Falls wir uns morgen wieder sehen -  Robbie Couch

Falls wir uns morgen wieder sehen (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
392 Seiten
Katalyst Verlag
978-3-949315-52-7 (ISBN)
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Aus irgendeinem Grund ist Clark aufgewacht und hat den gleichen eintönigen Montag 309-mal hintereinander durchlebt. Bis sich herausstellt, dass Tag 310 irgendwie anders ist: Plötzlich wird sein u?blicher, quälender Mathematikunterricht durch einen Jungen unterbrochen - einen Jungen, den er an all seinen vorherigen Montagen noch nie gesehen hat. Als der schu?chterne, zuru?ckhaltende Clark beschließt, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen und sich dem u?berschwänglichen und u?berschäumenden Beau auf einer Reihe von Kurztrips durch Chicago anzuschließen, kann er sich nicht vorstellen, dass sich wirklich etwas ändern wird, denn seit so langer Zeit hat sich nichts geändert. Und er erwartet definitiv nicht, dass er sich an nur einem Tag so stark oder so schnell in jemanden verlieben wird. Es gibt nur ein Problem: Wie baut man mit jemandem eine Zukunft auf, wenn man nicht einmal den nächsten Tag erreichen kann?

Robbie Couch schreibt zeitgenössische und spekulative Jugendliteratur. 'If I See You Again Tomorrow' ist sein dritter New-York-Times-Bestsellerroman und wurde von der Presse und im Feuilleton begeistert gefeiert und ausgezeichnet. Robbie stammt urspru?nglich aus der Kleinstadt Michigan und lebt heute in Los Angeles, wo er einen Teil seiner Zeit damit verbringt, Nudeln zu essen, auf seinem Handy zu scrollen und verwirrten Fremden zu erklären, dass sein Nachname 'wie ein Sofa' ausgesprochen wird.

KAPITEL 1


Gleich sage ich meiner Therapeutin etwas, das ich noch nie jemandem erzählt habe. Eigentlich gibt es keinen Grund, nervös zu sein, denn es ist ja nur Miss Hazel (und die hat wirklich alles schon gehört), und gerade zählt eh nichts mehr. Trotzdem wird es irgendwie komisch, es zum ersten Mal laut auszusprechen.

„Darf ich Ihnen etwas sagen?“, frage ich.

Miss Hazel hört auf, ihr Bonbon auszupacken, und schenkt mir ihre volle Aufmerksamkeit.

Ich räuspere mich. „Ich glaube … ich bin einsam.“

Lächelnd schmeißt sie das Bonbon in den Mund. „Großartig, das von dir zu hören.“

Ich runzele verwirrt die Stirn. „Ich weiß ja nicht, ob ich das großartig nennen würde.“

„Es ist nicht großartig, dass du einsam bist“, erklärt sie und zerkaut knirschend das Bonbon. „Es ist großartig, dass du es mir erzählst.“

Ich mag Miss Hazel. Das wusste ich seit dem ersten Tag. Komischerweise fing alles mit ihrer Praxis an. Leute sagen doch manchmal, dass Menschen wie ihre Hunde aussehen, oder? Ich glaube, Therapeut*innen sehen aus wie ihre Praxen, und das erklärt so einiges.

Zum Beispiel Dr. Oregon. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, genau wie der rissige Holzboden, auf den ich mich im Schneidersitz und ohne Schuhe setzen sollte. Ich habe nach der ersten Sitzung abgebrochen, nicht, weil ich keine faltigen Therapeuten mag, sondern weil ich Stühle einfach bevorzuge. Mr Ramplewood hatte chronisch blutunterlaufene Augen und trug nur Grau, was zu der Stimmung seiner trostlosen Kellerpraxis voller Wasserflecken passte. Falls er den Therapeutenjob je an den Nagel hängt – und das hoffe ich sehr –, sollte er seiner echten Berufung nachgehen – als Tourguide im Geisterhaus.

Miss Hazels Praxis hat was von einer Mischung aus Sammlermuseum und der Höhle eines Gelegenheits-Messis, und irgendwie steh ich total drauf. Hier sitzen wir auf zwei identischen braunen Ledersesseln mit einem Couchtisch zwischen uns. Der ist übersät mit uralten Psychologie-Zeitschriften, Bonbongläsern, um ihre selbst diagnostizierte Zuckersucht zu stillen, und ringförmigen Verfärbungen von Tassen, die jahrzehntelang ohne Untersetzer benutzt wurden. Die verblichene Blumentapete ist hinter den unzähligen Regalen, auf denen abgegriffene Bücher und kaputter Krimskrams stehen, kaum mehr zu erkennen, und es gibt genug schief hängende Fotorahmen, um eine Praxis auszustatten, die zehnmal so groß ist wie diese. Auch wenn es vielleicht der Albtraum eines jeden Minimalisten ist, wusste ich schon in unserer ersten Sitzung, dass mir dieses laute Zimmer dabei helfen würde, meine Gedanken zu beruhigen.

Und Miss Hazel, die trotz der Spätsommerhitze verschwindend klein in einem großmaschigen Strickpullover und gelben Schal vor mir sitzt, ist wie eine Erweiterung dieses über Jahrzehnte liebevoll zusammengestellten Zimmers. Auf ihrem Kopf ruht eine bewegungslose graue Haarkrone, und funkelnde Eistüten-Ohrringe baumeln neben ihrer riesigen Brille, die aussieht, als wäre sie für einen Strandball mit Augen angefertigt worden – und nicht für eine schrumpfende Sechzigjährige (aber irgendwie steht sie ihr richtig gut).

Im Vergleich zu den Sitzungen mit Dr. Oregon und Mr Ramplewood gefallen mir die mit Miss Hazel echt gut. Nicht unbedingt, weil sie eine bessere Therapeutin ist – obwohl sie das wahrscheinlich ist – oder weil ihre Praxis mich so beruhigt –, obwohl auch das stimmt. Ich mag Miss Hazel, weil sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Und das wird sie jetzt bestimmt auch wieder nicht. Also frage ich: „Wie kamen Sie darauf, dass ich einsam bin? Was hat mich verraten?“

Ohne zu zögern, erwidert sie: „Einfach alles.“

Ich reiße verblüfft die Augen auf, doch Miss Hazel scheint das nicht zu kümmern, denn sie steht plötzlich auf und fängt schon wieder an, im Zimmer rumzukramen.

Während der ersten paar Sitzungen hat es mich noch gestört, dass meine Therapeutin sich allem Anschein nach nicht länger als 30 Sekunden auf mich konzentrieren konnte, ohne aufzuspringen und sich etwas völlig anderem zu widmen. Doch nach und nach habe ich mich an diese Eigenart gewöhnt. Ich habe kapiert, dass sie zwar gerade an einem Lampenschirm friemelt oder Matrjoschka-Puppen auseinanderzieht, aber trotzdem ganz bei mir ist. Ihr liegt nichts daran, sich als die gute Therapeutin zu geben, nur um mich zufriedenzustellen. Wenn ich mal genauer drüber nachdenke, konnte ich es nicht ausstehen, wie durchdringend die anderen beiden mich angestarrt haben. Sie haben so getan, als legten sie jedes Wort auf die Goldwaage. In ihren Praxen fühlte ich mich wie auf einem Präsentierteller, doch bei Miss Hazel fühle ich mich, als wäre ich einfach Teil davon. Und das mag ich.

Sie bleibt vor ihrem Schreibtisch stehen und durchwühlt einige Unterlagen, bis sie auf die Notizen meiner Sitzungen stößt. „Da sind sie ja“, seufzt sie. „Clark, das erste Mal hatte ich die Vermutung, dass du einsam bist, als du erzählt hast, dass du dich seit Sadies Umzug niedergeschlagen fühlst. Du hast erzählt, dass es dir als recht introvertiertem Menschen schwergefallen ist, neue Leute kennenzulernen – was vollkommen verständlich ist. Es hilft natürlich auch nicht, dass sie ohne dich in Texas, um es mit deinen Worten zu sagen, so richtig aufblüht.“ Sie betont richtig aufblüht, als wäre es eine wichtige klinische Feststellung.

„Und dann sind da noch deine Eltern, die gerade eine Scheidung durchmachen, was, worüber wir schon mal gesprochen haben, Gefühle des Verlassenseins auslösen kann“, sagt sie weiter. „Und, wie ich schon letzte Woche angemerkt habe, habe ich den Eindruck, dass du dich in eine immer kleiner werdende Komfortzone zurückziehst, was ironischerweise zu einem noch größeren Leidensdruck führen kann, wie Einsamkeit.“ Sie schaut auf und schenkt mir ein trauriges Lächeln. „Lange Rede, kurzer Sinn, ja, Clark, es hört sich ziemlich einsam an in deinem Kopf.“

Sie hat mit allem völlig recht, aber ihr fehlt ein ganz entscheidendes Detail.

Dieses Detail ist nur leider der Hauptgrund, warum ich mich einsam fühle.

Aber es bringt gar nichts, das hier jetzt auszupacken. Wirklich, ich hab’s versucht. Drei Mal. Nach dem ersten Mal rief sie besorgt meine Mutter an. Das zweite Mal löste ein herzhaftes Lachen aus – woraufhin sie sich prompt an ihrem Karamellbonbon verschluckte. Nach dem dritten Mal riet sie mir mit sanftem Nachdruck, ich solle vielleicht weniger Science-Fiction-Filme gucken. In der Hoffnung, mir heute etwas Klarheit zu verschaffen, lasse ich Versuch Nummer vier lieber bleiben.

„Wie kann ich die Einsamkeit überwinden?“, frage ich stattdessen. Ihre Antwort wird nichts an meiner Lage ändern, aber wie ich Miss Hazel kenne, könnte sie zumindest interessant werden.

„Aha!“, kommt ein Aufschrei vom anderen Ende des Zimmers, ein Finger auf mich gerichtet.

Ich zucke zusammen. Von Miss Hazel kam noch nie ein Aufschrei.

Komisch.

„Das ist eine sehr gute Frage“, sagt sie. „Ich liebe diese Frage, Clark. Sie zeigt, dass du verstehst, dass Einsamkeit ein sehr flüchtiges, vorbeiziehendes Gefühl sein kann und kein chronischer, unbezwingbarer Zustand ist. Manche Leute sehen das ganz anders.“

Ich sehe das auch nicht ganz so, wie Miss Hazel es sich gerade ausmalt (aber ich halte die Klappe).

„Clark, ich weiß jetzt, was für diese Woche deine Hausaufgabe sein sollte“, sagt sie, setzt sich wieder mit Stift und Notizblock in den Sessel und schreibt energisch drauflos. „Es ist eine vierteilige Aufgabe, mit der ich gute Erfahrungen gemacht habe, wenn du dich dahinterklemmst.“

Ich lege den Kopf schief – habe ich mich da gerade verhört? „Haben Sie gesagt, ‚vierteilige Aufgabe‘?“

„Ja, das habe ich“, sagt sie.

Das … ist auch komisch.

Normalerweise sind Miss Hazels Hausaufgaben immer recht unkompliziert und überschaubar.

„Ich denke, dass du es so schaffen kannst, Gefühle der Einsamkeit zu überwinden oder zumindest ein paar Fortschritte zu machen“, sagt sie. „Erstens: Versuche, eine neue Freundschaft zu schließen, anstatt dich nur auf den Abschluss für die Highschool zu konzentrieren, und –“

„Moment mal“, unterbreche ich sie.

Sie hält inne.

Mein Herz klopft. „Haben Sie gerade gesagt: ,Versuche, eine neue Freundschaft zu schließen?‘“

Sie nickt.

„Sind Sie sicher?“, hake ich vorsichtshalber noch mal nach. „Das soll meine Hausaufgabe sein?“

Sie nickt wieder, nur etwas langsamer.

Da stimmt etwas nicht. Das hätte sie nicht sagen dürfen. Das ist nicht meine Hausaufgabe.

Das ist Heute noch nie meine Hausaufgabe gewesen, egal, worum es ging.

Sie wartet darauf, dass ich mich erkläre, aber ich bleibe still. „Habe ich etwas gesagt, das dich beunruhigt?“, fragt sie.

„Nein, also, es ist nur…“ Ich lasse das Thema fallen. „Ist...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2024
Übersetzer Desz Debreceni
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-949315-52-7 / 3949315527
ISBN-13 978-3-949315-52-7 / 9783949315527
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