Palmerland -  Richard Hayer

Palmerland (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
661 Seiten
Buch&Media (Verlag)
978-3-95780-308-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ash Kennelly, britischer Baumanager, nimmt einen Projektauftrag in der Antarktis an. Gegen seinen Willen muss er die Kinder seines Auftraggebers und ihre Betreuerin Michelle Schneider dorthin mitnehmen. In der Antarktis begegnen sie dem kanadischen Klimaforscher Robert Arvin, der bei einer Bohrung im kilometerdicken Eis auf Spuren von Menschen gestoßen ist. Ein sensationeller Fund! Da wird beim Besuch einer russischen Forschungsstation in der Weite des Ross-Eisschelfs der 13-jährige Carl entführt, kurz darauf stoßen die Forscher auf eine ebenso bedrohliche wie rätselhafte Botschaft aus der Vorzeit der Menschen. Für Ash und Michelle beginnt mit der Jagd auf die skrupellosen Entführer des Jungen ein Trip in den Alptraum einer Utopie.

Richard Hayer ist Wissenschaftler und Top-Manager eines internationalen Konzerns. Er lebt in Berlin.

1

Ross-Eisschelf, Westantarktis; Freitag, 8. Mai

In diesem Augenblick tauchte aus der seit zweihundertfünfzig Stunden über dem Eis herrschenden Nacht nordöstlich der Roosevelt-Insel eine Maschine in den Dimensionen eines Ozeanriesen auf. Aus dem Toben des Schneesturms zeichneten sich Konturen von der vierfachen Höhe des roten Hangars am Rand von Granka 3 ab, in ihrer Länge übertraf die Maschine die Ausdehnung der gesamten Station aus sechs Bauten um mehr als das Doppelte. Sie kam in einer Düne von Schnee zur Ruhe, wobei sie mit ihrer Höhe die Hütten vor sich zu erdrücken schien wie die aufragende Kante eines herangeflossenen Gletschers.

„Für Euch aus einem märchenhaften Land der Wärme, in dem sie etwas von Kaffee verstehen“, murmelte Ilya Surkin, während er den beiden Schachspielern neben sich zwei Tassen Cappuccino servierte. Als er ihre skeptischen Mienen sah, fügte er hinzu: „Zwischen Mai und September ist Irkutsk von sommerlichem italienischem Geist beseelt. Ihr könnt ihn dort in dieser Sekunde spüren, wenn ihr am frühen Abend im Straßencafé´ vor dem Palais des ‚Weißen Hauses’ am Gagarin Boulevard sitzt.“ Er verdrehte die Augen, während er die Spielzüge der beiden mitschrieb. „Den Blick durch aufblühende Linden auf das weite Wasser der Angara gerichtet, hat euch den Nachmittag über ein Himmel voller Sonne den Pelz gewärmt. Für immer werdet Ihr von den leichten Farben dieses warmen Abends träumen.“

Maxim, der einen dicken Pullover mit bunten Streifen trug, schob einen dunklen Steinbrocken über das Brett. Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht.

In der Kochecke röchelte die Kaffeemaschine neben einem Stapel abgegessener Teller, die nach kalten Erbsen rochen. Eine Wand des Raums war von einem gut gefüllten Bücherregal bedeckt, davor stand ein Tisch zwischen drei abgewetzten Ledersesseln. An der Wand gegenüber hing eine zwei mal zwei Meter große russisch beschriftete Karte der Antarktis.

Von einem Moment zum anderen verwandelte sich der nächtliche Sturm aus einer donnernden Schwermaschinenfabrik in eine jaulende Hundemeute, als hätte sich etwas Großes zwischen den Wind und ihre Hütte geschoben. Vitus, der zweite Spieler, nahm seine Hand von einem der hellen Mineralbrocken zurück. Er sah mit unbewegter Miene zu den über die Tür geschraubten Schiffsinstrumenten. Ilya folgte seinem Blick.

Luftdruck 935 Hektopascal, steigend; -41 Grad Celsius, 14.17 Uhr Moskauer Zeit. 27 Stundenkilometer Windgeschwindigkeit. Eben noch waren es 81 Stundenkilometer gewesen.

Vitus, dessen unbewegtes Gesicht Ilya an eine rosige Speckseite erinnerte, machte seinen Zug. Ilya protokollierte.

Es war ein verrücktes Spiel, das der Physiker mit dem zarten, fast weiblichen Gesicht unter schwarzen Haaren im bunten Pullover und der Klimatologe mit dem Schweinsgesicht jeden Abend unter Verbrauch von viel Wodka spielten. Als Figuren dienten Meteoritenbröckchen: dunkle steinerne Chondrite und hellere Pallasite aus Nickeleisen, gesammelt in den Allan Bergen der Westantarktis, die jeweils nicht voneinander zu unterscheiden waren. Wer sich vertat, hatte verloren.

„Noch ein Jahr, und wir spielen ohne Figuren.“ Maxim schob einen Brocken, den er für seinen Turm hielt, nach h4.

„Wenn Ihr mit Hosenknöpfen spielen würdet“, sagte Ilya während er schrieb, „wäre die Wissenschaft um zweiunddreißig wertvolle Meteoriten reicher.“

„Wenn wir mit Hosenknöpfen spielen würden, wäre der alte Mann nicht gezwungen sich zu fragen, warum zweiunddreißig Brocken von den Enden seines Universums anreisen, um sich auf einem karierten Brett zu treffen. Etwa nur deshalb, weil sie sich dort nach Regeln bewegen können, die nicht von ihm stammen?“, entgegnete Maxim ohne Ilya anzusehen.

„Warum wollt ihr ihn ärgern?“ Ilya wollte etwas über Maxim herausfinden, nicht über Gott.

„Er ist es, der uns ärgert. Wusstest Du das nicht, Ilya?“

„Womit?“

„Er verweigert uns seine Existenz.“ Maxim machte einen Zug.

Plötzlich schlug jemand laut und mehrfach mit voller Wucht von außen gegen die Hütte. Wie vom Donner gerührt sahen sie sich an.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die Station Granka 3 vor sechs Jahren geschlossen und im Zuge der Beteiligung Russlands an dem astrophysikalischen Forschungsprogramm Amyan-D vier Jahre später erneut in Betrieb genommen worden. Die Besatzung wurde auf neun Personen sommers wie winters begrenzt, zwei der sechs Stationsbauten blieben dem Verfall überlassen. Der Raum, in dem die drei saßen und die Luft anhielten, war für sie zu groß, der warme Schmerz des Zurückgelassenseins plagte sie darin.

Wieder schlug es gegen die Tür. Es kann nicht sein, dachte Ilya, wir sind isoliert wie am Grund des antarktischen Ozeans. Die beiden anderen brachen die Partie ab, er selbst kümmerte sich um das Geschirr in der Kochecke.

Maxim stand auf. Er öffnete die Türen, die in den Windfang und nach draußen führten, ein Schwall kalter Luft tobte herein und brachte russische Flüche von einer ihnen unbekannten Stimme mit.

Maxim betrat den Raum. Er leitete einen blonden Mann von vielleicht Mitte dreißig hinein, der einen grauvioletten Schutzanzug mit Heizpack und Atemmaske trug und von Schnee und Eis bedeckt war. Ein Froschmann aus dem Meer der Kälte, dachte Ilya.

„Die anderen sind tot“, kam es aus dem Besucher heraus.

„Sie waren von McMurdo zu Amundsen-Scott am Pol unterwegs“, erklärte Maxim deutlich aufgeregter als noch vor wenigen Augenblicken. „Ihre Antonov ist einen Kilometer südwestlich von hier abgestürzt. Semjon hat überlebt.“

„Wie hat er uns gefunden?“, fragte Ilya.

„Sei so nett, Ilya, und mach für ihn ein Dampfbad fertig. Ihr habt noch vier Monate Zeit zum Fragen.“ Maxim bemühte sich offensichtlich, Ruhe zu bewahren.

„Nein“, stöhnte Semjon. Ilya und Vitus drehten sich um.

Semjon hatte die Augen geschlossen. Er massierte seine Hände und sog die Luft tief ein, bevor er milde verkündete: „Ihr habt nur eine Stunde Zeit zu fragen.“

„Wie das?“, fragte Ilya.

„In einer Stunde bin ich tot, wenn ich nicht eine heiße Dusche und eine Suppe bekomme.“ Er lachte mit geschlossenen Augen. Er schien diesen Augenblick zu genießen, als hätte er ihm wochenlang entgegengefiebert.

Ilya stieß die Luft aus. Semjon kam ihm vor, als stünde er unter Drogen.

„Was ist das?“, fragte der Blonde, als er vor der aufgebauten Meteoriten-Partie stand. Ilya erklärte ihm das Prinzip.

„Eine interessante Idee“, sagte der Besucher. Sein blauer Blick haftete an Ilya wie ein böser Traum. Er wiegte eins der schweren hellen Nickeleisenstücke in der Hand. „Zu sowjetischen Zeiten war es verboten, im Winter in den Polarstationen Schach zu spielen, weil es zu viele Aggressionen weckte und blutige Auseinandersetzungen zur Folge hatte. Ich bin glücklich, dass heutzutage Ruhe herrscht.“

Sein Lachen gefiel Ilya nicht. Am rechten Ringfinger des Neuankömmlings bemerkte er einen Ring mit einem runden blauen Stein. Darin war so etwas wie eine winzige Uhr ohne Zahlen, aber mit einem Strahlenbüschel von eingravierten Zeigern, die bei dem dritten Viertel begannen und bis zur unsichtbaren Zwölf reichten.

„Eine Dame?“, fragte Semjon und legte den Brocken zurück.

Ilya nickte nach einem Blick in seine Aufzeichnungen. Woher konnte der Kerl das wissen? Wenn er es aus der fortgeschrittenen Spielkonfiguration herausgelesen hatte, musste er noch erheblich verrückter sein als Vitus oder Maxim. Ilya machte sich auf den Weg.

Er setzte sich auf das Bett in seinem Schlafraum.

Wieso ein Russe? Wieso transportierte ein Russe Personen von der amerikanischen Station McMurdo zu der amerikanischen Amundsen-Scott-Station am geografischen Südpol? Wieso tauchte ausgerechnet ein Russe zufällig aus dem Nichts in einer russischen Station auf?

Noch etwas war seltsam. Ilya wusste, wie jeder in der Station roch. Er kannte Maxims Geruch gepflegter Eitelkeit und Vitus‘ gleichgültig süßlichen Sumpfgeruch. Ihnen würde sein Geruch nach Acrylfarbe seit sieben Monaten vertraut sein, als parfümiere er sich täglich neu als sein eigenes Selbstporträt. Jetzt hatte sich etwas verändert, Maxim roch nach Schweiß, als würde er auf Hochtouren laufen. Warum?

Ilya sah aus dem Bullauge auf die Entdeckung, die er vor zwei Monaten gemacht hatte: ein Dutzend von seinem Laborlicht schwach beleuchtete Kaiserpinguinpärchen.

Die Station war in der Richtung des vorherrschenden nordwestlichen Windes aufgestellt worden, sodass Verwehungen auf ein Minimum reduziert werden konnten - sie waren immer noch gigantisch, und es brauchte im antarktischen Frühjahr Ende September alle Kräfte der beiden in dem Hangar wartenden 33-Tonnen-Raupenfahrzeugmonster vom Typ Kharkovchanka, um die Schneemassen zu planieren.

Auf der dem Pol zugewandten Seite zweigte der kurze Labortunnel ab. In...

Erscheint lt. Verlag 21.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-95780-308-X / 395780308X
ISBN-13 978-3-95780-308-5 / 9783957803085
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Adobe DRM)
Größe: 2,1 MB

Kopierschutz: Adobe-DRM
Adobe-DRM ist ein Kopierschutz, der das eBook vor Mißbrauch schützen soll. Dabei wird das eBook bereits beim Download auf Ihre persönliche Adobe-ID autorisiert. Lesen können Sie das eBook dann nur auf den Geräten, welche ebenfalls auf Ihre Adobe-ID registriert sind.
Details zum Adobe-DRM

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen eine Adobe-ID und die Software Adobe Digital Editions (kostenlos). Von der Benutzung der OverDrive Media Console raten wir Ihnen ab. Erfahrungsgemäß treten hier gehäuft Probleme mit dem Adobe DRM auf.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen eine Adobe-ID sowie eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99