Styx (eBook)

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2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Septime Verlag
978-3-99120-039-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Styx -  Jürgen Bauer
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Eine Zäsur muss her. Eine Generalpause. Der Souffleuse eines großen Wiener Opernhauses reicht es. Als sie während einer Aufführung einer Sängerin ohne erkennbaren Grund den helfenden Einsatz verweigert, gerät ihr berufliches und privates Leben aus der Bahn. Madame Partitur, wie sie von allen nur genannt wird, zieht sich auf ihr Grundstück am Land zurück, in ein paradiesisches Gartenreich mit idyllischem Teich, das ihr verstorbener Mann, einst gefeierter Opernregisseur, mit Hingabe angelegt und gepflegt hatte. Längst jedoch verwildert dieses Vermächtnis, sie sieht sich der Aufgabe nicht gewachsen, es am Leben zu erhalten, und blickt mit Angst auf den bevorstehenden Frühling, wenn der Garten wieder erwachen wird. Nur die Intendantin des Opernhauses dient ihr in dieser Zeit als Stütze, bis ihr ein streunender Hund zuläuft, mit dem sie nun ihre Tage in Abgeschiedenheit verbringt. Als eines Tages ein Gärtner auf dem Grundstück auftaucht und seine Hilfe anbietet, blüht der Garten erneut auf, liebevoll und mit großer Einsicht kümmert er sich um die Pflanzen, bringt jedoch auch schmerzhafte Erinnerungen und verdrängte Schuldgefühle zurück. Was kommt wirklich nach einem Bruch? Welche Welt entsteht, nachdem etwas gestorben ist? Und was geschieht, wenn Dinge und Menschen die Chance auf ein zweites Leben bekommen? Styx ist ein Roman über Verlust, Einsamkeit und Neuanfang, der mit Musikalität und Witz die Verbindungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auslotet.

JÜRGEN BAUER, geboren 1981, lebt in Wien. Seine journalistischen Texte erscheinen in internationalen Zeitungen und Zeitschriften. Seit 2013 veröffentlichte er im Septime Verlag insgesamt vier Romane. Mit seinem dritten Roman, Ein guter Mensch, schaffte er den Sprung über die österreichischen Grenzen und wurde im gesamten deutschsprachigen Raum rezipiert. Der Roman erzählt von einer Welt, in der die Ressource Wasser knapp wird, und wurde von der Kritik als »großartige, fesselnde Social-Fiction« bezeichnet. Mit Portrait, erschienen 2020, gelang der erste Bestseller eines österreichischen Autors im Septime Verlag. Mareike Fallwickl bezeichnete Bauers Prosa als klug, scharfzüngig, spannend und intelligent, im ORF wurde sein Schreiben mit den Attributen glaubhaft, erschütternd und erhellend bezeichnet.

JÜRGEN BAUER, geboren 1981, lebt in Wien. Seine journalistischen Texte erscheinen in internationalen Zeitungen und Zeitschriften. Seit 2013 veröffentlichte er im Septime Verlag insgesamt vier Romane. Mit seinem dritten Roman, Ein guter Mensch, schaffte er den Sprung über die österreichischen Grenzen und wurde im gesamten deutschsprachigen Raum rezipiert. Der Roman erzählt von einer Welt, in der die Ressource Wasser knapp wird, und wurde von der Kritik als »großartige, fesselnde Social-Fiction« bezeichnet. Mit Portrait, erschienen 2020, gelang der erste Bestseller eines österreichischen Autors im Septime Verlag. Mareike Fallwickl bezeichnete Bauers Prosa als klug, scharfzüngig, spannend und intelligent, im ORF wurde sein Schreiben mit den Attributen glaubhaft, erschütternd und erhellend bezeichnet.

 

Zweiter Akt

 

Frühling

 

 

 

Ich fahre mit dem Auto, schneller als je zuvor, eine Hand am Lenkrad, das Radio laut aufgedreht, neben mir eine Kiste Bier, auf den Straßen niemand, weswegen ich das Gaspedal durchtrete, die schlechte Stimmung der letzten Wochen wegrase, die Nachwirkungen der Krankheit, die ungewünschten Erinnerungen. Ich kurble das Fenster runter und singe mit. Irgendein Popsong, dessen zwei Zeilen sich mir sofort in die Ohren und ins Gehirn drängen. Alles, nur keine Oper. Ich nehme einen Schluck, dann werfe ich die Bierdose auf den Rücksitz. Ich singe und trinke aus einer neuen Dose, dann fliegt auch die nach hinten. Ich singe lauter und trinke alle Dosen leer.

So halte ich es seit einiger Zeit.

Ich setze mich ins Auto und fahre los, auf den Straßen ist niemand unterwegs, hier verschwindet die Angst.

Im Garten erwacht längst alles zum Leben, aber ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, mit all dem unbändigen Leben. Die Frühblüher kamen zuerst, Vorboten dessen, was mich noch erwartet. Die Schneeglöckchen und Krokusse, die mein Mann über das ganze Grundstück verteilt gesetzt hat und die sich vermehren, völlig unerwartet. Überall drücken die grünen Köpfe aus dem Boden, recken sich aus dem Erdreich. Etwas später dann wurde es auch rundherum grün, der Salbei mit ersten neuen Blättern, die Bäume, deren Kronen langsam dichter wurden.

Was noch vor wenigen Wochen tot vor mir gelegen ist, bräuchte nun meine Aufmerksamkeit und Pflege, doch die kann ich dem Garten nicht geben, ich weiß zu wenig, bin mit dem Kopf nicht dabei. Wenn ich es nicht mit einem Dschungel zu tun bekommen will, muss ich handeln, bevor die Pflanzen nach dem langen Winter alle wieder aus der Erde kommen.

Ich setze mich stattdessen ins Auto und fahre los.

Singe, so laut ich kann.

Die Straße führt ein Wildreservat entlang, das der Bürgermeister angelegt hat. Ich sehe die Hirsche von Weitem. Wie sie zusammenstehen. Mich neugierig beobachten. Das laute Ding, das neben ihnen entlangrast. Ob sie die Farbe des Autos schon wiedererkennen, das Geräusch? Dann wird die Straße zu einem Feldweg, doch hier gebe ich noch mehr Gas. Niemand kommt mir entgegen, keine Spaziergänger, keine unsäglichen Mountainbiker, schon gar keine anderen Autos. Hans Styx hält seinen Kopf aus dem Fenster. Und wie es auch unser alter Hund getan hat und jeder gute Hund tut, streckt er die Zunge raus und genießt den Fahrtwind, schnappt zu, als würde er die Luft beißen. Und ebenso wie unser alter Hund liebt er es, wenn ich das Radio noch lauter aufdrehe, er jault mit, denn er versteht, was Musik ist.

Das mache ich jeden Tag, sonst habe ich wenig zu tun.

Ich mache gute Miene zum bösen Spiel, aber eigentlich fahre ich nur deshalb mit dem Auto herum, weil ich Ruhe gerade nicht aushalte. Ich weiß nicht, wohin ich mich bewegen soll, in welche Richtung ich gehen will, darum fahre ich im Kreis, immer und immer wieder. Um das zu verstehen, brauche ich keine Psychologin und schon gar keine Opernintendantin, vielen Dank, aber Ruhe heißt Stillstand und Stillstand heißt etwas, für das ich noch lange nicht bereit bin. Im Stillstand kommen vor allem die Bilder zurück, an die letzten Tage, Erinnerungen platzen auf wie Ballons, und das schreckt mich.

Vorwürfe meines Mannes.

Ich greife nach meinem Telefon, aktiviere die Kamera und klicke auf das Foto der Intendantin, um die Verbindung zu starten.

Meist stellt sie jetzt Bilder ihrer eigenen Inszenierungen als Hintergrund ein. So auch heute. »Die Zauberflöte«? Ich erkenne die Szenerie nicht genau, weil ich das Telefon bei voller Geschwindigkeit vor mein Gesicht halten und gleichzeitig den Feldweg im Auge behalten muss.

Erschrecken Sie wieder die Hirsche?, fragt die Intendantin.

Schwupp, die Polizei hat’s nicht geseh’n, singe ich.

Das macht Spaß.

Ich geb Gas, ich geb Gas.

Sie klickt herum, wechselt von der »Zauberflöte« zu irgendeiner Inszenierung, bei der ich das Stück nicht mehr erkennen kann. Die Intendantin hat jetzt weniger Zeit für mich als noch vor einigen Wochen. Langsam wie mein Garten erwacht nämlich auch die Oper wieder zum Leben. Noch dürfen keine Vorstellungen stattfinden, die Menschen sitzen zwar in den Restaurants wieder beieinander, aber ein gemeinsamer Opernbesuch ist noch zu gefährlich. Allerdings haben die Proben in voller Stärke begonnen. Mit Maske und Abstand zwar, es sind seltsame Bilder, die die Intendantin mir schickt, ein Anfang ist dennoch gemacht. Eine Kostümbildnerin hat Kleider für die kommende Premiere entworfen, mit Reifröcken, mehrere Meter breit, so kommt niemand in Versuchung, den Mindestabstand zu unterbieten. Ich habe mir in Absprache mit der Intendantin eine Auszeit genommen. Bei den Proben werde ich nicht gebraucht, im Moment bereitet man neben der Premiere nur einige Konzerte vor, die Sängerinnen und Sänger haben Notenpulte vor sich.

Ersetzt durch ein Notenpult, das ist mein Schicksal.

Es fühlt sich richtig an, dass ich nicht mehr beteiligt bin, dass die Oper ohne mich zu diesem Zustand erwacht, den die Intendantin Leben nennt. Ich will das Ergebnis nicht sehen und kann es doch kaum erwarten, einen Blick darauf zu werfen. Wie ein Autounfall, denke ich und drücke auf das Gaspedal.

Ich habe Angst davor, was aus meiner Oper geworden ist.

Ich habe Angst vor den Zuckungen ihres Körpers, Angst vor der Enttäuschung.

Ich werde die Aufführungen besuchen, aber nur als Zuseherin.

Und was machen Sie so, fragt die Intendantin, ohne Ihre Opernfamilie?

Ich habe auf Ihre Empfehlung gehört, sage ich, ich bin jetzt Ziegenhirtin.

Das habe ich Ihnen empfohlen? Ich muss temporär unzurechnungsfähig gewesen sein, sagt die Intendantin. Wenn ich so etwas nochmal vorschlage, lassen Sie mich einweisen, warten Sie keine Sekunde zu lange zu.

In das Heim für wahnsinnige Opernintendantinnen? Kein Platz mehr frei.

Ziegenhirtin also, sagt die Intendantin, weshalb überrascht mich das nicht?

Eine Frau in der Umgebung hatte in den letzten Jahren einen kleinen Zoo aufgebaut, mit dem sie die Altersheime und Pflegeanstalten der Gegend abfuhr, um mit den Tieren die alten Menschen abzulenken, ihnen etwas Wärme zu schenken. Sie züchtete Meerschweinchen und Hasen, aber auch Größeres, Ziegen und Schafe. Einmal die Woche lud sie die Tiere in einen kleinen Transporter und brachte sie zu den alten Menschen, legte den Damen und Herren eine Decke auf den Schoß und teilte ihnen ein Tier zu. Ich mache mir nichts aus Tieren, nur Hans Styx ist mir ans Herz gewachsen, aber die Vorstellung berührt mich: Kleine Wesen, die aussortierten Menschen vor ihrem Tod noch etwas Freude spenden. Und jetzt sind diese Tiere selbst nutzlos geworden, seit der Pandemie dürfen sie nicht mehr zu Besuch, und die Frau, die den Zoo betreut, sucht ihrerseits Freiwillige, die die Tiere besuchen, damit diese nicht zu einsam werden. Die Menschen übernehmen jetzt für die Tiere die Aufgabe, die die Tiere bisher für die Menschen übernahmen, dieser Gedanke gefällt mir.

Alles Unnütze zieht mich an.

Das ist kein Selbstmitleid, nur Beobachtungsgabe.

Ich besuche die Tiere regelmäßig.

Ich habe mich mit einer Ziege angefreundet, sage ich zur Intendantin. Ein störrisches Tier. Ihnen nicht unähnlich. Früher war sie ein Liebling der alten Damen, sagte mir die Zoobetreuerin, doch jetzt ist sie einsam geworden und seltsam. Niemanden lässt sie an sich heran, und das mag ich. Hans Styx ist eifersüchtig, ich kann ihn nicht mitnehmen, wenn ich die Ziege besuche.

Sie sollten sich Freunde suchen, sagt die Intendantin, das habe ich Ihnen empfohlen. Ich bin nicht sicher, ob ich Ziegen damit meinte.

Besser als nichts.

Wollen Sie nicht doch zu den Proben kommen?, fragt die Intendantin. Menschen wiedersehen, statt immer nur Ziegen?

Auf keinen Fall.

Das verstehe ich, sagt die Intendantin, die Entscheidung fühlt sich auch für mich richtig an.

Warum fragen Sie dann?

Die Pause tut Ihnen gut, Madame Partitur.

Woher wollen Sie das wissen?

Ich weiß es einfach.

Sie sind also nicht nur Psychologin, sondern auch Hellseherin.

Habe ich nicht recht?

Die Intendantin hat recht, aber dennoch ist da eine Erbse, die durch meine dicke Matratze drückt, ein dunkler Fleck, den ich ignorieren muss. Hans Styx bellt, leckt mir über die rechte Hand, sein Kopf erscheint im Videobild.

Sie wissen, Madame Partitur, Hunde sind in der Oper verboten, sagt die Intendantin. Außer es sind Bühnentiere, aber auch dann ist Vorsicht geboten. Tiere und Kinder, gegen die kommt keine Sängerin an. Vor Jahren, da habe ich den »Ring des Nibelungen« inszeniert, an der Oper in Los Angeles. Im Siegfried musste ich eine Lösung für den Drachen finden, den Siegfried erschlägt. Und weil Wagner immer so monumental ist, so humorlos, steckte ich einfach einen Mops in ein Drachenkostüm, ein kleines, grünes Ding aus Leder. Sie behaupten ja immer, die heutigen Regisseure hätten keinen Humor, aber mein kleiner Mopsdrache, der war ein Brüller in dieser Wagnerdüsterwelt. Hat natürlich trotzdem nicht geklappt, das amerikanische Publikum hat gebuht, ich hatte Angst, mit einer Polizeieskorte aus der Stadt fliehen zu müssen. Wer ist jetzt humorlos? Nun ja, der Hundedrache wurde von der Intendanz aus der Inszenierung entfernt, ich habe geklagt, die Inszenierung lief dann unter einem erfundenen Namen, weil ich darauf bestand, dass meiner nicht mehr genannt wurde. Joyce MacDonaghan, so oder so ähnlich hieß ich dann.

Warum erzählen Sie mir das, Frau Intendantin?

Weil es eine gute...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2024
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Corona • Liebe • Oper
ISBN-10 3-99120-039-2 / 3991200392
ISBN-13 978-3-99120-039-0 / 9783991200390
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