wie Außenseiter behandelt. Ich war sehr betroffen von diesen tragischen Ereignissen.

Aus diesem Grund habe ich beschlossen, nach Abschluss meiner Schulpflicht im Jahr 1984 nicht weiterzustudieren. Nachdem ich meine Ausbildung absolviert hatte, begann ich in der Bäckerei zu arbeiten, wo auch mein Freund Muhat arbeitete. Im Jahr 1988 war es an der Zeit, meinen Militärdienst anzutreten. Also trat ich der Armee in der Stadt Niš bei, um meine Pflicht zu erfüllen.

Während der fünfzehn Monate im Militärdienst war ich ziemlich traumatisiert, weil ich auch dort von serbischen Soldaten und Offizieren unmenschlich und erniedrigend behandelt wurde. Nach meiner erfolgreich abgeschlossenen Pflicht im Militär war ich von der Idee besessen, Belgrad zu verlassen und auszuwandern, ein eigenes Unternehmen zu gründen und ein ganz neues Kapitel zu beginnen. All die schlechten Erfahrungen, wie ständig unter Anweisung der anderen zu arbeiten, in der Schule und im Militärdienst gedemütigt und diskriminiert zu werden und ein Leben unter fortdauernder Beobachtung führen zu müssen, brachten mich auf diesen Gedanken. Nach dem Tag, an dem meine Eltern ums Leben kamen, gab es für mich kein Glück und keinen Frieden mehr im Leben. Schon seit meiner Kindheit habe ich die Abwesenheit meiner Eltern immer innerlich gespürt. Ich fühlte mich einfach leer. Obwohl Tante Meryem mir gegenüber so fürsorglich war, konnte sie die Leere nicht füllen. Abgesehen davon war es so, als wären die Herzen der Menschen voller Hass. In der Nachbarschaft, in der meine Tante und ich lebten, wohnten hauptsächlich Kosovaren, die sich andauernd über die Serben beschwerten. Durch meine Erfahrungen in der Schule und in der Armee wusste ich, dass die Serben Kosovo-Albaner nicht leiden konnten. Ich empfand innerlich einen Hass gegenüber Serben, bis zu dem Tag, an dem ich Elena traf. Von da an änderten sich all meine Pläne: Ich wollte zurück in meine ehemalige Heimatstadt Prishtina im Kosovo, von der ich glaubte, dass ich dort keinen Trost und Frieden mehr finden würde. Vielleicht konnte ich aber das Glück finden, das ich in Belgrad seit Jahren vergeblich suchte.

Es war ein Sommer im Jahre 1990. Es gab damals enorme Probleme in Kroatien und Slowenien. Sie versuchten, sich von Jugoslawien unabhängig zu machen und als selbstständige Staaten zu regieren. Seit fast einem Jahr wurde im Kosovo viel Druck ausgeübt, alle Muslime wurden entlassen, die Amtssprache in den Schulen war nur noch Serbisch. Obwohl wir eigentlich von all den Spannungen entfernt waren, waren wir trotzdem von bestimmten Konsequenzen betroffen. Während all dies vor sich ging, trafen Elena und ich uns in Belgrad: Ich arbeitete zu dieser Zeit in einer Bäckerei. Elena fuhr eines Tages mit einem Auto, das ihrem Vater gehörte, dorthin. Ich war sofort entzückt über ihre Schönheit. Ich näherte mich gleich ein paar Schritte, bis sie mich bemerkte.

Ich fragte sie, was es denn sein darf. Sie ließ ein paar Kuchenstücke einpacken und verabschiedete sich, nachdem sie bezahlt hatte. Ich war etwas betrübt darüber, dass es nichts außer ein paar Worten und einem kleinen Lächeln zwischen uns gab. Genau in diesem Moment war diese bewundernswerte Frau wieder da. Ich wollte sie fragen, ob sie etwas vergessen hat, doch sie war schneller und bat mich um Hilfe. Einer ihrer Autoreifen verlor außerordentlich viel Luft. Ich zögerte keinen Moment, auch wenn ich für diesen Monat nicht ausbezahlt werden würde. Ich kannte zwar noch nicht einmal ihren Namen, aber trotzdem schlug mein Herz schneller, als wir ganz allein dastanden. Ich bewunderte sie und konnte zwar meine Aufregung vor ihr verbergen, nicht aber meine schwärmerischen Blicke. Plötzlich fingen wir an zu reden, natürlich ging es erst einmal nur um die Fehlfunktion des Autos. Sie fragte mich, wie lange es dauern würde, den Reifen zu wechseln. Ich scherzte und meinte, dass es ein paar Stunden dauern könne.

Sie schaute nach rechts und links mit einer etwas schlechteren Laune und drehte sich dann wieder mit einem verzweifelten Gesicht zu mir und sagte, dass in dieser Zeit mindestens zehn Reifen gewechselt werden könnten. Ich wusste, dass sie es eilig hatte. Also lächelte ich sie wieder an und bat sie, neben mir zu warten, damit ich viel mehr Freude an der Arbeit habe. Ich grinste sie an und erwähnte, dass dieser Reifenwechsel von mir aus ein Leben lang dauern könne. Ich konnte mich nicht davon abhalten, sie auf ein Abendessen einzuladen. Im Gegenzug dazu bot ich ihr einen Express-Reifenwechsel innerhalb von zehn Minuten an. Sie fing an zu lächeln und sich etwas mehr zu öffnen. Ich wechselte den Reifen und bekam gleichzeitig die Chance, sie näher kennenzulernen. Elena war ein serbisches Mädchen.

Ehrlich gesagt war ich etwas betrübt darüber, als sie es erwähnte. Ein serbisches Mädchen würde einem Kosovo-Muslim wie mir wahrscheinlich keine Aufmerksamkeit schenken. Ich hatte auch jahrelang negative Gedanken über Serben, aber trotz all dieser Vorurteile konnte ich mich nicht davon abhalten, mit Elena zu flirten. Ich fing an, viele Fragen über sie zu stellen, und Elena erzählte mehr von sich. Sie erzählte mir, dass ihr Vater eine kleine Baufirma besaß und dass sie nach ihrer Ausbildung angefangen hatte, ihrem Vater in der Buchhaltung zu helfen.

Sie hatte einen fünfzehnjährigen Bruder namens Stjepan. Insgesamt schien sie ein sehr freundlicher und vernünftig denkender Mensch zu sein. Also erzählte ich ihr widerwillig, dass ich ein kosovarischer Muslim war, dass meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, als ich zwölf war, und dass ich seitdem bei meiner Tante in Belgrad lebte. Elena schien es nicht zu stören, dass ich ein albanischer Muslim war, im Gegenteil, sie war mir gegenüber sehr neutral. Ihre Art und Weise, wie entspannt sie mit mir umging, begeisterte mich. Endlich hatte ich den Reifen gewechselt, fühlte aber eine Art Traurigkeit, weil wir uns gleich danach verabschieden mussten. Ich fragte mich, ob ich sie je wiedersehen würde. Ich musste irgendetwas tun, um sie wieder treffen zu können. Anfangs war ich doch etwas am Zweifeln, da sie eine Serbin war, aber durch ihr sympathisches Verhalten haben sich all die Vorurteile in meinem Kopf aufgelöst. Es war, als ob sich die Kälte, die seit einigen Jahren in mir herrschte, von dem Moment an, als ich Elena sah, in einen warmen Sommer verwandelt hatte.

Elenas Schönheit, ihre liebvolle Art und ihre warme und herzensgute Einstellung stellten all meine Feindseligkeiten auf den Kopf. Ich war verwirrt. Mit diesen gemischten Gefühlen erinnerte ich sie daran, dass sie noch keine klare Antwort auf meine Einladung gegeben hatte. Auch wenn sie einen schüchternen...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7597-3993-8 / 3759739938
ISBN-13 978-3-7597-3993-3 / 9783759739933
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