Califa oder Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin (eBook)

Roman
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2024 | 1. Auflage
344 Seiten
Edition Nautilus (Verlag)
978-3-96054-337-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Califa oder Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin -  Justin Steinfeld
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Alles dreht sich um Califa, oder kurz: CLF. Die Militärführung in Nomandy, auf der anderen Seite des Ozeans, hat Zugriff auf das neue atomwaffenfähige Element - aber was ist mit Cistransatia, dem Gegner im Osten? In der aufgeheizten Stimmung eines geteilten Kontinents, auf dem sich die Weltmächte an den Zonengrenzen des seit dem Krieg besetzten Potatis nahekommen, scheint jede Entscheidung unkalkulierbare Konsequenzen zu haben. Die Börse in der Seestraße wird überraschend geschlossen, um auch die Währung an Califa zu koppeln, ein unruhevoller Abgeordneter wittert den Krieg und wird zum Problem, cistransatische Wissenschaftler entwickeln einen Gas-Abwehrschirm und leiten die Evakuierung in die unterirdische Hestermannstadt ein. Denn am Besprechungstisch im Politbüro muss dem »Alten« gebeichtet werden, dass in Cistransatia kein CLF vorhanden ist - doch das weiß in Nomandy niemand... Erstmals erscheint nun dieser Roman, den Justin Steinfeld 1955 in England verfasste, sich aber nie um eine Veröffentlichung bemühte. Das Manuskript geriet in Vergessenheit und wurde erst jetzt wiedergefunden. In Zeiten eines Kriegs in Europa und der erneuten Rede von atomarer Bedrohung liest sich »Califa« bedenklich aktuell und, in der Verbindung aus Politthriller und Satire, Science Fiction und alternativer Geschichte, auch überraschend modern. Steinfelds Fazit bestätigt sich: Solange es Nationen und damit Nationalismus gibt, wird es Krieg geben.

Justin Steinfeld, 1886 in Kiel geboren, lebte ab 1892 in Hamburg. Er war Journalist, Herausgeber einer Wochenzeitung und Mitbegründer eines Theaterkollektivs, Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde und stand der KPD nahe. 1934 gelang ihm die Flucht nach Prag, wo er für diverse Organe der deutschen Exilpresse schrieb und sich gegen das Nazi-Regime engagierte. 1938 floh er nach England, wo er bis zu seinem Tod 1970 lebte. Sein - bisher als der einzige geltende - Roman »Ein Mann liest Zeitung« (Neuer Malik Verlag 1984, Neuausgabe bei Schöffling 2020) gilt als bedeutendes Dokument der deutschsprachigen Exilliteratur.

Justin Steinfeld, 1886 in Kiel geboren, lebte ab 1892 in Hamburg. Er war Journalist, Herausgeber einer Wochenzeitung und Mitbegründer eines Theaterkollektivs, Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde und stand der KPD nahe. 1934 gelang ihm die Flucht nach Prag, wo er für diverse Organe der deutschen Exilpresse schrieb und sich gegen das Nazi-Regime engagierte. 1938 floh er nach England, wo er bis zu seinem Tod 1970 lebte. Sein – bisher als der einzige geltende – Roman »Ein Mann liest Zeitung« (Neuer Malik Verlag 1984, Neuausgabe bei Schöffling 2020) gilt als bedeutendes Dokument der deutschsprachigen Exilliteratur.

I.


HANDELSMINISTER IM KRIEGSMINISTERIUM


Oberst Grady trommelte mit den Fingern beider Hände auf der Platte seines aufgeräumten Schreibtisches, so heftig, dass die beiden drahtgeflochtenen Aktenkörbe rechts und links zitterten. Seine Leute nannten das »Trommelfeuer«, eine Vokabel, die vom ersten Weltkrieg übrig geblieben war. Es war Zeichen gespannter Nervosität, das wusste Leutnant Ritehand und griff zum dritten Mal in die Rocktaschen, um sich zu vergewissern, dass der Bleistift rechts, der Schreibblock links vorhanden seien. Sie waren da.

Jetzt schlug der Oberst mit der ganzen Fläche der linken Hand hart auf. »Aha«, dachte der Leutnant, »jetzt geht’s los.«

»Das Chefzimmer nebenan ist seit gestern früh leer«, sagte der Oberst.

»Ich weiß«, sagte Leutnant Ritehand und wusste sofort, dass er eine überflüssige Bemerkung gemacht habe.

»Der Neue wird um zwölf Uhr da sein, das ist in fünfzig Minuten.«

»Jetzt wird er sagen, wer der Neue ist«, dachte der Leutnant und irrte sich.

»Und jetzt hat sich für viertel nach elf Stander hier bei mir angesagt. Telefonisch, durch seine Sekretärin. Stander. Der Handelsminister. Mensch, machen Sie kein so dummes Gesicht! Ich weiß auch nicht, was ein Handelsminister hier will. Ich habe nie im Leben mit solchen Leuten ernsthaft gesprochen. Schreiben Sie alles mit. Ich werde ihm nötigenfalls sagen, das sei hier Befehl.«

Der Leutnant griff wieder in die Taschen und zog die Schreibsachen hervor.

»Noch ist er ja nicht da, oder ist er doch schon da?«, meinte Oberst Grady, denn eine Ordonnanz war eingetreten und stand jetzt neben der Tür. Der Oberst sah den Mann an.

»Herr Oswald Stander«, meldete die Ordonnanz.

Der Oberst sah immer noch den Mann an. »Sagen Sie mal, Tenner, womit putzen Sie eigentlich Ihre Knöpfe?«

»Mit Rennis Politur, Herr Oberst.«

»Dann machen die bei Rennis auch mehr Reclame, als ihre Sache wert ist. Lassen Sie Herrn Oswald Stander eintreten.« Der Oberst hatte sich erhoben. Der Leutnant, mit ein paar Schritten im Viertelbogen, stand nun etwas hinter ihm. Herr Oswald Stander, Staatsminister für Handel und Finanzwesen, trat ein. Oberst Grady ging ihm entgegen, die beiden Herren grüßten sich mit Händedruck, gleichsam wie alte Bekannte, stellten dabei an den Ringen fest, dass sie beide verheiratet seien, fragten nach dem beiderseitigen Wohlbefinden, ohne darauf die Antworten zu erwarten, dann nach dem Wohlbefinden der Frauen, um einander zu sagen, dass diese wohlauf seien, Leutnant Ritehand wurde vorgestellt, ohne Händedruck, er hatte auch, mit Bleistift und Schreibblock, die Hände gar nicht frei. Man setzte sich.

»Was kann ich für Sie tun?«, eröffnete der Oberst.

»Medias in res«, sagte der Minister. Ritehand wusste nicht genau, wie das geschrieben wird, und verwunderte sich innerlich, dass dieser Mann von der sogenannten Volkspartei Lateinisch könne.

»Medias in res. Ich breche den alten Brauch, dass hohe Ämter nebeneinander her arbeiten, ohne miteinander Fühlung zu nehmen, was sich manchmal als, äh, unpraktisch erwiesen hat. Hier bei Ihnen zieht heute ein neuer Chef ein. Sie wissen, was das zu bedeuten hat.«

»Der Dritte in vier Monaten«, versuchte der Oberst die Bedeutung des Umstandes abzuschwächen.

»Aber Sie wissen sicherlich, was es dieses Mal zu bedeuten hat. Ich weiß es auch«, sagte Stander mit einem Seitenblick auf den Leutnant.

»Mein Aide mémoire«, sagte der Oberst, »und folgt einem alten Dienstbefehl. Er ist ein Sohn von Herrn Thomas Ritehand von der Zementplatten-Gesellschaft.«

»Dann brauchen Sie, was ich jetzt sagen werde, Ihrem Herrn Vater nicht gerade heute schon weiterzuerzählen. Nun also, der Mann, der hier gleich einziehen wird, das ist, äh, der Mann. Der Mann.«

Der Oberst sah starr geradeaus, ein Loch in die Luft.

»Vielleicht«, fuhr der Minister fort, »befinden wir uns in einer Woche schon in einer völlig veränderten Lage. Ich meine, äh, im Krieg. Der neue Mann, äh …«

»Wird es gegebenenfalls verantworten.«

»Verantworten. Ja. Wem ist er verantwortlich? Hier niemandem. Geht’s schief, so geht’s schief für die Anderen. Wir Verantwortlichen kriegen einen anderen Posten und den nächstbesten Orden. Bliebe der liebe Gott. Lassen wir das. Es kommt also darauf an, von wo das Signal gegeben werden wird. Von hier oder von der anderen Seite des Ozeans. Vielleicht wird, äh, gar kein Signal gegeben werden. Zum Beispiel in Ihrem besonderen Falle, Herr Oberst. Vielleicht, äh, werden wir in einer Woche im Kriege sein, ohne dass die Nation, ich meine unsere Nation, davon etwas erfährt.«

»Sie meinen den Krieg gegen Cistransatia.«

»Eben den.«

»Mit der Atombombe Ur.«

»Nein. Mit der Atombombe C.L.F.«

»Was will dieser Mann«, dachte der Oberst, »wovon redet er? Blufft er? Wen und wozu? Soll ich ihn verhaften lassen?« Er blickte unverändert, starr, vor sich hin.

»Jetzt bin ich in meinem Rayon«, fuhr der Minister ruhig fort, der die heftige Anspannung beim Oberst wohl bemerkte. »Sie wissen sicherlich, dass eines meiner Hauptprobleme das sogenannte Währungsproblem ist. Das Problem ist, dass es gar keine Währung gibt, was alle Welt weiß, dass aber die ganze Welt so tut, als ob es eine gäbe. Nämlich die Goldwährung. Lachhaft, aber es ist so. Haben Sie ein goldenes Cigarettenetui? Ich habe eins.« Er zog es aus der Westentasche, hielt es mit Daumen und Zeigefinger. »Wollen Sie damit den Krieg finanzieren? Ich nicht. Den Krieg nicht. Und den Frieden auch nicht. Mit Cigarettenetuis. Aber lassen wir das. Nun, unsere Freunde in Nomandy, unsere sogenannten Freunde von der anderen Seite des Ozeans, haben zwar das Gold, aber sie wissen, dass es nichts wert ist. Und da wollen sie also gegebenenfalls die Währung umschalten, damit es doch wieder eine Währung sei.«

»Ja. Ich hörte davon.« Der Oberst hatte sich wieder beruhigt und meinte, etwas Freundliches bemerken zu sollen. »Ich verstehe gar nichts davon. Ehrlich gesagt, gar nichts. Währungsgrundlage Ur. Weil das die Herren, so sagten Sie, von der anderen Seite des Ozeans allein haben. Soviel verstehe ich am Ende doch. Ur. Inbegriff der Kraft.«

»Zunächst immer noch und nach all den Jahren der Zerstörung. Leider. Kein Vorwurf, bitte sehr, aber, und darum bin ich hier, ich weiß, äh, ich habe erfahren, äh, bitte fragen Sie mich nicht wie, es stimmt, ich stehe Ihnen dafür, also wenn da eine Umstellung kommt, mein Gott, warum nicht, Humbug, so oder so, also dann wird die Währungsgrundlage nicht Ur, sondern Clf.«

»Das heißt …«

»… für Sie, dass die Atombombe Ur überholt ist. Ramsch, für den Altwarenhandel. Das Ding heißt jetzt Atombombe Clf. Ja. So ist das. Clf.«

»Aber um Himmelswillen, was ist das, Clf?«

»Wenn ich das wüsste, Oberst Grady, bei Gott, an den ich nicht glaube, nicht sehr, aber einerlei, Sie würden es erfahren, gleich und sofort. Aber ich weiß es nicht. Clf. Ich habe keine Ahnung. Clf.«

»Und wissen Sie vielleicht, wie sich Clf zu Ur verhält? Ich meine, soweit es mein Departement angeht?«

»Keine Ahnung. Zehnfach. Hundertfach, Tausendfach. Keine Idee.«

»Wir haben die Ur.«

»Haben Sie die?«

»Meine Arbeit hier geht von der Voraussetzung aus, dass wir sie haben.«

»Ja. Und darum meinte ich, Ihnen meinen Bericht auf schnellstem Wege zu schulden. Entschuldigen Sie, wenn ich alte Dienstgebräuche übergangen habe. Aber ich glaube, wenn jetzt der neue Chef kommt, werden Sie ihm zuerst und vor allem diesen teuflischen Salat servieren müssen.«

»Darf ich fragen, Herr Minister, warum Sie das nicht selbst tun wollen?«

Stander lächelte. »Ich bin nie im Leben Soldat gewesen. Ich hinke da etwas, mit dem linken Bein. Sie haben es gar nicht bemerkt? Ist auch nicht viel daran. Aber die Ärzte damals refüsierten mich. Ja. Ein Minister von der Volkspartei und hinkt auf dem linken Bein. Phantasie hat die Wirklichkeit, nicht wahr? Na, so dachte ich, so weit das Dienstreglement doch nicht durchbrechen zu sollen. Besser so, Oberst Grady. Für mich. Sie haben da nun freilich, äh, naja. Aber das ist nicht meine Schuld.« Stander war aufgestanden. Auch die Offiziere erhoben sich.

»Herr Minister, Sie haben uns jedenfalls einen sehr großen Dienst erwiesen.«

»Weiß ich, Oberst Grady. Weiß ich. Und wenn ich draußen bin, werden Sie sagen, und mit Recht, dass mich der Teufel holen soll.«

»Aber Herr Minister.«

»Nein, bitte...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2024
Nachwort Willi Winkler
Vorwort Jo Hauberg
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Atombombe • Atomkrieg • Atomwaffen • Deutschland • Dystopie • Ein Mann liest Zeitung • Exilliteratur • Exilroman • Expressionismus • Kalter Krieg • Luftkrieg • Nationalismus • Politthriller • Propaganda • Satire • Science Fiction • Sowjetunion • USA
ISBN-10 3-96054-337-9 / 3960543379
ISBN-13 978-3-96054-337-4 / 9783960543374
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