Zwischenräume -  Robin Becker

Zwischenräume (eBook)

Ein Episoden-Roman, der in Berlin und Indien spielt und die Abgründe, Ängste und Hoffnungen von sieben mehr oder weniger unglücklichen Freigeistern lebendig macht wie einen schlafwandlerischen Traum.

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-15942-7 (ISBN)
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Ein Episoden-Roman, der die Abgründe, Ängste und Hoffnungen von sieben mehr oder weniger unglücklichen Freigeistern lebendig macht wie einen schlafwandlerischen Traum. Sie alle eint der Wunsch nach einem sinnvollen und erfüllten Leben sowie die Bereitschaft, alles dafür zu opfern, was ihnen vermeintlich lieb und teuer ist. Ein Lesetrip zwischen Berlin, Auroville (autonome Stadt in Südindien), Namibia, Istanbul, La Gomera und Sardinien!

Robin Becker ist 1975 in Bielefeld geboren. Seit seinem 16. Lebensjahr bereist er mit Rucksack und Feder die Welt. Als gelernter Industriemechaniker zog er 1996 nach Köln. Ab 2003 studierte er in Potsdam und Bielefeld Sozialpädagogik. 2008 zog er nach Bern, wo er auf diversen Bühnen Lesungen hielt. Seine beiden ersten Romane, Das Kino bin ich (2015) und Komfortzone (2020), veröffentlicht er über den Selbstverlag Tredition. Von 2013 bis 2023 wohnte Robin Becker in Köln und Berlin und war freiberuflich als Sozialpädagoge sowie Autor tätig. Zudem veranstaltet und moderiert er seit 2021 in Köln die 'Offene Welt-Bühne', wo Musiker*innen, Tänzer*innen, Kabarettist*innen und Autor*innen auftreten und er aus seinen Büchern vorliest. Seit 2023 lebt Robin Becker im Kanton Bern, wo er als selbstständiger Schriftsteller und Familienbegleiter arbeitet.

***

Therapeuten waren wohl die gefragtesten Menschen unserer Zeit, wurde Michael rasch klar, nachdem er sich dazu durchgerungen hatte, sich Hilfe zu holen, und es lange gebraucht hatte, bis er jemanden an die Strippe bekam. Wobei das Geschäft mit der Sexualität und Sinnsuche ebenfalls florierte wie nie zuvor. Er vermutete, dass es da gewisse Zusammenhänge gab.

„Sie sind Michael Fischer, nehme ich an? Sara Hansen mein Name.“

Sie gaben einander die Hand.

„Freut mich, dass Sie mir einen Termin gegeben haben“, sagte Michael vom Treppensteigen etwas außer Atem.

„Ich hoffe, Sie haben es gut gefunden.“

„Jaja. Ich war bestimmt schon seit über zwei Jahren nicht mehr in Prenzlberg. Ich hatte ganz vergessen, wie viele Kinderwägen und Touristen hier unterwegs sind.“

Sara reichte Michael einen Kleiderbügel, mit dem er seinen Mantel an die Garderobe hängte, der ihm plötzlich oll vorkam und für den er sich ein bisschen schämte wie für einen verwahrlosten Freund. Er folgte der Therapeutin, blickte sich um und wollte wissen, ob sie ohne Couch arbeite.

„Im Nebenzimmer steht eine“, sagte Sara. „Aber das Erstgespräch findet hier statt.“ Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, nachdem Michael Platz genommen hatte.

Die beiden blickten sich einige Sekunden schweigend an, bis Sara Michael fragte, was sie für ihn tun könne.

Er atmete hörbar aus. „Mir geht es total beschissen – besonders morgens, aber auch immer häufiger so zwischendurch. Ich weiß auch nicht genau, warum. Die Leichtigkeit und das Unbekümmerte sind mir abhandengekommen. Und daran möchte ich gerne etwas ändern und brauche etwas Unterstützung, bevor es zu spät ist. Verstehen Sie?“, sagte er langsam, jedes Wort wohl gewählt mit angenehmer klarer Stimme.

Sie nickte verständnisvoll und fragte ihn, wie er sein Hauptproblem beschreiben würde.

„Hmm. Ja, also, gute Frage … Ich bekomme auf vielen Ebenen sehr viel mit, das ist sozusagen meine Gabe und mein Fluch zugleich, würde ich sagen. Womit ich jetzt nicht meine, ich wäre hochsensibel oder so … Doch irgendwo da drinnen“, er zeigte grotesk auf seinen Kopf, „hinter einer Art Schleier, da lauert das Unglück, die Hölle, ich kann sie manchmal förmlich schmecken, riechen und in den Händen halten. Die Menschen da draußen widern mich an. Beinah niemand achtet mehr auf den anderen. Jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt und auf seinen eigenen Vorteil und Spaß aus, hält sich für einen King, der alles kann und weiß … Ich weiß, so abwertend sollte man nicht über seine Mitmenschen urteilen. Damit muss ich echt bald aufhören, das ist total anstrengend. Den Irrsinn weglächeln, darin war ich früher besser … Weil ich weiß ja, dass ich mir mit meiner ablehnenden Haltung Fremden gegenüber nur selber schade. Ich denke, da steckt eine Art Selbsthass hinter – oder keine Ahnung was.“

Sara wog den Kopf dezent lächelnd hin und her wie jemand, der einen wortkargen Inder parodierte, was ulkig aussah, wie Michael fand. Beinah hätte er einfach angefangen zu lachen. Aber nein, das wäre jetzt unpassend, er musste überzeugend rüberbringen, dass er dringend Hilfe und Unterstützung benötigte. Er dachte plötzlich an seinen alten Freund Robinski, der ihm vor einigen Monaten geraten hatte, eine Psychotherapie oder Ähnliches anzufangen. Kurz danach war er nach Portugal in die Arbeits- und Lebensgemeinschaft Tamera ausgewandert, wo er versuchen wollte, freie Liebe zu leben. Laut ihres letzten Telefonats war Robinski dort nun mit gemischten Gefühlen, weil er sich unglücklich verliebt hatte, ihm die Strukturen zu starr und die Ideologien zu abgehoben und ihm viele Bewohner zu selbstverblendet vorkamen. Er hatte jedoch auch von tiefgreifenden Prozessen und inneren Entwicklungssprüngen geredet.

Michael spürte nun deutlich, wie sehr er seinen Freund vermisste und ihm nicht verzeihen konnte, dass er ihn verlassen hatte, und dass es schon immer so war, dass er sich bei Robinski meldete und fast nie umgekehrt. Doch davon wollte er der Therapeutin jetzt nichts erzählen, die immer noch geduldig darauf wartete, dass er weitersprach.

„In meinem letzten Roman habe ich jemanden entworfen, der ich selber gerne wäre“, sagte Michael zu seiner eigenen Überraschung. „Und an dem messe ich mich jetzt. Ist doch bekloppt, oder? Doch im Moment habe ich mich selbst ganz furchtbar unter Druck gesetzt und mich von mir entfremdet. Natürlich könnte ich genau darüber schreiben. Aber das schaffe ich eben gerade nicht, weil ich mich nicht mehr richtig spüre. Und mir misstraue.“

Sara machte sich Notizen, ohne dabei auf den Block zu schauen. „Was denken Sie, warum Sie das tun?“

Michael schnaufte diese Frage weg und erzählte stattdessen von seinem kürzlich veröffentlichten Roman. Er meinte, dass er seine Hauptfigur, Helle, für seine Lebendigkeit, seine Abenteuerlust, seine Ehrlichkeit und seinen Charme, ja sogar für seine Ängste und Idiotien sehr mögen und fast schon beneiden würde. Er setzte sich aufrecht hin und fasste sich an die Lenden.

„Haben Sie Rückenschmerzen?“

„Ein bisschen. Morgens tut er mir seit zwei, drei Monaten wieder besonders weh. Da fühle ich mich steif wie ein Brett und muss mich erst mal in den Tag biegen wie eine Holzpuppe.“

„Waren Sie schon beim Arzt damit?“

Michael winkte ab. „Jaja. Ich muss einfach wieder regelmäßig meine Übungen machen.“ Er lehnte sich zurück, verstummte und sah an Sara vorbei aus dem Fenster in die Baumkrone einer kahlen Kastanie, die ihre Knospen bereit hielt wie Finger, die in den Himmel zeigten, als würde sich da oben irgendetwas Besonderes abspielen.

„Haben Sie schon einmal eine Therapie gemacht?“, fragte Sara nach einer kurzen angenehmen Weile der Stille.

Er erzählte, dass er vor fünf, sechs Jahren mit seiner damaligen Freundin dreimal bei einer Paartherapie gewesen war, verdrehte die Augen, was verdeutlichen sollte, dass das nicht sein Ding war.

Sara notierte das Gesagte, abermals ohne den Blick von Michael zu wenden.

„Ich wohne seit einigen Jahren alleine, worüber ich eigentlich froh bin, da ich ziemlich WG-müde bin“, fuhr er fort. „Ansonsten … Ich bin seit vier Jahren Single. Hatte aber kurze Affären. Nichts fürs Herz bis auf eine Geschichte, aber die habe ich dann verbockt … Irgendwie habe ich die Hoffnung schon aufgegeben, die richtig Frau noch zu finden … Darunter leide ich manchmal. Vielleicht ist das auch der eigentliche Hauptgrund, warum ich hier sitze … Seit knapp vier Monaten lebe ich vom Schreiben.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, es verschwand so plötzlich, wie es aufgetaucht war. „Aber wenn das so weitergeht mit mir und ich nicht bald etwas Vernünftiges zu Papier bringe, dann werde ich mich in acht Monaten wieder beim Jobcenter anmelden müssen … Sie sind doch Verhaltenstherapeutin, oder?“

Sara nickte.

„Das finde ich gut.“

„Warum?“

„Da, ich keine Lust habe, meine verdammte Kindheit zu analysieren. Mir geht es um das Hier und Jetzt.“

Sara bedankte sich bei Michael für seine Offenheit und meinte, die Zeit sei gleich um, wenn er jetzt noch Fragen habe, könne er sie gerne stellen. Doch er hatte keine, sondern sagte, er habe ein gutes Gefühl mit ihr und würde die Therapie gerne bald beginnen.

„Okay, dann überlegen Sie sich bitte bis zum nächsten Termin, welches Ziel Sie mit der Therapie verfolgen und welche Art Unterstützung Sie sich von mir erhoffen.“

***

Im Moment bin ich krankgeschrieben und muss wegen meinem entzündeten Darm Cortison nehmen, schrieb Sven. Dennoch macht das Jobcenter Stress in Person eines Sozialarbeiters, der zwar auf keiner kapitalismuskritischen Demo fehlt, es aber für ganz normal hält, mich immer wieder daran zu erinnern, dass ihm sein Vorgesetzter ziemlich Druck mache und er wirklich alles Erdenkliche für mich getan habe. Aber wenn ich nicht bald Arbeit fände, müsse er mir irgendeine Maßnahme aufs Auge drücken.

Die Art, wie Dixi nach Hause kam, die Wohnungstür schloss, „Hallo!“ rief und in die Küche trampelte, ließ Sven vermuten, dass sie schlechte Laune hatte. Er speicherte die Datei. Dixi war in letzter Zeit häufig unzufrieden. Sie warf Sven vor, er würde sich zu wenig um seine Gesundheit kümmern und sich bloß auf seinem kranken Darm ausruhen. Dabei ärgerte sie sich doch nur über sich selbst, glaubte Sven zu wissen. Weil Dixi in Wahrheit gerne wieder aktiv ihr Studium zur Sozialpädagogin aufnehmen und auch mehr Zeit zum Puppenspielen haben würde. Stattdessen arbeitete sie fast jeden Tag in dieser Cafébar, weil ihr kein Bafög mehr...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-384-15942-X / 338415942X
ISBN-13 978-3-384-15942-7 / 9783384159427
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