Verurteilt zum Schweigen -  Barbara Cartland

Verurteilt zum Schweigen (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
245 Seiten
Barbara Cartland eBooks Ltd (Verlag)
978-1-78867-790-5 (ISBN)
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Sally St. Vincent wuchs nach dem Tode ihres Vaters Sir Arthur Vincent bei ihrer Tante auf, die ein sehr puritanisches Leben führte und eine Rehabilitationsanstalt für Kranke und Kriegsopfer auf ihrer Farm mit Sally aufgebaut hatte. Nach dem plötzlichen Tod der Tante steht Sally mittel- und heimatlos da, da sie das Erbe ihres Vaters erst als Volljährige oder nach ihrer Heirat antreten kann. Daher reist sie nach London, um dort ihre erfolgreiche und schöne Mutter, die Schauspielerin Lynn Lystell zu treffen. Lynn, darauf bedacht, dass niemand ihr wahres Alter und ihr Verwandtschaftsverhältnis zu Sally herausfindet, versucht für Sally einen geeigneten Heiratskandidaten zu finden, so dass diese ihr Erbe antreten kann - und somit keine finanziellen Ansprüche an sie stellt. Sie selbst will den Heiratsantrag des reichen und vornehmen Erico annehmen und mit ihm nach Südamerika ziehen. Damit beginnt für Sally die verzweifelte Suche nach einem Ort, wo sie leben kann - nach einer Heimat, nach der sie sich seit langem sehnt.
Wird sie diese mit dem jungen, mittellosen Sir Anthony Thornton finden, der in Lynn verliebt ist und dieser versprochen hatte, Sally zu heiraten? Oder wird ihr der graue Ritter Hilfe bringen, der ihr seit Kindheitsjahren Zuversicht bringt.

Verurteilt zum Schweigen © 1949

I


Der Zug kam mit quietschenden Bremsen zum Stehen. Der dicke Mann auf dem Sitzplatz gegenüber holte die Koffer aus dem Gepäcknetz, verließ ächzend und schnaufend das Abteil und warf mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zu.

Sally war allein.

Sie sprang auf, reckte und streckte die vom Sitzen steifgewordenen Glieder und kniete sich dann auf ihren Sitz, um in den schmalen Spiegel zu blicken, der an der Abteilwand angebracht war.

»Was wird Lynn sagen, wenn sie mich sieht?« fragte sie laut. Dann überlegte sie, wie lange es her sein mochte, seitdem sie sich das letzte Mal so aufmerksam und ausführlich im Spiegel betrachtet hatte.

Für derartige Dinge war auf der Farm einfach nicht die Zeit gewesen. Morgens in aller Herrgottsfrühe hatte sie aufstehen müssen, und nach einer überstürzten Toilette war sie die Treppe hinuntergehastet, um bei den Vorbereitungen zum Frühstück zu helfen.

Wenig später folgten der Aufwasch, das Säubern der Zimmer, Bettenmachen und Versorgen der Öfen. Das Federvieh wartete auf sie. Die Eier wollten eingesammelt, die Gänge für das Mittagessen zusammengestellt, frisches Gemüse und frische Kräuter aus dem Garten geholt und tausend andere Arbeiten beendet oder angefangen werden.

Und die ganze Zeit über hatte sie zu lächeln, gute Laune zu verbreiten und freundlich zu den Gästen zu sein, die sie unablässig mit Fragen und Bitten in Atem hielten.

Tante Amy war der Überzeugung gewesen, Tiere und Landleben wären für zerrüttete Nerven das beste Heilmittel.

Und sie hatte mit ihrer These nicht nur einmal, sondern hundertmal recht behalten, seit sie die Mythrodd-Farm als Heim und Erholungsstätte für alle, die unter den Auswirkungen des Krieges litten, eröffnet hatte.

Stets eine Frau schneller Entschlüsse, hatte sie alle Hindernisse energisch aus dem Weg geräumt und war schnurstracks auf ihr Ziel zugesteuert, nachdem sie wenige Tage nach der Schlacht von England den Plan zur Gründung eines Erholungsheimes gefasst hatte.

Nur wenige Wochen vergingen, als sie die Mythrodd Farm erwarb und erklärte, dass diese bestens für ihre Zwecke geeignet sei.

Der Hof lag in einer lieblichen, von den Verwüstungen des Bombenterrors verschonten Landschaft inmitten der Bergwelt von Wales und nur etwa fünf Meilen von der See entfernt.

Das Haus, groß und weitläufig angelegt, wurde einer Teilmodernisierung unterzogen. Das heißt, die Räume erhielten fließendes kaltes und warmes Wasser, Baderäume wurden eingebaut und vorschriftsmäßige Hygienemöglichkeiten geschaffen. Dagegen gab es weder Elektrizität noch Gaslicht.

Eine von Sallys zahllosen Aufgaben war das Anzünden der altmodischen Öllampen in sämtlichen Zimmern und Gängen des Hauses, sobald die Dämmerung hereinbrach.

Sally hatte befürchtet, ihre Tante würde sie zur Schule schicken, als sie das Projekt startete. Aber zum Glück wohnte im Dorf eine ältere Lehrerin mit großer pädagogischer Erfahrung, die sich anbot, Sally privat zu unterrichten.

Überdies bot der Kontakt mit den vielen unterschiedlichen Gästen auf der Farm die Möglichkeit zur Erweiterung ihrer Allgemeinbildung und ihrer Lebenserfahrung.

Da waren Frauen, denen der Krieg sowohl den Ehemann als auch die Kinder entrissen hatte, Männer, die an schweren Verwundungen litten, Kinder, die ihre Eltern verloren hatten oder die durch den Bombenkrieg zu wahren Nervenbündeln geworden waren.

Tante Amy stand mit zahlreichen Verbänden und Organisationen in Verbindung, die ihr ständig Gäste zuwiesen. Dennoch nahm sie nie jemanden bei sich auf, bevor sie den Betreffenden nicht in einem persönlichen Gespräch auf Herz und Nieren geprüft hatte.

Sally fragte sich manchmal, wenn sie die Briefe las, die an ihre Tante gerichtet waren, wie diese es übers Herz brachte, Bewerber mit den erschütterndsten Schicksalen einfach abzuweisen. Doch Tante Amy, methodisch und konsequent in allem, was sie tat, ließ sich bei der Auswahl ihrer Gäste von einem gewissen System leiten, von, dem sie niemals abwich.

Frauen waren immer in der Mehrzahl, überstiegen aber nie die Zahl acht. Es gab drei oder vier ältere Männer und die gleiche Anzahl Kinder, meist Jungens, für die das Leben auf der Farm einen besonderen Reiz besaß und die dadurch, dass es ihnen Spaß machte, mit anzupacken, sehr bald wieder gesundeten und zu Kräften kamen.

Doch wenn es auch zur Therapie gehörte, dass die Gäste in Haus und Hof mitarbeiteten, das Arbeitspensum, das Sally zu bewältigen hatte, blieb immer noch gewaltig.

Wenn sie abends schlafen ging, war sie meist so müde, dass sie gegen die Versuchung ankämpfen musste, sich einfach mit den Kleidern ins Bett fallen zu lassen.

Sobald ihr Kopf das Kissen berührte, sank sie in einen traumlosen Schlaf, aus dem sie erst wieder erwachte, wenn morgens der Wecker schrillte.

Nein, bei diesem Leben hatte sie nicht die Zeit gehabt, an Kleider oder ihr Äußeres zu denken. Sie musste sauber und ordentlich aussehen, das war alles, was Tante Amy von ihr erwartete. Darauf allerdings legte sie den größten Wert.

»Dein Haar ist in Unordnung!« hieß es sonst streng. Oder: »Du wechselst zum Tee am besten die Bluse, und die, die du jetzt trägst, steckst du nach dem Essen mal kurz in Seifenlauge!«

Manchmal, wenn Sally zum Unterricht ins Dorf ging, sah sie die Mädchen ihres Alters in hübschen Tweedsachen oder farbenprächtigen Wintermänteln, und dann wünschte sie sich insgeheim, dass Tante Amy ihr auch einmal etwas Derartiges kaufen würde.

Aber das blieb nur ein Wunsch. Sie wusste, was sie von Tante Amy Jahr für Jahr geschenkt bekam: ein einfaches Tweedjackett für den Winter und einen ebenso einfachen Tweedrock, dazu einen dicken Lodenmantel. Und alle Stücke in dem gleichen unscheinbaren Beige. Für den Sommer gab es einige schlichte Leinenkleider und vielleicht noch eine braune Strickjacke zum Drübertragen für kalte Tage.

Es war die reinste Uniform, einfach und unansehnlich, in die Tante Amy sie steckte. Aber zum Glück hatte Sally nicht die Zeit, sich deswegen große Gedanken zu machen.

Doch nun, während sie in den Spiegel des Eisenbahnabteils blickte, fiel es ihr auf, und das, was sie da zu sehen bekam, stimmte sie nicht gerade besonders fröhlich.

Was würde Lynn zu ihr sagen?

Sie rief sich Lynns schönes, ausdrucksvolles Gesicht ins Gedächtnis, die elegante Kleidung, die sie trug, den betörenden Duft des Parfüms, der sie stets, wie eine unsichtbare Wolke umgab.

Beim letzten Mal, da sie Lynn begegnet war, hatte diese ihr den Finger unters Kinn gelegt und sie eine Zeitlang aufmerksam angeschaut.

»Du bist hübsch, Liebling«, sagte sie. »Und eines Tages wirst du noch hübscher sein. Ich bin froh, ganz schrecklich froh, dass es so ist. Ich hätte es nicht ertragen können, wenn es anders wäre!«

Dann lachte Lynn. Lachte dieses entzückende, silberhelle Lachen, das so ansteckend wirkte und zugleich den Eindruck erweckte, als nähme sie nichts von dem, was sie sagte, wirklich ernst.

Sallys Herz schlug schneller, als sie an diese Worte dachte. War sie wirklich hübsch? Ihr war es nie so vorgekommen.

Lynn allerdings war wirklich hübsch, nein, genauer gesagt, sie war eine Schönheit mit ihrem herzförmigen Gesicht und den dunklen, geheimnisvollen Augen. Sally hatte sich mit ihr verglichen, die runden Wangen, die blauen Augen, das blonde Haar, und sie hatte erkannt, wie banal und gewöhnlich sie war gemessen an dieser Frau.

Doch wenn Lynn sagte, dass sie hübsch sei, dann musste es stimmen. Allerdings war das vor fünf Jahren gewesen. Was würde Lynn heute von ihr denken?

Sally starrte noch immer in den kleinen Spiegel. Plötzlich nahm sie ihren Filzhut vom Kopf und warf ihn auf den Sitz.

Das war es, was sie an ihrem Spiegelbild störte: dieser gewöhnliche, langweilige, altmodische Filzhut, den sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Nun war wenigstens ihr Haar zu sehen, auch wenn es straff aus der Stirn gekämmt und im Nacken zu einem strengen Knoten geschlungen war.

Tante Amy lehnte kurzes Haar ab. »Warum sollten Mädchen die Männer nachäffen?« hatte sie gefragt, und der Tonfall in ihrer Stimme hatte keine Zweifel daran gelassen, dass Männer in ihren Augen sowieso zu Lebewesen einer untergeordneten Rangstufe gehörten.

Mehr als einmal hatte Sally den zaghaften Vorschlag gemacht, ihr Haar, das nur langsam zu wachsen schien, einmal richtig kurz zu schneiden, aber Tante Amy hatte es nicht erlaubt und strikt darauf bestanden, dass es zu einem sauberen Knoten aufgesteckt wurde.

Doch nun zog Sally die Haarnadeln eine nach der anderen heraus. Weich und, schwer fielen die Haare auf ihre Schultern nieder, so als begrüßten sie aufatmend die ungewohnte Freiheit. Sie besaßen eine natürliche Krause, und der Aufenthalt im Freien hatte sie gebleicht, so dass sie ausschauten wie gesponnenes Silber.

Sally holte ihre Reisetasche aus dem Gepäcknetz. Sie öffnete den Verschluss und suchte nach ihrem Kamm.

Dann begann sie sich zu kämmen, wobei sie darauf achtete, dass die Haare nicht mehr so dicht am Kopf anlagen, sondern weich und voll ihr Gesicht umgaben.

Sie war mit dem Ergebnis sichtlich zufrieden, obwohl ihr Gefühl ihr sagte, dass Lynn ihr Haar so lange schauderhaft finden würde, bis es von einem guten Friseur geschnitten und in Form gebracht worden war.

An ihren Rock und die Jacke aus dem unvermeidlichen beigefarbenen Tweed wagte sie gar nicht zu denken. Aber Lynn kannte Tante Amy ja schließlich und würde damit rechnen, dass sie, Sally, wie eine Vogelscheuche herumlief.

Sally vermochte es kaum zu fassen, dass Tante Amy tot war. Ganz plötzlich und unerwartet war sie gestorben....

Erscheint lt. Verlag 15.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 1-78867-790-0 / 1788677900
ISBN-13 978-1-78867-790-5 / 9781788677905
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