Gabriele Tergit. Zur Freundschaft begabt -  Nicole Henneberg

Gabriele Tergit. Zur Freundschaft begabt (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Schöffling & Co. (Verlag)
978-3-7317-6253-9 (ISBN)
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Die erste umfassende Biographie u?ber die große wiederentdeckte ju?dische Schriftstellerin Wer war Gabriele Tergit, der zu Lebzeiten der literarische Erfolg verwehrt wurde und die heute als große wiederent­deckte ju?dische Autorin gefeiert wird? Mit ihren so politisch mutigen wie journalistisch brillanten Gerichtsreportagen er­regte sie in der Weimarer Republik Aufsehen. Tergit war nicht nur eine couragierte Journalistin, sondern vor allem eine leidenschaftliche Schriftstellerin, die u?ber ihr Leben und ihre Zeit berichten wollte. Das tat sie in drei großen Roma­nen, am bekanntesten davon Effingers. Sie wurde von den Nationalsozialisten gehasst, entging in der Nacht des 4. November 1933 nur knapp einer Verhaftung und musste fliehen. Doch auch im Exil, erst in Pala?stina, spa?ter in Lon­don, blieb sie Optimistin und baute sich mit viel Energie ein neues Leben auf. Die Tergit­-Herausgeberin und ­-Expertin Nicole Henneberg zeichnet auf Grundlage von Hunderten von Briefen der Autorin, die glu?cklicherweise bis heute erhalten sind, die Biographie dieser beeindruckenden Frau nach.

Nicole Henneberg, geboren 1955 in Hof, studierte Komparatistik und Philosophie in Berlin und Paris. Sie schreibt als freie Autorin und Literaturkritikerin für Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Berliner Tagesspiegel.

Stadtspaziergang

Es gibt noch einige Orte in Berlin, an denen man Gabriele Tergit nahekommen kann. Das ehemalige Zeitungsviertel gehört dazu, das Tiergartenviertel, das ehemalige Fabrikgelände der Hirschmann-Werke in Friedrichshain und ihre letzte Wohnung, Siegmundshof 22 am Rand des Tiergartens, auch wenn nur noch das Nebenhaus steht, von dem aus sich aber ein guter Eindruck des früheren Eckgebäudes Nr. 22 gewinnen lässt.

Schon um 1900 war die Leipziger Straße in Berlin eine quirlige Einkaufsstraße. Das Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz markierte ihren Anfang, und bis zur Höhe des Dönhoffplatzes reihte sich Geschäft an Geschäft. Heute steht an der Stelle des Kaufhauses, die frühere Tradition aufgreifend, die Mall of Berlin, und noch an etlichen der alten Geschäftshäuser, wie an der Ecke Friedrichstraße, sind die goldenen Jugendstilmosaiken mit den ursprünglichen Namen zu sehen. An dieser Ecke Friedrichstraße befand sich auch das Moka Efti, eines der beliebtesten und größten Tanzlokale. Es erhielt einen Ehrenplatz im Baedeker (und wurde aus diesen Gründen auch 2017 ein Hauptschauplatz der Serie Babylon Berlin).

Nach einigen Gehminuten öffnet sich rechts der Dönhoffplatz, verziert mit den hierher versetzten Spittelkolonnaden – sie schmückten den schon lange zugeschütteten Festungsgraben nahe des Spittelmarkts. Hundert Jahre zuvor stand noch ein steinerner Obelisk mitten auf dem Platz, ein Meilenanzeiger für die Entfernung nach Potsdam, der Sommer-Residenz der preußischen Könige.

Den Dönhoffplatz beherrschte das Kaufhaus Tietz, in dem 1925 Berlins erste Rolltreppe anlief. Ursprünglich war der Platz nach dem preußischen Stadtkommandanten Alexander von Dönhoff benannt, inzwischen heißt er Marion Gräfin Dönhoff-Platz – er blieb also in der Familie. Auf dem Platz wurden Märkte abgehalten, auch der Weihnachtsmarkt, den Tergit in ihrem ersten Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm ausführlich beschreibt, findet hier statt: Größter Verkaufsschlager sind die Käsebier-Puppen, und die Redakteure der fiktiven Berliner Rundschau suchen deshalb vergeblich nach passenden Weihnachtsgeschenken – höchstens eine Füllfeder Marke Käsebier ziehen sie in Erwägung.

Unweit der nördlichen, der ruhigen Seite des Dönhoffplatzes steht noch heute das imposante Mosse-Haus. Vor hundert Jahren überragte es alle umliegenden Gebäude, jetzt verschwindet es fast zwischen den Hochhäusern des Springer-Konzerns, und der Schriftzug BZ + Bild scheint über seinem Dachfirst zu schweben. Axel Springer wusste genau, was er tat, als er Ende der 1960er Jahre mit seinem Zeitungskonzern von Hamburg nach Berlin zog, direkt an die Mauer und damit auch genau an den Rand des ehemaligen Zeitungsviertels, dessen Kern zwischen Leipziger- und Kochstraße lag – dort findet sich als eine der letzten Redaktionen die der Tageszeitung taz samt ihrem Treffpunkt, dem italienischen Restaurant Sale e Tabacci. Solche Treffpunkte haben im Zeitungsviertel Tradition, auch die Redaktion des Berliner Tageblatts hatte einen solchen, es war das Capri in der nahen Anhaltstraße. Dass es direkt am Springer-Hochhaus nicht nur eine Axel-Springer-Straße, sondern, als Teil der Kochstraße, jetzt auch eine Rudi-Dutschke-Straße gibt, ist eine typisch Berlinische Ironie und hätte den erzkonservativen Verlagschef sicher zur Weißglut getrieben – der Springer-Konzern prozessierte auch jahrelang dagegen.

Rudolf Mosse gründete als junger Mann zunächst eine Zeitungs-Annoncen-Expedition, ein Anzeigengeschäft, das die Gestaltung, Vervielfältigung und Platzierung von Werbeannoncen übernahm, auch ihre Übersetzung in andere Sprachen. Das Geschäft wurde so erfolgreich, dass er auch bald Berliner Adressbücher druckt und sich auf den Zeitungsmarkt wagt – 1871 lanciert er das Berliner Tageblatt, etliche Jahre vor Leopold Ullsteins Berliner Zeitung und dem Berliner Lokal-Anzeiger aus dem Druckhaus von August Scherl – diese drei grundverschiedenen Charaktere, Ullstein, Mosse und Scherl, werden schnell zu den dominierenden Zeitungsgiganten in Berlin, »dieser zeitungshungrigsten aller Städte« (Peter de Mendelssohn).

Schon 1901 lässt sich Rudolf Mosse auf acht erworbenen Grundstücken zwischen Jerusalemer- und Schützenstraße einen gewaltigen Jugendstilbau aus Sandstein errichten, der sich über das ganze Karree erstreckt. Die abgerundete Gebäudeecke wird als Turm gestaltet, bekrönt von zwei himmelstrebenden Säulen. Während der Januarunruhen 1918 besetzen bewaffnete Arbeiter und Soldaten das Gebäude und errichten vor dem Haupteingang Barrikaden aus Zeitungspapierrollen. Während der Kämpfe wird das Gebäude so stark beschädigt, dass Mosse den Architekten Erich Mendelsohn mit seiner Neugestaltung beauftragt. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude teilweise zerstört, später aber wieder aufgebaut – zu DDR-Zeiten glättete und verputzte man allerdings die Fassade. Heute ist Mendelsohns Entwurf originalgetreu rekonstruiert, wir sehen die ausgeprägten Fenstersimse wieder, die vor allem die horizontalen Linien betonen, sehen die abgerundete Eingangsecke, die an einen futuristischen Schiffsbug erinnert und mit schwarzen Keramikfliesen, die funktional und kühl wirken, verziert ist. Mendelsohns Entwurf sei auch ein kleiner Etikettenschwindel gewesen, behauptet Walther Kiaulehn in seinem Berlin-Buch, »es sah sehr nach aufgeregtem Kapitalismus und Amerika aus, war aber nichts als eine romantische Spielerei. Innen drehten sich immer noch die Barocktreppen um den verschnörkelten Fahrstuhl.«1 Wahrscheinlich hatte der scharfzüngige Kollege von Tergit recht – zumindest legt das ein Blick durch die Eingangstür nahe, hinter der sich ein niedriger, barock anmutender Durchgang öffnet. Die Redaktionen befanden sich in den oberen Stockwerken, rechts und links vom runden Eingangsturm, der Setzersaal, der im Käsebier-Roman eine so große Rolle spielt, war am Ende des Flügels Schützenstraße untergebracht, über den Druckereisälen.

Tergit hatte Glück und erlebte hier 1925 bis 1933 eine Blütezeit der Berliner Presse. Die Republik hatte sich konsolidiert, die Inflation und den Hunger überwunden, und die Berliner gierten nach Informationen über den jungen Staat. Stresemann wurde Reichskanzler, es gelang ihm eine Große Koalition zwischen Deutscher Volkspartei und Sozialdemokraten. Amerika hatte mit Deutschland Frieden geschlossen und sich damit von den Rachegedanken des Versailler Vertrags verabschiedet, und dem brillanten Außenminister Walther Rathenau gelang in Rapallo sogar ein Friedensvertrag mit Sowjetrussland. So begannen sie, die »Goldenen« Zwanziger Jahre.

Jedes der großen Zeitungshäuser hatte seine Eigenheiten. Im Hause Ullstein (damals Kochstraße/Ecke Friedrichstraße) setzte man auf Sport und Tempo, es gab einen großen, opulent ausgestatteten Turnsaal samt Boxmatten und ausgefeilten Geräten, daneben lagen große Bäder mit Höhensonnen. Das berühmte Foto von Vicki Baum im kurzen schwarzen Sportdress, mit Boxhandschuhen am Punchingball trainierend, entstand hier. Die Schriftstellerin arbeitete im Haus als Redakteurin der Zeitschrift Die Dame, ein Hochglanzblatt für den gehobenen Geschmack, mit vielen modischen Fotos, aber auch sozialkritischem Blick. Diese Zeitschrift prägte wesentlich das Bild der modernen, politisch aufgeklärten Großstädterin, die natürlich selbst ein Auto besitzt, mit dem sie auch selbstbewusst auf Reisen geht – gebildet genug ist sie dafür allemal.

Im Hause Mosse setzte man auf eine etwas altmodische Eleganz, es galt als schick, am Stehpult zu schreiben, wie es der Chefredakteur Theodor Wolff tat, den Augenschirm auf die Stirn geschoben. In den Redaktionen ging es oft zu wie in einem Club, es wurde viel geraucht und ausgiebig debattiert, und die einzelnen Ressorts trugen lange Schachpartien gegeneinander aus. Der große, verwinkelte Bau besaß mehrere Ausgänge auf die stillen Nebenstraßen, es war für die Redakteure also kein Problem, ungesehen zu kommen und zu gehen. Theodor Wolff ging stets zu Fuß nach Hause und lehnte standhaft alle Versuche seines Verlegers ab, ihm ein Auto zu schenken.

Der Erbe von Rudolf Mosse, sein Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse, der die Modernisierung der Fassade durch Mendelsohn angeregt hatte, versuchte vergeblich, im Haus selbst technische Neuerungen einzuführen – er hätte gerne die Manuskripte aus den Redaktionen mit Förderbändern in den Setzersaal befördern lassen –, doch stieß er damit auf heftige Ablehnung. Von den drei großen Verlagshäusern wurde das Mosse-Haus nach dem Krieg als einziges wieder aufgebaut.

Zurück am Potsdamer Platz sehen wir linkerhand eine Gabriele-Tergit-Promenade, die schnurgerade zum Monbijoupark führt. Eine sinnvolle Benennung, denn gleich hinter dem Potsdamer Platz begann das Tiergartenviertel – die Tiergartenstraße begrenzte es im Norden, der Landwehrkanal im Süden. Hier lebten Bankiers und Industrielle in herrschaftlichen Villen, auch die weitverzweigte und sehr vermögende Familie von Heinz Reifenberg besaß hier mehrere Häuser – Tergit hat die Geschichte der Vorfahren ihres späteren Mannes in den Effingers erzählt. Das Haus von Heinz’ Großeltern Ginsberg-Reifenberg stand in der Viktoriastraße (einem Teil der heutigen Potsdamer Straße)....

Erscheint lt. Verlag 22.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-7317-6253-6 / 3731762536
ISBN-13 978-3-7317-6253-9 / 9783731762539
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