Wie ich das Ende der Welt (üb)erlebte -  Kate Dark,  Stuart Smith,  Astrid Miglar,  Anne Hechenberger,  Gina Grimpo,  Karin Helbig,  Hartmut Holger

Wie ich das Ende der Welt (üb)erlebte (eBook)

29 der besten, fiesesten und bizarrsten apokalyptischen Kurzgeschichten rund um den Weltuntergang
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
280 Seiten
Elysion Books (Verlag)
978-3-96000-322-9 (ISBN)
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29 der besten, fiesesten und bizarrsten apokalyptischen Kurzgeschichten rund um den Weltuntergang - und um das bisherige Überleben. Folgt uns zu Klimakatastrophen, Sintfluten, Dürren und kontinentalen Veränderungen, zu Epidemien, freigesetzten Zombie-Viren und dem Krieg gegen Ameisen. Lasst euch von Killer-Weizen überwuchern, von gemeinen Pilzen verzehren oder von leckerer Zuckerwatte ersticken. Schließlich stirbt man nur manchmal - oder eben doch nicht? Wenn ihr auf Nummer Sicher gehen wollt, begegnet euch einfach selbst oder nutzt eine ferngesteuerte Selbstmordkabine. Aber Vorsicht! Manche Fernsteuerungen und PC-Programme haben Schwachstellen, virtuelle Spiele sind tückisch und die 0 ist sowieso böse. Auch vor Begegnungen mit höheren Wesen, Dämonen und Alien wird gewarnt. Lasst euch lieber göttlich Entrücken oder vom Handy verzücken. Geht fröhlich und gut gelaunt und rosa drauf oder findet heraus, dass ihr eine Lebensmittelallergie habt - gegen alles. Also trinkt eine Margarita, geht auf den Jahrmarkt, nehmt ein Sonnenbad und füttert Tauben bis ihr steril werdet. Es hilft sowieso alles nichts, Jeffrey ist immer der Täter.

1. Ein Leben im Stand-By


Kate Dark

 

Im Jahr 2018 gab es laut einer Studie mehr als 14.000 Atomwaffen weltweit. Vermutlich hätte jeder, der nach der Ursache für das Ende der Welt gefragt worden wäre, lautstark Atomwaffen gerufen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es Geräte und Apps waren, die die Kontrolle übernahmen. Sie versklavten die Menschen zu einer unfähigen Spezies und stürzten sie in eine Abhängigkeit, aus der sich niemand befreien konnte.

Und das alles gesteuert von nur einer Person ...

 

Schweiß rann über Sidneys Rücken. Ihre Beine waren schwer und sie hatte das Gefühl, gar nicht mehr vorwärtszukommen. Immer wieder trat sie in die Schlaglöcher der Straße und geriet dadurch ins Stolpern.

»Scheiße«, fluchte sie und ruderte mit den Armen, das tote Kaninchen dabei fest umklammernd, das sie aus einer Tierhandlung gestohlen hatte. Hunderte Male war sie diesen Weg schon gelaufen. Ausgerechnet heute stand sie neben sich und war konzentrationslos.

Sidney warf einen Blick über die Schulter, darum bemüht, die Beine schneller laufen zu lassen. Nicht weit hinter ihr kamen die Smombies, eine Mischung aus Smartphone und Zombies, immer näher. Sie lauerten überall – versteckt in Büschen, hinter Bäumen und dunklen Gassen, angezogen durch die natürlichen Bewegungen und Geräusche eines nicht infizierten Menschen. Nun ja, das und die Tatsache, dass Sidneys Gesicht sowie das ihres kleinen Bruders überall aufploppte, wenn eine App gestartet wurde.

Sie waren Abtrünnige, die geschnappt werden mussten.

Gleich geschafft! Sid sah schon das Gelände. Das kleine Reich, welches sie und ihr Bruder errichtet hatten. Der einzige Ort, an dem sie halbwegs sicher waren. Aufgebaut wie eine kleine Insel, gänzlich umgeben von Wasser und einem Maschendrahtzaun. Sie sprang in den Graben und sog zischend die Luft ein. Das Wasser war eiskalt. Wieso hatte Charlie nicht die kleine Brücke ausgelegt? Ihr Herz setzte für einen Schlag aus und hämmerte dann doppelt so schnell. Sidney schwamm die wenigen Meter zum anderen Ufer und zog sich an Land. Schwer atmend blieb sie auf dem Rücken liegen.

Sidney wusste, dass die Smombies am anderen Ufer standen. Nur ein paar Meter entfernt. Lauernd. Gierig. Bereit, die verbliebenen Gesunden mit Apps und Digitalisierung zu infizieren. Und doch war nichts zu hören. Sie richtete sich auf und starrte die Menschen an – vertieft in ihre Smartphones und Tablets. Geistig nicht mehr in der Lage, eigenständig zu denken und zu handeln. Sie vergaßen alles – sogar das Sprechen.

Sie erkannte Doc Harris, der vor zwei Jahren noch einen Hausbesuch bei ihnen gemacht hatte, um nach Granny zu sehen; Misses Duney, ihre ehemalige Geschichtslehrerin; Freddy, ein Freund ihres jüngeren Bruders Charlie. Eins hatten alle gemeinsam: die dunklen Ringe unter den Augen, den apathischen Blick und die kurze Aufmerksamkeitsspanne. Sie wussten schon gar nicht mehr, weshalb sie überhaupt hier waren. Hatten es einfach vergessen, weil sie verlernten, ihren Verstand zu benutzen.

»Ob sie in ihren Suchmaschinen nachsehen, wie sie den Graben überqueren können?« Charlie legte ihr eine Decke über die Schultern und setzte sich zu ihr.

Sid stieß ein Schnauben aus. »Das haben sie mit Sicherheit schon. Sie sind nur nicht mehr in der Lage, das Gelesene zu verarbeiten und umzusetzen. Warum hast du die Brücke nicht ausgelegt?«

Charlie senkte beschämt den Kopf. »Ich hatte Angst einzuschlafen und dann nicht mitzubekommen, wenn einer von denen kommt.«

Eine Weile beobachteten sie schweigend, wie die Smombies sich entfernten, kreuz und quer liefen, ohne auf ihr Umfeld zu achten. Sie stießen sich gegenseitig an und blickten nicht mal von den kalt leuchteten Displays ihrer Geräte auf. Es hielt sie gefangen und zog sie immer tiefer in das bodenlose Loch der Abhängigkeit.

»Gott, das ist so krank«, murmelte Charlie. »Es wundert mich, dass sie nicht längst verhungert sind.«

»Ihr Kühlschrank erinnert sie daran, zu essen und bestellt sogar Lebensmittel, die dann automatisch von Robotern geliefert werden. Der Chip in ihnen, also die Künstliche Intelligenz, lässt es nicht zu, dass jemand außer der Reihe stirbt.«

»Verarschst du mich?« Ungläubig starrte Charlie sie aus unschuldigen Augen an.

»Ich wünschte, es wäre so«, flüsterte sie. Hätte sie es nicht selbst gesehen, sie könnte es nicht glauben. Die Menschen hatten sich von dem Wundermittel Chip blenden lassen. Es würde erkennen, wenn sie krank waren. Es würde nicht zulassen, dass sie vorzeitig starben. Es würde alle ihre Bedürfnisse erkennen. Es würde ihnen ein besseres Leben bescheren. Autounfälle? Sie gehörten der Vergangenheit an. Tödliche Krankheiten? Nicht in diesem Leben. Suizid? Nein, jeder starb genau nach Plan in hohem Alter.

»Geh rein und zieh die nassen Klamotten aus, ich mache das Essen.« Charlie nahm das Kaninchen und entfernte sich.

Mühsam rappelte sie sich auf. Ganz automatisch fiel ihr Blick auf ihren jüngeren Bruder, der ein Feuer entzündete. Er hatte so schnell erwachsen werden müssen. Ihm war es nicht vergönnt gewesen, eine Kindheit zu haben. Und mir auch nicht, dachte sie. Immerhin war sie erst sechzehn und damit nur drei Jahre älter als er.

An manchen Tagen wünschte Sidney, der Virus hätte auch sie befallen. Es war so schwer, jeden Tag aufs Neue zu kämpfen und zu überleben. Die Verantwortung für sich und für Charlie zu haben. Sie wollte das nicht. All ihre Pläne waren dahin: studieren, Ingenieurin werden, eine Familie gründen.

Sie trat in ihre kleine Hütte, die aus ein paar zusammengenagelten Spanplatten bestand. Wohin sie gingen, wenn der Winter einsetzte, wusste sie noch nicht. Letztes Jahr hatten sie Glück gehabt. Kein Schnee und nur wenig Frost. Wohnungen und Häuser waren tabu – zu viele Endgeräte, die sie nicht nur identifizieren konnten, sondern auch in die Abhängigkeit stürzen würden. Mit dem Auto irgendwo hinfahren, ging auch nicht. Verdammt noch mal! Selbst Fahrräder und Roller gab es elektrisiert. Damit die Menschen fett und faul werden und keine unbequemen Fragen mehr stellen, dachte sie bitter.

 

Sidney saß im Dunkeln, die zitternden Hände unter den Schenkeln verborgen. Achtsam atmete sie ein und aus. Der Entzug machte sich immer dann bemerkbar, wenn sie zur Ruhe kam und Zeit zum Nachdenken hatte. Wo sie früher nach ihrem Smartphone gegriffen und irgendein blödes Spiel gespielt hätte, musste sie heute eine andere Beschäftigung finden. Schließlich wollte sie nicht eine von denen werden. Gesteuert durch irgendein Endgerät und einer Künstlichen Intelligenz, die die Menschheit am Leben erhielt, um sie zu kontrollieren.

Nachdem Sidney sich weitestgehend beruhigt hatte, stand sie auf und schüttelte die Hände aus. Ihre Finger waren taub, weil sie so lange darauf gesessen hatte.

»Bist du bereit?«, fragte Charlie und hielt ihr eine Trinkflasche hin. In der anderen Hand eine angeschaltete Taschenlampe, die das Innere der Hütte in gelbes Licht hüllte.

»Ja.« Nein! Sie fühlte sich nicht in der Lage, heute schon wieder ihren halbwegs sicheren Platz zu verlassen. Alles schmerzte. Aber Charlie hatte recht. Sie brauchten Medikamente und Lebensmittel. Das Kaninchen von gestern hatte nicht lange ihre leeren Mägen gefüllt.

Sidney packte ihr Getränk in den Rucksack und schulterte ihn. Sie sah sich um, hörte ein Geräusch, das sie nur schwer zuordnen konnte. Eine Art Summen.

»Warte.« Sie hielt Charlie zurück. »Hörst du das?«

Er zog die Augenbrauen zusammen, sodass sich eine steile Falte zwischen ihnen bildete. »Das kommt von oben.«

Ihr Blick richtete sich auf die Decke. »Bleib hier.«

Sie nahm den Rucksack ab und schlich auf die improvisierte Tür zu. Vorsichtig schob sie diese ein paar Zentimeter zur Seite, damit sie hinausspähen konnte. Und tatsächlich. Da war ein gleichmäßig blinkendes rotes Licht am Abendhimmel. Langsam schob sie die Tür wieder vor das Loch.

»Drohnen«, lautete ihre schlichte Antwort. »Schalte die Taschenlampe aus, wir haben nur noch wenige Batterien.«

Mit einem Klick war es wieder dunkel und erdrückend.

 

In der Stille der Nacht wirkte das Magenknurren unnatürlich laut. Es weckte Sidney und sorgte dafür, dass sie nicht wieder einschlafen konnte. Hatte sie geschlafen und wenn ja, wie lange? Wie spät war es? Ihre Hütte besaß nur diesen einen Eingang und weder Fenster noch ein winziges Guckloch. Vorsichtig krabbelte sie von den vielen Decken hinunter und auf die Tür zu. Sidney schob sie etwas zur Seite. Es war immer noch dunkel draußen. Von den Drohnen war nichts mehr zu sehen oder zu hören.

»Charlie«, rief sie leise. »Steh auf.«

Er schaltete die Lampe ein. Seine blonden Haare waren zerzaust. »Wasn los?«

»Weit und breit niemand zu sehen. Wenn wir in die Mall wollen, ist jetzt der beste Zeitpunkt.«

Sie setzten ihre Rucksäcke auf und schlichen über ihre kleine Insel bis zum Graben. Sidney brauchte zwei Anläufe, um die improvisierte Brücke bis zum anderen Ufer zu werfen. Es war wackelig und rutschig. Als sie die andere Seite erreicht hatten, stießen sie die Brücke wieder ins Wasser. Zurück würden sie schwimmen müssen.

Es war erschreckend, in wie vielen Fenstern das bläuliche Licht von Displays flackerte. Entweder durch Fernsehgeräte, Computer, Tablets oder Smartphones. Ein Leben im Stand-By-Modus hatte es der Mann genannt, der auch die Künstliche Intelligenz geschaffen hatte, wir sind immer auf Abruf. Er war so stolz auf sich gewesen, hatte so viele Preise erhalten. Lobeshymnen. Ein niemals endender Reichtum und so...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-96000-322-6 / 3960003226
ISBN-13 978-3-96000-322-9 / 9783960003229
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