Keine ganze Ewigkeit -  Rainer Grote

Keine ganze Ewigkeit (eBook)

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2024 | 1. Auflage
200 Seiten
ff Verlag GmbH
978-3-938637-60-9 (ISBN)
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Keine ganze Ewigkeit Der neue Roman von Rainer Grote Ist dies das Ende der Welt? 'Was wäre, wenn...?' lautet die Kernfrage dieses spannenden Romans, dessen Handlung in der brisanten Zeit, die wir gerade durchleben, gar nicht so weit hergeholt zu sein scheint, denn auf Knopfdruck könnte alles ein jähes Ende nehmen.

Rainer Grote ist gelernter Mediengestalter und Werbetexter. Seine Liebe zum Schreiben entdeckte er bereits früh und setzte sie nicht nur in zahlreichen Romanprojekten ein, sondern auch in seiner eigenen Werbeagentur, der Addways Markenberatung mit Sitz in Lage/Lippe. Nach langjährigen Auslandsaufenthalten - unter anderem in Italien und Amerika - lebt er heute mit seiner Familie im lippischen Detmold und widmet sich dort dem Schreiben und der Produktion von Hörspielen für Kinder und Jugendliche.

Kapitel II

Die Augen aufgeschlagen hatte ich in einer kleinen Gemeinde in Niedersachsen. Damals, als der Himmel noch richtig blau war. Der Krieg war längst vorbei, als sich das Leben all der Bewohner unseres Dorfes nach vorne richtete. Gottlob waren wir vom Bombenhagel verschont geblieben, aber die Versorgungslage war miserabel, und deshalb musste jeder von uns mit anfassen. Vor allem den Hunger galt es zu bekämpfen, was auch auf mich – als kleinen Neuling – seine Auswirkungen hatte. Zwar genügten die täglichen Mahlzeiten, um mein Mäulchen zu stopfen –, besonders schmackhaft war das, was mich großziehen sollte, jedoch nicht. Und so spie ich – nicht nur einmal – alles wieder aus und trieb meine Eltern mit meinem wählerischen Essverhalten regelmäßig zur Verzweiflung.
An unser Haus grenzte ein riesiger Garten. Die erste Parzelle, die gut eintausend Quadratmeter bemaß, war den Tieren vorbehalten. Hühner waren es, Gänse, eine Schar Enten und auch ein halbes Dutzend Schweine, die hier in trauter Eintracht lebten. Fast vergessen hätte ich die Katze, sie aber war ganz alleine. Weiter hinten – abgetrennt durch einen Zaun – erstreckte sich ein Areal, das bis zum Horizont reichte. Auf den ersten gut fünfzig Metern dieser Fläche standen Obstbäume und allerlei Buschwerk, das leckere Früchte trug. An die Stachelbeeren, die bisweilen größer waren als die Kirschen, erinnere ich mich noch besonders gut. Und an das leise Knacken im Munde, das beim Zubeißen das süße Elixier auf der Zunge verteilte. Weiter hinten stand im Spätsommer der Mais in voller Blüte. Mannshoch türmte er sich auf und lud uns Kinder ein, sich dort zu verstecken. Ach, was waren das für herrliche Jahre! Aus dem Nichts zauberten wir immer wieder etwas Neues, was uns begeisterte und Not und Leid vergessen ließ.
Mein Vater war ein Eigenbrötler. Ein gestrenger Herr, der mich den Rohrstock spüren ließ, wenn ich wieder einmal über die Stränge geschlagen hatte. Nach dem Krieg hatte er für die Fremdenlegion in Indochina gekämpft. Darüber geredet hat er nicht ein einziges Mal, selbst dann nicht, wenn ich ihn danach gefragt hatte. Dennoch brachte ich ein wenig Licht ins Dunkel, fand ich doch beim Herumschnüffeln in einer alten Truhe zwei Fotoalben. Auf einigen der vergilbten Fotografien war er zu sehen. Mit einer Maschinenpistole im Anschlag lächelte er in die Kamera. Verwunden hat er seinen Dienst an der Waffe niemals so recht, sodass ihn sein Gewissen bis ins hohe Alter plagte. Meine Mutter lernte er zufällig kennen, wie das manchmal so war in den Wirren der Nachkriegszeit. Aus Magdeburg war sie zu einer Tante nach Hannover geflohen, als die Russen einmarschierten. Fürs Erste fand sie dort ein Dach über dem Kopf und ein wenig Fürsorge, die sie so sehr benötigte, denn sie war schwanger. Kurz vor ihrer Flucht hatte ihr Freund den Freitod gewählt, weil er seinen stattlichen Hof zu verlieren drohte. Darauf stand sie alleine da. Doch die Einsamkeit war nur von kurzer Dauer. Heute, nach all der Zeit, denke ich, dass es für sie besser gewesen wäre, meinen Vater nicht getroffen zu haben. Aber was nützt schon ein solcher Wunsch, der für immer ein solcher bleiben wird?
Mein Bruder war gänzlich anders als ich. Nicht nur die zwei Jahre, die zwischen uns standen, auch unsere Wesen, ja, all das, was wir fühlten, liebten oder verschmähten, trennte uns wie eine unüberwindbare Kluft. Um diesen Unterschied nach außen hin zu verschleiern, bedienten sich unsere Eltern einer Raffinesse: Stets trugen wir die gleiche Kleidung, sodass bereits von weitem ersichtlich war, dass wir zusammengehörten. Misstrauisch geworden ist damals niemand, was wohl daran gelegen haben mag, dass den Leuten von nebenan ganz andere Probleme durch den Kopf schwirrten. Erst kurz vor meinem achtzehnten Lebensjahr lüftete meine Großmutter dieses Geheimnis.
Ich war ein schreckliches Kind. Zwar ein süßes, was unsere Nachbarn bei jeder Gelegenheit betonten, aber gleichsam auch eines, das unter den heutigen Bedingungen wohl eher im Kinderheim gestrandet wäre. Bereits mit fünf Jahren begann ich zu stehlen, um mir Geld für Süßigkeiten zu verschaffen, die ich zu Hause nicht bekam. Ich stahl alles, was mir in die Finger kam und machte auch vor der Spardose meines Bruders keinen Halt. Und um nicht überführt zu werden, kaufte ich das Naschwerk am anderen Ende unseres Dorfes, dort, wo mich niemand kannte. Lange Zeit ging alles gut, wenngleich sich meine Mutter wunderte, dass ich nicht mehr um einen Lutscher, ein Stück Schokolade oder auch nur um ein Bonbon bettelte. Als ich von der Quinta in die Quarta wechselte, fand an unserem Gymnasium ein kleines Fest statt. Zwei Mark waren es, die jeder Schüler einige Tage zuvor mitbringen musste, um seinen Beitrag dafür zu leisten. Detlef, ein überaus eifriger Mitschüler, der die deutsche Grammatik aus dem Effeff beherrschte, war damit betraut worden, das Geld einzusammeln. Münze um Münze landete in einem rosafarbenen Etui, das er vor der großen Pause in seinem Ranzen verstaute. Als gerissener und erfahrener Dieb hatte ich längst die Gelegenheit erspäht. Doch dann beging ich den alles entscheidenden Fehler: Statt das Etui, nachdem ich es an mich genommen hatte, durch eines der Fenster unseres Klassenraumes hinauszuwerfen, um es dort später, nach Schulschluss in meine dreiste Obhut zu nehmen, versteckte ich es in meinem Tornister.
Das Geld ist weg!“, schrie Detlef so laut er nur konnte, als wir uns alle wieder zu Beginn der dritten Stunde versammelt hatten. Herr Sünnwoldt, unser Deutschlehrer, behielt einen klaren Kopf. „Hast du es tatsächlich in deinem Ranzen verstaut?“, fragte er den, der so aufgeregt war. „Ich schwöre es!“, lautete die Antwort. „Weiß jemand von euch, wo das Geld geblieben sein könnte?“ wandte sich der Lehrer schließlich an uns alle. Doch statt einer Antwort erntete der Besorgte nur ein gemeinsames Kopfschütteln. Fast wähnte ich mich in Sicherheit. Dann aber stieg die Hitze der Schuld in mir auf: „Jeder von euch schaut nun in den Tornister seines Nachbarn!“, befahl Herr Sünnwoldt in scharfem Ton. Geschickt verbarg ich das Etui unter den vier, fünf Schulbüchern, sodass Cord, mein Tischnachbar, es nicht sehen konnte. Und wieder schüttelte die Klasse ihre Köpfe. „Ich werde jetzt jede einzelne Tasche selbst durchsuchen“, erklärte unser Lehrer sein weiteres Vorgehen. Und als er diese Worte sprach, wusste ich, dass ich überführt werden würde. Um ein Haar wäre ich der Schule verwiesen worden.
Zu Hause war der Teufel los! Nicht nur, dass mich mein Vater nach Strich und Faden versohlte –, zugleich wurde ich auch zu vier Wochen Stubenarrest verurteilt, in denen ich die englische Grammatik büffeln sollte. Und das war ein Befehl. Zudem ein solcher, dem sich niemand, aber auch niemand widersetzen konnte, wurde er doch von jenem Legionär der ersten Klasse erteilt, dem bereits im Alter von achtzehn Jahren auf schonungslose Weise eingetrichtert worden war, was Gehorsam im tiefsten militärischen Sinne bedeutet. Mir blieb also nichts anderes übrig, als dem Willen des Potentaten Folge zu leisten und mich in meinem Kämmerlein zu verkriechen, um Buße zu tun. Ein Zufall milderte die unbarmherzigen Umstände ein wenig ab, denn die Tante meiner Mutter, bei der sie – und wir alle – Zuflucht gefunden hatten, war mir wohlgesonnen. Zwar hatte sie sich anfänglich mir gegenüber etwas reserviert gezeigt – nach und nach aber fanden wir zueinander.
Ihre Wohnstube im Erdgeschoss war geräumig. Ein gemütliches Sofa und zwei Sessel, die mit hellbraunem Stoff bezogen waren, flankierten einen großen Tisch, an dem gut acht Leute Platz fanden. Direkt daneben, den zwei Fenstern zugewandt, die nach Süden zeigten, stand ein riesiger Ohrensessel, auf dem die Tante, die Hildegard hieß, fast immer saß, wenn jemand die gute Stube betrat. Sonntags lauschte sie, dort andächtig weilend, dem Gottesdienst, der stets aus einer anderen Kirche ins Radio übertragen wurde. Da sie schwerhörig war, hallten die Worte des Pastors und die Gesänge der Gläubigen bis hinauf unters Dach und auf die Straße, sodass auch jene, die die Zeit aus den Augen verloren hatten, sogleich wussten, dass heute Sonntag war. Gegenüber der Fensterfront stand ein altes Klavier. Es war schwarz und glänzte. Doch leider war es verstimmt, was daran lag, dass angrenzend ein gusseiserner Ofen, der mit Briketts befeuert wurde, dem Instrument zusehends mit seiner Hitze zu Leibe gerückt war. Wie oft schon hatte der Klavierstimmer auf diesen Missstand hingewiesen? Doch alles blieb wie zuvor.
Meine Mutter hatte Tante Hildegard von dem Ereignis in der Schule erzählt. Ich selbst hatte es heimlich mitangehört. Und weil ich mich schämte, mied ich jeglichen Kontakt zu ihr. Bis zu dem Tag, an dem sie mir zufällig im Flur über den Weg lief. Doch anders, als ich es erwartet hatte, quittierte sie meine Untat nicht mit diesem vorwurfsvollen Kopfschütteln, das mir das Leben in der Schule, vor allem aber jenes in der Familie zur Hölle machte. „Komm einmal mit in meine Stube“, sagte sie freundlich und ich folgte ihr. Wie immer setzte sie sich in ihren Sessel und wies mir den Schemel am Klavier zu. „Ich weiß, warum du das Geld gestohlen hast!“ begann sie unsere Unterredung frank und frei – ich schwieg. „Weil du dir davon Süßigkeiten kaufen wolltest“, fuhr sie fort. „Geh einmal hinüber zur Vitrine!“, befahl sie in seichtem Ton und ich gehorchte ihr. „Siehst du die runde Dose mit den Blumen darauf?“ Ich nickte und brachte sie ihr. „Wenn du mir versprichst, keinem Menschen etwas zu verraten, dann werde ich dich von heute an mit Schokolade und...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-938637-60-9 / 3938637609
ISBN-13 978-3-938637-60-9 / 9783938637609
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