Ich verspreche, dich zu finden -  Melanie Dobson

Ich verspreche, dich zu finden (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
416 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-772-9 (ISBN)
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Moseltal, 1940: Die Kinder Dietmar und Brigitte sind ganz in ihr »Ritter und Prinzessin«-Spiel vertieft, als die raue Wirklichkeit jäh die Idylle ihrer Fantasiewelt zerreißt: Aus ihrem Versteck sehen sie mit an, wie ihre Eltern verhaftet werden. Voller Angst machen sich die Kinder auf den gefährlichen Weg durch Belgien Richtung England, wo eine Verwandte lebt. Als die Kinder nahe London voneinander getrennt werden, schwört sich Dietmar, Brigitte zu finden, koste es, was es wolle. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht ... London, 2017: Eines Morgens erhält die investigative Journalistin Quenby Vaughn einen rätselhaften Anruf: Lucas Hough, der Anwalt eines reichen Amerikaners, bittet sie, für seinen Mandanten eine vor 75 Jahren vermisste Person zu finden. Quenby, die eigentlich gerade mit einem Spionagefall aus dem 2. Weltkrieg befasst ist, lässt sich trotzdem anwerben. Noch ahnt sie nicht, wie herausfordernd die Zusammenarbeit mit Lucas werden wird und welche mysteriösen Verbindungen zwischen den beiden Fällen zum Vorschein kommen ...

Melanie Dobson hat Journalismus und Kommunikation studiert und war als Werbeleiterin tätig, bevor sie sich mehr und mehr dem Schreiben widmete. Eine besondere Vorliebe hat sie für Bücher, in denen Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft werden. Mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern lebt sie in der Nähe von Portland, Oregon. www.melaniedobson.com Instagram: melbdobson Facebook: Melanie Dobson

Kapitel 1

Moselkern, Deutschland, Juli 1940

Ahornblätter hüllten das Fenster des Baumhauses ein, als wollten sie mit ihren silberfarben glänzenden Fasern ein schützendes Kettenhemd um das Mädchen und den Jungen bilden, die im Inneren des Baumhauses spielten.

Dietmar Roth preschte mit seinem hölzernen Spielzeugpferd in der Hand über die Bodenplanken und schlug mit seinem Ritter zwei gegnerische Schlachtrosse zu Boden, bevor er sich in Richtung des schützenden Wachturmes davonmachte. Mit seinen dreizehn Jahren war er bereits ein Experte in Sachen Ritter und Ritterrüstungen. Ein Metallring allein konnte keinen Schutz bieten, doch Hunderte von ihnen, eng miteinander zu einem Hemd verwoben, konnten den gegnerischen Pfeilen gut standhalten. Oder einem Schwert.

Neben dem Wachturm jaulte Brigitte wie eine Wildkatze auf. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Spielzeugprinzessin. Es klang so, als würde die Prinzessin tatsächlich von kriegerischen Rittern entführt werden.

Mit ihren zehn Jahren war Brigitte eine Expertin für Prinzessinnen. Und Theater.

Brigitte spielte lieber nur mit einem einzigen Spielzeug anstatt mit einer ganzen Armee. Sie liebte die Prinzessin, die Dietmar ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Er hatte sie selbst aus Lindenholz geschnitzt und anschließend bemalt. Dietmar gab seinen Spielzeugrittern immer wieder neue Namen, doch Brigitte tat das nicht. Der Name der Prinzessin blieb immer derselbe.

Prinzessin Adler.

Adler.

Brigitte stellte sich vor, dass ihre Prinzessin fliegen konnte.

Dietmars Ritter zog sein Blechschwert und begann, die schwarz maskierten feindlichen Ritterhorden zu bekämpfen, die in seiner Vorstellung immer weiter vorrückten. Auf dem Boden des Baumhauses hatte sich eine ganze Armee kriegerischer Ritter versammelt. Sie alle trugen unterschiedliche Symbole auf ihren Armbrüsten. Aber sie kämpften alle zusammen für den Orden der Ritterlichkeit. Ritterlichkeit.

Dietmar hatte jede einzelne Armbrust seiner Ritter selbst aus Zedernholz geschnitzt. Die Bogensehnen hatte er aus dem Haar von Fonzell, dem Pferd seiner Familie, gemacht. Zumindest war Fonzell das gewesen, bis Herr Darre ihn den Roths gestohlen hatte. Herr Darre war ein deutscher Beamter. Und außerdem der Nachbar von Dietmars Familie. Mit dem Diebstahl wollte Herr Darre Dietmars Vater dafür bestrafen, dass er seinen Sohn nicht zu den wöchentlichen Treffen des Deutschen Jungvolks schickte. Brigitte und ihr Vater waren die einzigen Nachbarn, denen die Roths noch vertrauten.

Eigentlich fühlte sich Dietmar schon viel zu alt, um noch Ritter und Prinzessin zu spielen, doch Brigitte wollte nichts anderes mehr. Und Dietmar selbst wollte einfach mit niemand anderem spielen. Seitdem Brigitte mit ihrer Familie vor sechs Jahren in das Haus am Waldrand eingezogen war, waren sie und Dietmar die besten Freunde geworden. Sie hatten zusammen stundenlang am Bach gespielt, bis sein Vater schließlich für sie beide das Baumhaus gebaut hatte. Auch ihre Mütter waren beste Freundinnen gewesen. Bis Frau Berthold eines Tages an einer Grippe gestorben war.

Irgendwann dann hatte Herr Berthold Dietmar gebeten, sich um Brigitte zu kümmern, für den Fall, dass ihm selbst etwas zustoßen würde. Dietmar hatte dem Mann feierlich geschworen, niemals zuzulassen, dass irgendetwas oder irgendjemand Brigitte auch nur ein Haar krümmen würde. Nicht einmal eine Armee von Spielzeugrittern.

Er ließ einen seiner Ritter absitzen. »Brigitte ...«

Sie hob mahnend den Zeigefinger. »Prinzessin Adler, bitte!«

Dietmar formte mit der freien Hand einen Trichter um den Mund und tat so, als würde er die Prinzessin rufen: »Prinzessin Adler, wir sind hier, um Sie zu retten!«

Brigitte schnippte einen ihrer bernsteinfarbenen Zöpfe über ihren Ärmel und rief theatralisch zurück: »Ich werde meinen Turm niemals verlassen!«

»Aber wir müssen los!«, befahl Dietmar. »Schnell, bevor die Römer hier sind.«

Sie gab einen gespielten Seufzer von sich. »Ich habe niemanden mehr, dem ich noch trauen kann.«

Dietmar griff nach Ulrich, dem Ritter, der geschworen hatte, die Prinzessin zu beschützen – koste es, was es wolle. Der Ritter verbeugte sich ehrerbietig in Richtung Prinzessin. »Eure Majestät, Sie können mir vertrauen!«

»Mit ›Eure Majestät‹ redet man eine Königin an«, flüsterte Brigitte vorwurfsvoll. So als hätten die Worte von Ritter Ulrich die Prinzessin beleidigt.

Natürlich wusste Dietmar genau, wie man eine Königin anspricht. Er hatte Brigitte nur ein bisschen ärgern wollen.

Mit seinem Daumen klopfte er dem Ritter auf die Brust. »Ich werde Ihr Leben mit meinem eigenen verteidigen.«

Brigitte betrachtete Ritter Ulrich einen Moment lang und lächelte schließlich. »Sehr gut. Ich werde wohl hinabkommen!«

Draußen vor dem Fenster des Baumhauses hingen sechs rostige Löffel kreisförmig an einer Schnur, die an einem Ast des Baumes befestigt war. Eine warme Sommerbrise wehte durch die Zweige und brachte die Löffel zum Klingen. Brigitte lehnte den Kopf aus dem Fenster und hörte der Melodie zu. Der ganze Wald war für sie ein einziges Orchester. Die Geräusche klangen wie eine Sinfonie. Brigitte hörte die Musik im Rauschen des Flusses, im Knacken der Zweige und im Säuseln des Windes.

Dietmar warf einen Blick auf seine Uhr. Nur noch zwanzig Minuten blieben ihnen zum Spielen. Dann würde er sich den Geometrieaufgaben widmen müssen, die ihm Frau Lyncker für heute als Hausaufgabe aufgegeben hatte. Mochte sich auch die ganze Welt im Krieg befinden – seine Mutter bestand darauf, dass er jeden Nachmittag zwischen 16 und 17 Uhr seine Hausaufgaben erledigte. Obwohl die ganze Welt außerhalb ihres Waldes aus den Fugen zu geraten schien, hoffte seine Mutter immer noch auf eine gute Zukunft. Sie träumte von einer Zukunft voller Frieden – Frieden! – für ihr einziges Kind.

Brigitte lehnte sich wieder zurück. In der Sonne funkelten ihre Sommersprossen wie die Sterne am Himmelszelt. »Ich muss mir etwas wünschen! Hier auf diesem Baum, so wie Aschenputtel

»Soll ich die bösen Stiefschwestern fangen?«, fragte Dietmar.

An manchen Tagen schien es, als würde Brigittes Vorstellungskraft ihr Inneres schützen wie ein eng verwobenes Kettenhemd einen Ritter. Die Fantasiewelt bot ihr einen Ort, an dem sie ihre Sorgen vergessen konnte und der sie vor der Bedrohung in der echten Welt schützte. Vor der Gefahr, die allen Kindern in Deutschland zu schaffen machte. Bald würde Brigitte eine junge Frau sein, doch im Moment hing sie noch der märchenhaften Welt ihrer Kindheit nach.

»Ich wünsche mir, dass du den Wind für mich einfängst.«

Dietmar lachte. »An einem anderen Tag, Brigitte.«

Sie stemmte die Fäuste in die Hüfte. »Prinzessin Adler, bitte!«

»Natürlich.«

Brigittes Blick wanderte zur Leiter, die am Eingang des Baumhauses befestigt war. »Ich habe Hunger.«

»Du hast immer Hunger!«, zog Dietmar sie auf.

»Ich würde so gerne mal wieder Kuchen essen.«

Er nickte. Es war schon schwierig genug, in ihrem Dorf an Obst und Gemüse zu kommen. Süße Speisen waren ein Ding der Unmöglichkeit. Diese waren Hitlers getreuen Gefolgsleuten vorbehalten. Doch der Garten seiner Mutter war von Gemüse geradezu überwuchert. Sein Vater und er hatten eine Art Umzäunung um den Garten angelegt, um die Feldhasen fernzuhalten. Doch es schien in diesem Sommer sowieso weniger Hasen im Wald zu geben. Vermutlich landeten viele von ihnen als Braten auf dem Mittagstisch.

Dietmar hatte Brigitte nie davon erzählt, dass er manchmal selbst so hungrig war, dass er am liebsten auch einen Hasen verspeisen würde.

»Ich finde was für uns, das sogar noch besser ist als Kuchen.«

Er ließ Prinzessin Adler und ihr Windspiel zurück und kletterte die Leiter hinunter. Auf dem Weg strich er mit seiner Hand wie immer über die Initialen, die er in die Rinde des Baumes eingeritzt hatte. D. R. auf der einen Seite, B. B. auf der anderen.

Dietmar lief die grasbewachsene Böschung des Elzbaches entlang, der zur Hütte seiner Eltern im Wald führte. Er öffnete die Tür aus Maschendrahtzaun neben dem Garten seiner Eltern und ließ seine Hand über Pastinaken, Zwiebeln und Sellerie gleiten, bis er das sanfte Grün von Karotten zwischen den Fingern spürte.

Nachdem er drei Karotten aus der Erde gezogen hatte, schloss er die Gartentür und ging mit den Karotten in der Hand zur Hintertür der Hütte. Er würde sie sauber waschen und dann zum Kriegsschauplatz seiner Ritter zurückkehren.

Dann würde er ...

Der gellende Schrei einer Frau hallte durch den Garten. Dietmar erstarrte. Zunächst glaubte er leicht verwirrt, es sei Brigitte gewesen, die wieder mit ihrer Prinzessin spielte. Doch der Schrei war nicht aus dem Wald gekommen. Er kam aus dem Inneren des Hauses. Durch das offene Fenster des Wohnzimmers.

Mama.

Die Frau schrie erneut. Dietmar ließ die Karotten fallen. Schnell rannte er zur Tür.

Durch das Fenster sah er die sterilen schwarz-silbernen Gestapo-Uniformen mit ihren blutroten Armbinden. Herr Darre und ein anderer Beamter hatten seine Eltern überwältigt. Mama war auf dem Sofa. Und Papa ...

...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2024
Übersetzer Dorothea Weiland
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-96362-772-7 / 3963627727
ISBN-13 978-3-96362-772-9 / 9783963627729
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