Doch das Messer sieht man nicht -  I.L. Callis

Doch das Messer sieht man nicht (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
352 Seiten
Emons Verlag
978-3-98707-142-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Zeitgeschichtliches Flair trifft auf düstere Thriller-Elemente - eindrücklich, verstörend, hochspannend. Berlin, 1927: Anaïs Maar ist jung und schwarz, boxt und schreibt für ein Boulevardblatt. Als sie über eine Reihe von Prostituiertenmorden berichten soll, wittert sie ihre langersehnte Chance auf Anerkennung. Währenddessen tanzen die Berliner auf dem Vulkan - Luxus, Spekulation und nächtliche Exzesse stehen Arbeitslosigkeit, Inflation und menschlichem Elend gegenüber. Anaïs kämpft nicht nur gegen den »Ripper von Berlin«, sondern auch mit den gefährlichen Vorzeichen eines dramatischen Epochenwandels.

I.L. Callis ist gebürtige Italienerin, wuchs in Berlin und Paris auf und studierte in Salzburg Jura. Journalistische Erfahrung sammelte sie beim Aktuellen Dienst des ORF, ehe sie am Institut für Europäische Rechtsgeschichte zur Zeitgeschichte und zur nationalsozialistischen Gesetzgebung forschte. Callis ist Mitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte und gehört den International Thriller Writers an.

I.L. Callis ist gebürtige Italienerin, wuchs in Berlin und Paris auf und studierte in Salzburg Jura. Journalistische Erfahrung sammelte sie beim Aktuellen Dienst des ORF, ehe sie am Institut für Europäische Rechtsgeschichte zur Zeitgeschichte und zur nationalsozialistischen Gesetzgebung forschte. Callis ist Mitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte und gehört den International Thriller Writers an.

EINS

»So, Finchen, das ist also nun unser letzter Abend.«

Josefine, die zur Feier des Tages ihr fabelhaftes rotes Kleid mit den weißen Punkten angezogen und ihr Glockenhütchen aufgesetzt hatte, sah von ihrem vornehmen Salat mit Havelkrebsen auf und begriff erst mal rein gar nichts. Georg und sie saßen im Restaurant Zur Linde, und zwar im feinen Jagdzimmer, weshalb die Wände mit dunklem Holz getäfelt waren und daran Jagdbilder und Geweihe hingen. Sogar der Kronleuchter bestand aus putzigen Lampenschirmchen auf Hirschgeweihen. Georg war auch Jäger, aber das sah man nicht.

»Was meinste, Georgchen?«, fragte Josefine.

»Sieh mal, Finchen, du hast es doch immer gewusst.«

Jetzt schwante Josefine eine schlechte Ahnung. Georg hatte sie an diesem Abend ganz vornehm zum Essen ausgeführt, und irgendwie war er so feierlich gestimmt gewesen, und da hatte sie an etwas Zukünftiges gedacht und auf seinen Antrag gewartet und ihm auch immer wieder so sinnliche Blicke voller Zustimmung zugeworfen. Josefine von Scherer, das klang fabelhaft. Besser als Josefine Hoffmann. Sie war achtzehn Jahre alt und blond und hübsch, sodass man sie schon mit Lilian Harvey verglichen hatte. Sie war eine Frau mit Ehrgeiz und Stil und entschlossen, demnächst zur Filmgöttin zu werden und im Glanz zu stehen. Josefine von Scherer, das klang wirklich fabelhaft. Dafür war sie auch bereit, einen Kurs für vornehmes Kochen und Benimm zu machen.

»Was soll ich gewusst haben, Georgchen?«, fragte sie.

»Dass unsere Liebe nicht für die Ewigkeit bestimmt ist.«

»Ick kenn dir gar nicht mehr, Georgchen.« Josefine legte die Gabel hin, so ganz mit Zierlichkeit. »Wat machste denn auf einmal für Fisimatenten?« Sie hatte tatsächlich eine Verwunderung.

Georg lachte. »Siehst du, Finchen, das meine ich«, sagte er. »Natürlich liebe ich dich genau so, so wie du bist, und es fällt mir sehr schwer – aber ich kann dir das Leben nicht bieten, das du verdienst. Du bist doch noch so jung und, na ja, deswegen muss dies eben unser letzter Abend sein.«

»Ick versteh immer nur letzter Abend – wieso denn?«

Georg machte dem Kellner ein Zeichen, und der schenkte gleich noch mal Champagner in die Kristallkelche, und Josefine hatte eine Erleichterung, weil Georg nur gescherzt hatte.

»Schau mal, Finchen«, sagte Georg. »Ein Mann wie ich hat es auch nicht immer leicht. Das verstehst du doch?«

Josefine warf ihm einen Lilian-Harvey-Blick zu, dann dachten die Männer immer, man hätte ein Verständnis, und in dem Glauben ließ man sie ja auch. »Natürlich, Georgchen«, hauchte sie.

»Du bist eine vernünftige Frau, Finchen«, sagte Georg und schob ihr ihr Champagnerglas hin. »Ein Mann in meiner Position kann nicht immer so, wie sein Herz es ihm befehlen möchte.«

Der kalte Champagner kitzelte in Josefines Nase, und gleich musste sie niesen und hatte wie immer kein Taschentuch parat.

»Ich werde bald dreißig.« Georg seufzte und reichte ihr sein eigenes Taschentuch, und das war blütenweiß und mit seinen Anfangsbuchstaben bestickt und so vornehm wie er selbst. »Es wird Zeit für eine Frau an meiner Seite.«

Josefine putzte sich ordentlich die Nase, und wenn die feinen Pinkel an den Nachbartischen deshalb dumm aus der Wäsche guckten, dann war jetzt nicht der Moment, um sich darüber zu erregen. Hier ging es um ihre Zukunft. »Ja«, sagte sie mit Feierlichkeit. »Ja, Georgchen, ick will – ick liebe dir!« Und sie wollte ihm auch gleich das Taschentuch zurückgeben, aber Georg machte eine krause Nase und wedelte mit der Hand.

»Behalt es, Kindchen, behalt es«, sagte er. »Du hast mich falsch verstanden – ich habe mich letzten Sonntag verlobt.«

»Du … hast … was?« Josefine war voll Fassungslosigkeit.

»Sie heißt Sophie-Charlotte«, sagte Georg. »Die van Halens sind zufällig auch die Nachbarn meiner Eltern in Dahlem.« Er hielt sich die Faust vor den Mund und hustete, als wenn ihm eine Gräte im Hals steckte, dabei hatten Krebse ja nun gar keine Gräten. »Ihrem Vater gehört die Bank, in der ich nächsten Monat als Justiziar anfange. Sophie ist ein ganz zauberhaftes Wesen, sie würde dir gefallen.« Er nahm Josefines freie Hand.

Josefine hatte es die Sprache verschlagen.

Georg tätschelte ihre Finger und machte so einen dämlichen verschleierten Blick. »Ich danke dir, Finchen«, flüsterte er.

»Wo… wofür?«, konnte sie nur stammeln.

»Für deine Großzügigkeit und die schönen Erinnerungen, die du mir – uns – geschenkt hast«, hatte Georg die Unverschämtheit zu sagen. »Ich darf dich nicht um deine Hand bitten. Irgendwo da draußen gibt es einen braven, fleißigen Mann für ein liebes Mädel wie dich. Aber ein Mann mit meinen Karriereaussichten muss ein, sagen wir … ein anständiges Mädchen heiraten.« Er küsste Josefines Hand und plinkerte sie so ganz romantisch an. »Wollen wir nicht noch woanders hingehen, Kleines? Nur so zum Abschied?«

Weiter ließ Josefine ihn mit seinem Gesülze nicht kommen, denn eine Welle heißer Wut überschwemmte sie. »Det kannste unter Ulk verbuchen!«, brüllte sie durch das ganze Lokal. »Du Schuft!«

Josefine sprang auf, und ihr Stuhl krachte auf das Parkett, und all die Besseren an den Nachbartischen ließen das Besteck sinken und guckten mit offenen Mündern zu ihr rüber. Sie schleuderte das feuchte Taschentuch auf die Krebse, entriss dem feinen Georg von Scherer ihre andere Hand und langte ihm richtig eine, dass es nur so knallte. Dann nahm sie ihre Handtasche und legte auf ihren hohen Absätzen einen stilvollen Abgang hin. An der Garderobe ließ sie sich noch ihren Feh geben, von dem hatte sie nämlich schon die dritte Rate bezahlt.

Anschließend ging Josefine zum Kurfürstendamm hinunter.

Sie musste ein ganzes Stück laufen, aber das war gut so, denn sie war noch immer voller Wut und Empörung. Vor allem, weil sie nicht wusste, wo sie nun die Nacht verbringen oder was jetzt überhaupt werden sollte. Das wenige Geld in ihrer Börse würde nicht allzu lange reichen.

Josefine hatte nämlich ihre Stellung verloren.

Bis vor Kurzem hatte Josefine im Notariat Stern gearbeitet. Tippmamsell nannte ihr Vater das. Achtzig Mark hatte sie verdient und sechzig davon zu Hause abgegeben.

Dann war Herr Stern plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden, womit man ja hätte rechnen können, wenn man bedachte, dass die Zeitungen doch sehr viel Schlechtes über die Juden zu berichten wussten. Nur dass das alles auf Dr. Stern nicht zutraf, denn der war immer sehr korrekt gewesen. Trotzdem war seine Abreise überraschend gekommen. Nicht einmal Paula, die erste Sekretärin, war vorgewarnt gewesen. Das Büro hatte gewartet, dann hatte Paula bei Herrn Stern zu Hause antelefoniert, und als sich niemand gemeldet hatte, war Rudi, der Bürobote, zu der Villa im Grunewald geschickt worden. Aber er war unverrichteter Dinge ins Notariat zurückgekehrt. Die ganze Familie, so hatte er nur von der Spreewald-Amme der Nachbarn erfahren können, war mitten in der Nacht mit viel Gepäck in ihren Wagen gestiegen und abgereist. Wohin, wusste niemand. Wie erwartet tauchte Herr Stern auch nicht wieder auf, das Notariat wurde geschlossen, und Josefine war arbeitslos.

Natürlich wollte ihr Vater weiter die sechzig Mark im Monat, und ihre Mutter brauchte etwas für das Ernakind, das es ja auch auf der Lunge hatte. Josefine war die Stütze der Familie, wie ihre Eltern ständig sagten. Carl, der Älteste, war nämlich beim Löschen einer Schiffsladung unter eine Kiste mit Metallteilen gekommen, was ihm erst das Rückgrat gebrochen und dann den Tod beschert hatte. Paul, der Zweitälteste, hatte das Temperament vom Vater geerbt und saß deswegen für die nächsten Jahre im Zuchthaus.

Die Gesichter wurden immer vorwurfsvoller, obwohl Josefine fast nichts mehr aß, sondern von Einladungen lebte und sogar die Perlenkette, das Geschenk eines großzügigen älteren Herrn, ins Pfandleihhaus gebracht hatte, wofür sie aber kaum was bekommen hatte, was ein Wucher war. Sie erzählte zu Hause nie, woher das Geld stammte. Ihr Vater hätte sie vor moralischer Empörung glatt hinausgeschmissen, aber wenn sie nichts sagte, dann fragte er auch nicht nach und verschwendete keinen Gedanken daran, weil er ja Geld kriegte und so seine moralische Beruhigung hatte.

Bis in die Nacht hinein spazierte Josefine in ihrem Feh unter den Platanen über den Tauentzien und den Kurfürstendamm und dachte nach. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Zeit für eleganten Müßiggang, und es war so ein schöner Herbstabend. Die Straßencafés waren noch immer rappelvoll, und das sicher schon seit dem so vornehmen Fünfuhrtee, der in letzter Zeit in die Mode gekommen war. Vor den Lichtspielhäusern standen die Leute Schlange, als gäbe es ausnahmsweise mal was umsonst.

Ganz Berlin schien auf den Beinen und feierte das Leben.

Josefine hörte die Musik der Großstadt ganz deutlich mit all den Autos, Straßenbahnen und Omnibussen, die über den Kurfürstendamm durch die Nacht rauschten, mit den Männern mit dem Bauchladen, die an den Litfaßsäulen lehnten und »Zigaretten« flüsterten, womit Kokain gemeint war, und dagegen verwahrte sich Josefine ganz entschieden. Denn sie spürte inzwischen von ganz allein so viel Lebensfreude und Abenteuerlust, als hätte sie einen Schwips von Champagner. Die feuchte Kellerwohnung der Eltern im Krögel – was ja nun keine so feine Wohngegend war, aber eben ihre vertraute –, aus der sie an diesem Morgen für immer weggelaufen war, war ganz weit weg und ihr glanzvolles Leben ganz nah. Nun, wo Georg, der Schuft, sie nicht zur Gemahlin wollte, war ihr Weg frei zu einer...

Erscheint lt. Verlag 21.3.2024
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Ausgrenzung • Berlin • Boxen • düster • Emanzipation • Ermittlerin • Feminismus • Historischer Thriller • Mord • politischer aufruhr • Rassismus • spannend • Spannung • Thriller • Weimarer Republik
ISBN-10 3-98707-142-7 / 3987071427
ISBN-13 978-3-98707-142-3 / 9783987071423
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 3,0 MB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2022)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99
Krimi

von Jens Waschke

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
9,99
Psychothriller | SPIEGEL Bestseller | Der musikalische Psychothriller …

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2021)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99