Böse Menschen kennen keine Gebärden -  Gabriel Wolf

Böse Menschen kennen keine Gebärden (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
394 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7584-8520-6 (ISBN)
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»Wisset! Wir sind Gebärden-Priester und Gebärden-Richter. Wir wandeln unter euch auf dieser Erde, um die Macht der Gesten zu mehren und zu wahren. Schließt euch uns an!« Auf Achse mit Gebärden! Zwei Honken gehen auf Reisen mit Gesten, Schwüren und Bandwurm. Mit vollem Magen schwört es sich einfach auch viel besser! Und ihre Widersacher springen ins Abklingbecken. »Ein reudiges Meisterwerk!« Honkenolaf

Als ich die Geschichte von Honkenwilli zum ersten Mal gehört hatte, habe ich ihm kein Wort geglaubt. Wie auch? Gebärdenpriester, Bandwürmer und Medveds. Und dazu ein epischer Kampf gegen graue Gestalten, die alle Gebärden dieser Welt ausradieren wollen. Es hörte sich zwar nach einem ziemlich genialen Plot an - aber die Geschichte war auch völlig beknackt. Gut für einen Fantasy-Roman. Oder für eine graue Dystopie. Aber dann habe ich auch seinen Kumpel Honkenolaf kennengelernt. Und die Macht der Gesten zu spüren bekommen. Von den Schwüren will ich gar nichts sagen. Und ich habe begriffen, dass sie diese Reise wirklich gemacht haben. Nur große Schreiber sind die beiden nicht, also habe ich deren Gebärdenepos zu Papier gebracht.

Ein Tag Rast

Als wir am nächsten Morgen aufstehen, brauchen wir erst mal ein bisschen, um zu realisieren, wo wir sind und was passiert ist. Beim Gestenmann auf dem Sofa haben wir geschlafen. Und das sogar ziemlich gut, das muss ich echt mal sagen. Olaf schüttelt sich schon Schlaf und Bettdecke runter und nach kurzem Morgenabklatschen geht’s ins Bad. Wenn ich als Trucker morgens eins wirklich wichtig finde, dann sind das saubere Zähne. Durch die Wohnung zieht bereits der Duft von Kaffee und wir freuen uns auf den neuen Tag.

Mit geputzten Zähnen kommen wir in die Küche gelaufen und begreifen, dass der Gestenmann was von seinem Geschäft versteht. Der Tisch ist voll! Das können wir ändern, wir schmeißen uns alles rein und nach kurzer Zeit haben unsere Bäuche Tagesform erreicht. Ich rülpse laut und herzhaft. Dann gleich noch mal. Beim dritten Mal gibt Olaf mir von hinten einen mit. »Eh Willi, du Prolet, wir sind hier zu Gast, benimm dich mal.« Ist ja gut, immer dieses bescheuerte Moralaposteltum. Wie mich das ankotzt! Ich rülpse aus Protest gleich noch fünf Mal und wieder langt mir Olaf eine. Da bekomm ich zu viel.

»Alter!«, fahr ich ihn an. »Du bist doch unser Rülps-Meister. Lass doch den Gebärdenmann mal hören, wie Trucker sich unterhalten!« Das braucht man Olaf nicht zweimal zu sagen. Während dem Gestenmann die Farbe aus dem Gesicht rinnt, beginnt Olaf seinen Vortrag. »Am-rülps ersten-rülps Tag-rülps… ähm-rülps…« Weiter weiß er natürlich nicht. Er schaut mich hilflos an. ›Was jetzt?‹, lese ich aus seinen Augen. Oh mein Gott, ist ja wohl klar, Lukas, oder Moses oder so, das ist doch unsere gemeinsame Lieblingsstelle. Aber Olaf rafft es nicht und widmet sich schon der slowenischen Sprache. »Dob-rülpser tek-rülps, dober-rülps dan-rülps, hva-rülps-lla!« Olaf ist in Höchstform und auch der Gestenmann hat seine Miene wieder im Griff. Der bereut sicher schon, uns noch einen Tag am Kopf zu haben.

Meine gute Laune verschwindet im Nu, als ich nach dem Essen aus dem Fenster schaue. Will uns das Wetter verarschen? Draußen regnet es in Strömen. Das soll freundlich sein? Mir wird schlecht. Und mir ist sogar der Appetit vergangen. Ein bisschen zumindest. Na ja, der lässt sich nicht verderben, ist ja klar, aber die Redewendung hilft mir, besser auszudrücken, wie sehr mir der Dauerregen auf den Magen schlägt.

Also, was machen wir heute? Ein wenig lungern wir auf dem Sofa rum, im Fernsehen kommt sogar ein Truckerquiz. Wie geil! Der Gestenmann hat keinen Schimmer und für uns ist es selbst auf Slowenisch noch viel zu einfach. Also wird uns schnell langweilig. Olaf und ich spielen dann ›Ich sehe was, was du nicht siehst‹ mit dem Gestenmann, aber er sieht immer alles. Auch langweilig. Olaf kommt zum Glück die zündende Idee. »Eh Gestenmann, du spielst doch Fußball. Ruf doch ein paar von deinen Leuten an, dann kicken wir ne Runde!« Was für ein Vorschlag, schon ist die Langeweile wie weggeblasen.

Auch der Gestenmann flippt fast aus. »Meine Kumpels wollen bei dem Wetter eh nicht raus, aber die braucht auch keiner. Los Jungs, kommt, wir kicken hier, bei mir in der Gestenbutze!« Ich schau skeptisch zu Olaf und er kuckt sparsam zurück. Im Haus Fußball spielen? Weiß der Gestenmann denn gar nicht, wie gefährlich das ist und dass dabei was kaputt gehen kann? »Klar weiß ich das, aber das ist doch wohl echt scheißegal!« Ich argwöhne eine Falle, nachher müssen wir noch die heruntergefallenen Vasen bezahlen. Auch Olaf ist nicht vollständig überzeugt. Langsam setzen wir uns wieder hin. »Aber was habt ihr denn?«, will der Gestenmann wissen, »habt ihr noch nie im Haus Fußball gespielt? Was seid ihr denn für Memmen?«

Schon ist er in sein Schlafzimmer gelaufen und holt den Ball aus seinem Bett. ›Wow, ein echter Kerl‹, denke ich. Aber was macht er denn jetzt? Er schmeißt Olaf die Kugel zu. »Los, flank mir den Ball zu, das Sofa da ist das Tor.« Ist der eigentlich bescheuert…? Aber Olaf zögert nicht lang und flankt durchs Wohnzimmer. Da liegt der Gestenmann schon quer in der Luft und hämmert das Ei gegen den Lederbezug. Wie in Zeitlupe erlebe ich, wie sich der Ball von seinem Fuß löst und auf das Sofa zufliegt. Der Aufprall reißt mich aus meiner Lethargie. Das muss der Anpfiff gewesen sein. Ich kippe sein Sofa um und schiebe es in die Ecke. »Los, immer einer gegen einen!«, rufe ich den beiden zu. »Ich geh auch zuerst ins Tor.«

Ich schnappe mir den Ball und sag die Regeln an. »Bis drei, und dann geht der Verlierer ins Tor. Fertig?« Olaf ist bereit, das sehe ich, beim Fußball macht ihm nicht einmal der Geißbock was vor. Aber auch der Gestenmann hat ein Füßchen fürs Runde, das hab ich bei dem Fallrückzieher eben gesehen. Ich tippe auf einen knappen Sieg für meinen Kumpel Olaf.

Damit keiner einen Vorteil bekommt, werfe ich ihnen den Ball nicht zu, sondern mache mit Wucht einen richtigen Abschlag. Die Vitrine sieht eh aus, als wenn sie ihre besten Tage schon gesehen hätte. Olaf schnappt sich den Ball, macht einen Übersteiger und da knallt er mir das Leder direkt drauf. Ganz gut, aber nicht mit mir. Ich kicke den Ball ins Feld zurück. Dieses Mal kommt der Gestenmann an die Kugel und fackelt nicht lang. Er zieht den Ball geschmeidig mit links hoch, lupft ihn mit dem Knie über Olaf und hämmert ihn dann mit der rechten Klebe ins Sofaeck. Respekt! Nicht dass ich ein besonders guter Torwart wäre, aber da war ich machtlos. Eins zu Null für den Gestenmann.

Abschlag. Zweikampf Olaf und der Gestenmann. Olaf macht Übersteiger, aber ohne Ball, den hat ihm der Gestenmann bereits abgenommen und mit dem Schussbein hinter dem Standbein macht er sein zweites Tor. Nach meinem Abschlag hat er den Ball schon wieder. Dieses Mal macht er es ganz schön. Er versetzt Olaf, flankt an die Wand, überläuft Olaf und köpft mir den Abpraller, der von der Wand zurückkommt, unhaltbar aufs Sofa. Drei zu null. Spiel beendet.

Der Gestenmann macht seinem Namen beim Jubeln alle Ehre und Olaf und ich schauen uns geschockt an. Der macht uns ja auf dem Bierdeckel nass! Und eben auch im Wohnzimmer. Olaf klatscht mich ab und übernimmt meinen Platz im Tor. Der Gestenmann und ich, wir stehen uns vor seinem Sofa gegenüber und beäugen uns. Ich kann förmlich sehen, wie er mich belächelt. Ich beschließe, dass ich ihn, falls er zwei zu null führt, dann richtig umgrätschen werde. Olaf hält den Ball bereit und das Spiel kann beginnen.

Abschlag Olaf, der Ball geht wie im Flipper an Decke, Wand und Boden. Da stoppe ich ihn. Der Gestenmann kommt von rechts, ich täusche in seine Richtung an und will links vorbei gehen. Olaf steht im kurzen Eck, ich hol schon aus, um ihm den Ball ins lange Sofaeck zu zimmern, aber mein Fuß tritt ins Leere. Ein Bein des Gestenmannes hat sich das Spielgerät schon geangelt, während ich Luft Richtung Olaf schieße. Als ich auf die Nase falle, legt sich der Gestenmann den Ball hoch und haut ihn aus der Drehung dem Olaf zwischen die Beine ins Tor. Ernüchterung!

Wieder Abschlag. Ich habe mir einen neuen Trick ausgedacht. Der Ball kommt in meine Nähe und ohne zu schauen oder zu denken, hau ich mit voller Wucht dran. Aber mein Schuss kommt gar nicht erst aufs Sofa, er trifft den Gestenmann auf die Brust, von dort lässt er die Kugel hochprallen und mit dem Hinterkopf überlupft er Olaf, der aus dem Sofa gelaufen gekommen ist. Zwei zu Null. Gestenmann, jetzt nimm dich in Acht!

Der dritte Abschlag. Olaf wirft den Ball dieses Mal extra zu mir, ich lasse ihn abtropfen zum Gestenmann und während der seinen nächsten Trick vorbereitet, komme ich mit einer fiesen Grätsche angeflogen. Der Arme, hoffentlich ist er mir nicht böse, dass ich ihn so niedermähe, aber das wird er schon verstehen, denke ich. Schnell merke ich, dass ich am Tischbein grätschte und mich der Gestenmann, mit dem Ball eingeklemmt zwischen seinen Beinen, einfach übersprungen hat. Am Boden liegend sehe ich, wie er auf Olaf zuläuft und ihm den Ball in den Sofawinkel knallt. Drei zu Null.

Dieses Mal kucke ich mir die Gesterei gar nicht erst an. Was für eine Schmach. Jetzt sind Olaf und ich dran. Das wird ein richtiger Kampf. Wie oft haben wir schon zusammen und gegeneinander gespielt, immer war es knapp. Unvergessen unsere großen Auftritte in belgischen Tiefgaragen, auf dänischen Plätzen oder gar mit der Truckernationalmannschaft. So glaube ich, dass wir heute wieder unentschieden spielen. Und so kommt es auch. Nach den Kunststücken des Gestenmannes ist unser Gekicke zu erbärmlich, um es zu kommentieren. Aufgrund merkwürdiger Regeländerungen endet unser Spiel ohne Sieger mit einem Gleichstand von vier zu vier.

Bei der Siegerehrung sind Olaf und ich dann nicht anwesend und planen stattdessen unsere nächsten Schritte. In der Küche studieren wir die Karte Sloweniens, und da findet uns auch der Gestenmann. »Wo seid ihr denn geblieben? Einer muss mir doch den Pokal überreichen?« Er versteht nicht, wie wir uns die Meisterfeier entgehen lassen können. Olaf erklärt es ihm. »Hör mal, du Gestenheini, deine Bierdusche, da sind wir nicht scharf drauf. Ich hab mir schon mit Bier die Achseln ausgewaschen, da hast du noch Pampersgebärden gemacht!«

Jawoll, Olaf zeigt jetzt, wer der Herr im Haus ist. Ich tret ihm ans Bein. »Die Zahnbürste!«, zische ich ihm zu. »Ja genau, und hast du eigentlich jemals mit Bier deine Zähnchen geputzt?«, will Olaf jetzt vom Gestenmann wissen. Hat er natürlich auch nicht. Aber nicht, dass nun jemand glaubt, wir seien schlechte Verlierer und wollten dem Gestenmann seine zwei Siege madig machen. Nein, nur wir wollen nicht, dass er denkt, sein Fußball wäre das einzig Wichtige auf der Welt.

Als er begreift, dass wir unsere Gestenreise weiter planen, legt er den Ball zur Seite und...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7584-8520-7 / 3758485207
ISBN-13 978-3-7584-8520-6 / 9783758485206
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