Regenerativ -  Martin Grassberger

Regenerativ (eBook)

Aufbruch in ein neues ökologisches Zeitalter
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Residenz Verlag
978-3-7017-4710-8 (ISBN)
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Unsere Zivilisation sieht sich zunehmend mit ausweglos erscheinenden Krisen konfrontiert, die auf eine fragmentierte, reduktionistisch-mechanistische Sichtweise auf das Leben sowie eine Entfremdung des Menschen von der Natur und von sich selbst zurückzuführen sind. Mit Nachhaltigkeit, Faktenwissen und technischen Innovationen alleine können wir diese degenerative Entwicklung nicht aufhalten. Die von der Natur gesetzten Rahmenbedingungen sind das Maß aller Dinge und damit auch der Maßstab, nach dem wir uns stets richten sollten. Das erfordert allerdings ein tieferes Verständnis für die Wechselwirkungen und Zusammenhänge innerhalb komplexer Systeme, die Akzeptanz von Unsicherheit und eine respektvolle, demütige Grundhaltung gegenüber den lebendigen Systemen der Biosphäre. Denn komplexe Systeme sind unsere Lebensgrundlage, aber gleichzeitig auch unser größtes Risiko! Das neue Paradigma lautet: 'Regenerativ'. Als Vorbild dienen die Prozesse und Prinzipien der Natur selbst, von der kleinsten Zelle bis zu den großen Ökosystemen. Sie sind Zeugnisse einer Milliarden Jahre andauernden Evolution zu selbstorganisierten, resilienten Systemen. Auch der Mensch ist Teil davon. Grassberger zeigt, wie ein fundamentaler Paradigmenwechsel natürliche Ökosysteme, menschliche Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft regenerieren kann, damit diese langfristig gedeihen können. Denn wenn wir die Art und Weise ändern, wie wir die Dinge betrachten, ändern sich die Dinge, die wir betrachten.

Martin Grassberger studierte Medizin sowie Biologie in Wien und ist Facharzt für Gerichtsmedizin. Er lehrt unter anderem an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und an der Medizinischen Fakultät der Sigmund Freud Universität Wien in den Fachgebieten Human- und Gesundheitsökologie, Evolutionäre Medizin, Forensische Medizin und Pathologie. Grassberger ist Autor zahlreicher Publikationen. Sein Buch 'Das leise Sterben' wurde Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 in der Kategorie Naturwissenschaft/Technik. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen 'Das unsichtbare Netz des Lebens' (2021) und 'Regenerativ' (2023).

2.»Planetary Emergency«: Der (vorläufige) Höhepunkt des Anthropozäns?


Ob wir unser gegenwärtiges Zeitalter nun Anthropozän nennen oder den Begriff des Kapitalozäns vorziehen – es bleibt schlussendlich ein und dasselbe: das Zeitalter, in dem ein Großteil der Menschheit durch ihr zugrundeliegendes Welt- und Selbstbild, angefeuert durch eine konsum- und profitorientierte Lebens- und Wirtschaftsweise, die Erde an den Rand ihrer Grenzen gebracht hat. Dies ist uns vor allem besonders effektiv während der letzten hundert Jahre des exponentiellen Wachstums gelungen.

Der vorläufige traurige Höhepunkt unserer Zeit ist, dass uns erdrückende wissenschaftliche Erkenntnisse auf den verschiedensten Gebieten deutlich zeigen, dass wir in einen Notstand geraten sind, dessen Ausmaß sich nur schwer beziffern lässt und dessen Konsequenzen kein Datenmodellierer dieser Welt vorhersagen kann.

Vieles von dem, was uns jetzt immer deutlicher vor Augen geführt wird, ist bereits seit einigen Jahrzehnten bekannt. Dreißig Jahre nachhaltige Entwicklung (beziehungsweise deren halbherziger Versuch) haben an unseren grundlegenden Problemen nichts geändert. Rein gar nichts.

Bereits in dem vom Club of Rome 1972 publizierten MIT-Report The Limits to Growth wurden verschiedene mögliche Zukunftsszenarien der globalen Zivilisation skizziert. Unter anderem liest man dort, dass kurz vor dem Kollaps politischer Systeme und des Finanzmarkts und in der Folge der Zivilisation, wie wir sie kennen, die Energiepreise ansteigen und gewaltsame Unruhen wegen der steigenden Lebensmittelpreise ausbrechen werden. Nun ja, die deutlich gestiegenen Energiepreise haben wir bereits, die Preissteigerung bei Lebensmitteln ist ebenfalls im Gange, mit wenig Aussicht auf Entspannung. Aber ist das schon der Anfang vom Ende?

Seit ihrer Publikation vor mehr als fünfzig Jahren löste die MIT-Analyse (MIT steht für Massachusetts Institute of Technology) immer wieder hitzige Debatten aus und wurde bereits zum Zeitpunkt ihres Erscheinens von »Experten«, die sich große Mühe gaben, die Ergebnisse und Methoden falsch darzustellen, als unhaltbar verlacht.

Doch welche Befunde existieren, die nahelegen könnten, der Verlust fruchtbarer Böden und die ökologischen Krisen im Allgemeinen sowie der Biodiversitätsverlust im Speziellen seien nicht durch menschliche Aktivitäten während des letzten Jahrhunderts verursacht? Zumindest was die geopolitische und gesellschaftliche Krise betrifft, sind wir uns doch über deren Verursacher einig, oder etwa nicht? Es sind Krisen des menschlichen Zusammenlebens, daher kommen nur wir Menschen als Verursacher infrage, wiewohl natürlich auftretende klimatische und ökologische Faktoren immer wieder zur Verschärfung derartiger Situationen beitragen.

All jene, die die genannten Probleme leugnen oder kleinreden und immer noch am gegenwärtigen, auf fossilen Energieträgern, technischen Innovationen und grenzenlosem Wachstum basierenden Narrativ festhalten, möchte ich fragen: Was ist, wenn ihr euch doch irrt und die bisher erfolgreichen Wirtschaftsnationen sägen tatsächlich gerade an ihrem letzten Ast?

Wäre nicht Vorsicht walten zu lassen und sich angesichts möglicher Katastrophen an das Vorsorgeprinzip zu halten vernünftiger? Angesichts der möglicherweise katastrophalen Folgen für nachfolgende Generationen …

»Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.« Auch wenn bis heute nicht klar ist, wem dieses Zitat zuzuschreiben ist, so steckt doch eine unumstößliche Wahrheit darin: Niemand kann sagen, was in der Zukunft passieren wird, niemand weiß, ob die eine oder andere unangenehme Prognose tatsächlich zutreffen wird. Manchmal treten Vorhersagen nicht ein, dann freuen sich die Skeptiker wie kleine Kinder. Manchmal treten prognostizierte Probleme deutlich schneller und härter ein, dann wird hilflos nach Erklärungen und Schuldigen gesucht. Und manchmal, das vergessen wir in unserer Hybris recht gerne, treten Dinge ein, mit denen niemand (auch kein Datenmodellierer oder »Zukunftsforscher«) gerechnet hat. Dann sind alle überrascht und ziemlich ratlos.

Mit Unsicherheiten umzugehen, scheint für unsere sicherheitsverliebte und kontrollsüchtige moderne Gesellschaft eine zunehmend schwierige Angelegenheit geworden zu sein. Doch die Unsicherheiten des Lebens waren während der gesamten Menschheitsgeschichte ein ständiger Begleiter, herbeigeführt von Naturkatastrophen bis zu Ernteausfällen. Vermutlich war das auch einer der Gründe, warum sich die Menschen einer höheren lenkenden Macht zuwandten, um sich von dieser durch Opfer, Gebete oder sonstige Rituale Beistand für einen sicheren Pfad in die Zukunft zu erhoffen. Man wusste, dass man von seiner Umgebung und der Natur gänzlich abhängig war.

Nun glaube ich nicht, dass wir drohendes Unheil durch Rituale, welcher Art auch immer, fernhalten könnten. Wir sollten aber wieder damit beginnen, mit der unausweichlichen Tatsache einer unsicheren Zukunft leben zu lernen. Wir sind, allen Verdrängungsmechanismen zum Trotz, von unserer Umwelt heute genauso abhängig wie die Menschen vor 100 000 Jahren. Allerdings haben wir heute die Möglichkeit, viele Parameter zu testen und Entwicklungen wissenschaftlich zu überprüfen.

Eine 2020 publizierte wissenschaftliche Überprüfung des ursprünglichen Club of Rome / MIT Reports, bei der die verschiedenen 1972 entworfenen Szenarien mit der seither stattfindenden Entwicklung und den aktuellen empirischen Daten verglichen wurden, kam zu dem Schluss, dass die ursprünglichen Modelle im Rückblick bis jetzt ausgesprochen zutreffend waren.4

Untersucht wurden die globalen Entwicklungen in Bezug auf zehn Schlüsselvariablen, nämlich Bevölkerung, Fruchtbarkeitsraten, Sterblichkeitsraten, Industrieproduktion, Nahrungsmittelproduktion, Dienstleistungen, nicht erneuerbare Ressourcen, Umweltverschmutzung, menschliches Wohlergehen und ökologischer Fußabdruck.

Die Studie weist deutlich darauf hin, dass das globale Wirtschaftswachstum ohne größere Änderungen des derzeitigen Ressourcenverbrauchs (Business as usual-Szenario), etwa um 2040 seinen Höhepunkt erreichen und dann sehr schnell zurückgehen wird, was vermutlich in einer Kaskade von Zusammenbrüchen der globalen Ökonomie und schlussendlich einem gesellschaftlichen Zusammenbruch münden wird.

Zusammenbruch bedeutet allerdings nicht, dass die Menschheit aufhören wird zu existieren, wie man immer wieder von falschen Propheten hören kann. Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Es ist aber davon auszugehen, dass infolge des globalen wirtschaftlichen Niedergangs und den damit einhergehenden Verwerfungen unser bisheriger hoher Lebensstandard (von der Lebensmittelversorgung über die Sicherheit bis hin zum Gesundheitswesen) möglicherweise für immer, mit Sicherheit aber für sehr lange Zeit der Vergangenheit angehören wird.

Ein im ursprünglichen MIT-Report entworfenes Szenario, das ausschließlich auf technische Lösungen zur Bekämpfung der Probleme setzte, wurde ebenfalls einer kritischen Würdigung unterzogen. In diesem Szenario treten der wirtschaftliche Niedergang und eine Reihe anderer negativer Folgen, wenn auch ohne gesellschaftlichen Zusammenbruch, vor allem durch die hohen Kosten der technologischen Lösungen ein. Allerdings muss man sich bei diesem Szenario die grundsätzliche Frage stellen, warum wir teure (und Großteils noch nicht existierende) technische Lösungen benötigen, um zu demselben Ziel zu gelangen, wie es eine intakte Natur von selbst bewerkstelligen könnte. Anstatt beispielsweise teure und vermutlich wenig effiziente Bestäuberdrohnen zu entwickeln (eine schreckliche Utopie), wäre es doch eindeutig sinnvoller, mit geeigneten Renaturierungsmaßnahmen für eine Vielfalt bestäubender Insekten zu sorgen.

Jenes Szenario, das bedauerlicherweise am weitesten von den aktuellen empirischen Daten entfernt lag, war das einer »stabilisierten Welt«. In diesem sehr optimistischen Modell folgt die Zivilisation einem nachhaltigen Weg, der sowohl massive Investitionen in Bildung, Umweltschutz und öffentliche Gesundheit als auch technologische Innovationen umfasst. Hier wäre auch der geringste Rückgang des Wirtschaftswachstums zu erwarten.

Derzeit befinden wir uns am ehesten in Übereinstimmung mit dem Business as usual-Pfad, wobei, das sollten wir im Kopf behalten, vor einigen Jahrzehnten die Folgen von Klimaveränderungen und Biodiversitätsverlust noch eher unter- als überschätzt wurden.

Und dennoch lässt die quasi-religiöse Doktrin des allmächtigen Neoliberalismus offenbar nichts anderes zu als die zwanghafte Konzentration auf anhaltendes Wirtschaftswachstum um seiner selbst willen und um jeden Preis. Dieses besessene Streben nach unendlichem Wachstum in einer endlichen Welt ist der zentrale...

Erscheint lt. Verlag 22.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7017-4710-5 / 3701747105
ISBN-13 978-3-7017-4710-8 / 9783701747108
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