Geboren, um zu leben -  Wolfgang Berg

Geboren, um zu leben (eBook)

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2024 | 1. Auflage
176 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-14851-3 (ISBN)
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'Wir sind geboren, Taten zu vollbringen', hat Julian mit zwölf Jahren in der Pionierrepublik 'Wilhelm Pieck' gelernt. Als Soldat bei der Nationalen Volksarmee soll er diese Taten nun vollbringen, doch Drill und Schikane sind nicht sein Ding. So gibt es auch lustige Episoden beim Militär. Seine geliebte Musik verschafft ihm dabei Vorteile. Zu Hause zurück, erlernt Julian auf Drängen von Mutter Wilhelmine einen Beruf, den sie als 'vernünftig' erachtet. Trotzdem dominiert die Musik in seinem weiteren Leben, deren Ausübung ihm die DDR-Diktatur oft schwer macht. Mit dem Mauerfall wird sein Traum wahr. Er eröffnet eine private Schenke und unterhält seine Gäste mit eigener Musik. Er erkennt aber schnell, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.

Wolfgang Berg wurde 1944 in Burg im Spreewald geboren und verbrachte dort seine Kindheit und Jugend. Nach einer kaufmännischen Ausbildung war er in verschiedenen Verwaltungsbereichen tätig. Mittlerweile im Ruhestand, widmet er sich seiner Leidenschaft für Musik und das Schreiben. Im Vordergrund steht regionale Literatur mit Themen von allgemeinem Interesse, etwa die Familiensaga 'Wilhelmine' oder der regionale Kriminalroman 'Wildnis - eine Mär?'.

Nachkriegsjahre

Ich habe das Dritte Reich nicht bewusst erlebt und auch den Beginn der neuen Zeit mit dem von den Russen diktierten Kommunismus nicht. Meine ersten Erinnerungen habe ich an Trebendorf. Dorthin zog es meine Eltern nach dem Krieg, um in der Landwirtschaft Fuß zu fassen.

In späteren Jahren erkannte ich, wie hart sie gearbeitet haben, um erfolgreich zu sein. Ich realisierte, dass ihre körperliche Konstitution gegen diesen selbst auferlegten Zwang sprach, dass aber die Hungersnot sie dazu zwang und - ihre Kinder. Ihnen sollte das erlebte Leid einmal erspart bleiben, es sollte ihnen besser gehen als den Generationen vor ihnen.

*

„Mama“, hatte ich Jahre später Wilhelmine gefragt: „Wie war das damals in der ersten Zeit in Trebendorf, als ich krank war und ständig in dem Bett liegen musste? Ich kann mich nur noch an ein großes Mädchen erinnern, das sich sehr um mich bemüht hatte.“

Wilhelmine erzählte: Es war ein dunkler, feuchter Raum, in dem dein eisernes Gitterbett direkt neben der Eingangstür stand. Der ursprünglich weiße, poröse Lack des Bettgestells saugte die hohe Luftfeuchtigkeit wie ein Schwamm auf. Er verlieh dem Bettchen, an das du ständig wie gefesselt lagst, ein gelblich-braunes Aussehen. Ohne fremde Hilfe konntest du dieses Bett nicht verlassen. Weit über dir drang spärliches Licht durch das einzige Fenster des Zimmers.

Die Wand rings herum war schadhaft, abgefallene Putzflächen gaben die Sicht auf feuchte, rote Mauersteine frei. An der noch intakten Wand haftete dunkelgrüne, aufgeplatzte Ölfarbe. Darauf suchten sich Schwitzwasserrinnsale ihren Weg. Sie entstanden, wenn ich früh Feuer machte, durch die plötzliche Hitze der eisernen Kanone. Ich hatte diesen Ofen, bevor ich die Wohnung verließ, mit Rohbraunkohle befeuert. Dort, wo der Putz fehlte, versiegten die Wasserspuren in dem roten Zigelstein. An anderen Stellen hatten sie von der Decke bis zum Boden wieder freie Bahn.

Irmgard, das Schulmädchen, erzählte, dass du gern durch die Gitterstäbe des Bettchens gegriffen hattest. Dann strichst du über die feuchte Wand und lecktest das Wasser von deinen Händen.

Ich hatte wenig Zeit für dich, übergab die Aufgabe deiner Umsorgung deinen Brüdern. Aber die spielten lieber mit den anderen Kindern irgendwo draußen, als sich um dich Kleinen zu kümmern.

Aber Irmgard hat sich wirklich liebevoll um dich gekümmert. Es ist erstaunlich, dass du dich an sie noch erinnern kannst. Nach der Schule spielte sie mit dir und brachte dir sogar das Laufen bei, das du in den Wirren der Nachkriegszeit verlernt hattest. Zu Weihnachten sah die Welt bei dir schon ganz anders aus. Davon hatte ich dir ja schon erzählt.

„Ja, Mama.“

Heiligabend 1947

Im Foyer des Schlosses standen die Trebendorfer dicht gedrängt und lauschten den Worten des Pfarrers. Ich harrte neben meiner Oma aus, ersehnte den Weihnachtsmann nach der Messe. Doch meine Oma sang und betete begeistert mit dem Herrn Pfarrer um die Wette, und es schien kein Ende in Sicht. Stolz trug sie dabei ihren Rosenkranz, diese Gebetskette mit einem Kreuz und 59 Perlen, über ihrem Mantel.

Als kleines Kind verstand ich nichts von all dem und konnte auch den Sinn der Lieder und Gebete nicht erfassen. Später erkannte ich jedoch, dass es sich bei diesem jahrhundertealten Vokabular um fromme Wünsche handelt, die das Wohlergehen der Kinder sowie den Frieden auf Erden zum Ziel haben. Mir wurde aber auch klar, dass diese Wünsche seit Menschengedenken nicht erfüllt wurden. Mit seinen Gebeten wollte der Pfarrer seinen Zuhörern erneut Frieden schenken, nicht ahnend, dass er zumindest für mich und alle Deutschen recht behalten sollte. Mit Ausnahme meines 18-monatigen Militärdienstes, in dem wir den Krieg gegen den „Klassenfeind“ probten, wurden die kleinen und großen Konflikte in Deutschland weitgehend friedlich ausgetragen.

Auch hier im Schloss herrschte eine friedliche und feierliche Stimmung. Bei den Liedern „Stille Nacht“ und „O du fröhliche“ bewegten sich sogar meine Lippen. Die festliche Stimmung und der herzergreifende Gesang ergriffen mich so sehr, dass ich meine eigene Melodie anstimmte. Offensichtlich hatte ich aber nicht den richtigen Ton getroffen, denn meine Oma zischte: „Julian, pst - sei leise!“

Ich nahm mir die Mahnung zu Herzen, hielt mich artig am langen Mantel meiner Oma fest und musterte die vielen Besucher. Dann erkundeten meine Blicke das Areal des Raumes und verweilten kurzzeitig an einem riesigen Elefantenkopf. Ich wusste damals nicht, dass dieser Kopf, dessen Rüssel und die Stoßzähne drohend in den Raum hinein ragten, eine Jagdtrophäe des ehemaligen Besitzers dieses Schlosses, Gneomar von Natzmer, war.

Der verbrachte dieses Weihnachtsfest nicht mehr in seinem Domizil. Er war in diesem Teil Deutschlands nicht erwünscht und längst in den Westen Deutschlands geflohen. Davon wusste ich natürlich damals auch noch nichts und es wäre mir da sicher auch egal.

Jedoch ließ mir der furchteinflößende Elefantenkopf nicht unberührt. Sofort wandte sich mein Blick von ihm ab. Ich drängte mich an meine Großmutter und übertönte mit meiner schrillen Stimme die Predigt des Pfarrers. Die Oma hatte keine andere Wahl, als mich unter ihren Arm zu klemmen und gemeinsam mit meinen Brüdern nach Hause zu gehen.

Dort wartete der Weihnachtsmann. Es war der Förster mit seinen immer knallroten Wangen, seiner roten Knollennase, den langen weißen Haaren und einem passenden Bart dazu und alles Natur. Der übernahm gern diese Aufgabe, brauchte weder Schminke noch ein Kostüm. Sich in dieser schweren Nachkriegszeit wieder einmal richtig satt essen zu können, war dann sein Weihnachtsgeschenk.

Für mich war alles wieder in bester Ordnung. Bis zum Schlafengehen spielte ich mit meinem Geschenk, einem Pferdestall mit Pferden. Mein Vater hatte dieses Kunstwerk geschnitzt, von dem ich später erfuhr, dass solch künstlerische Begabung ihm nicht zu eigen war. „Not macht erfinderisch“, fügte er noch hinzu. Trotzdem war für mich dieses Spielzeug das Schönste meiner Kindheit. Und mindestens ebenso schön war das Sitzen unter dem Weihnachtsbaum. Vater spielte Geige und alle anderen sangen die Weihnachtslieder mit, selbst der Weihnachtsmann, Förster Wodtke.

Die neue Wohnung

Nachdem ich monatelang in zwei kalten und feuchten Räumen untergebracht war, kam mir die neue Wohnung wie ein Luxusappartement vor. Interessant war die Futterküche im Erdgeschoss. Hier wurde das Wasser mit einer handbetriebenen Schwengelpumpe aus dem Brunnen geholt. Die Kochmaschine, der mit Holz und Kohle befeuerte Herd, sorgte neben seiner eigentlichen Funktion auch für wohlige Wärme im Winter. Der Raum war außerdem mit Dämpfer, Rübenschneider, Zentrifuge und anderen bäuerlichen Geräten ausgestattet.

In dieser Futterküche hing ständig ein undefinierbarer Geruch. Möglicherweise war es darauf zurückzuführen, dass hier Futter für die Schweine zubereitet wurde. Unter der Woche kochte Wilhelmine hier auch das Essen für die Familie. Obwohl das Essen sich nicht großartig vom Futter für die Schweine unterschied, schmeckte es dennoch köstlich. Solange es genug Kartoffeln, Rüben und Kohl gab, um den immer vorhandenen Hunger zu stillen, war alles in bester Ordnung.

Mein Vater hatte ein Geheimnis, das er vor mir und meinen Geschwistern verbarg. Während der Nacht hatten wir Kinder keinen Zugang zur Futterküche, denn Vater brannte oft zu dieser Zeit heimlich seinen eigenen Kartoffelschnaps. Auf diese Art und Weise konnte er ein zusätzliches Einkommen für unsere große Familie erwirtschaften.

Wenn in dieser Futterküche die Instrumentalgruppe ihre Probe hatte, rückte er schon mal so eine Flasche heraus. Da kam beim Spiel mit Mandolinen, Gitarre, Akkordeon und Geige echte Stimmung auf. Ich saß dann irgendwo ganz still in einer Ecke und lauschte dem fröhlichen Spiel und Gesang. Diese Musik begeisterte mich. Ich kannte bald alle Lieder und am liebsten hätte ich stets mitgesungen.

Besonders interessant waren die Besuche von Onkel Harry. Während der regelmäßigen Stromausfälle nutzte er das Kerzenlicht für Schattenspiele, die an den nackten, weißen Kalkwänden der Futterküche gut zu sehen waren. Dabei führte er komplette Märchen mit bloßen Händen und Knüllpapier auf. Eine bessere Unterhaltung gab es für uns Kinder nicht. An einen Fernseher war noch lange nicht zu denken, und ein Radio gab es in unserer Familie auch nicht. Onkel Harry war ein begabter Märchenerzähler und ein talentierter Kunstmaler, Musiker und Sänger. Seine vielfältigen Talente machten ihn zu einem äußerst geschätzten Gast.

Ich fand im neuen Haus insbesondere den Weg zum Plumpsklo interessant. Dieser führte von der Wohnung im ersten Stock durch das gesamte Haus. Die erste Station auf dem Weg dorthin war diese...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-384-14851-7 / 3384148517
ISBN-13 978-3-384-14851-3 / 9783384148513
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