Korrektur (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77839-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Korrektur -  Thomas Bernhard
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»Zur stabilen Stützung eines Körpers«, so das Motto des 1975 erstmals erschienenen Romanes Korrektur, »ist notwendig, daß er mindestens drei Auflagepunkte hat, die nicht in einer Geraden liegen, so Roithamer.« Der Roman Korrektur hat ebenfalls drei »Auflagepunkte«. Der erste ist Roithamer, Österreicher, 42 Jahre alt, er lehrte Naturwissenschaft in Cambridge. In dreijähriger Planung und ebenso langer Bauzeit hatte er für seine Schwester ein ihr vollkommen entsprechendes Bauwerk geschaffen, einen sogenannten »Kegel«. Der Anblick dieses vollkommenen Bauwerks brachte ihr den Tod. Roithamer mußte »korrigieren«, er ließ den Kegel dem Staat zufallen, freilich mit der Auflage, ihn der Natur zu überlassen. Dann vollzog Roithamer die letzte Korrektur, den Freitod.



<p>Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Ober&ouml;sterreich). Er z&auml;hlt zu den bedeutendsten &ouml;sterreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-B&uuml;chner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 B&auml;nden.</p>

Ein Mensch habe eine Idee und trifft irgendwann in seinem Leben, an dem entscheidenden Punkte, auf einen anderen Menschen, der durch seine Wesensart und gleichzeitig auf den entscheidenden Punkt des ihm Begegnenden bezogenen Geisteszustand, die Idee zur Verwirklichung bringt, aus der Idee Realisierung, schließlich Vollendung der Realisierung werden läßt. Ein solcher Mensch mit einer solchen Idee sei Roithamer zweifellos gewesen und er, Roithamer, sei ebenso zweifellos an dem entscheidenden Punkte in seinem Leben auf Höller getroffen, der ihm die Verwirklichung und Vollendung seiner Idee ermöglicht hat, sagte ich. Und letztenendes zeigten sich an dem roithamerschen Kegel auffallend Kennzeichen des höllerschen Hauses, umgekehrt an dem höllerschen Haus Kennzeichen des roithamerschen Kegels. Die Natur der Sache sei in beiden Fällen die gleiche. Aber während Roithamer an seinem Kegel zugrunde gegangen ist und auch noch seine Schwester mit seiner Idee und der Verwirklichung seiner Idee getötet habe, sei Höller noch am Leben, er lebte nicht nur, wie die Leute über einen Toten, von seiner Idee Getöteten und Vernichteten wie Roithamer sagen, in seiner Idee fort, die er verwirklicht habe und vollendet, sondern der Höller lebe als ein tatsächlich Lebender in seiner Idee und in der Verwirklichung seiner Idee und Vollendung seiner Idee, nämlich des höllerschen Hauses an der Aurachengstelle, weiter und es bestehe kein Zweifel darüber, daß Höller noch lange lebe, weil er, Höller, zum Unterschied von Roithamer, nicht von der Art sei, die von ihrer Idee undsofort abgetötet und vernichtet werde, er, Höller, gehe schließlich, wie jeder Mensch, einmal an etwas anderem, nicht an seiner Idee zugrunde. Während ich die Partezettel anschaute, die Höller, die mir zuhörte, und über der Höller die Partezettel, dachte ich, daß sie mich jetzt, obwohl sie nichts fragen, weil sie kein Wort sprechen, noch immer kein Wort fragen, wie es zu dem Unglück hat kommen können, sie erwarteten von mir, wie immer von einem, von welchem geglaubt wird, er sei in eine ihnen noch unklare Angelegenheit oder Sache eingeweiht, kenne ihre tieferen und tiefsten Ursachen, verlangt wird, daß ich ihnen erkläre, was sie nicht wissen, nicht wissen können, daß ich jetzt sagte, was ich weiß, weil sie glaubten, daß ich etwas, aber wenigstens doch viel mehr wisse, als sie selbst, weil ich mit Roithamer doch die längste Zeit und aufs engste, wie sie wissen, zusammengewesen war und zwar in der intensiven Weise, die sehr oft von Außenstehenden als absolutes Aufgehen in einem anderen Menschen bezeichnet wird, daß ich jetzt und zwar hier, in der höllerschen Stube am Tisch sitzend, was ihnen im Augenblicke noch unklar sei, klarmachte, auch wenn sie selbst sich gar nicht im klaren darüber waren, was ihnen unklar war, daß ich eines oder verschiedene, Roithamer betreffende, ihnen unlösbare Rätsel löste, weil ich wie kein anderer dazu befähigt sei, daß ich jetzt über Wert und Unwert von Annahmen und von Vermutungen entscheide, sei ich doch, so meinten sie, auch wenn sie es nicht aussprachen, weil sie hartnäckig in ihrem Schweigen verharrten, mich immer eindringlicher beobachtend, wie sie glaubten, nicht nur in ihre Obhut, sondern in ihre Kontrolle gebracht hatten, der beste Freund Roithamers mit dem entscheidenden Wissen, daß es an der Zeit sei, von mir mehr zu erfahren über meinen Freund, der auch Höllers Freund gewesen war, als sie selbst wußten, aber umgekehrt war es doch so, daß ich selbst von ihnen mehr über Roithamer erfahren habe wollen, von ihnen und vor allem von Höller selbst, der doch wie ich glaubte wenigstens über die letzten Tage Roithamers, über die letzten vierzehn Tage Roithamers, mehr wußte als ich, denn schließlich hatte der Höller die letzten Tage, wenn auch nicht immer mit ihm zusammen, so doch immer in der Nähe Roithamers verbracht, er, Höller, sei am Ende möglicherweise sogar der Vertrauteste Roithamers gewesen, ich fühlte, daß er, Höller, Entscheidendes über Roithamer wissen mußte, was ich nicht wußte und so warteten wir wahrscheinlich gegenseitig darauf, daß einer von uns etwas über Roithamer sagte, das der andere nicht wußte, Höller etwas, das ich nicht wußte, nicht wissen konnte, ich, was Höller nicht wußte und nicht wissen konnte, denn ebenso eng wie ich mit Roithamer befreundet, ihm verbunden gewesen war, war Höller mit Roithamer verbunden, die Intensität der Freundschaft war wahrscheinlich die gleiche, nur handelte es sich um zwei ganz verschiedene Arten von Freundschaft, denn ich bin nicht Höller, Höller umgekehrt ist nicht meine Person. Aber in der Erwartung, daß wir, Höller, wie ich, etwas aus uns über Roithamer in Erfahrung bringen, was wir nicht wissen, verging die Zeit und bald war eine ganze Stunde weggewesen und die Höller inzwischen aufgestanden und mit dem leeren Geschirr in die Küche hinausgegangen, die Kinder waren ihr gefolgt, Geschirrabwaschen, die Fußbäder der Kinder waren durch die Küchentür herein auszunehmen, während ich und der Höller am Tisch sitzengeblieben uns gegenseitig angeschwiegen hatten. Und darauf, daß der Höller selbst den Roithamer auf einem Baum in der Lichtung entdeckt hatte, wollte ich noch nicht eingehen, der Zeitpunkt, die Rede darauf zu bringen, schien mir noch nicht gekommen, auch hatte ich nicht die Absicht, damit anzufangen, bevor nicht von seiten Höllers dieses heikle und tatsächlich furchtbare Thema zur Sprache gekommen war. Ich wußte längst und hatte das während meines Spitalaufenthalts von einem meiner Besucher, von dem Landwirt Pfuster, in Erfahrung gebracht, daß der Höller den Roithamer in der Lichtung gefunden und eigenhändig vom Baum heruntergeschnitten hatte. Roithamer war längere Zeit abgängig gewesen, weder in Altensam, noch im höllerschen Hause war er die acht Tage nach dem Begräbnis der Schwester auffindbar gewesen, aber beide, die in Altensam und die Höller, hatten gedacht, er sei, was ganz gegen seine Art gewesen wäre, ohne sich abzumelden nach England zurück, wo ja auch ich die ganze Zeit auf Roithamer gewartet hatte, noch dazu ohne Nachricht, wo wir doch ausgemacht hatten, daß er jeden zweiten Tag eine Nachricht an meine Adresse in Cambridge schickt, abgesehen davon, hätte dem Höller doch auffallen müssen, daß die Sachen, also die Kleidungsstücke Roithamers, die er gerade getragen hatte, nicht mehr in seiner Dachkammer gewesen waren und wohin hätte er denn ohne seine Kleidungsstücke gehen sollen, da hätte dem Höller schon bald die Idee kommen müssen, Roithamer sei etwas zugestoßen, denn daß er sich nicht, von niemandem, verabschiedet hatte, war doch das Auffallendste, dazu die fehlende Kleidung, wohl hatte sich Höller in Altensam nach dem Verbleib Roithamers erkundigt gehabt, auch die Altensamer hatten sich umgekehrt bei dem Höller über Roithamer erkundigt gehabt, aber niemand hatte etwas unternommen, wahrscheinlich, weil sie beide, die Höller von der Aurach und die Roithamer in Altensam oben doch angenommen hatten, Roithamer sei längst in England, bis der Höller nocheinmal nach Altensam gegangen ist, um zu fragen, ob sie dort wüßten, wo sich Roithamer aufhalte und bei dieser Gelegenheit habe er, Höller, den Roithamer in der Lichtung zwischen Stocket und Altensam aufgefunden.Von Höller kam nichts über die Tatsache, daß er selbst ihn aufgefunden habe, und ich redete nicht darüber, ich hatte auch schon bei meiner Ankunft am späten Nachmittag mehrere Male vermieden, das Wort »Lichtung« auszusprechen, obwohl das Wort Lichtung mehrere Male notwendig gewesen wäre, um mich in einer Sache, die ich erwähnt hatte, verständlich zu machen. Aber es ist ja bekannt, daß Leute einen Schock bekommen, finden sie einen Erhängten und in diesem Falle handelte es sich naturgemäß um einen fürchterlichen Schock. Einerseits glaubte ich ein Recht darauf zu haben, von Höller Näheres über die letzten Tage unseres Freundes zu erfahren, andererseits glaubte Höller, er werde von mir Näheres über Roithamer in Erfahrung bringen, und da wir beide die ganze Zeit darauf gewartet hatten, daß der andere etwas und naturgemäß etwas über unseren Freund Roithamer sagt, hatten wir die ganze Zeit überhaupt nichts gesagt. Ich fragte mich nur immer wieder, was in Höller vorgehe, umgekehrt wird sich in dieser Zeit Höller gefragt haben, was in mir vorgeht, aber es ist in jedem Falle etwas mit Roithamer Zusammenhängendes gewesen, denn was sonst. Daß er hier die Abende und, wie ich von Höller weiß, oft ganze Nächte zugebracht hat, in der Stube, die von Höller ganz in der Art der alten Aurachtaler Stuben gebaut war, er hatte für den Stubenboden alte trockene Lärchenbretter verwendet, dadurch war es immer ein Vergnügen gewesen, den Stubenboden anzuschauen, und daß Roithamer hier auch oft allein gesessen war bis in der Frühe, daß er nur das Getöse der reißenden Aurach auf sich wirken hatte...

Erscheint lt. Verlag 15.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Architektur • Bauwerk • Geistesmensch • Kegel • Korrektur • Österreich • Perfektion • Roman • Scheitern • Selbstmord • ST 1533 • ST1533 • suhrkamp taschenbuch 1533 • Suizid • Thomas Bernhard
ISBN-10 3-518-77839-0 / 3518778390
ISBN-13 978-3-518-77839-5 / 9783518778395
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