Rampenlicht und Schattenbühne -  Yara Sylver

Rampenlicht und Schattenbühne (eBook)

Eine heitere, frivole Erzählung mit ernstem Hintergrund

(Autor)

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2024 | 3. Auflage
427 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-0048-0 (ISBN)
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Der Roman beruht auf authentischen Fakten, die Dialoge sind dem Wesen der Protagonistin angepasst und frei erfunden. Gerti hat sich schon früh ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Sie will eine gefeierte Primaballerina werden, Weltruhm erlangen und als Heldin ihrer Geschichte hervorgehen. Konsequent und berechnend geht sie ihren Weg. Der Krieg durchkreuzt zunächst Gertis Pläne bis sie, 18-jährig, die Bekanntschaft des hochrangigen amerikanischen Offiziers macht, der als Schöffe beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess den obersten Richtern besitzt. Sie wird seine Geliebte. Für die junge Frau aber ist der Yankee nur Mittel zum Zweck. Als sie entdeckt und unter Vertrag genommen wird, hat er ausgedient. Um die Karriere voranzutreiben, verschafft sie sich mit ihrer Freizügigkeit Privilegien und strapaziert mit zwanghafter Selbstdarstellung und übertriebenem Ehrgeiz die Nerven aller. Auftritte im Orient und in den östlichen Mittelmeerländern sorgen für Schlagzeilen, doch die ersehnten Angebote aus Paris, Moskau und New York bleiben aus. Gertis Affären sind bedeutungslos, bis sie die Bekanntschaft eines Bauingenieurs macht, der weltweit Staudämme und Brücken baut. Sie vertraut ihm blind und weil ihr ein Leben in Luxus sicher scheint, hängt sie die Ballettschuhe an den Nagel. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, die ihren sozialen Abstieg einläutet.

Die in Franken geborene Weltenbummlerin bezeichnet sich als Hobby-Wissenschaftlerin. Philosophie und Psychologie hat sie nicht studiert, aber aus ihrer Lebenserfahrung und der akribischen Beobachtung von Menschen entstehen die Geschichten, die uns das Verhalten ihrer Romanfiguren verstehen lässt. Sie vermischt Selbsterlebtes mit gehirnakrobatisch Erfundenem zu traumatischen Geschehnissen, die die Leserschaft in ihren Bann zieht. Aber sie kann auch leichte, amüsante Literatur, gerne auch ein Genre-Mix. Dabei zeigt sich: Yara Sylver ist selbst eine Getriebene, die ihren Platz im Leben noch sucht.

2. Kapitel – Am Anfang steht die Leidenschaft


Im August 1931 wurde Gerti als einziges Kind von Maria und Reinhold Brehm in Fürth bei Nürnberg geboren. Mit dem dichten schwarzen Haar, das sich zunehmend zu einem lichten Braun auswuchs, und den wasserblauen Augen war sie Papas ganzer Stolz. Püppchen nannte er sie zärtlich und konnte ihr nur schwer etwas abschlagen. Als Händler für Continental-Reifen hatte Reinhold einfach zu wenig Zeit, sich um die Erziehung zu kümmern und ließ, auch um sein Gewissen zu beruhigen, die Zügel schleifen. Gerti lernte früh, wie man Männern um den Bart ging und wie mühelos sie sich beherrschen ließen. Ein möglicher Aspekt für ihre überspannte Ich-Stärke, mit der sie sich schon im Kleinkindalter Respekt verschaffte.

  Im zweiten Schuljahr entdeckte Deutschlehrerin Veigel, die auch Sport unterrichtete, Gertis Talent für Tanz und Leichtathletik; beides oft kombiniert, mit fließendem Übergang. Ein 50-Meter-Lauf bot sich für grätschbeinige Luftsprünge an und jeder Ballabgabe beim Völkerball beispielsweise folgte eine Kunstfigur. Auch in den Pausen setzte sich das Kind auf dem Schulhof mit spontanen Tanzeinlagen in Szene. Bei anderen Lehrern war Gerti weniger beliebt. Sie sagte ein, ließ Zettelchen mit Aufgabenlösungen herumgehen und störte auch den Unterricht, wenn der Lehrstoff sie unterforderte. Eckenstehen, Nachsitzen und Strafarbeiten blieben wirkungslos.

  „Also wirklich, ich sehe das Problem nicht“, verteidigte Reinhold seine Tochter vor dem Schulleiter. „Weltweit treiben Massenmörder ihr Unwesen und hier regt man sich über eine blitzgescheite Frohnatur mit Helfersyndrom auf. Mich jedenfalls beeindruckt das ausgeprägte soziale Verhalten meiner Gerti. Wenn es ausschließlich Menschen wie sie gäbe, würden Kriege allenfalls mit Knallerbsen und Wasserpistolen geführt.“

  Reinhold meldete sein Mädchen in der Ballettschule des Opernhauses an und verordnete  ihr  Klavierstunden. Gerti griff gern in die Tasten, doch die nötigte Disziplin brachte sie allein beim Tanzen auf. Sie war zwölf, als ihr geliebter Papi in den Krieg ziehen musste. Die Angst um ihn lähmte sie. Gerti zog sich mehr und mehr zurück und schwänzte die Schule. Die Tanzerei hätte sie ablenken können, doch dafür war kein Geld übrig. Als sie auch die Mahlzeiten verweigerte, suchte die Mutter Rat bei Schwager Werner. Der sechsfache Vater war wegen eines Granatsplitters im Kopf aus dem Militärdienst entlassen worden. Da das Ding nicht gefahrlos entfernt werden konnte, litt er an unkontrollierten Krampfanfällen. Die Familie hatte gelernt damit umzugehen. 

  Der Onkel bediente sich einer Notlüge. „Dein Vater kämpft nicht an der Front. Sein Kompaniechef hat mir versichert, dass Unteroffizier Brehm in einem geheimen Bunker unter der Erde Panzer baut und dem Koloss aus Stahlbeton keine Bombe was anhaben kann.“

  Die Schwindelei war das Schmieröl, das Gertis Lebensfreude ankurbelte. Sie ging wieder zum Unterricht, wechselte aufs Gymnasium und büffelte fürs Abitur. Papili sollte stolz auf sie sein, wenn er zurück war. Sie wollte ihm und allen anderen beweisen, dass sie nicht nur exzellent tanzen konnte, sondern auch ein helles Köpfchen war. Gerti schloss als Zweitbeste ab und wurde mit einem Notendurchschnitt von eins Komma acht geehrt.

   

Noch vor Kriegsende wurde Reinhold nach Frankreich in ein Gefangenenlager deportiert. Zeitgleich fiel Gertis Elternhaus den Bomben zum Opfer, die halbe Straße lag in Schutt und Asche. Tote gab es zum Glück keine, die Anwohner hatten sich noch rechtzeitig in die Luftschutzkeller retten können.

  Mutter und Tochter kamen bei einer Großtante in Fürth/Rhonhof unter. Wochen später ließ ein gemeiner Brandanschlag das Mietshaus in Flammen aufgehen. Sechs Menschen starben, darunter vier Kinder. Die Tante erlag einem Herzinfarkt. Gerti und Maria mussten in einen Bunker im Nürnberger Stadtteil Schweinau umziehen – ein Unterschlupf für Obdachlose.

 

Das Kriegsende löste nicht nur Freude und Erleichterung unter der Bevölkerung aus, auch tiefe Trauer, Not und Verzweiflung. Unzählige Menschen litten unter Traumafolgestörungen, Gerti und der Mutter blieb dieses Leid gottlob erspart.

*

Gerti wollte Sportlehrerin werden. In den Disziplinen Speerwerfen, Kugelstoßen und Wettlauf hatte sie bereits Turniere gewonnen. Maria verweigerte ihre Zustimmung für ein Studium, weil ihr Kind dafür nach Berlin hätte gehen müssen. Ein Wort ergab das andere, bis daraus ein handfester Streit wurde und Gerti abzuhauen drohte. „Es geht um meine berufliche Zukunft und da lass ich mir nicht reinreden. Von dir nicht, von Papi nicht, von niemandem.“

  Das letzte Wort hatte das Schicksal. Beim großen Sportfest, in der Disziplin Kugelstoßen, rutschte Gerti auf dem feuchten Rasen aus und brach sich zwei Finger der rechten Hand, die wegen eines Behandlungsfehlers leicht gekrümmt und eingeschränkt beweglich waren – das Aus ihrer sportlichen Laufbahn.

  Gerti haderte mit sich und am allermeisten mit dem unzumutbaren Bunkerleben. Es war laut und es stank. Es gab keine Waschgelegenheiten, nur verdreckte Toiletten, die man besser mied. Viele verrichteten die Notdurft im Freien und wuschen sich mit Regenwasser, das man aus Pfützen sammelte. Haarläuse und Krätze breiteten sich dramatisch aus. Die Trinkwasserrationen reichten kaum für den täglichen Bedarf. Nahrungsmittel waren knapp, warme Mahlzeiten selten; Mangelerscheinungen und Magengeschwüre als Konsequenz.

  Während sich Maria die Hacken nach einer bezahlbaren und menschenwürdigen Unterkunft ablief, sinnierte Gerti über die Frage, wie sich mühelos schnelles Geld machen ließ. Die Antwort lag auf der Hand. Sich ihrer Reize bewusst, flanierte Gerti fortan vor der Südkaserne, die die US-Armee eingenommen hatte und warf die Angel aus. Der erste Fisch am Haken war ein in Pelz gehüllter farbiger GI. Sein Südstaatendialekt war schwer verständlich, doch auf gepflegte Konversation legten beide ohnehin keinen Wert. Mit Powackeln und laszivem Augenaufschlag lockte Gerti den Schwarzen in die Ruine eines zerbombten Walzwerkes und leistete für seinen Mantel als Gegenwert Handarbeit. Von dem Geld, das der Pelz abwarf, kaufte sie sich einen roten Rosshaarmantel, zwei reizvolle Kleider und Feinheiten als Konzept für ihre Geschäftsidee.

  Noch rechtzeitig vor Wintereinbruch wurden Mutter und Tochter bei einer Professorenwitwe in der Fürther Straße zwangseinquartiert. Die Beengtheit des Zimmers und die Unbequemlichkeit sich ein Bett teilen zu müssen, nahmen die beiden für ein Bad mit sauberer Toilette hin. Da es keinen Ofen gab, blieb tagsüber die Tür offen, damit sich die Wärme, die der Küchenbeistellherd ausstrahlte, darin ausbreiten konnte.

  Maria war sich für keine Arbeit zu schade. Sie schuftete lange Stunden an sieben Tagen die Woche und trug mit vielen anderen Frauen die Last des Wiederaufbaus, während die Tochter in doppelter Hinsicht US-Soldaten erleichterte.

  Gerti und die Witwe Schmollak waren sich von der ersten Stunde an grün und pflegten ein freundschaftliches Verhältnis. „Wer aussieht wie du, braucht auch in schweren Zeiten auf nichts zu verzichten“, sagte die Frau einmal über den Rand ihrer Tasse hinweg, als erzählte sie Gerti da was Neues. „Mit deinem hübschen Gesicht und der göttlichen Figur kannst du den Männern Haus und Hof abluchsen. Musst es nur geschickt anstellen.“ Sie schob sich eine Gabel Streuselkuchen in den Mund und spuckte beim Sprechen Krümel über den Tisch. „Deine Muschi ist Gold wert und raubt den Kerlen den Verstand. Ist der erst ausgeschaltet, lassen die sich wie Fische ausnehmen.“ Die Witwe kicherte mit eingezogenem Hals.

  Dass ihr diese bieder wirkende Frau, die drei Viertel ihres Lebens an der Seite eines Professors für Germanistik verbracht hatte Prostitution vorschlug, erstaunte Gerti. Ihre Mimik ließ es erkennen.

  „Was entsetzt dich, Kind? Es geht immer nur um Sex. Vom Urknall an. Hat auch mir über die Fortpflanzung hinaus Spaß gemacht. Auch wenn Frauen meiner Generation nach außen hin den Schein von Sittlichkeit wahrten, produzierten sie reichlich Kuckuckskinder, das kannst du aber glauben. Und Not kennt erst recht keine Moral. In diesen scheiß Zeiten hat beinah alles seine Berechtigung. Du bist doch aufgeklärt, oder?“

  Gerti nickte eifrig. „Doch, doch. Mich verblüfft nur Ihre Direktheit.“

  „Man sagt Offenheit. Gut! Da du Bescheid weißt, kann ich ungeniert fortfahren.“ Die Witwe trank aus, stellte die Tasse aufs Tablett und schob es zur Tischmitte. „Deutsche Männer sind Mangelware; nur Invaliden und Taugenichtse prägen das Stadtbild. Halte dich an die Amis, aber belasse es bei der ersten Begegnung beim Poussieren. Das macht dich interessant.“

  Gerti unterdrückte einen Lacher.

  „Und verlieb dich bloß nicht. Und lass dich um Himmels willen nicht schwängern. Ruiniert neben der Figur auch dein Leben. Denn heiraten wird dich von denen keiner.“

  „Deutsche Frauen sind gefragt“, wusste Gerti.

  „Und haben in Amerika nichts zu melden“, so die Witwe.

 

An geeigneten Plätzen Soldaten froh zu machen, mangelte es im zerbombten Nürnberg wahrlich nicht. Überall gab es Schlupfwinkel, offene Kellerräume und Dachböden in unbewohnten Häusern. Gerti entwickelte ein Faible für Litfaßsäulen, die damals noch zugänglich waren. Wenn sie durch die Straßen lief, boten sich ihr unschöne Szenen und sie empfand Mitleid mit den Frauen, die mit bloßen Händen und Rundrücken die Trümmer beseitigten, für einen Hungerlohn oder magere Lebensmittelrationen. 

  Ob schwarz...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7598-0048-3 / 3759800483
ISBN-13 978-3-7598-0048-0 / 9783759800480
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