Als der Bambus erwachte -  Elsa Zett

Als der Bambus erwachte (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 3. Auflage
263 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-1953-6 (ISBN)
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Flint ist 59, als er seine Stelle verliert. Er nimmt es als Gelegenheit, zusammen mit seiner Frau Teresa einen Lebenstraum zu verwirklichen. Aussteigen, auf dem Land leben, sich selber mit Gemüse versorgen und Schafe züchten. Aber das verwahrloste Grundstück hinter dem hässlichen Eisengitterzaun, das sie schließlich kaufen, scheint verflucht zu sein. Pflanzen, Tiere und nicht zuletzt die hilfsbereiten Nachbarn durchkreuzen Flints Pläne und halten ihn auf in seinem Wettlauf gegen die Zeit. Denn da ist auch noch die verhängnisvolle Wette, die er mit seinem Schwiegervater abgeschlossen hat. Eine Geschichte über den Traum vom friedlichen Leben, die Mächte der Natur und des Schicksals und die Last einer alten Schuld. Vom Kämpfen, Scheitern und Nichtaufgeben.

Elsa Zett lebt in ihrer Heimatstadt Basel. Sie studierte Psychologie und Pädagogik, arbeitete als Lehrerin und Dozentin, publizierte Fach- und Sachtexte, gewann mit Kurzgeschichten Wettbewerbe und widmet sich jetzt dem Schreiben von Romanen.

7


Als er jünger war, gerade sechzig geworden und frisch im Ruhestand, sei Karl Jacobi ein richtiges Arschloch gewesen. Das sagten damals jedenfalls viele in Bittel und in Hofwiesen. War hergezogen in die verfallene Villa im Doppelhof mit seiner schönen Frau und der verrückten Tochter. Und mit den drei Schäferhunden, die er frei herumlaufen ließ. Er war damals ein schlanker kräftiger Kerl, einer der den Frauen trotz seiner sechzig Jahre noch gefiel, trug die Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und schien einen unerschöpflichen Vorrat an Energie im Leib zu haben. Das alte Herrenhaus, das sie in Hofwiesen die Villa nannten, war ziemlich verfallen, aber er machte es in kurzer Zeit bewohnbar. Zwar lebten die Jacobis anfangs in zwei Zimmern im Erdgeschoss. Manche behaupteten, die Tochter sei deshalb weggelaufen. Aber es war wirklich nur ganz am Anfang so. Karl war ein guter Handwerker, ein großer Tüftler und Bastler. Er reparierte, was vorhanden war, und schreckte auch vor ungewöhnlichen Lösungen nicht zurück. Nur was er wirklich nicht selber in Ordnung bringen konnte, vergab er an die Handwerker aus der Umgebung. Er sah ihnen auf die Finger, konnte Qualität von Pfusch unterscheiden und bezahlte die Rechnungen pünktlich und ohne zu nörgeln. Das brachte ihm einen gewissen Respekt bei den Leuten in der Umgebung ein. Aber mit der Hundegeschichte hat er dann alles verdorben.

Es waren drei Schäferhunde, große furchteinflößende Tiere mit braunschwarzem Fell und tiefen Stimmen. Sie zogen ein paar Wochen nach den Jacobis in die erst halb wiederaufgebaute Villa ein. Hilde übernahm sie von ihrem Bruder, der sich nach der Scheidung nicht mehr um die Tiere kümmern konnte. Warum sollte sie sie nicht nehmen? Der Doppelhof war ein großes Grundstück, nur Grasland mit ein paar Bäumen darauf. Da war genug Platz für drei Hunde, die das Haus und das Gelände bewachten.

Zwar war da noch das Gärtnerhaus auf der anderen Hälfte des Grundstücks. Aber das stand leer. Es schien in gutem Zustand zu sein. Während die Jacobis mühsam und unter Entbehrungen den Steinhaufen wieder aufbauten, der die Villa genannt wurde, gingen drüben bezahlte Handwerker ein und aus. Es solle verkauft werden, hatte Karl im Dorfladen erfahren. Aber es sei wohl nicht leicht, einen Käufer zu finden. Trotzdem fuhr der Lieferwagen einer Gartenbaufirma vor. Zwei Gärtner, oder vielleicht ein Gärtner und ein Gehilfe, gruben zwei Tage lang Erde um, verlegten Steinplatten und mähten das Gras rund ums Gärtnerhaus. Danach geschah nichts mehr und als die Jacobis schließlich für ein paar Tage wegfuhren, um den frisch geschiedenen Bruder zu besuchen und sich mit seinen Hunden anzufreunden, bevor sie sie hier herausbrachten, lag das Gärtnerhaus verlassen wie eh auf dem weiten Gelände, wo es damals weder Hecken noch Zäune gab. Aber wenn sie eine halbe Stunde später aufgebrochen wären, hätten sie den Umzugswagen noch gesehen und vielleicht auch das Auto der neuen Hausbesitzer.

Es war im frühen Sommer. Der Doppelhof zeigte sich von seiner schönsten Seite. Während der neue Hausbesitzer das Abladen der Möbel und des Hausrates überwachte, streifte seine Frau mit den Kindern ums Haus, betrachtete die frisch umgegrabenen Gartenbeete und erforschte den kleinen Schuppen. Sie gingen auch ein Stück durch das Gras und spähten zu der halbverfallenen Villa hinüber. Aber da war niemand zu sehen.

Der Tag darauf war ein Sonntag. Sie hatten gut geschlafen in den vertrauten Betten und der ungewohnten Stille. Jetzt frühstückten sie draußen an der Sonne, die beiden älteren Kinder spielten auf der Wiese, das Baby schlief unter dem Apfelbaum in einem Wäschekorb.

Die halbe Woche verstrich mit Einrichten im Haus und Erholung im Garten. Dann musste der Vater wieder zur Arbeit. Früh am Morgen fuhr er weg. Und weil er auf dem Heimweg noch das Nötige für den kommenden Tag einkaufte, kam er meist erst nach Hause zurück, wenn das Abendessen schon auf dem Tisch stand.

Die älteren Kinder, beide noch zu klein für die Schule, spielten den ganzen Tag draußen, während die Mutter mit dem Baby drinnen der Hausarbeit nachging. Am Mittag brachte sie das Essen hinaus unter den Apfelbaum, wo sie einen Tisch aufgestellt hatten. In einem verzinkten Bottich stand frisches Wasser an der Sonne. Darin wollten die Kleinen nach dem Mittagsschlaf baden.

Und als an jenem Tag die zarten Gestalten, nackt bis auf winzige bunte Badehosen, vor die Tür traten und mit begeistertem Geschrei über das Gras zu den Obstbäumen liefen, kamen vom Nachbarhaus her drei ungeheure Schäferhunde auf sie zugerast, bellend, mit gesträubtem Fell, und erschreckten die Kinder und ihre Mutter fast zu Tode.

Zwar pfiff Karl die Tiere scharf zurück und es stimmt, was er später immer betonte, dass sie ihm aufs Wort gehorchten, aber der Schrecken, der von ihnen ausging, setzte sich in den Herzen der Kinder und ihrer Mutter fest wie der Erreger einer unheilbaren Krankheit. Sie blieben für den Rest des Tages im Haus und wagten es kaum, aus den Fenstern zu schauen. Draußen liefen die Hunde auf dem Gelände herum, einander jagend und schnappend. Und noch im Bett hielten die Kinder sich die Ohren zu, um das Knurren und Bellen nicht hören zu müssen.

Als der Vater an diesem Freitagabend etwas später als an den Tagen zuvor nach Hause kam, voller Vorfreude auf ein Wochenende im sommerlichen Garten, fand er seine Familie im Haus verbarrikadiert und verzweifelt.

Er hatte auf dem Heimweg Besorgungen gemacht und den Wagen vollgeladen, deshalb fuhr er bis vor die Haustür und sah nichts von den drei Bestien. Das war sein Glück, denn auch er hatte Angst vor großen Hunden. Er wollte sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn er das Auto an der Weggabelung hätte stehen lassen, wie er es manchmal getan hatte, und zu Fuß zum Haus gegangen wäre.

Jetzt stieg er rasch in seinen Wagen, fuhr zurück bis zu der Stelle, wo der Fahrweg sich teilte, und bog zum Nachbarhaus ab.

Die Hunde kamen vom unteren Teil des Grundstücks her, wo Hilde unter einer Linde saß und eine Borte an einen Stoff nähte. Sie liefen dem Auto entgegen und machten einen Lärm, als wären alle Teufel der Hölle übergeschnappt. Der verzweifelte Familienvater lenkte seinen Wagen langsam auf das Haus zu und hielt nicht an, bis die Stoßstange nur noch Zentimeter von der Haustür entfernt war. Dann drückte er mit beiden Händen zugleich auf die Hupe. Und hörte nicht mehr auf.

Karl pfiff über den ganzen Lärm hinweg die Hunde zu sich und scheuchte sie ins Haus. Begreiflicherweise war er verstimmt, als er an den Wagen dieses Verrückten herantrat, der hupend auf sein Grundstück gefahren war und um ein Haar seine Haustür gerammt hätte. Aber er nahm sich zusammen und fragte, was denn los sei. Der Familienvater stieg nicht aus, aber er fuhr die Scheibe ein Stück herunter und stellte sich vor als der Bewohner des Hauses auf dem Nachbargrundstück.

»Freut mich, Karl Jacobi.« Karl streckte die Hand durchs Wagenfenster. Der Vater nahm sie verwirrt und drückte sie.

Dann erzählte er von seiner Frau und den drei kleinen Kindern und wie die Hunde sie erschreckt hätten.

»Aber die tun doch nichts. Das sind ganz liebe Tiere. Und Kinder mögen sie doch ganz besonders.«

Hilde, schon damals mit weißem Spinnenhaar, dabei eine betörend schöne und jugendliche Sechzigerin, war unbemerkt auf der anderen Seite des Wagens aufgetaucht, wie eine Fee im Märchen, und verteidigte ihre Hunde gegen die Beschuldigungen des Fremden.

»Das kann schon sein«, sagte der Nachbar, »aber meine Frau und meine Kinder trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Sie müssen die Hunde anbinden oder einsperren, damit sie nicht zu uns herüberlaufen können.«

Sie würden darüber nachdenken, sagte Karl beschwichtigend, aber Hilde fiel ihm ins Wort.

Das würden sie auf keinen Fall tun, sagte sie mehr zu ihrem Mann als zum Nachbarn. Sie hätten sie doch genau deswegen hierher aufs Land, in die Natur zu sich genommen, damit die Tiere endlich freien Auslauf hätten.

»Wir werden auf sie aufpassen«, sagte Karl. »Wir lassen sie nicht allein hinaus. Und sie gehorchen aufs Wort.«

»Es tut mir leid, wenn die Kinder sich erschreckt haben«, sagte Hilde. »Das wollten wir nicht. Aber wir wussten ja nicht, dass da Kinder sind. Wir haben gern Kinder. Haben selber sechs großgezogen.«

Der Vater fuhr zurück zu seinem Haus, ganz nahe an die Haustür heran. Da war ihm wohl schon klar, dass er den Nachbarn nicht beikommen würde. Und er sah nur eine Lösung.

Die junge Frau zog mit den Kindern zu ihren Eltern, während rund um das Grundstück der Familie ein Zaun gezogen wurde. Ein starker Gitterzaun, schnurgerade und rechtwinklig um das ganze große Grundstück herum. Hoch musste er sein, so hoch, dass kein Hund darüber springen konnte, und er musste dem Anprall eines schweren Körpers standhalten. Die Bauarbeiter zogen einen Graben rund um das Grundstück und gossen eine Mauer aus Beton hinein. Darauf pflanzten sie den Zaun. Einen Stabgitterzaun aus Stahl, feuerverzinkt und pulverbeschichtet in anthrazitgrau, ein massiver Zaun mit rechteckigen Gittermaschen, durch welche eine magere Maus vielleicht gerade noch schlüpfen könnte. Alle anderen Lebewesen konnten nur durch das Tor hineingelangen. Wenn es nicht mit dem Schlüssel verschlossen war.

Aber damit war das Hundeproblem nicht erledigt. Im Garten konnte man sich sicher fühlen, aber draußen lungerten nach wie vor die Hunde herum. Der Weg vom Gartentor zum Auto war für den ängstlichen Familienvater jedes Mal eine Nervenzerreißprobe, auch wenn er den Wagen so nahe wie möglich am Zaun geparkt hatte. Er klagte bei der Gemeinde gegen seine Nachbarn. Und er war nicht allein. Der Postbote...

Erscheint lt. Verlag 25.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7598-1953-2 / 3759819532
ISBN-13 978-3-7598-1953-6 / 9783759819536
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